concert for anarchy

“Ich war immer komplett, doch niemals fertig”

Ein Interview mit der feministischen Popsängerin Bernadette La Hengst

| Interview: Uwe Kretschmer

Bernadette La Hengst (* 1967), bürgerlich Bernadette Hengst, war u.a. Sängerin und Gitarristin bei der Hamburger Grrrl-Pop-Punk-Band Die Braut haut ins Auge. 2002 veröffentlichte sie elektronisch tanzbare Chansons auf ihrem ersten Soloalbum Der beste Augenblick in deinem Leben. 2003 war sie Mitorganisatorin des Hamburger Ladyfests und erhielt den Künstlerinnenpreis des Landes NRW. Auf ihrem im Oktober 2005 erschienenen zweiten Soloalbum La beat (vgl. Rezension in: GWR 306, Februar 2006) verbindet sie ihre politischen, feministischen und persönlichen Texte mit Elektronik-Beats und Samplingtechnik.

Graswurzelrevolution (GWR): Du hast hier in Marburg zum Auftakt der Veranstaltung gegen sexuelle Belästigung gespielt. Wie steht es deiner Meinung nach mit Gleichberechtigung, und was ist deine private Vorstellung von Feminismus?

Bernadette La Hengst: Es ist immer wieder wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sexuelle Belästigung gibt und man es nicht hinnimmt. Bei solchen Veranstaltungen frage ich mich, ob man da nicht vielleicht zu sehr unter sich bleibt, mit Menschen, die sich eh schon mit Unterdrückung und Sexismus und den dahinter stehenden Mechanismen beschäftigen. Was man machen könnte, damit man nach außen geht… man müsste ja im Prinzip die Männer erreichen, die noch nicht soviel darüber wissen oder sich nicht angesprochen fühlen.

GWR: Erreicht man dort überhaupt etwas?

Bernadette La Hengst: Ich möchte mehr Widersprüche.

Feminismus an sich… es gibt immer noch genug Gründe, gerade als Frau in einer männerdominierten Kunstwelt, sich auch international zusammen zu schließen und hervorzuheben, dass es auch weibliche Künstlerinnen gibt, die es verdient haben, gesehen zu werden und Erfolg zu haben.

Ich hab grad ein Interview mit einer bildenden Künstlerin gelesen, in dem sie gesagt hat, dass unter den 10 berühmtesten Künstlern nur eine Frau ist und warum z.B. der Turnerpreis fast immer nur an Männer geht. Dieser Frage kann man natürlich auch in der Popmusik und vielen anderen Bereichen nachgehen, und es ist Wert, sich darüber Gedanken zu machen.

GWR: Du singst den Slogan “Nieder mit den Kompromissen!”. Was meinst du damit?

Bernadette La Hengst: Ich finde es natürlich schön, wenn jemand keine Kompromisse will, aber natürlich ist es lebensfremd, natürlich muss man immer Kompromisse eingehen in jeder Zweier-/ Dreierbeziehung. In jedem größeren Kollektiv muss man ständig Kompromisse eingehen. Es gibt natürlich den Anspruch der totalen Demokratie, wo alle einen Konsens finden, und gerade da müssen Leute Kompromisse eingehen, weil man da mit Wut und sehr viel irrationaler Leidenschaft nicht weit kommt.

Ich wurde auch schon zitiert als “Nieder mit den Komponisten”. Missverständnisse in eigenen Texten sind auch schön, ich sing das inzwischen schon selber. Vielleicht steckt das (“Nieder mit den Komponisten”) auch hinter der Utopie, womit wir auch wieder bei “copy me I want to travel” wären usw. usf., also reicht ein Lied die Hand dem anderen.

GWR: Im selben Lied sagst du “Her mit der Utopie”. Was ist deine persönliche Utopie?

Bernadette La Hengst: Meine persönliche Utopie, die eine gibt es nicht, gab es auch noch nie, vielleicht ist Utopie auch so ein riesiges Wort, das so oft mit komischen Dingen gefüllt wurde und zu einer Ideologie, zu einer Weltanschauung, zu einem Prinzip wurde. Prinzipien sind dazu da, gebrochen zu werden, finde ich. Also, auch das Prinzip der Utopie ist Quatsch. Utopieforschung vielleicht, eher das interessiert mich, auch bei mir selbst zu forschen, was ich vom Leben möchte, wie ich mir meinen Alltag vorstelle, was meine Ziele sind, das nicht aufzugeben immer wieder zu hinterfragen. Ich bin jetzt 40 und habe natürlich andere Ziele als mit 20. Bin ich da zu viele Kompromisse eingegangen?

Ja, immer wieder zu hinterfragen, was ich denn will, sowohl politisch als auch privat, da sehe ich auch nicht so die Unterschiede.

GWR: Dein Leben, wie du es lebst, ist es für dich schon eine Art verwirklichte Utopie? Was hast du noch vor?

Bernadette La Hengst: Utopie ist ja das, was man sich erträumt und nicht in die Tat umsetzen kann, der Nichtzustand.

Ich lebe keine Utopie, das wäre völlig vermessen. Also, die Utopie ist grad, was nicht hier ist.

Ich versuche immer wieder, mir etwas vorzustellen, und wenn ich es oder ein Stück davon erreiche, ist es schön. Vielleicht ist eine meiner grundlegenden Forderungen an mich selbst, nicht irgendwo ankommen zu wollen. Einer der Leitsätze in den letzten Jahren meines Lebens war: Ich war immer komplett, doch niemals fertig. Also nicht zu denken, dass man ein Ziel erreichen kann, und dann wäre man irgendwo angekommen.

GWR: Wie kamst du dazu, politische Musik zu deinem Lebensschwerpunkt zu machen?

Bernadette La Hengst: Hast du gesagt, ich mache politische Musik? Mache ich politische Musik? Keine Ahnung.

Ich interessiere mich für die Welt, ich interessiere mich für andere Menschen, im Laufe der letzten 15 Jahre habe ich mich ab und zu für politische Themen engagiert, interessiert und mit Leuten diskutiert. Ich habe seit 2000 ein Bandkollektiv namens Schwabinggrad Ballett, wir spielten und spielen immer noch auf Demos, Grenzcamps, in öffentlichen Orten. Dieses Jahr waren wir auf dem G8-Gipfel, sind da als Schlachtenkapelle (nach der Schlacht) 10 Stunden lang über die Felder marschiert. Wir haben eine Mischung aus Free Jazz und Marschmusik gespielt und versucht, die Strassen zu blockieren.

So Dinge fließen auch in mein Leben, meine Kunst, meine Texte und Lieder ein. Ich bin an Beweglichkeit interessiert, auch Beweglichkeit der Gedanken, der politischen Gedanken, das treibt mich an, es ist eine Freude, mich daran zu reiben und es weiter zu entwickeln.

GWR: Wie siehst du das Verhältnis zwischen deinen Texten und deiner Musik?

Bernadette La Hengst: Manchmal, wenn ich andere Leute höre, denke ich, dass ich meine Texte schon sehr ernst nehme. Aber nicht zu ernst, ich sage immer: Form und Inhalt müssen sexy zusammen Hand in Hand miteinander über die Straße laufen. Ein Lied interessiert mich umso mehr, je mehr Nebengeschichten und Hintergrundgeschichten irgendwie darin verborgen sind. Sowohl durch Poesie oder auch den Inhalt. Das kann sich aber auch in Musik ausdrücken, zum Beispiel, wenn ich ein Sample benutze: Woher kommt das? Hat es ne Geschichte? Erzählt es etwas? Die Menschen, von denen es kommt? Haben sie etwas mit dem Inhalt zu tun? Das ist alles sehr verschachtelt, und man kann diese Infos bekommen, muss man aber nicht. Das Lied kann auch einfach tanzbar sein und einen ohne dieses Wissen angreifen. Ich mache keinen Diskurspop, was immer das auch heißen mag.

Trotzdem ist es wie ein gutes Buch, das man fünfmal oder zehnmal hören soll und in dem man immer noch was entdecken kann.

GWR: “Copy me I want to travel”, auch ein Lied von dir, ist das eine Aussage zum Brennen von CDs? Wie stehst du dazu, wenn Menschen deine CDs brennen?

Bernadette La Hengst: Dieses Lied hat besonders viele Hintergrundgeschichten. Es könnte auch einfach eine Aufforderung sein zum CD-Brennen, das ist aber auch zu einfach, weil durch das Runterladen und Brennen sterben ja nicht nur Majorfirmen, die es vielleicht verdient haben, sondern auch kleine Labels und Künstler wie ich, die eh jeden Cent zweimal umdrehen müssen.

Also, es macht nicht wirklich Sinn, das zu fordern. Aber auf der anderen Seite stehen die andere Forderung, nämlich die um Illegalität von Downloaden, und die Strafforderungen, die gestellt werden, die finde ich total absurd. Für mich geht es da um eine philosophische Debatte. Gibt es geistiges Eigentum überhaupt und wie wird darüber verhandelt und wer verdient daran? Es geht auch um geistiges Eigentum an pflanzlichen Wirkstoffen, das Wissen darum, um Wasser, um Luft, sozusagen um Strom, um Privatisierung von Naturressourcen usw. usf. So ist geistiges Eigentum auch eine Form kollektivem Eigentums.

Also, Geschichten wurden weitererzählt, bevor Bücher gedruckt werden konnten, auch Musik wurde weitergetragen, ich bin nicht die alleinige Erfinderin von Ideen, ich glaube nicht an diesen Geniekult. Sondern ich bin immer eingebunden in eine Musik-, Pop-, feministische, politische und sonstwie-Geschichte. Ich möchte auch gerne meine Quellen angeben und den anderen Urhebern Respekt zollen, aber das Recht haben, diese Ideen weiter zu verbreiten und zu meinen eigenen zu machen. Und da geht es eher um die grundsätzliche Frage, wie man mit geistigem Eigentum umgeht und wer daran verdient. Insofern ist es schon eine Aufforderung zum Brennen und Wandern lassen. Ich bin da aber noch sehr zwiegespalten, bin ja auch bei einem kleinen Label, TRIKONT, bestes Label der Welt, und ich möchte, dass sie weiter leben.

GWR: Gibt es Unterschiede zwischen dir als Künstlerin und als Privatperson? Und wenn ja, welche?

Bernadette La Hengst: Keine Ahnung, da musst du Bernadette fragen. Ich bin natürlich eine zwiegespaltene Person, versuche das aber nicht so ausarten zu lassen.

Es gibt ja Menschen, die haben wirklich zwei ganz unterschiedliche Gesichter.

In meinem Privatleben muss ich manchmal unheimlich gut organisiert sein, weil ich eine kleine Tochter habe und viel unterwegs bin. Der Vater kümmert sich zur Hälfte, aber da muss man immer einen sehr gut detaillierten Terminplan haben. Auf Tour bin ich immer ganz froh, dass ich da das durchgeplante Leben mal sein lassen kann. Auf der Bühne muss ich den Plan im Kopf auch mal weglassen, ich muss da auch alles mal abwerfen, sonst kann man nicht spontan sein und sich nicht gehen lassen. Das ist vielleicht der Unterschied, aber ich glaube nicht, dass ich mich verstelle. Für das ganze Popstargehabe bin ich eh zu alt. Das ist alles albern. Ich glaub, ich bin so, wie ich bin.

GWR: Was würdest du erfinden?

Bernadette La Hengst: Manchmal würde ich gerne erfinden, dass ich nicht mehr mit der Bahn fahren muss und schneller an Orte käme. Aber das hätte bestimmt wieder ganz viele Nachteile für die Umwelt. Die ganzen Strahlen in der Luft, das wird wahrscheinlich noch schlimmer, wenn man sich so wegbeamen könnte, und Unfälle gäbe es auch.

Ansonsten, ein Antidepressiva, was die Menschen nicht zu komplett Gefühlstoten macht.

GWR: Was würdest du gerne abschaffen?

Bernadette La Hengst: Abschaffen, … alle Langeweiler und Kriegstreiber, stimmt nicht, denn auch in mir steckt ein Langeweiler und Kriegstreiber. Eigentlich macht alles Sinn, auch Moskitos sind wieder für was zuständig. Ich bin da manchmal schon in so einem buddhistischen Kreislauf der Welt und denke, man kann nichts abschaffen, da sonst was anderes drunter leidet.

Ich würde mir wünschen, dass niemand mehr vor Hunger sterben muss, was sich jeder wünscht, oder nicht? Armut aus der Welt schaffen, aber Armut ist auch kein Zufall, ich bin ja ein Teil dieser Armutsmaschine. Insofern abschaffen… kann man was abschaffen?

GWR: Was macht dich am meisten wütend?

Bernadette La Hengst: Wütend machen mich Sachen, die ich selber nicht bestimmen kann.

Privat, was so mein eigenes Leben betrifft. Zum Beispiel: Ich ruf ein Taxi, weil ich zum Zug muss, und das findet dann die Straße nicht. Dann hat aber eine Freundin mit dem selben Stressproblem mich gefragt, warum kaufst du dir nicht ne Bahncard 50, dann muss ich nicht den einen Zug mit dem Supersparpreis nehmen, sondern kann einfach den nächsten nehmen. Seitdem bin ich viel entspannter.

Aber ich bin schon manchmal sehr wütend bei Sachen, die man selber nicht in der Hand hat, wenn ich denke, ich kann da jetzt nichts dran ändern, das ist höhere Gewalt.

GWR: Was werden wir in Zukunft von dir hören?

Bernadette La Hengst: Im Januar bringt Trikont eine von mir zusammengestellte Compilation mit Liedern für “Kinder” raus, die wird “Tonangeberei/Songs für jedes Alter ab 3” heißen. Sind 20 Lieder von meinen Lieblingsbands, die ich für Kinder geeignet halte, die meisten gab es schon, ein Drittel wurde extra komponiert, es ist so Musik, die auch Eltern gerne hören, weil sie es leid sind, immer nur Benjamin Blümchen und Rolf Zuckowski in den Kassettenrecorder zu schieben. Achtet drauf, ist grad alles fertig geworden, da bin ich wirklich sehr glücklich drüber.

Außerdem kommt mein neues Album, was noch keinen Titel hat, im April bei Trikont raus.

Diskografie

Mit: Die Braut haut ins Auge

Die Braut Haut Ins Auge 1994
Was Nehme Ich Mit 1995
Pop Ist Tot 1998
+1 Auf Der Gästeliste 2000

Solo

Der beste Augenblick in deinem Leben ist gerade eben jetzt gewesen, CD Trikont/Indigo 2002

La Beat (Trikont) 2005

Samplerbeiträge

"Ein Mädchen Namens Gerd" auf A Boy Named Sue - Johnny Cash Revisited (Trikont, 2002)

"Wenn nicht jetzt, dann nie" auf Bleib Gold, Mädchen (MerMer, 2005)

Links

Bernadette La Hengsts Website:
www.lahengst.com

Ihre Myspace-Seite:
www.myspace.com/lahengst