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Die Glücklichen Arbeitslosen

Arbeitslos ins Glück: Von Nutzen und Chancen der Massenarbeitslosigkeit

| Kontaktgruppe Göttingen

Sie sind sozusagen das Fußvolk im Angriff auf das größte Tabu der kapitalistischen Welt. Als Experten im Abfassen von Schein-Bewerbungen, im Vereitelnen von Arbeitsvermittlung und Umgehen behördlicher Zwangsmaßnahmen ziehen sie mit ihrer unmittelbaren Lebenspraxis zu Feld gegen das Dogma Erwerbsarbeit. Mittlerweile gibt es sie in fast allen größeren Städten der Republik, Tendenz stark steigend: Die Glücklichen Arbeitslosen.

 

Zum Leidwesen der wirtschaftlichen Eliten und des politischen Establishments zeigen die Glücklichen Arbeitslosen, daß arbeitslos und glücklich sein sich nicht ausschließen. Sie lösen damit – wie der zweiten Ausgabe ihres „Kontemplationsblattes“ mit dem bezeichnenden Titel „Müßiggangster“ zu entnehmen ist – einen vermeintlichen Widerspruch auf, der bislang das strebsam erwerbsarbeitende Volk in Schach hält. Denn die Angst vor Arbeitslosigkeit und Existenznot macht Arbeitende zu Sklaven und Arbeitslose zu ihren Gegenspielern. Mit jedem Glücklichen Arbeitslosen schwindet jedoch diese Angst. Zum einen drängen weniger Arbeitslose auf den Arbeitsmarkt, zum anderen zerfällt die Schreckensversion vom zwangsläufig unglücklichen Arbeitslosen – beides stärkt die Position von Beschäftigten gegenüber den UnternehmerInnen. „Es gibt guten Grund, ohne schlechtes Gewissen glücklich arbeitslos zu sein“, schließt ein Betroffener im „Müßiggangster“. Selbst eine hedonistische Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen unterstellt, wirken die Glücklichen Arbeitslosen mit ihrem Beispiel also geradezu therapeutisch.

Dabei beschränkt sich ihre Haltung nicht auf Verweigerung. „Der Glückliche Arbeitslose ist ein aktiver Mensch“ und „weiht neue gesellschaftliche Werte ein“, beschreibt das Pamphlet „Die Glücklichen Arbeitslosen – auf der Suche nach unklaren Ressourcen“ die Intention der eher lose organisierten Nicht-Arbeitssuchenden. Daß die postulierten Werte gar nicht so neu sind, macht sie nicht schlechter: Muße statt Streß, soziale Kontakte statt entfremdete Maloche, Kreativität statt Konformität, Selbstbestimmung statt Arbeitshierarchien, sprich: Spaß statt Frust. Der erforderliche Tausch der Ressource Geld gegen die Ressource Zeit ist für die unbequemen Müßiggänger aus Prinzip angesichts des ausufernden Konsumterrors ein qualitativer Gewinn. Dann gibts eben Picknick in der Fußgängerzone statt Frühstück bei Tiffany, Geselligkeit mit dem Wochenendticket statt Schnelligkeit im ICE, Bolzplatz statt Golfplatz…

So wie die Glücklichen Arbeitslosen situationsbedingt Konsumkritik praktizieren und damit das Wachstumsparadigma untergraben, stellt ihr Widerstand gegen den mit ihrem Status verbunden Arbeitszwang einen weiteren Pfeiler der kapitalistischen Gesellschaft in Frage: die Leistungsorientiertheit. Existenzsicherung ohne Gegenleistung ist eine der zentrale Forderungen, mit denen sie an die Öffentlichkeit gehen. „Unser erster konkreter Vorschlag ist sofort umsetzbar: Die Beendigung aller Kontrollmaßnahmen gegen Arbeitslose, Schließung sämtlicher Statistik- und Propagandabüros und automatische, unbefristete Zahlung der Unterstützung“, heißt es dazu im Pamphlet. Damit reihen sich die tugendhaften „Faulenzer“ mit einem radikalen Standpunkt in die aktuelle Diskussion um Existenzgeld ein.

Vielerorts bieten Glückliche Arbeitslose anderen Nicht-Arbeitssuchenden ihre Unterstützung dabei an, repressionsarm keine Arbeit zu finden. Ihre öffentlichen Appelle sind, wie ihre Haltung überhaupt, freilich mehr legitim als legal, weshalb die meisten Engagierten lieber anonym oder pseudonym bleiben. Und sie möchten keineswegs missionieren: „Die unglücklichen Arbeitenden und Arbeitslosen brauchen sich keine Sorgen zu machen: der Glückliche Arbeitslose hat nicht die Absicht, sie gegen ihren Willen glücklich zu machen.“

Kontaktgruppe Göttingen