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Interview mit Anna Kolossova

| Interview: Ulrike Laubenthal

Graswurzelrevolution: Anna, du warst zum ersten Mal bei den Protesten gegen den Castor-Transport dabei. Was hat dich bewogen zu kommen?

Anna Kolossova: Ich bin in Kiew, Ukraine geboren und aufgewachsen und habe Tschernobyl sozusagen live und fast vor Ort miterlebt. Ich finde, dass die Katastrophe schon zu sehr vergessen worden ist, obwohl sie noch gar nicht lange zurückliegt und von Befürwortern der Atomkraft oft verharmlost wird, was völlig absurd ist. Somit habe ich um so mehr Gründe, gegen die Atomkraft zu protestieren. Ich habe schon viel von den Castor- Protesten gehört und habe vor kurzen endlich Leute kennengelernt, mit denen ich hinfahren konnte.

Welche Auswirkungen hatte die Katastrophe von Tschernobyl auf dich und deine Familie?

Ich war erst 5, als es passiert ist, habe also nur sehr vage Erinnerungen. Direkt nachdem der Unfall bekanntgegeben wurde (wie man weiß, mit einiger Verzögerung), ist in Kiew eine Massenpanik ausgebrochen, da es nur 100 km von Tschernobyl entfernt liegt. Meine Eltern und ich haben wie viele andere ein Paar Koffer gepackt und sind in den Süden ans Schwarze Meer geflüchtet. Dort haben wir uns dann 3 Monate herumgeschlagen, mussten aber wieder nach Kiew zurück, wo die Strahlung noch nicht viel nachgelassen hatte. Die Geigerzähler spielten verrückt, man sollte keine Milch trinken und keinen Dreck von der Straße an den Schuhen in die Wohnung reinbringen. Einige im Familien- und Freundeskreis sind auch an Krebs erkrankt, auch meine Oma, die dann 1995 daran starb.

Du bist in Hitzacker in eine Bezugsgruppe eingestiegen und hast den ganzen Prozess der Aktionsvorbereitung mitgemacht. Hast du dich danach ausreichend vorbereitet gefühlt für die gewaltfreie Blockade?

Ich habe mich in die Gruppe sehr gut aufgenommen gefühlt. Wir haben sehr aufeinander geachtet und auch auf mich als einzige “Anfängerin” wurde sehr viel Rücksicht genommen. Ich fand die intensive Vorbereitung auf die Aktion auch sehr sinnvoll, wenn auch nach längerer Zeit etwas anstrengend, aber für so eine Aktion muss man sich auch richtig kennenlernen und sich aufeinander einstimmen.

Die Polizei hat die Räumung der Blockade damit begonnen, dass sie Menschen in sehr schmerzhafte Polizeigriffe nahm, um sie zum Mitgehen zu zwingen. Wer trotzdem nicht ging, wurde vom Gleis gezerrt. Was ging in dir vor, als du das gesehen hast?

Das war sehr erschreckend. Ich habe eine solche Brutalität noch nie direkt vor mir gesehen. Man hat Schmerzensschreie gehört, konnte aber nur vage erkennen, was die Polizei machte. Immer wieder sagten Leute, die etwas weiter vorne saßen, die Polizisten hätten jemandem die Arme umgedreht, einen Schlagstock ins Auge gedrückt, oder jemanden mit dem Gesicht auf die Steine geknallt. Es hat sich schon eine ziemliche Angst ausgebreitet. Als du neben mir weggezerrt wurdest, musste ich weinen, weil ich das einfach so unfair fand, wie die Polizisten friedliche Menschen misshandelten.

Du hattest dich entschieden, aufzustehen und mitzugehen, wenn du aufgefordert wirst. Was hat dich bewogen, dann doch sitzen zu bleiben?

Die Gruppe und das Singen haben mir viel Mut gegeben und ich dachte: “Ich probier das einfach mal aus, wenn es unerträglich wird, kann ich ja immer noch selber gehen.” Ich wollte den Polizisten zeigen, dass ich mich durch ihre Einschüchterungen nicht kleinkriegen lasse.

Du warst die erste von uns, die tatsächlich von der Polizei getragen wurde. Hast du irgendeine Vermutung, warum diese Veränderung eintrat?

Ich denke, die Presse und die Pastoren haben eine wichtige Rolle gespielt, aber auch der Zusammenhalt der Gruppe und unser positives Auftreten.

Nach der Blockade wurdest du mit vielen anderen nach Neu-Tramm gebracht. Wie hast du die Situation im Gewahrsam erlebt?

Ich habe alles nur noch im Nebel mitbekommen, weil ich ziemlich erkältet und übermüdet war. Ich finde, die Gruppe hat immer noch ganz gut zusammengehalten und wir haben uns umeinander gekümmert. Z.B. hat man gemeinsam beschlossen, darauf zu verzichten, zum Richter zu gehen, damit eine Freundin und ich, die völlig fertig waren und es nicht mehr aushielten, die Gelegenheit bekamen, früher rauszukommen.

Bist du beim nächsten Mal wieder dabei?

Sehr gerne!