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Autonome Mythen ungeknackt

| Markus Beinhauer

A.G. Grauwacke (Hg.): Autonome in Bewegung, Aus den ersten 23 Jahren Assoziation A, Berlin 2003, 408 Seiten, ISBN 3-935936-13-3, 20 Euro

Wir kennen das. Die letzte Demo, an der wir teilnahmen war eine Antifademo in, sagen wir, Detmold, wo wir mit ca. 137 ähnlich Gesinnten rund zwei Dutzend Glatzen nachgerannt sind. Und wir schauen im Kalender nach, ob wir uns wohl ein paar Tage Zeit nehmen können, wenn im November der nächste Castor Richtung Gorleben rollt. Sonst läuft nicht mehr viel. Wie gerne schwelgen wir dann in Erinnerungen, abends nach dem vierten Bierchen beginnen wir von damals zu erzählen, z.B. vom ersten Hüttendorf an der Startbahn West. Die besonders Mutigen wissen von dem erhabenen Gefühl beim ersten Molliwurf zu berichten. Nach dem 6. Bier ist mensch bei der Gegenwart angekommen und vor dem Blick in die Zukunft zahlen wir lieber die Zeche und gehen nach Hause. Wer solche nostalgischen Verzückungen mag, der ist bei dem Buch “Autonome in Bewegung” richtig.

Und es ist auch legitim sich an der oft genauen Rückschau mit den “streng subjektiven” Erlebnisberichten zu erfreuen. Reichlich bebildert ist das Ganze und erhöht damit das Vergnügen beim Lesen. Die beiden Bildbände “hoch die kampf dem” und “vorwärts bis zum nieder mit” über die Plakate von “30 Jahren unkontrollierter Bewegung” haben in der linksradikalen Szene offensichtlich ein ästhetisches Bedürfnis geweckt. Der Wunsch nach üppig bebilderten Büchern ist groß.

Auch wer in der Historie linksradikaler Politik über genügend Kenntnisse verfügt, kommt hier auf seine Kosten. So ist vor allem das Kapitel über die Berliner Häuserkämpfe Anfang der 80er lesenswert, wie es allerdings einen leichten Hang in Richtung (West)Berlin zu beobachten gibt.

Es beschleicht eineN beim Lesen aber die Frage, wozu wir denn jetzt noch ein Buch über die Autonomen brauchen. So zeichnete sich Geronimos “Feuer und Flamme” durch eine augenzwinkernde Ironie aus und war zudem 1990 schon was ziemlich Aufregend-Neues. Das von Thomas Schultze und Almut Gross verfasste Buch “Die Autonomen” aus dem Jahr 1997 überzeugte durch seine klare Analyse, blieb aber aufgrund des akademischen Duktus wohl hinter den Szeneerwartungen zurück. Und nun also “Autonome in Bewegung”. Ein eher verzichtbares Bilderbuch? Keineswegs! Sieht mensch genauer hin, gewinnt das mit fast 400 Seiten prall gefüllte Werk an Prägnanz. Die Genauigkeit, mit der die schier unendliche Geschichte autonomer Kämpfe zunächst in leicht verdauliche Kapitel untergliedert ist, fasziniert. Das Lesen wird zu einem Vergnügen (aber manchmal auch zum Ärgernis) durch die in grauen Kästen immer wieder eingeschobenen Berichte von ZeitzeugInnen. Natürlich kann es keine Garantie auf Vollständigkeit geben. Es bleibt unverständlich, dass den Kämpfen in und um die Hamburger Hafenstraße, Mitte der 80er der Kristallisationspunkt autonomer Politik und Praxis, kein größeres Interesse geschenkt wird. Ärgerlich ist, wie wenig Beachtung die tödlichen Schüsse an der Frankfurter Startbahn West im November 1987 und deren Bedeutung finden. Der Tod zweier Polizisten beim 300. Sonntagsspaziergang ist eine Zäsur linksradikaler Politik. Die autonome Szene erwies sich als handlungsunfähig in Bezug auf den Umgang mit der verstärkten Repression nach den Schüssen. Autonome Aktivitäten wurden weitgehend eingestellt. Es kam in der Folge szeneintern zu einer aufschlussreichen Debatte z.B. über Militanz und männliches Gewaltverhalten.

“Autonome” ist ein undifferenzierter Begriff für eine bestimmte, subkulturell geprägte, politische Kraft. Sich an die Analyse einer solchen Vokabel zu wagen ist ein schwieriges Unterfangen. Hier bleiben die Herausgeber (es sind 5 Männer) nebulös. Die Frage, wer die Autonomen sind, bleibt weitgehend unbeantwortet. Eine Definition von “Autonome” wird vor allem in Abgrenzung zu “den Anderen”, seien es nun Hippies, Politpunks (zur Unterscheidung zu den sogenannten Proll- und Saufpunks), Peaceniks oder eben Bürger, auch Normalos genannt, vorgenommen. Hier blitzt immer wieder eine Metapher von WIR und DIE durch. So werden z.B. “unsere Toten” postuliert (S. 142), gleichgesetzt mit einem geräumten Haus, wofür der politische Preis mittels Militanz hoch getrieben werden müsste. Auf der anderen Seite dieses imaginären WIRs stehen die Bullen, in der Regel die Medien oder auch mal die “friedliebenden Gruppen”. Dies ist eine unnötige Simplifizierung die dem Anspruch autonomer Programmatik nicht gerecht wird. Die A.G. Grauwacke (die Herausgeber) beteuert schon zu Beginn, dass sich die Autonomen nicht genau eingrenzen lassen. Da gehen die AutorInnen des Buches “Die Autonomen”, Schultze und Gross, schon etwas genauer an die Sache ran. Sie sprechen von einer “heterogenen Zusammensetzung” der Autonomen, in der kein einheitliches Weltbild vorherrscht (S. 55). Die Autonomen sind eher ein diffuser Haufen von kollektiven Identitäten, der sich immer wieder in verschiedenen sozialen Bewegungen einmischt und seine Programmatik stark anderen sozialen Kämpfen (“Autonomia Operaia” Ende 60er/ Anfang 70er Jahre in Italien) entlehnt.

In der Einleitung zu “Autonome in Bewegung” fällt schon im zweiten Absatz ein Satz, der den Ansatz der Autoren verdeutlicht: “Die Geschichte der Autonomen lässt sich nicht durch soziologische Forschung und akademisches Quellenstudium nachzeichnen.” (S. 7) Dies kann als Seitenhieb gegen Thomas Schultze und Almut Gross verstanden werden, die in ihrem Buch “Die Autonomen. Ursprünge, Entwicklung und Profil” eben genau so vorgingen. Die A.G. Grauwacke ergänzt: “Sie muss erzählt werden von denen, die dabei waren.” Ein nachvollziehbarer Ansatz, der allerdings eine analytische Ungenauigkeit zur Folge hat. In wie weit es z.B. historisch richtig ist, dass es vor allem LehrerInnen aus Hamburg waren, die die Verantwortung tragen, dass es bei der Räumung der Republik Freies Wendland im Sommer 1980 zum Konzept einer gewaltfreien Sitzblockade kam, bleibt der rein subjektiven Sichtweise vorbehalten.

Fragwürdig erscheint auch die zeitliche Einordnung der Entstehung der Autonomen, als politisch wirksamer Faktor. Die Autoren gehen vom Jahr 1980 aus und begründen dies mit Häuserbesetzungen, den errichteten Hüttendörfern und einem aufkommenden Demotourismus zu diesem Zeitpunkt. Dieser Versuch einer historischen Zuordnung bleibt aber kritikwürdig. So fand der TUNIX-Kongress, der oft als Geburtstunde der Autonomen angesehen wird, da es hier zu einer Transformation der Spontibewegung unter Bezugnahme auf Theorie und Praxis der italienischen “Autonomia Operaia” – Arbeiterautonomie (hierher auch der importierte Begriff Autonomie) zu den sogenannten Autonomen kam, bereits im Januar 1978 statt. Oder war das Geburtsdatum doch eher der 6. Mai 1980, bei der Demo gegen eine Bundeswehrrekrutenvereidigung in Bremen? Hier wurden die nach dem “Deutschen Herbst” ’77 verbliebenen Ansätze linksradikaler Politik mit den Anfängen der weitgehend von Jugendlichen getragenen Sozialrevolte (Zürich, Amsterdam, Freiburg, Berlin) verbunden. Andererseits hatte die Anti-Atom-Bewegung, die in ihrer Frühphase häufig von den Autonomen für sich reklamiert wird, ihre erste Hochphase zum Ende der 70er Jahre längst hinter sich. Bereits in den Jahren 1974/75 beteiligten sich autonome Gruppen am Anti-Atom-Kampf. Geronimo hingegen setzt mit den Wurzeln der Autonomen unmittelbar nach ’68 an. So bleibt die historische Datierung letztlich schwierig.

Mit der strengen Subjektivität, der sich die Herausgeber in ihrem Buch mehrfach verpflichten, lässt sich so einiges ableiten, was allerdings historisch oder programmatisch zweifelhaft erscheint.

Die linksradikale Bewegung, inklusive der Autonomen, sollte die eigene Geschichte immer wieder rekonstruieren, um in der Zukunft in gesellschaftliche Verhältnisse eingreifen zu können. So stellt sich also die Frage nach dem Wohin? Der Untertitel des Buches “Aus den ersten 23 Jahren” impliziert, dass die Geschichte weitergeht, und zwar konkret die Geschichte der Autonomen als einer ernstzunehmenden politischen Kraft (darüber, ob sie als eine soziale Bewegung interpretiert werden kann, lässt sich streiten, einiges spricht eher dagegen; vielmehr neigen die Autonomen dazu, sich in unterschiedlichsten sozialen Bewegungen zu engagieren, um dort ihre Positionen einzubringen).

Über die Zukunft der Autonomen gibt das gesonderte Kapitel des Buches wenig Aufschluss. Dabei sind die fünf Statements zu den “nächsten 23 Jahren” lesenswert. Sie bieten allerdings eher ein theoretisches Resümee der ersten 23 selbst er- und gelebten Jahre. Hier werden politische Stärken der Autonomen verdeutlicht, z.B. der konkrete Bezug auf gesellschaftliche Utopien im eigenen Alltag, der Wille zur Praxis oder die Lust am politischen Agieren.

Nur lässt sich eine auffallende Diskrepanz zwischen den theoretischen Abhandlungen und den Berichten aus der autonomen Praxis nicht leugnen. Diesbezüglich ist für einen Graswurzelrevolutionär natürlich das Kapitel über die Militanz eine Pflichtlektüre, auf die ich mich buchstäblich gestürzt habe. Auf die “Unversehrtheit von Menschen, selbst wenn diese keine Unbeteiligten sind” (wer ist unbeteiligt, wer beteiligt?) soll geachtet werden (S. 145). Im Widerspruch dazu wird z.B. bei militanten Anti-Atom-Kämpfen von großkalibrigen Signalraketen zum Einsatz gegen Bullenhubschrauber erzählt (S. 21), von der “Bewunderung der bewaffneten Aktion” der Revolutionären Zellen fabuliert (S. 139) oder begeistert von der Klopperei mit den Bullen berichtet. Ein Höhepunkt der Romantisierung von Militanz findet sich in dem Artikel “Massenmilitanz”: “Das dumpfe Trommeln des auf die Wannen prasselnden Steinhagels, das kollektive Plündern von Supermärkten war für uns der Gesang von Freiheit und Abenteuer. Und es machte einfach Spaß, den Bullen eins in die Fresse zu hauen, sie zum Laufen zu kriegen, dieses wunderschöne knackend-schwingend-sirrende Geräusch einer zerbrechenden Fensterscheibe zu hören oder in den Straßenschluchten die rot-gelben Farben einer brennenden Karosse mit dem schwarzen Rauch darüber zu sehen.” Das ist Ästhetisierung von Gewalt, Mystifizierung von Militanz auf unterstem Marlborowerbungsniveau. Insbesondere die Schwärmerei über die militanten Kämpfe der Anti-Atom-Bewegung in den 70ern läßt eine wichtige Erfahrung der Bewegung außer acht, nämlich dass die Gewalt an den Zäunen und auf den Bauplätzen, z.B. in Grohnde oder Kalkar 1977 ins Leere liefen und letztlich aufgrund der militärischen Übermacht des Staates ergebnislos blieb. Eine weitere Prämisse, dass es “zu den bewaffneten Gruppen eine klare politische und konzeptionelle Grenzziehung” gibt (S. 144), findet sich in dem Kapitel über das Verhältnis zu den Revolutionären Zellen (RZ) als die “Geschichte einer Geschwisterrivalität” kaum wieder.

Schuld an vielen Spaltungen der unterschiedlichsten Bewegungen (ob Startbahn, Häuserkampf oder Anti-Atom) seien meist “die Gewaltfreien” (auch schon mal verächtlich Friedliebende genannt), die in bewährter autonomer Manier meist als staatskonform denunziert werden. Auch mit dem Pseudonym der Autoren “Grauwacke” (der geologische Fachbegriff für das Material zur Herstellung von Pflastersteinen) wird dem “Militanzfetisch” (Jan Schwarzmeier: Die Autonomen zwischen Subkultur und sozialer Bewegung, S. 204) auf, m.E. ziemlich peinliche Art Tribut gezollt.

Die vor über einem Jahrzehnt von Geronimo formulierte Kritik an der Mythenbildung innerhalb der Autonomen Szene (“Feuer und Flamme”, S. 170 ff.) scheint auch heute aktuell zu sein. Ob Hasskappensyndrom, Konspirationsgehabe oder ständig wiederkehrende Militanzrituale; in dem was ich dazu in “Autonome in Bewegung” lese, wie ich selbst Autonome in Bewegung erlebe, hat sich wenig geändert.

Eine unzweideutige und lohnenswerte Lektüre bietet das Kapitel über die antideutschen und anderen “Verwirrungen” in der Bewegung (S. 350 ff.), bevor mensch sich das nächste, wiederholte Mal mit antideutsch und sonst wie orientierten SektiererInnen auseinander setzt.

Insgesamt ist das Buch der selbst auferlegten Aufgabe, “einen Eindruck zu vermitteln, was autonome Politik der letzten dreiundzwanzig Jahre war (und was nicht)” (S. 380) gerecht geworden. Den Autoren ist ein teilweise zauberhaft zu konsumierendes Buch geglückt. Es macht Spaß durch die Kapitel über die Häuserkämpfe oder die IWF-Kampagne zu stöbern. Dazu ist das Ganze anschaulich illustriert mit einem außergewöhnlichen Layout versehen. Dabei kommt es durchaus des öfteren zu den erwähnten nostalgischen Verzückungen. Warum auch nicht?

Anmerkungen

Auf der Internetseite http://autox.nadir.org läuft eine Debatte zum Buch.