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Vom Massada-Komplex zum Samson-Syndrom

Moshe Zuckermanns Gedanken zu sechs Jahrzehnten Israel

| Sebastian Kalicha

Nachdem die 60-Jahr-Feiern des Staates Israel vorüber sind und der jüdische Staat mittlerweile bereits 61 geworden ist, bekommt man Moshe Zuckermanns Gedanken hierzu und seine Theorie von der Genesis einer politischen Krise des Zionismus nachgereicht.

Diese Krise tritt in verschiedenen Aspekten zu Tage, stellt Israel jedoch nun, wie Zuckermann es nennt, vor eine “historische Weggabelung”. Israel müsse sich entscheiden, die Gebiete, die es im Krieg von 1967 erobert und besetzt hat, mit all seinen Siedlungen zu räumen oder die Besatzung fortzuführen – das sind die zwei Optionen, die Zuckermann sieht.

Geschieht ersteres, ist ein veritabler Bürgerkrieg zwischen der Armee und tausenden radikalen jüdischen SiedlerInnen, der all die Konfliktlinien in der so heterogenen und labilen israelischen Gesellschaft aufbrechen ließe, zu befürchten, denn eine eventuelle Räumung der Westbank ist in vielerlei Hinsicht mit jener des Gazastreifens 2005 nicht vergleichbar.

Entscheidet sich die israelische Regierung gegen eine solche Räumung und setzt die Besatzung und den Siedlungsbau fort – schiebt eine echte Zwei-Staaten-Lösung also weiter auf -, so werden auf lange Sicht die Mehrheitsverhältnisse in dem von Israel kontrollierten Gebiet kippen, eine nicht-jüdische Mehrheit und binationale Strukturen entstehen, was nicht weniger als das Ende des zionistischen Traums bedeuten würde.

Wie man sieht, sind beide Optionen für Israel nicht einladend. Viele argumentieren hierbei, dass deshalb in der Westbank die Barriere gebaut wird, um sich vor diesen Entscheidungen zu drücken und eine dritte Option zu ermöglichen, was Moshe Zuckermann in seinem Buch leider nicht diskutiert.

Der Autor hat zu einer Fülle von Themen seine Gedanken niedergeschrieben, die in kurz gehaltenen Kapiteln abgehandelt werden. Zum Beispiel diskutiert er die ambivalente Haltung der zionistischen Bewegung zur Diaspora und dem Judentum als Religion inklusive einem eigenen Teil zu den sich daraus herleitenden Sprachdisputen – Jiddisch versus Hebräisch.

Spannend sind viele seiner Überlegungen zum Antisemitismus, der Rezeption der Shoah in Israel und das damit einhergehende Sicherheitsbedürfnis.

Hier sieht er eine “permanente Selbstvergewisserung ex negativo“, welche sich “in vielen anderen Bereichen der innergesellschaftlichen Konsolidierung Israels nachweisen [lässt], allen voran in der prononciert ideologischen Funktion, die ‚Sicherheit’ in der politischen Kultur des Landes mittlerweile erfüllt: Da die israelische Gesellschaft von großen Konflikten, Gegensätzen, Widersprüchen und Zerrissenheiten gebeutelt ist, wird ihre Kohäsion durch die immerfort präsente Bedrohung von außen garantiert.” (S. 28f.)

Bei der Auseinandersetzung mit den Thesen mancher PolitikerInnen und antideutscher TheoretikerInnen zum Antisemitismus schreibt er sich schon fast in Rage: “Was aber hat die Pogromnacht von 1938 […] mit dem heutigen Antisemitismus zu tun? Will man allen Ernstes behaupten, es bestehe eine von der ‚Reichskristallnacht’ über Auschwitz bis zum Antisemitismus heutiger Couleur führende lineare Verbindung? Will man wirklich suggerieren, die Verbrennung israelischer Fahnen durch Hamas- und Hisbollah-Anhänger ließe sich auch nur entfernt mit den Exzessen vom November 1938 vergleichen?

Weiß man in Deutschland wirklich nicht, daß der Rassenantisemitismus der NS-Faschisten, der in Deutschland fortwesende Antisemitismus im Jahre 2008 und der (eventuell auch antisemitisch durchsetzte) Antizionismus der Hamas und der Hisbollah aus grundverschiedenen historischen Konstellationen und Kontexten erwachsen sind?

Ist man mit der Banalisierung von Auschwitz […] inzwischen schon so weit, daß der aktionistische Politfurz einer Verbrennung der (israelischen) Nationalfahne zum Kriterium gedenkender Geschichtserinnerung erhoben wird, welches sogar in eine staatsoffizielle Resolution gegen Antisemitismus Eingang finden soll?” (S. 160f.)

Behandelt wird auch die so oft gestellte Frage, was denn aus den Kibbuzim geworden sei.

Zuckermanns Fazit hierzu ist ernüchternd, denn von den sozialistischen Idealen ist kaum noch was auszumachen und er schließt mit der Bemerkung, dass “in spätestens einem Jahrzehnt […] dieser ehemals verheißungsvollste Versuch im 20. Jahrhundert, sozialutopische Emanzipation historische Wirklichkeit werden zu lassen, endgültig Geschichte geworden sein [dürfte]”. (S. 91)

Das Buch ist keine Lektüre ‚für Zwischendurch’, sondern bewegt sich sprachlich und inhaltlich auf einem sehr hohen Niveau. Die kompliziert und fein säuberlich ausformulierten, mit vielen Fremdwörtern versetzten und manchmal endlos scheinenden Schachtelsätze sind nicht immer leicht zu verstehen.

Neben den hier angerissenen inhaltlichen Stationen gibt es im Buch noch eine Fülle weiterer Themen, denen sich Zuckermann manchmal ganz spezifisch – wenn er z.B. Zeitungsanzeigen während der Zweiten Intifada analysiert – nähert.

Besonders für eine deutsche LeserInnenschaft ist interessant, dass er mehrmals auf den deutschen Diskurs und die Rolle Deutschlands im gesamten Konflikt eingeht.

Moshe Zuckermann behauptet mit seinem neuen Buch erneut seine Stellung als einer der gewichtigsten und lesenswertesten nonkonformistischen Intellektuellen Israels.

Moshe Zuckermann: Sechzig Jahre Israel. Die Genesis einer politischen Krise des Zionismus. Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2009, 166 Seiten, ISBN 978-3-89144-413-9, 16,90 Euro