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Atomtransporte quer durch die Welt

| Irene

Um die Atomindustrie aufrecht zu erhalten, fahren täglich Atomtransporte um die ganze Welt. Allein in Deutschland rollen jährlich rund 10.000 Transporte auf Schienen und Straßen. Ein Großteil der Fracht ist für die eher unbekannten Atomanlagen in Gronau (NRW) und Lingen (Niedersachsen) bestimmt oder kommt von dort. Im Folgenden wird darauf eingegangen, was transportiert wird, welche Firmen dahinter stecken, welche Risiken bestehen und wie Widerstand möglich ist.

Wer transportiert was wohin?

Um überhaupt Atomstrom produzieren zu können, wird Uran abgebaut, wie z.B. in Kasachstan, Australien, Kanada und verschiedenen Ländern Afrikas. Meist in der Nähe der Abbauorte wird es in Uranmühlen zu Uranerzkonzentrat (sogenanntem Yellow Cake) verarbeitet. Dann wird es verschifft und in eine der vier Konversionsanlagen in Frankreich, Großbritannien, den USA oder Kanada gebracht. Diese Transporte erfolgen in normalen Containern.

Z.B. transportiert die Firma Hapag-Llyod regelmäßig Uranerzkonzentrat von Südafrika und Australien nach Narbonne in Frankreich. Dabei wird die radioaktive Fracht in Bremerhaven vom Schiff auf Züge umgeschlagen. (1)

In den Konversionsanlagen wird das Uran in Uranhexafluorid (UF6) umgewandelt, welches in Urananreicherungsanlagen auf einen Gehalt von 3-5% radioaktivem Uran angereichert wird.

Die nächsten Anlagen stehen in Pierrelatte (Frankreich), Almelo (Niederlande) und Gronau. Über die Transporte zwischen Konversion und Anreicherung ist nicht viel bekannt, da sie als schwachradioaktive Transporte gelten und deshalb nicht einzeln vom Bundesministerium für Strahlenschutz (BfS) genehmigt werden müssen.

Weiter in der Produktionskette geht es mit den Brennelementefabriken. Die einzige deutsche befindet sich in Lingen.

Sie ist im Besitz des französischen Atomkonzerns Areva.

Aber der Großteil des angereicherten Urans aus Gronau geht nicht etwa in das nahe Lingen, sondern wird exportiert, unter anderem in die USA, Südkorea, Brasilien und Frankreich (2).

Dafür importiert die Brennelementefabrik in Lingen das angereicherte Uran, oft in Form von Uranoxid, unter anderem aus Russland oder Schweden. Die Transporte aus Russland werden von der Northern Shipping Company durchgeführt, über die Häfen in St. Petersburg und Hamburg (3) und dann per LKW (meist mit der Spedition Kieserling aus der Nähe von Hamburg). Die Transporte aus Schweden erfolgen per LKW über normale Personenfähren der Reederei Scandlines über die Strecke Trelleborg-Rostock. (4)

Die produzierten Brennstäbe werden in Atomkraftwerke gebracht. Von der Fabrik in Lingen werden alle deutschen Atomkraftwerke beliefert, sowie einige französische, belgische, niederländische und schwedische. (5)

Werden die abgebrannten Brennstäbe wiederaufgearbeitet und Mischoxid-Brennstäbe (MOX) mit Plutonium produziert (z.B. in Sellafield), so fallen auch hier wieder Transporte an – und bei Plutonium sind bereits winzigste Mengen tödlich. Aktuell drohen MOX-Transporte von Sellafield über belgische Häfen quer durch NRW zum AKW Grohnde.

Bei jedem Produktionsschritt fällt radioaktiver Abfall an. Dieser wird meist durch die Gegend transportiert, um zu suggerieren, das Atommüllproblem wäre gelöst. Beispielsweise wurde bis 2009 abgereichertes Uran aus Gronau als Wertstoff deklariert und nach Russland exportiert. Jetzt wird es nach Pierrelatte (Frankreich) gebracht und von dort mit der Bahn als Uranoxid (U3O8) nach Gronau, zur Zwischenlagerung, zurückgebracht.

Das Anfangsstück wird von der Bentheimer Eisenbahn transportiert. Danach übernimmt die deutsche Bahn – auf zum Teil abenteuerlichen Transportwegen.

Beobachtet wurde eine Abfahrt in Gronau, Umkoppeln und zweimalige Durchfahrt in Münster, Fahrt nach Bad Bentheim mit 5,5 stündigem Aufenthalt und zuletzt eine Durchfahrt in Osnabrück. (6) Über die weitere Fahrtroute ist nichts bekannt. Das ist alles, aber nicht der direkte Weg.

Allein 2011 fuhren 69 Atommüllcontainer mit schwach- und mittelradioaktivem Müll von den Atommüllkonditionierungsanlagen in Jülich und Duisburg in das Zwischenlager in Ahaus. Die Castortransporte mit hochradioaktivem Material sind allen bekannt.

Gefahren und Sicherheitsvorkehrungen

Atomtransporte sind gefährlich – nicht nur ein Atomkraftwerk kann explodieren, auch ein Schiff untergehen oder ein LKW verunglücken. Zudem strahlt die radioaktive Fracht, Urantransporte sind deutlich messbar und jede Strahlung ist gesundheitsschädlich.

Besonders gefährlich sind die Transporte mit Uranhexafluorid, da dieses mit Wasser zu Flusssäure reagiert – die normale Luftfeuchtigkeit reicht da aus. Flusssäure ist stark ätzend und frisst sich zunächst ohne größere sichtbare Schäden in die Haut, in tieferen Schichten entstehen schwere Verätzungen, Gewebe und Knochen werden angegriffen und schon eine kleine Verätzung kann zum Tode führen. Bei einem Unfall mit Brand, der zu einer Explosion der Transportbehälter führen könnte, müssten etwa 5 km Umkreis evakuiert werden, da sich Flusssäure über die Reaktion mit der Luftfeuchtigkeit sehr schnell verteilt. (7)

Dabei fahren die Transporte zu jeder Tageszeit durch vollbesetzte Bahnhöfe. Die wartenden Fahrgäste am Gleis werden nicht informiert, wenn der Zug direkt an ihnen vorbei rollt.

Immer wieder kam es bei LKW-Transporten mit Uranhexafluorid zu Unfällen, bei denen glücklicherweise bisher die Uranhexafluorid-Behälter selber nur leicht beschädigt wurden.

Im März 2010 stoppte die Bremer Polizei einen Lastwagen auf dem Weg zur Urananreicherungsanlage Gronau. Dessen Gestell, auf welchem das Uranhexafluorid transportiert wurde, war teilweise durchgerostet. (8)

Informiert über die Transporte sind meist nur die Speditionen, sowie bei den Transporten mit angereichertem Uran auch das Bundesministerium für Strahlenschutz und die Polizei (also faktisch auch die Innenministerien der Bundesländer).

Die Kommunen und Feuerwehrwachen sind meist nicht über die Transporte unterrichtet. Gerade bei der Feuerwehr, die im Falle eines Unglücks Katastrophenschutzmaßnahmen einleiten müsste, wäre es wichtig, das Material und den richtigen Umgang damit zu kennen. Die Bevölkerung wird nicht informiert.

Atomtransporte beobachten

Über kleine Anfragen an die jeweiligen Landtage ist es je nach Bundesland möglich, im Nachhinein Informationen über die durchgeführten Transporte zu erhalten.

Diese fallen unterschiedlich aus – in NRW wird manchmal behauptet nichts zu wissen, in Bremen werden die Daten mit den genauen Transportschiffen und Firmen herausgegeben.

Über sorgfältige Recherchen konnten auch in Hamburg einige Transportfirmen und -schiffe ausgemacht werden.

Die Bundestagsfraktion der Grünen ließ die verschiedenen Anfragen auswerten und kam auf 10.000 Atomtransporte jährlich durch die BRD, die in direktem Zusammenhang mit der Erzeugung von Atomstrom stehen. (9)

Transporte ausfindig zu machen, Regelmäßigkeiten zu entdecken und dagegen aktiv zu werden, erfordert viel Handarbeit und Versuche möglichst viel zu beobachten, insbesondere bei Transporten mit schwachradioaktivem Material, da diese nicht jedes Mal vom Bundesministerium für Strahlenschutz genehmigt werden müssen.

Aktive Gruppen suchen immer wieder Leute, die versuchen Atomtransporte zu beobachten und zu melden, wenn sie zufällig einen auf Straße oder Schiene entdecken. Ein Meldeformular gibt es unter www.urantransport.de/links/melden.html

Wie ist ein solcher Transport zu erkennen?

Alle Transporte müssen eigentlich als Gefahrguttransporte gekennzeichnet sein.

Das Radioaktivitätszeichen ist allgemein bekannt, bei Uranhexafluorid kommt noch die Kennzeichnung für ätzend (Reagenzglas mit Hand) hinzu, bei anderen Stoffen “Fissile” für spaltbares Material oder ein sterbender Fisch für umweltgefährdend.

Orange Gefahrguttafeln beschreiben genau die Gefahren und den transportierten Stoff. Dabei steht eine 7 in der oberen Zahlenreihe für radioaktiv, eine 8 für ätzend, unten steht eine vierstellige Zahl, die den Stoff kennzeichnet, z.B. 2978 für Uranhexafluorid.

Radioaktive Stoffe sind welche mit den Kennzeichen 2908-2919, 2977, 2978 und 3321-3333. Die Kennzeichnung ist bei Lastwagen unten am Fahrgestell oder hinten befestigt, bei Waggons an Planen oder unten am Fahrgestell.

Lastwagen transportieren offene Fässer (für Uranhexafluorid), die auch als solche zu erkennen sind oder Container (z.B. für Uranoxid), bei denen dann hinten die Radioaktivitätszeichen angebracht sind. Bei Zügen wird das Uranhexafluorid in Planwagen mit rot-braun-grauen Planen oder ebenfalls mit sichtbaren Fässern transportiert. Für die Castortransporte gibt es die bekannten blauen Castorbehälter und die weiße Verpackung mit Lüftungsschlitzen.

Widerstand gegen die Transporte

Wenn ein Atomtransport oder eine Planung dafür veröffentlicht wird, gibt es meist eine kurze Empörungswelle: “Wie, durch unsere Stadt fahren Atomtransporte?!”, denn die Öffentlichkeit weiß in der Regel nichts vom regelmäßigen Umschlag der radioaktiven Fracht.

Widerstand gegen die Transporte regt sich in letzter Zeit vor allem in den Hafenstädten Hamburg, Bremen und Rostock, den Hauptumschlagsplätzen für Atomtransporte. Es gibt immer wieder Mahnwachen, in Hamburg öffentliche Begleitung von Schiffen mit radioaktivem Material an Bord, in Rostock eine Fahrraddemonstration auf der Autobahn gegen Atomtransporte mit Personenfähren, in Bremen hat die rot-grüne Landesregierung jüngst beschlossen, den Hafen für Kernbrennstoffe zu entwidmen.

Das Gesetz zur Änderung der Hafenbetriebsordnung tritt am 1. März in Kraft, ab da ist dann zumindest der Transport von Kernbrennstoffen über Bremerhaven verboten. Darunter fallen insbesondere der geplante Transport von Atommüll nach Gorleben und Mischoxid-Brennelementen nach Grohnde aus der Wiederaufarbeitungsanlage in Sellafield (Großbritannien).

Die meisten Transporte, die über die Bremer Häfen gehen, fallen nicht darunter, im letzten Jahr von 14 Atomtransporten kein einziger. Die Einfuhr von Uranerzkonzentrat über Bremerhaven nach Frankreich bleibt so weiter möglich.

Das Gesetz ist rechtlich umstritten – es ist unklar, ob es gegen das Warenvertriebsgesetz der EU verstößt, Rechtsgutachten der Industrie- und Handelskammer sowie von SPD, Grünen und Linken kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Vorerst gilt das Gesetz jedoch. Für eine Änderung wäre eine Klage nötig. Es besteht die Hoffnung, dass das Beispiel Schule macht und weitere Hafenstädte ihre Häfen entwidmen und so der Atomindustrie ihre Nachschubwege kappen – aber dann bitte für alle Atomtransporte.

In Cuxhaven half sogar, dass der Bürgermeister sich direkt an den Hafenbetreiber wandte und dieser dann auf dem privatwirtschaftlichen Wege die drohenden MOX-Transporte unterband. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Konflikte um die Hafenentwidmungen weiter entwickeln.

Ein Grund für die Aktivitäten in Bremen war auch die Angst vor Protesten. Immer wieder gab es bei oder vor drohenden Transporten Proteste – beispielsweise mit Streckenaktionstagen entlang der Transportstrecken, mit Protestnoten, Leserbriefen, Mahnwachen, Demonstrationen, Sitzblockaden, Sabotage-Aktionen, Ankett- und Luftblockaden.

2009 konnte nach mehreren erzwungen Stopps der Urantransporte der Export von Uranmüll von Gronau nach Russland gestoppt werden – gemeinsam mit russischen UmweltaktivistInnen.

Ende 2010 sorgten die geplanten Castor-Transporte von Ahaus ins russische Majak für viel Wirbel, in Ahaus selber, aber auch in den möglichen Hafenstädten (die GWR berichtete). Aufgrund des starken Widerstands sagte Bundesumweltminister Röttgen die Transporte deshalb in letzter Minute ab.

Es gibt jede Menge Möglichkeiten – werdet aktiv!