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Pro und Contra #ZeroCovid

Shutdown von oben?

| Britta Rabe / Michèle Winkler

Anfang dieses Jahres startete die Kampagne #ZeroCovid. Sie fordert einen radikalen Strategiewechsel im Umgang mit der Pandemie. Kern des Konzepts ist ein Shutdown, der auch alle nicht lebensnotwendigen Bereiche der Wirtschaft erfasst. Dieser Shutdown soll europaweit gelten, bis die Zahl der Neuinfektionen auf Null gefallen ist. Seine Auswirkungen sollen durch ein umfangreiches Rettungspaket insbesondere für Menschen, die besonders hart betroffen sind, abgefedert werden (www.zero-covid.org).
Wir veröffentlichen hier einen Beitrag des Komitees für Grundrechte und Demokratie, die den Aufruf nicht unterschrieben haben und verweisen auf einen Beitrag unserer Autorin Antje Schrupp, die sich für eine Unterzeichnung entschieden hat. (GWR-Red.)

Als Grundrechtekomitee haben wir uns nach einem eingehenden Diskussionsprozess gegen die Unterzeichnung des Aufrufs #ZeroCovid entschieden. Wir stimmen zwar überein mit der Forderung nach einer Unterbrechung der Privilegierung bestimmter Wirtschaftszweige und des Arbeitslebens bei gleichzeitig weitgehender Einschränkung sozialer, kultureller und privater Aktivitäten. Wesentliche Punkte blendet der Aufruf für einen befristeten Shutdown aber aus.
Zum einen werden seine sozialen Folgen nicht ausreichend thematisiert. Für viele Menschen hat der Verzicht auf direkten Kontakt außerhalb des Haushalts massive Konsequenzen: Insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch für arme und ältere Menschen, Geflüchtete ohne Familie und Menschen – besonders Frauen – in gewaltvollen Beziehungen. Wie soll die komplette Isolierung vieler Menschen, insbesondere von sowieso schon gesellschaftlich Benachteiligten, verhindert werden?

Zweitens lässt der Aufruf außer Acht, dass zahlreiche Menschen von den sogenannten Sozialsicherungssystemen finanziell nicht aufgefangen werden, darunter Illegalisierte, arme Menschen, die kein ALG2 beziehen oder Ausländer*innen ohne Recht darauf. Zudem ist der geforderte Shutdown auf das Funktionieren der „systemrelevanten“ Bereiche angewiesen, die nicht still stehen können. Hier trifft es wieder vorwiegend Menschen, die ganz unten in der Gesellschaft stehen: Reinigungskräfte, Mitarbeiter*innen von Supermärkten oder von Lieferservices. Der Shutdown würde die Ungleichheiten in der Gesellschaft einfach weiter fortführen.
Drittens klammert der Aufruf die offensichtliche Frage nach der Umsetzung des Shutdowns aus. Dies sollte aber eine Schlüsselfrage sein: Toleriert er autoritäre Mittel? Insbesondere muss das Risiko der Durchsetzung mit repressiven Mitteln, mit starker Polizeipräsenz und Straflogiken benannt und deutlich zurück gewiesen werden. Eine linke Antwort auf die Pandemie muss Stellung dazu beziehen, wie in den aktuellen Verhältnissen ein Shutdown ohne staatliches autoritäres Verhalten umsetzbar ist.
Schließlich ist der Aufruf auf die EU konzentriert, aber eine langfristige Lösung kann nur global sein. Die dazugehörige Petition richtet sich explizit an Regierungen und Europäische Entscheidungsträger*innen. Sie fordert somit die konkrete Umsetzung des angedachten Shutdowns von oben ein. Dass die Forderungen der Kampagne den Verfasser*innen zufolge auf einen kollektiven Prozess von unten zielen, ist dem Aufruf nicht zu entnehmen.

Britta Rabe und Michèle Winkler
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.