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Keine Atempause, Geschichte wird gemacht…

Anfang März ist Castor-Alarm im Wendland

| M. Krüger

Im ganzen Bundesgebiet bereiten sich x-tausende darauf vor, Anfang März am Schienennetz der Bahn oder direkt im Wendland aktiv zu sein. Zum dritten Mal nach 1995 und '96 wollen Atomindustrie und Bundesregierung ein Exempel statuieren, unter tätiger Mithilfe der größten Polizeiarmee in der Geschichte der Republik. Die Castor- Auseinandersetzung wird zum Großkonflikt um Energiepolitik, um Repression und um Widerstandsformen. (Red.)

Aller guten Dinge sind drei. Manchmal auch aller schlechten Dinge. Der dritte Castor-Transport nach Gorleben wird vorbereitet. Es soll ein Mammutunternehmen werden, gegen das die bisherigen zwei polizeilichen Rieseneinsätze im Wendland verblassen. Der niedersächsische Innenminister Glogowski hat sich mit seinen Konzepten weitgehend durchgesetzt: Bis zu sechs Castor-Behälter auf einmal sollen Anfang März nach Lüchow-Dannenberg gebracht werden. Personelle und finanzielle Unterstützung erhält die niedersächsische Polizei vom Bund (BGS) und allen Ländern. Mit dem Bau von Containerdörfern für die Staatsgewalt ist bereits begonnen worden. Ob es wirklich zu einem “Sixpack” kommt, mit drei Behältern aus Neckarwestheim, einem aus Gundremmingen und zwei aus der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) La Hague, ist noch unsicher, da verschiedene technische Schwierigkeiten nicht ausgeräumt sind. Es ist allerdings davon auszugehen, daß der geplante Transporttermin eingehalten wird, auch wenn nicht alle sechs Behälter abfahrbereit sind. Dann werden eben entsprechend weniger auf die Reise gehen.

Inzwischen ist auch klar, daß dies der einzige Gorleben-Transport in diesem Jahr bleiben soll. Eine bereits angekündigte zweite Fuhre mit bis zu neun Behältern wurde einmütig von Atomindustrie, CDU und SPD abgesagt, da im Frühjahr 1998 in Niedersachsen Landtagswahlen anstehen und mensch sich nicht den Wahlkampf durch den Castor-Konflikt vermiesen lassen will. (Da geht es dann plötzlich!)

Vorher sollen Tatsachen geschaffen werden: Nachdem der Widerstand im Wendland nach den ersten beiden Transporten nicht kleinzukriegen war, soll nun das “Sixpack” die Menschen zur Resignation treiben. Mit einer massiven Medienkampagne versuchen staatliche Organe im Vorfeld den Protest zu diskreditieren und harte Polizeieinsätze zu leditimieren (siehe GWR 215).

Ob dies gelingt, ist mehr als fraglich. Die Bewegung ist lebendiger denn je. Durch den ganzen Februar reihen sich verschiedenste Aktionen aneinander (siehe Artikel S. 6). Inner- und außerhalb des Wendlandes bereiten sich unzählige kleine und große Aktionsgruppen aus allen Bevölkerungsschichten auf die heiße Widerstandsphase Anfang März vor. Nachdem 1995 beim ersten Tag X 2 000 und 1996 sogar 6 000 Menschen trotz Versammlungsvebots auf den Beinen waren, wird diesmal mit noch größerem Zulauf gerechnet.

Mit dem “Streckenkonzept” des wendländischen Widerstandes ist gewährleistet, daß der Castor-Konvoi – wenn überhaupt – dann nur im Schrittempo durch den Landkreis rollt, weil sich die verschiedenen Widerstandsgruppen und -konzepte klug über den ganzen Transportweg verteilt haben. Schließlich haben jetzt viele schon Erfahrungen sammeln und aus Fehlern lernen können. Auch undefinierbare Ängste, wie sie es noch vor dem ersten Transport 1995 gab, sind selten geworden, weil jetzt genau beschreibbar ist, wie sich inmitten des Ausnahmezustandes agieren läßt.

Doch nach jetzt 20 Jahren macht- und phantasievollem und vor allem auch erfolgreichen Widerstand in Lüchow- Dannenberg ist diese bunte Bewegung dem Staat mehr denn je ein Dorn im Auge. Schließlich wird mit jedem Castor bekannter, mit wieviel Lebensfreude sich die Menschen in Lüchow-Dannenberg auch noch der größten Polizeimacht gegenüber wehren. Da ist die Gefahr groß, daß dies Schule macht.

Hinter verschlossenen Türen laufen in Bonn neue “Energiekonsensgespräche” zwischen Regierung und SPD und man/frau will das Castor-Problem endlich vom Tisch haben. Deshalb wird jetzt im März mit dem geplanten “Sixpack” der Machtkampf auf die Spitze getrieben.

Da ist der Widerstand gut beraten, nicht zu versuchen, mit dem Gegenüber in Gewaltmitteln gleichzuziehen. Den meisten Aktiven ist das auch bewußt, und so bleibt zu hoffen, daß die wenigen Gruppen, die von Massenmilitanz und Straßenschlachten träumen, schnell auf den Boden der wendländischen Tatsachen zurückkommen.

Schließlich war bei den bisherigen Transporten fast ausschließlich gewaltfreies Agieren zu beobachten. Ob beim Blockieren der Straße mittels landwirtschaftlichem Großgerät, bei Gleisbesetzungen und öffentlichen Schienendemontagen, ob bei Straßenunterhöhlungen oder Sitzblockaden, bei Spaßguerilla- oder Ankett-Aktionen, nie wurde dem Konsens entgegengehandelt, Menschen nicht zu gefährden. Wenn beim letzten Castor einzelne ausrasteten und mit Erde, Steinen und Flaschen warfen, so waren schnell andere zur Stelle, um beruhigend zu wirken.

Wenn es auch im März gelingen sollte, durch alle verschiedenen Widerstands-Gruppen und -spektren diesen Minimalkonsens aufrechtzuerhalten und gleichzeitig aufeinander Rücksicht zu nehmen, damit sich die verschiedenen Aktionsformen nicht in die Quere kommen, dann wird es für die Polizei nicht einfacher werden.

Aller guten Dinge sind drei. Beim dritten Castor kann sich entscheiden, ob irgendwann doch der Gewöhnungseffekt oder die Resignation eintritt, oder ob der Staat merkt, daß er dieser Bewegung mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht beikommen kann.

Wir sollten uns allerdings bewußt sein, daß diese Mittel bisher nicht ausgeschöpft wurden. Glogowski und andere PolizeistrategInnen haben erkannt, daß ihre einzige Chance darin besteht, vor den Medien einen BürgerInnenkrieg zu inszenieren. Das werden sie erneut versuchen. Dabei ruhig und entschlossen zu bleiben, ist nicht einfach.

Unendlich viel hängt davon ab, wie es dem wendländischen Widerstand gelingt, das eigene gewaltfreie Handeln (in all seinen Schattierungen) zu organisieren und nach außen zu vermitteln. Es kann schon klappen, wenn viele dazu beitragen. Und wenn es klappt, dann könnte dieser März 1997 eines Tages in den Geschichtsbüchern der sozialen Bewegungen einen besonderen Platz einnehmen.