prima klima

Der Hambacher Forst und die Anarchie

Zur aktuellen Situation im Rheinischen Braunkohlerevier. Anarchist*innen als wichtige Akteur*innen einer solidarischen Vielfalt gegen den Energie-Riesen RWE

| Emilio Weinberg

"Verteidigt Freiräume - Organisiert Anarchie - Kommt zum Hambacher Forst!" So heißt es auf einem großen Transpi im Hambacher Wald. Wie ist das zu verstehen? In welchem Kontext sind diese Worte geschrieben worden?

Im Rheinischen Braunkohlerevier hat sich während der letzten sieben Jahre ein breites Bündnis entwickelt. Eine immer größer werdende Anti-Kohle-Bewegung entstand.

Wer sind die verschiedenen Akteur*innen dieser immer häufiger im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Bewegung? Wie arbeiten diese unter welchen Bedingungen gegen RWE und deren Unterstützer*innen zusammen? Gibt es Analysen eventueller Bruchlinien auf Seiten von RWE und der von RWE manipulierten Legislative, Juridikative und Exekutive der Formaldemokratie?

Wird planvoll entlang eines Handlungskonzeptes bzw. einer in Grundzügen abgestimmten Strategie vorgegangen? Wie sieht die Bündnisarbeit der Anarchist*innen aus?

Eine kurze Rückschau:

Die “Grube gräbt”-Kampagne im Herbst 2010 mit der ersten direkten Aktion des Zivilen Ungehorsams, der Blockade einer Kohlebahn direkt vor dem Kraftwerk Bergheim-Niederaussem, war der Beginn der solidarischen Vielfalt des Widerstands.

Aktivist*innen aus dem öko-anarchistischen Spektrum gingen u.a. sowohl auf die BUND-Jugend NRW als auch auf Bürgerinitiativen vor Ort zu.

Ein strömungsübergreifendes Klimacamp, das erste von bis heute sieben Camps, fand dann 2011 in in dem Umsiedlungsort Kerpen-Manheim statt. “Grube gräbt” organisierte erneut eine Gleisblockade.

Ende 2011 gründete sich dann “ausgeCO2hlt” als offene Plattform für den sofortigen Ausstieg aus der Braunkohle. Im April 2012 begann die bis heute andauernde Waldbesetzung “Hambacher Forst”. Das breite internationale Bündnis “Ende Gelände” entstand im Herbst 2014.

Neben den Massen-Aktionen von Ende Gelände 2015 und 2017 (die GWR berichtete) gab es u.a. auch Aktionen des Zivilen Ungehorsams aus dem explizit gewaltfreien Spektrum durch die Musiker*innen von Lebenslaute, das erste Mal 2012, dann 2015 mit dem Motto “Andante an der Kante”. Lebenslaute ist eine offene Musik- und Aktionsgruppe unter dem Motto: “klassische Musik – politische Aktion”. Seit 1986 führt diese Graswurzelgruppe in losen Ensembles bei öffentlichen Auftritten klassische Musik und Zivilen Ungehorsam zusammen.

Seit 2013 gibt es nun auch das “Bündnis gegen Braunkohle im Rheinland”. Drei bis viermal im Jahr kommen unterschiedliche Akteur*innen des Widerstands halbtags oder auch ganztags zusammen.

Ein wichtiges Ergebnis ist der gemeinsam im Konsens abgestimmte Forderungskatalog, der ständig aktualisiert wird. Mehrere größere und kleinere Aktionen wurden zusammen geplant und durchgeführt – zuletzt Mahnwachen während der COP 23 oder an den zwei Rodungstagen Ende 2017.

Es gibt ein Bündnis-Aktions-Mobil, ein ca. dreißig Jahre altes Feuerwehrauto, das schon während zahlreicher Aktionen eingesetzt wurde. Es dient regelmäßig als Shuttle-Fahrzeug bei den einmal im Monat stattfindenden Waldspaziergängen im Hambacher Wald – organisiert von der Natur-Führerin Eva Töller und dem Wald-Pädagogen Michael Zobel. Bisher haben schon insgesamt über elftausend Menschen teilgenommen, am 14. Januar 2018 mehr als fünfhundert. Für viele ist das ein Impuls, sich dann selbst auch zu engagieren und den Widerstand zu unterstützen.

Die Waldbesetzung Hambacher Forst wird im Bündnis gegen Braunkohle als wichtige Akteurin geschätzt. In den vielen Jahren haben sich bemerkenswerte Vertrauens-Beziehungen zwischen den Menschen aus dem “bürgerlichen Widerstand” und radikalen, antikapitalistischen, oft im Selbstverständnis anarchistischen Aktivist*innen entwickelt.

Die Waldbesetzung Hambacher Forst – ein anarchistisches Projekt?

Die Waldbesetzung Hambacher Forst ist ein Freiraum mit vielen Möglichkeiten der Selbstorganisation. Sie ist auch ein anarchistisches Experimentierfeld. Der Versuch, ohne Hierarchie zusammen zu leben und zu arbeiten, ist ein grundlegender Konsens innerhalb der Waldbesetzung.

In Klein-Gruppen zusammenwohnend, u.a. in “Oak-Town”, “Beach-Town” oder “Gallien”, gestalten die Waldbesetzer*innen neben zusätzlichen direkten Aktionen, wie z.B. Blockaden der Kohlebahn, ihren Alltag in Gegenseitiger Hilfe und mit Freien Vereinbarungen. Es gibt auch ein Plenum aller Besetzer*innen. In der Außen-Kommunikation gibt es keine Sprecher*innen. Jede(r) spricht für sich selbst.

In den letzten Monaten haben die Waldbesetzer*innen besonders viel gearbeitet, zahlreiche neue Baumhäuser sind kooperativ entstanden. Skill Sharing, das solidarische, gegenseitige Teilen von Wissen, findet statt, nicht nur im alljährlichen zweiwöchigen Frühlings-Skillsharingcamp, sondern auch im Alltag. Manche Besucher*innen fühlen sich auch an die Atmosphäre von Großkommunen oder Ökodörfern erinnert.

Für einige ist die Waldbesetzung nun schon fast seit sechs Jahren der Lebensmittelpunkt. Die liebevolle Ausstattung ihrer Baumhäuser zeigt dies. Manche sind drei bis fünf Jahre dabei, nicht permanent, aber doch die weitaus meiste Zeit des Jahres.

Eine immer wiederkehrende, manchmal konflikthafte Herausforderung ist die Ankunft und Einbeziehung von neu angereisten Aktivist*innen. Gerade in den letzten Monaten rückte die Auseinandersetzung mit der Gewaltfrage in den Fokus.

Militante Aktivist*innen, manchmal gerade erst angekommen, beschwören Militanz als das entscheidende Mittel, um die Waldbesetzung aufrechtzuerhalten bzw. den Restwald zu verteidigen gegen die monsterhaft wirkende Rodungsmaschinerie von RWE. Manche sagen: “Da auch wir Angst und Schrecken verbreiten, wagen sich die Polizisten nicht so schnell in unseren Wald.”

Zurzeit hat RWE die Erlaubnis von der Bergbaubehörde, den Tagebau Hambach zunächst bis zum 31. März 2018 weiterführen zu können, aber mit der Auflage, nicht roden zu dürfen. Trotzdem ist der Restwald akut gefährdet – trotz Rodungsstopp.

Restwald? Es sind nur noch ca. acht Quadratkilometer übrig von ursprünglich 85 Quadratkilometer wertvollem (Ur-)Wald, früher ein anerkanntes Naturschutzgebiet.

Im Wald befinden sich sogenannte Rettungswege, die RWE durch die Polizei nach dem 20. Januar 2018 räumen lassen will. Diese Wege sind durch die Waldbesetzer*innen u.a. mit Barrikaden und Tripods verschiedener Größe versehen worden. Bei früheren Räumungen solcher Wege gab es mehrfach heftigsten Widerstand seitens mancher militanter Besetzer*innen.

Nun gibt es die klare Ansage des Polizeipräsidiums Aachen: Wenn Gewalt seitens der Besetzer*innen während der Räumung dieser Wege erfolgt, dann wird die gesamte Waldbesetzung geräumt.

Das würde auch bedeuten, dass damit das Herzstück des Restwaldes vernichtet würde. Um zu den über vierzig Baumhäusern zu gelangen und diese zu räumen, müssten viele der alten Stieleichen und Hainbuchen gefällt werden.

CDU und FDP, die Regierungsparteien in NRW und die SPD fordern seit langem ein Ende des aus ihrer Sicht “rechtsfreien Raums” im Hambacher Wald. Dem auf Deeskalation setzenden Polizeipräsidenten von Aachen ist ein NRW-Innenministerium übergeordnet, das eher von Hardlinern geprägt wird.

Was tun?

Als einer der Initiator*innen des Bündnisses gegen Braunkohle und Unterstützer der Waldbesetzung von Anfang an stehe ich persönlich immer wieder ein für den gewaltfreien anarchistischen Weg, für gewaltfreie direkte Aktionen und gezielte begrenzte Gesetzesüberschreitungen.

Die Waldbesetzung Hambacher Forst ist ein wichtiger Kristallisationspunkt der Anti-Kohlebewegung und der Bewegung für Klima-Gerechtigkeit. Es gilt, die Waldbesetzung zu erhalten. Ein Aktionskonsens wie von Ende Gelände, der Eskalationen ausschließt, zwar den Begriff “gewaltfrei” bewusst vermeidet, aber aus meiner Sicht letztendlich gewaltfrei ist, würde in der jetzigen Situation auch für die Waldbesetzung sehr hilfreich sein. Auch für die Erreichung unserer gemeinsamen Nah-Ziele, dem dauerhaften Rodungsstopp im Hambacher Forst:

Keine Räumung der Waldbesetzung! Hambi bleibt!

Rote Linie Alte A4 für den Tagebau Hambach, rote Linie A61 für den Tagebau Garzweiler!

Emilio Weinberg