antifaschismus

auf rechts gehen?

Warum A. Paul Weber kein Vorbild für eine emanzipatorische Bewegung sein kann

| Alfred Schobert

Ohne zu wissen, dass A. Paul Weber ein Antisemit, Nationalbolschewist und Vertreter der "Konservativen Revolution" war, faksimilierten wir in GWR 257 im April 2001 leider unkommentiert das Titelbild der 1977 von Gewaltfreien Aktionsgruppen produzierten und im März 2001 unverändert nachgedruckten Broschüre "Feldzüge für ein sauberes Deutschland", auf dem die A. P. Weberzeichnung "Rückgrat raus" zu sehen ist (s.o.). Zu Recht kritisiert nun Alfred Schobert vom Duisburger Institut für Sprach-und Sozialforschung: "Eine Grafik A.P. Webers an so exponierter Stelle zu verwenden, sitzt der nach 1945 von interessierter Seite verbreiteten 'Weber-Legende' auf und verlängert sie." (GWR-MS)

Es ist wichtig, dass die Heidelberger GWR die Initiative ergriffen hat, die Broschüre “Feldzüge für ein sauberes Deutschland” von 1977 wieder aufzulegen, und es ist wichtig, das die Graswurzelrevolution (Nr. 257, S. 3) ausführlich auf diese Initiative hingewiesen hat.

Denn der arbeitsteilig funktionierende Angriff des politischen Establishments auf Geschichte und Identität der emanzipatorischen Protest- und Widerstandsbewegungen seit “1968” darf nicht unwidersprochen bleiben.

Hier wird eine doppelte Front errichtet: Joseph Fischer wird Militanz bei Demonstrationen der 70er Jahre letzten Endes mehrheitlich nachgesehen, da er es, voller Reue, als Apologet des staatlichen Gewaltmonopols verstand, die deutsche Beteiligung am Angriffskrieg gegen Jugoslawien mit dem ethischen 68er Gütesiegel des “Nie wieder Auschwitz!” zu legitimieren. Ja, die Aufregung über mackerhafte Demomilitanz ließ seine Rolle als “verhängnisvollster Außenminister Deutschlands seit 1945 (Jürgen Link) in den Hintergrund treten. Ergänzend dazu und zur vorsorglichen politischen Absicherung des neuen Großmachtkurses nach innen sollen, personell festgemacht an der Vergangenheit des grünen Atomministers Jürgen Trittin im Göttinger AStA, Standards von zivilem Ungehorsam (auch “im Rechtsstaat”), wie sie ab “1968” nach US-amerikanischen Vorbilder bis in das linksliberale Spektrum und die verfassungsrechtliche Diskussion etabliert worden waren (1) , pulverisiert werden.

Allerdings glaubte ich bei genauerer Betrachtung des in der gwr faksimilierten Broschürentitels zunächst meinen Augen nicht zu trauen. Unter der Titelgrafik war die Signatur zu lesen: “A. Paul Weber”. Eine Grafik A.P. Webers an so exponierter Stelle zu verwenden, sitzt der nach 1945 von interessierter Seite verbreiteten Weber-Legende” auf und verlängert sie. Vergessen (und vergessen gemacht) wird so, dass Weber ein prominenter Vertreter der sog. “Konservativen Revolution” war. Das vernünftige Geschichtsbewusstsein und die auch auf das Heute und Morgen zielende kritische Verantwortung gegenüber “1977” wird von dem bei der Titelgestaltung praktizierten Umgang mit (Kunst-) Geschichte unterlaufen. Im hier vorgenommenen Rückgriff auf künstlerischen Ausdruck ‘widerständiger Tradition’, eben des Rückgrates, aber mittels einer Arbeit A.P. Webers, erweist sich dieser als geschichtsblind – bestenfalls (doch hier soll nichts Böses unterstellt werden) als geschichtsblind.

Webers Grafik “Rückgrat raus!” lässt sich von Motiv und Titel her bei oberflächlicher Betrachtung gewiss in eine ‘linke Tradition’ einordnen, die zur Identifikation einlädt. Das Rückgrat symbolisiert nicht nur den geraden Rücken im anatomischen Sinn und die aufrechte Haltung der Species Mensch, mit der “die Hand” (merkwürdigerweise reicht hier die Einzahl) frei wird zur Arbeit (siehe die Arbeits-Anthropologie des jungen Marx und Engels’ Überlegungen über den “Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen”). Darüber hinaus ist die menschliche Eigenart des “aufrechten Gangs” ein mit Bedeutung aufgeladenes traditionsreiches Bild, eine große Metapher (2): Aufrechter Gang, das meint die Fähigkeit und Bereitschaft, sich nicht zu beugen, das meint aufrecht gehen (“trotz alledem) und widerstehen. Das meint den “Widerstand” (auf dieses Reizwort werde ich noch zurückkommen müssen), Widerstand gegen Knechtung und Unterdrückung, den Kampf gegen alle Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes Wesen ist, mit anderen Worten: die wirkliche gesellschaftliche Menschwerdung des Menschen.

Solche Bilder, Metaphern und Symbole sind allerdings nicht das Eigentum einer politischen Bewegung. Als Zeichen – oder “Marken”, marques (Jacques Derrida) – sind sie Teil der Sprache und ‘gehören’ jedermann und niemand. Man kann sie nicht hüten wie einen Schatz, sie lassen sich nicht, um sie vor Diebstahl zu schützen, in einem Tresor deponieren. Der “aufrechte Gang” als Metapher ‘gehört’ nicht der Linken. Es gibt darauf kein Copyright, auch lassen solche Metaphern und Symbole sich nicht wie der Schriftzug von Coca-Cola als registered trademark schützen – wobei auch in diesem Fall die parodistische ‘Enteignung’ und ‘Aneignung’ funktioniert: da der bekannt geschwungene Schriftzug, einer Unterschrift gleich, erkennbar und identifizierbar ist, war er für den Aufkleber “Colonialismus” in weißer Schrift auf rotem Grund imitierbar und erkennbar.

Es gibt mehrere Fälle der ‘Aneignung’ des Wertes “aufrechter Gang” von rechts, so wenn stramme Geschichtsrevisionisten fordern, “die Deutschen” sollten endlich wieder den “aufrechten Gang” lernen. (3) Auch seine Anwendung durch A. Paul Weber, als Aneignung symbolisch gekennzeichnet durch die Signatur, ist suspekt. Sich als Linke diese Signatur anzueignen, führt auf falsche Bahnen. Dies soll ein kurzer Blick auf Webers Schaffen im Kontext der sog. “Konservativen Revolution” und insbesondere des “Widerstands”-Kreises um Ernst Niekisch zeigen.

Welche Bedeutung A.P. Weber innerhalb der “Konservativen Revolution” beizumessen ist, zeigt sich schon darin, dass Armin Mohler, bekennender “Faschist (Im Sinne Primo de Rivieras)” und wohlwollender Kompilator jener heterogenen politischen Strömung der 20er und 30er Jahre, in seinem “Handbuch” eine Grundvorstellung der “Konservativen Revolution” anhand einer Zeichnung Webers in der Zeitschrift “Der Falke” aus dem Jahre 1932 erläutert: “Im Vordergrund eine marschierende Gruppe bündischer Jungen, dahinter, groß und schattenhaft alles überragend, in gleicher Richtung marschierende Frontsoldaten. Das ist sinnbildlich für die gesamte ‘Deutsche Bewegung’ der Nachkriegszeit. Dass die Toten an der Gegenwart ebenso teilhaben wie die noch Ungeborenen ist eine konservative Grundvorstellung. Und im besonderen sind es die Gefallenen des Krieges, die durch ihren Opfertod als überall anwesende Vorbilder und Mahner gelten.” (4)

Weber war insbesondere im Umkreis von Ernst Niekisch und dessen Zeitschrift “Widerstand” aktiv, lieferte aber auch Illustrationen für andere Publikationen soldatischer und völkischer Ideologen. So erschien 1927 der Band “Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben” des Freikorpsführers in Oberschlesien, Manfred von Killinger mit Zeichnungen Webers. Nach 1931 übernahm der Münchener Eher-Verlag das Buch; dieser Verlag dürfte vielen als “Zentralverlag der NSDAP” bekannt sein, und in dort erschienenen Ausgaben von Hitlers “Mein Kampf” wurde von Killingers Buch eigens beworben. “Bildbeigaben” Webers enthielt auch die 1942 im Berliner Nibelungen-Verlag erschienen Anthologie “Soldatengeist. Eine Deutung aus Bekenntnissen der Front”, die von Ludwig Weisauer herausgegeben wurde. Auch das Buch “Literatenwäsche” von Wilhelm Stapel, den Mohler als “eine der gefürchtesten Federn auf der Rechten” feiert (5) , zierten Zeichnungen Webers. “Gewaschen” wurden dort u.a. Alfred Döblin, Erns Toller, Erich Mühsam, Arthur Schnitzler, die Brüder Mann und Hermann Hesse. Kurt Tucholsky ist dort ein besonders geschmackloses Blatt Webers gewidmet; er wird als Laus dargestellt, also als Parasit, als Ungeziefer. Es muss an dieser Stelle hoffentlich nicht eigens darauf hingewiesen werden, welche Praxis der “Ungeziefer”- und “Parasiten”-Propaganda später folgte.

Stapels Buch mit den Zeichnungen Webers erschien 1930 im Berliner Verlag Widerstand. 1930 bis 1934 gehöre Weber zu den Herausgebern der Zeitschrift “Widerstand”. Um Webers “Widerstands”-Werk angemessen beurteilen zu können, muss Ernst Niekisch kurz porträtiert werden. (6) Als Einstieg mag eine Erinnerung des Soziologen René König an die Zeit kurz vor seiner Emigration dienen. “Sie werden es nicht glauben, was ich ihnen jetzt erzähle. Ich kannte Niekisch durch Mitscherlich. Niekisch wollte mich dazu überreden, bei ihm mitzumachen noch in Berlin. Wir saßen in einer Konditorei in der Leipziger Straße und er redete ständig auf mich ein. Ich sagte zu ihm: ‘Sie müssen gar nicht weiterreden, denn mit dem, was Sie zu sagen haben, habe ich nichts zu tun. Mit den Nazis lebe ich momentan noch eine Weile, bei Ihnen wäre ich schon längst gehängt.’ Niekisch dachte einen Moment nach und sagte dann ‘ich glaube, ja’. Dann stand er auf, zahlte und ging.” (7)

Niekisch veröffentlichte 1932 die Schrift “Hitler, ein deutsches Verhängnis”. Sie ging noch im selben Jahr in die fünfte Auflage. Es war, so der Historiker Louis Dupeux in seiner Habilitationsschrift über den Nationalbolschewismus in Deutschland, “eine vernichtende Verurteilung des Nationalsozialismus, beeindruckend in ihrer ungeheuren Wucht der bildhaften Anprangerung wie in der Härte der Formulierung. Zudem erscheint aus heutiger Sicht Niekischs düstere Prophezeiung vom apokalyptischen Zusammenbruch des Dritten Reichs bestätigt. Beeindruckend war auch die Titelradierung von A.P. Weber, ein bedeutender Beitrag zur Geschichte des frühen Protests gegen Hitler.” Dupeux fährt indes fort: “Die Verurteilung erfolgte allerdings aus Gesichtspunkten, die keineswegs demokratisch zu nennen sind.” (8)

Der Historiker formuliert hier mit ironischen Understatement. Dupeux teilt die politischen Wandlungen des vormaligen Sozialdemokraten Niekisch als Herausgeber der Zeitschrift “Widerstand” in der Zeit von 1926 bis 1933 in drei Abschnitte: Bis 1929 pflegte Niekisch einen “proletarischen Nationalismus”, hielt Distanz zur Sowjetunion und ignorierte die KPD, derweil er die deutsche Arbeiterschaft idealisierte. Sein inniger Kontakt zu den Brüdern Jünger förderte irrationalistische Bestrebungen. “Er wurde zum Eiferer der Konservativen Revolution.” Dem folgte eine “hochreaktionäre Periode”, in der es Niekisch einzig um das Überleben der deutschen Nation und die Erneuerung deutschen Menschentums ging. Ab 1930 bekannte sich Niekisch zum “Deutschen Bolschewismus”. “Obwohl ihn der russische Bolschewismus faszinierte, betrachtete er ihn aus rein deutscher Sicht, holte ihn sozusagen zurück ins Deutschtum mit seinem ‘Potsdamer Gesetz’. […] Das Proletariat idealisierte er nicht mehr, sondern wollte es nur noch strategisch einsetzen, wozu er die ihm verdächtige KPD als Organisation brauchte. So blieb er auf halbem Weg zwischen dem Wunschdenken von einer vorübergehenden ‘Benutzung’ der deutschen Kommunisten und der Hingabe an die tiefere Logik der Konservativen Revolution stehen. […] Jedenfalls erwies sich Niekisch in der entscheidenden Periode seiner politischen Laufbahn, in der Zeit vor 1933, als ein Mann der extremsten Rechten.” (9)

Weber-Anhänger nutzen heute den Titel der Zeitschrift Niekischs und Webers, um den Künstler als vorbildlichen Antifaschisten und frühzeitigen Mahner zu präsentieren. Mit der Ausstellung “Widerstand und Entscheidung”, die “Lithographien nach Zeichnungen von 1928-1932” bietet, finden sie immer wieder Dumme, die ihnen auf den Leim gehen. Weber wird hier als hellsichtiger Mahner und Warner vor dem Faschismus präsentiert, so vor wenigen Monaten bspw., als die Ausstellung in Geilenkirchen Station machte. Dort gab sich der Landrat dazu her, getragen von der zum “Aufstand der Anständigen” (Schröder) heruntergekommenen Stimmung gegen Rechts allen Bürgerinnen und Bürgern den Besuch der Ausstellung zu empfehlen. (10)

In einer verkehrten Welt muss man sich sicher an manche Verkehrungen gewöhnen, so auch an diese. Nicht gewöhnen will und werde ich mich allerdings daran, dass dieser A.P. Weber auch in der Linken hochgehalten wird, indem man Werke von ihm an exponierter Stelle zur Illustration nutzt. Es gibt nichts an der Signatur A.P. Webers, was den Versuch der ‘Aneignung’ durch Linke wert wäre, denn das hieße sich zu beugen.

(1) Vgl. Wolfgang Kraushaar: 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur. Hamburg 2000, 53-80; Peter Glotz (Hg.): Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat. Frankfurt a.M. 1983 u. Ulrich Rödel/Günter Frankenberg/Helmut Dubiel: Die demokratische Frage. Ein Essay. Frankfurt a.M. 1989.

(2) Schön, dass sie - passend zwischen "Aufklärung" und "Aufstand" - Eingang in das Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus (Band 1, Hamburg 1994) fand.

(3) Vgl. bspw. Ernst Topitschs "Plädoyer für den aufrechten gang"; dazu kritisch Alfred Schobert: Mitte und Normalität. Zur Gleichzeitigkeit von moderner Kollektivsymbolik und traditioneller institutionalistischer Symbolik. In: Ernst Schulte-Holtey (Hg.): Grenzmarkierungen. Normalisierung und diskursive Ausgrenzung. Duisburg 1995, 53-73, hier 56f.

(4) Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch. 3., um einen Ergänzungsband erw. Aufl. Darmstadt 1989, I. 33.

(5) Mohler a.a.o., I. 410.

(6) Dass sich SDSler in Berlin mit Niekisch, der am 23.5.1967 starb, mehrfach trafen, gehört auch zu "1968" und ist noch kaum zeitgeschichtlich reflektiert. Im Zusammenhang mit der nationalistischen Wende Bernd Rabehls wurde dies - allerdings in Haudrauf-Konstruktionen, die Gefahr laufen, auch zu kratzen, wo es nicht juckt - ansatzweise thematisiert.

(7) René König: "Blick nach vorn" [Gespräch mit Michael Neumann u. Gerhard Schäfer]. In: Jahrbuch für Soziologiegeschichte 1990. Opladen 1990, 219-238, hier 234f.

(8) Louis Dupeux: Nationalbolschewismus in Deutschland 1919-1933. Kommunistische Strategie und konservative Dynamik. München 1985, 335.

(9) Dupeux a.a.O., 347.

(10) Thomas Dörr nahm die Präsentation der Ausstellung Anfang 1999 in Eutin zum Anlass, sich näher mit A.P. Weber zu beschäftigen. Das Ergebnis ist überaus lesenswert: Thomas Dörr: "Mühsam und so weiter, was waren das für Namen..." Zeitgeist und Zynismus im nationalistisch-antisemitischen Werk des Graphikers A. Paul Weber (= Schriften der Erich-Mühsam-Gesellschaft Heft 18). Lübeck 2000.