Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

droht ein Krieg gegen den Iran?

Zumindest propagandistisch scheint er gerade vorbereitet zu werden. Darauf deuten nicht nur die im Zusammenhang mit dem Iran zu sehenden nuklearen Drohgebärden des französischen Präsidenten hin.

Jacques Chirac hat am 19. Januar in einer Rede klargestellt, dass er bereit sei, gegen “Terrorstaaten” notfalls auch Atomwaffen einzusetzen. Wörtlich sagte er: “Die atomare Abschreckung ist nicht dazu bestimmt, fanatische Terroristen abzuschrecken. Doch die Führer von Staaten, die gegen uns auf terroristische Mittel zurückgreifen, sowie alle, die in der einen oder anderen Weise den Einsatz von Massenvernichtungswaffen erwägen, müssen verstehen, dass sie sich einer festen und angepassten Antwort unserer Seite aussetzen würden. Diese Antwort kann konventionell sein; sie kann auch anderer Natur sein.” (dpa, 19.01.2006)

Wer bei “Google” den Suchbegriff “Iran” eingibt, kommt schnell auf militaristische, US-amerikanische Seiten, die einen Krieg gegen den Iran propagieren (siehe Abb. auf Seite 8).

Die “Kooperation für den Frieden”, in der ca. 40 Organisationen aus der Friedensbewegung mitwirken, warnt in einer Presseerklärung vom 16. Januar vor einer Rutschbahn in weitere Eskalation und Krieg. Das Londoner Treffen der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und der EU-Troika stelle eventuell die Weichen für einen bald nicht mehr umkehrbaren Weg in die Konfrontation mit Iran. “Wenn IAEO-Chef El Baradei Gewalt gegen Iran ausdrücklich nicht mehr ausschließt, müsste dies zum Präzedenzfall für die Aberkennung eines Friedensnobelpreises führen”, kommentiert Manfred Stenner, Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative, dessen jüngste Äußerung, mit der er sich in Gegensatz zu UN-Generalsekretär Kofi Annan stelle.

Die Friedensorganisationen kritisieren die nun eingeschlagenen Wege in Richtung Sicherheitsrat, Sanktionen ohne annehmbare Verhandlungsangebote sowie die offene Vorbereitung möglicher Militärschläge durch Israel und die USA bis hin zu atomaren Optionen als womöglich nicht mehr zu kontrollierende Eskalationsschritte.

Wie schon in der GWR 305, beschäftigen wir uns auch diesmal mit dem Iran. Der im Exil lebende Mojtaba Shakibapur beschreibt die Lage in seinem Heimatland: “Das ist die Sprache des Krieges!” (S. 7)

Mohssen Massarrat ist Politikprofessor an der Uni Osnabrück. Er benennt Alternativen zu einem neuen Krieg und beleuchtet das Scheitern der EU-Diplomatie und die Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt (S. 8 f.).

In einem Nachbarland des Irans könnte es bald zu einer Sensation kommen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird über Osman Murat Ülkes Fall entscheiden. Ossi saß wegen seiner Kriegsdienstverweigerung lange im Gefängnis und lebt illegalisiert in Izmir. Ein positives Urteil könnte die Türkei zwingen endlich das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen. Gründe genug, Ossi zum Prozess und zur Situation der sozialen Bewegungen in der Türkei zu befragen (S. 10 f.).

Weitere Themen dieser Ausgabe sind “Patriotismus – eine Bedrohung der Freiheit“, Deutscher Fußball und andere Geschmacklosigkeiten (S. 1 f.), Widerstand und Aufbruch in Bolivien, die Spiegel-Berichterstattung über die “Gewaltfreie Revolution in Osteuropa” (S. 6f.), …

Gewürdigt werden der Schriftsteller William Godwin (S. 14 f.), das libertäre Vermächtnis des Psychotherapeuten Friedrich Liebling (S. 16 f.) und das alternative Berliner Wohnprojekt Kreutziger Straße (S. 3).

Li(e)bertäre Grüße,