die waffen nieder

Die Pflugscharbewegung heute

Christliche Antimilitarist*innen auf der Anklagebank

| Cristina Yurena Zerr

„Christians should be troublemakers, creators of uncertainty, agents of a dimension incompatible with society.“ (Jaques Ellul)

„Ich bin keine besondere Person. Ich bin nur ein Mensch. Mir gehört die Wahrheit nicht. Ich kann nicht sagen, ob ich in ein paar Jahren wieder dasselbe tun würde. Ich bereue es nicht, den Luftwaffenstützpunkt [in Büchel] betreten zu haben, weil ich gehofft hatte, ein Hindernis für einen Ort zu sein, an dem Tod und Zerstörung vorbereitet werden. Das war der richtige Schritt für mich. Ich handelte nach meinem Gewissen und meiner Überzeugung und hatte die Absicht, das Richtige zu tun, und ich handelte gewaltlos.“

So beginnt die Verteidigungsrede der 34-jährigen Margriet Bos im Juni 2020 im Amtsgericht Cochem (Deutschland). Mit 16 anderen Personen war sie am 15. Juni 2018 in das Gelände des NATO-Flugplatzes Büchel in der Eiffel eingedrungen, um gegen die dort stationierten US-Atomwaffen zu protestieren.

Diese etwa 20 Wasserstoffbomben des Typs B61 wurden kurz nach dem NATO-Beitritt Deutschlands 1955 in Büchel stationiert. Jede von ihnen ist um ein Vielfaches zerstörerischer als die Atombombe, die vor 75 Jahren in Hiroshima innerhalb kürzester Zeit 80.000 Menschen verbrannte.

Im Januar, Mai und Juni 2020 liefen drei Gerichtsprozesse gegen zehn der 17 internationalen Aktivist*innen, da die sieben US-Amerikaner*innen, die an der Aktion teilnahmen, keine Vorladung vom Gericht bekamen. Alle Angeklagten der Gruppe „Five holes“ wurden wegen Hausfriedensbruch zu 30 Tagessätzen oder einem entsprechenden Bußgeld zahlen oder ins Gefängnis gehen. Manche entschieden sich gegen das Urteil in Berufung zu gehen, die Mehrheit von ihnen will jedoch die Strafe absitzen.

Die Anklage auf Hausfriedensbruch könnte zynischer nicht sein. Das Haus ist ein Militärstützpunkt, an dem Krieg vorbereitet und geübt wird. Es ist ein Ort der Gewalt, struktureller, psychischer und physischer Art. Welchen Frieden sollen diese 17 bunt gekleideten Menschen, die Friedenslieder singend mitten am Tag in die Militärbasis eindrangen, gebrochen haben? In seiner Verteidigungsrede weist der Angeklagte Frits ter Kuile auf diese Absurdität hin:

„Die Gesetze, welche den Hausfrieden und Sachen wie Zäune um Wiesen und Garten schützen sollen, sind in sich gute Gesetze. Meiner Meinung nach missbraucht Frau Oberstaatsanwältin Maier diese Gesetze in diesem Fall aber, um die Vorbereitung von Massenvernichtung zu ermöglichen. Denn der Fliegerhorst Büchel ist kein Haus. Es ist ein Massenvernichtungslager.“

Die Argumentation fällt auf taube Ohren. Wiederholt vergleicht der zuständige Richter die Aktion des zivilen Ungehorsams mit dem Eindringen in seinen privaten Garten: „Wie würde es Ihnen gehen, wenn Leute ein Loch in Ihren Vorgarten-Zaun schneiden würden?“, fragt er die Angeklagten, unfähig zu erkennen, dass der Militärstützpunkt kein Garten ist.

Die Gründe und Motivationen der 17 Aktivist*innen mit Bolzenschneidern in die Militärbasis einzudringen sind unterschiedlich. Vor Gericht werden Geschichten von Großeltern, die Nazis, oder Verfolgte der Nazis waren, erzählt. Familienmitglieder, die tatenlos dem Unrecht zuschauten, oder die im Widerstand ermordet wurden. Es wird über die immense Umweltzerstörung aufgrund des Uranabbaus gesprochen, die die Produktion dieser Waffen zur Folge hat, und über die weltweit mehr als 2000 Atomtests. Diese fanden fast ausschließlich auf indigenem Land statt, weswegen Atomgegner*innen von einem nuklearen Kolonialismus gegen indigene Bevölkerungen sprechen. Die 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisation ICAN schätzt, dass ungefähr 2,4 Millionen Menschen an Krebs aufgrund der oberirdischen Atomtests gestorben sind.

Atomwaffen töten bereits vor ihrem Einsatz, darauf machen die Angeklagten im Gerichtssaal aufmerksam.

Margriet Bos: „Bei der Herstellung von Atomwaffen wird über Leichen gegangen, um Rohstoffe zu gewinnen. Menschen werden von ihrem Land enteignet und ihre heiligen Stätten entehrt, Trinkwasser wird stark verschmutzt, was die Menschen krank macht und die Ökosysteme stört.

Bereits in der ersten Phase des Baus dieser unmoralischen Waffen werden Tod und Zerstörung gesät. In den Fabriken, in denen Atombomben gebaut werden, ist die Zahl der kranken Arbeiter außerordentlich hoch. Die Arbeit mit den Rohstoffen und deren Verarbeitung verdirbt Natur und Menschheit, noch bevor die Waffen fertig sind und als Waffen eingesetzt werden.“

Oft werden internationale und nationale Gesetze und Verträge angeführt, die die Illegalität dieser Waffen bekunden. Andere glauben nicht an das Gesetz, sondern führen ihr Gewissen an.

Ein Argument, welches neben dem Anführen des Gewissens immer wieder auftaucht, ist die „Verantwortung der Schöpfung gegenüber“ – und der Glaube an Jesus Christus und seine als Liebe, Gewaltlosigkeit und Herrschaftsfreiheit interpretierte Botschaft. Diese christlichen Wurzeln des Protests gegen Atomwaffen in Büchel haben eine lange Tradition.

Die Pflugscharbewegung, Dorothy Day und die Catholic Worker

In den 1980er Jahren entstand in den USA eine christlich inspirierte Antikriegsbewegung direkter Aktion, welche sich auf den Bibelvers Jesaja 2,4 beruft: „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.“ In über hundert Protestaktionen des zivilen Ungehorsams wurde seitdem Kriegseigentum symbolisch oder tatsächlich zerstört. Diese Sachbeschädigung steht unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“. Sie wird von den Akteur*innen als Abrüstung von unten proklamiert.

Maßgeblich beeinflusst wurde die Pflugscharbewegung von Philip Berrigan, einem Priester, welcher gemeinsam mit anderen Aktivist*innen schon in den 1960er Jahren gegen den Vietnamkrieg protestierte, indem sie Einberufungsakte aus Militärzentralen entnahmen und öffentlich verbrannten. Der Großteil der Menschen, die an diesen Aktionen teilnahmen, waren Katholik*innen (jedoch nicht immer), Priester, Nonnen und Laien.

Auch wenn ca. 30 Aktionen dieser Art in Europa stattfanden und die Gruppe aus Büchel maßgeblich von der Pflugscharbewegung beeinflusst ist (sich jedoch nie offiziell als Pflugscharaktion benannt hat), fanden bisher die meisten Widerstandsproteste in den USA statt.(1) Die USA besitzen 5.800 der 13.355 weltweiten Atombomben.(2)

Die jüngste Pflugscharaktion der USA: die Kings Bay Plowshares 7

Nur drei Monate vor dem Protest in Büchel ereignete sich ähnliches im US-Bundesstaat Georgia – auch wenn es in Form und Ausmaß sehr zu der Aktion in Deutschland divergiert.

Am 4. April 2018, dem 50. Jahrestag der Ermordung von Martin Luther King, brechen sieben Personen in die weltweit größte U-Boot-Basis der Welt ein, um gegen die dort gelagerten Atombomben zu protestieren, die in ihrer Gesamtheit eine 3600-fache Sprengkraft der Hiroshima-Atombombe haben. Mit ihrem eigenen Blut bespritzen sie den Eingang zu den Bunkern, wo die Waffen gelagert sein sollen und hämmern auf eine Skulptur in der Militärbasis, die die Waffen abbildet. Auf den Boden sprühen sie „Love one another“ und „Nuclear weapons: illegal/immoral.”

Die Kings Bay Plowshares 7, wie sich die Gruppe nennt, wurden nach ihrer Aktion verhaftet und im Oktober 2019 in allen Anklagepunkten – Verschwörung, Verwüstung von Staatseigentum und Hausfriedensbruch – schuldig gesprochen. Im September 2020 soll die zuständige Richterin das Urteil verkünden. Bis zu 20 Jahre Gefängnis drohen als Höchststrafe. Die christliche Symbolik, welche bei dieser Aktion verwendet wurde, kann selbst für Christ*innen und noch mehr für Nicht-Gläubige befremdlich wirken. Wer sind diese Menschen, die solche radikalen Formen des Protests anwenden? Was die 7 außer ihrem Glauben eint, ist ein lebenslanges Engagement gegen die Gewalt ihres Staates und ihr Einsatz für eine gerechtere Welt.

Auf der Anklagebank sitzt auch die ehemalige Therapeutin Martha Hennessy (63), achtfache Großmutter und Enkelin der christlich-anarchistischen Sozialaktivistin Dorothy Day (1897–1980), die derzeit das Heiligsprechungsverfahren im Vatikan durchläuft.

Die atheistisch aufgewachsene Journalistin, die in anarchistisch-sozialistischen Kreisen New Yorks verkehrte, gründete 1933, im Jahr der Großen Depression, gemeinsam mit Peter Maurin die Zeitschrift Catholic Worker – ein Pendant zum kommunistischen Blatt Daily Worker. Diese sollte den Entrechteten, Arbeitslosen, Obdachlosen und Betroffenen der kapitalistischen Politik eine Stimme geben. Aus ihren Schriften und Manifesten wurde bald Praxis und ein paar Jahre später lebten die Herausgeber*innen der Zeitung mit eben diesen Menschen zusammen. Bis heute gibt es ein dezentrales Netzwerk, ca. 200 Häuser der Gastfreundschaft, in denen Kontemplation, Selbstorganisation und gewaltfreie Aktion gelebt werden.

Heute wie in der Vergangenheit waren die Catholic Worker in den bedeutendsten sozialen Kämpfen der USA aktiv. Schon früh protestierte Dorothy gegen den aufkeimenden Faschismus in Europa, später gegen den Vietnamkrieg und die Rüstungspolitik im Kalten Krieg. In den 1950er Jahren weigerte sie sich, während der Luftangriffsübungen in die Bunker zu gehen: Sie wollte nicht an einer Kriegsübung teilnehmen. Sechs Jahre lang leistete sie Widerstand, indem sie während der Übungen auf einer Parkbank sitzen blieb. Jedes Jahr mussten sie und viele andere dafür dreißig Tage ins Gefängnis. 1961 hatten sich schließlich so viele Menschen dem Protest angeschlossen, dass die Gefängnisse überfüllt waren und New York City die Übungen einstellte.

Während vielen ihrer damaligen Weggefährt*innen ihre Konversion zum Christentum bzw. zum Katholizismus als Verrat an ihren emanzipatorischen Idealen schien, war dieser Schritt für Day vielmehr eine Weiterentwicklung und Verbindung ihrer anarchistisch-sozialistischen Kämpfe mit der Botschaft des Evangeliums.

Gleiches versuchen heute die sieben Aktivist*innen der Kings Bay Plowshares 7: als sie zwei Jahre vor der Aktion von 2018 zum ersten Mal zusammenkamen, fragten sie sich, was es bedeutet, im 21. Jahrhundert ihr Leben im Sinn der jesuanischen Botschaft einer radikalen Nachfolge zu widmen. Ihnen wurde klar, dass sich ihr Widerstand gegen eine der größten Bedrohungen des Planeten wenden sollte. Es folgten zwei Jahre der Vorbereitung – in persönlicher, spiritueller und organisatorischer Hinsicht. Alle 7 leben nach dem Vorbild von Dorothy Day in selbstorganisierten Gemeinschaften und teilen ihr Zuhause mit marginalisierten Menschen.

Wie für Martha ist auch für die anderen die dort gemachte Erfahrung mit Armut, Rassismus, kapitalistischer Ausbeutung und deren Verbindung zum Krieg ausschlaggebender Grund für den Schritt zur Aktion von 2018.

„… ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht“

Wie viele andere Widerstandskämpfer*innen, die mit ihren Körpern gegen Unrecht und Unterdrückung aufbegehren, um persönliche Verantwortung für die Beendigung eines Übels zu übernehmen, verstieß Dorothy Day gegen das Gesetz, wie auch heute die Kingsbay Plowshares 7 oder die Aktivist*innen in Büchel. Diese gewaltlosen Aktionen haben oft schwerwiegende Folgen wie Gefängnis und lange Haftstrafen. Für viele Pflugschar-Aktivist*innen – auch die Kingsbay und Büchel Aktivist*innen – ist der Aufenthalt im Gefängnis darum ein Teil ihres Engagements.

Doch – und das mag ein großer Unterschied zu säkularem, nicht christlichem Widerstand sein – hat das Gefängnis in den Augen dieser Menschen nicht den Beigeschmack der Niederlage, der verlorenen oder gar verschwendeten Zeit. Das Gefängnis, so wurde mir oft erzählt, „ist ein Ort, an dem es wichtig ist, als Christ*in präsent zu sein“.

Was nicht etwa bedeutet, dass das Gefängnis als Ort der staatlichen Gewalt befürwortet wird. Aber es ist ein Ort am Rand der Gesellschaft, in dem sich die Marginalisierten aufhalten. „Ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht“, sagt Jesus laut Matthäus-Evangelium zu seinen Jünger*innen, weil auch er immer zu den Rändern der Gesellschaft gegangen sei.

Auf der Anklagebank, Georgia, Oktober 2019

„The problem of racism, the problem of economic exploitation, and the problem of war are all tied together. These are the triple evils that are interrelated.” Martin Luther King

Im Oktober 2019, anderthalb Jahre nach ihrem Einbruch in die Militärbasis, begann der Prozess gegen die sieben. Vier Tage lang wurden sie und weitere Zeug*innen verhört und ausgefragt. In ihren Verteidigungsreden berufen sie sich immer wieder auf Martin Luther King, dessen 50. Jahrestag seiner Ermordung sie für ihre Aktion ausgewählt hatten. King selbst ging viele Male ins Gefängnis, um die Bürger*innenrechte für alle Menschen zu verteidigen.

Wie auch bei den Gerichtsverfahren in Büchel, wird im Gerichtssaal von Georgia schnell klar, wie unvereinbar die zwei Gewaltbegriffe sind, welche hier aufeinanderprallen. Auf der einen Seite steht die Verwüstung von Staatseigentum, das Zerschneiden eines Zaunes, das Bespritzen der Bunker mit eigenem Blut, das Einhämmern auf das, was die Aktivist*innen einen Raketenschrein nennen. Auf der anderen Seite steht die Gewalt der Atombombe.

Während die Angeklagten immer wieder versuchen von dieser Gewalt und ihren dramatischen Konsequenzen zu sprechen, lenkt die Richterin konsequent die Aufmerksamkeit auf den vorliegenden Gesetzesbruch.

„Wenn dem Gesetz ohne Gewissen gehorcht wird, wenn das Gesetz ohne gesunden Menschenverstand angewandt wird, wenn das Gesetz ohne Respekt vor dem menschlichen Leben verwaltet wird – dann wird das Gesetz selbst zum Idol. Dann wird das Gesetz zu etwas, in dem wir versklavt sind, und nicht zu dem Instrument der Freiheit und Befreiung, das es sein soll. Und ich denke, die Beweise haben gezeigt, dass wir an diesem unglücklichen Punkt angekommen sind, wenn es um Atomwaffen und das Gesetz geht“, so begründet Marc Colville, einer der sieben Angeklagten in seinem Schlussstatement, warum es für ihn notwendig war, das Gesetz zu brechen.

Präsenter als in Büchel werden im Gerichtssaal von Georgia religiöse Motive für die Tat genannt. Als Inspiration wird das Leben von katholischen Heiligen angeführt und Papst Franziskus zitiert. Nicht dem Staat, sondern ihrem Gott – oder wie andere sagen würden, ihrem Gewissen – sind sie zu Gehorsam verpflichtet.

„Ich stehe hier als Ergebnis meiner religiösen Überzeugung, die mich zum Protest gegen Atomwaffen aufruft“, beginnt Martha ihre Verteidigungsrede vor Gericht. „Ich habe keine kriminelle Absicht […]. Die Weltuntergangsuhr des Bulletin of Atomic Scientist steht auf 100 Sekunden vor Mitternacht. Ich sehe die Gesichter meiner Enkelkinder in dieser Uhr. […] Unser Manifest ist die Bergpredigt, was bedeutet, dass wir versuchen werden, Friedensstifter zu sein.“

Doch die Reden und Erklärungen der Angeklagten, verhallen im Leeren und stoßen auf taube Ohren. Als sich die Geschworenen zur Beratung zurückziehen, brauchen sie nach den vier Tagen nicht mehr als eine Stunde, um zurückzukommen und alle Angeklagten in allen Punkten schuldig zu sprechen.

Seither warten die Angeklagten auf ihre Urteilsverkündung. Der dafür vorgesehene Gerichtstermin wurde aufgrund der Corona-Pandemie jedoch schon mehrmals verschoben. Nur eine Person – die ehemalige Nonne Elizabeth McAlister – wurde schon im Juni 2020 vor den anderen verurteilt, da sie ihre Strafe schon in Untersuchungshaft abgesessen hatte.

Widerstand um welchen Preis?

Sowohl das Eindringen in den Fliegerhorst Büchel in Deutschland, als auch in die Militärbasis Kings Bay in den USA, haben wenig mediale Aufmerksamkeit erhalten. Noch weniger haben sie zu einer politischen Veränderung geführt.

Die Konsequenzen für die Einzelnen sind jedoch hoch. Während die Aktivist*innen in Deutschland mit 30 Tagessätzen bestraft wurden, rechnen die Kings Bay Plowshares 7 mit Gefängnisstrafen von einigen Jahren. Vier von ihnen haben schon anderthalb Jahre in Untersuchungshaft verbracht, der Priester Steve Kelly sitzt seit April 2018 bis heute im Gefängnis, da er die Konditionen seiner Entlassung nicht akzeptierte (elektronische Fußfessel und Kaution).

Es drängt sich die Frage auf, ob dieser Preis für den Frieden verhältnismäßig ist. In einer Gesellschaft, in der auch Protest oft an seiner Effizienz gemessen wird, erscheint eine Aktion wie die der Kings Bay Plowshares 7 vielen unzugänglich und sinnlos.

Bei einer näheren Beschäftigung mit den Menschen, die sich zu diesen Taten entschließen, wird jedoch schnell klar, dass diese ihr Engagement nicht an seinen Erfolgen messen. Es ist wie ein Schrei der Verzweiflungs, der an das Gewissen, an das Gute und den Glauben eines liebenden Gottes festhält, dem auch Menschen wie der Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter gefolgt sind, dessen Widerstand gegen das Nazi-Regime ohne Absicht auf Erfolg geschah. Dass er Jahrzehnte später zu einem zentralen Vorbild von Kriegsdienstverweigerern in den USA wurde, hat er nicht wissen können.

Als ihre Mutter Elizabeth McAlister – eine der sieben Verurteilten – im Juni 2020 per Videobotschaft verurteilt wurde, hielt ihre Tochter Frida Berrigan die Abschlussrede. Diese zeigt auf, wieso uns das Handeln dieser Menschen Hoffnung geben kann:

„Als ihre Kinder – mein Bruder, meine Schwester und ich – wünschten wir uns, sie [Elizabeth McAlister] hätte nicht 17 Monate und 9 Tage in Ihren Gefängnissen verbracht. Wir möchten sagen: Genug ist genug. Sie hat bereits einen zu hohen Preis bezahlt, und wir, die wir sie lieben, haben auch diesen Preis bezahlt. Aber als 46jährige, weiße Bürgerin einer Nation, die in diesem Jahr mehr als 720 Milliarden Dollar für das Militär ausgeben wird, bin ich dankbar dafür, dass Menschen wie meine Mutter bereit sind, aufzustehen und zu sagen: „Atomwaffen sind ein Verbrechen“. 720 Milliarden Dollar, selbst angesichts einer die Wirtschaft zerschmetternden Pandemie, die über 100.000 Menschen getötet und die die himmelschreiende Ungerechtigkeit und grundlegende Zerbrochenheit jeder Faser des sozialen Sicherheitsnetzes offengelegt hat.

Als 46jährige, weiße Bürgerin in einem Land, in dem weiße Vorherrschaft und die militarisierte Polizeiarbeit so angeheizt sind, dass Derek Chavin vor einer Menschenmenge und Kameras George Floyd das Leben herausquetschen kann, in dem Vater McMichaels und sein Sohn am helllichten Tag Ahmaud Arbery niederknallen können, während er durch die Straßen einer ruhigen Stadt in Georgia joggt, schöpfe ich Hoffnung und Inspiration aus weißen Menschen, die immer wieder Dr. Kings Gedanken der großen Drillinge von Rassismus, Militarismus und Materialismus beschwören… diese Gewichte, die unsere kollektive Menschlichkeit lähmen. Ich schöpfe Hoffnung und Inspiration aus meiner Mutter und ihren Freund*innen, die erklären, dass Black Lives Matter, die ihre Anti-Atomkraft-Analyse mit einem antirassistischen Ethos verbindet, und erklären, dass die ultimative Logik der Atomwaffen Omnizid ist.“

Cristina Yurena Zerr

Cristina Yurena Zerr, *1990 in Freiburg im Breisgau, ist Filmemacherin. Für ihren Dokumentarfilm Ordinary Radicals begleitet sie revolutionär handelnde Christ*innen wie Martha Hennessy. Im Frühjahr 2021 wird im Mandelbaum-Verlag ein Buch über christliche Antimilitarist*innen auf der Anklagebank erscheinen, bei dem die Verteidigungsreden der Kings Bay Plowhshares 7 und Five Holes Aktivist*innen veröffentlicht werden.

Anmerkungen:

1) https://www.nukeresister.org/2019/11/02/a-history-of-the-plowshares-movement-a-talk-by-art-laffin-october-22-2019/

2) Russland 6370, USA 5800, Frankreich 300, China 290, UK 215, Pakistan 150, Indien 130, Israel 80, Nordkorea 20. Siehe: www.ploughshares.org/world-nuclear-stockpile-report

Literatur: Sebastian Kalicha (Hg.), Christlicher Anarchismus. Facetten einer libertären Strömung, Verlag Graswurzelrevolution, 192 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-939045-21-2

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