Anarchafeministischer Streifzug

Sammelband „AnarchaFeministische Perspektiven“

| Antje Schrupp

Katharina Ciax, Frederik Fuß, Leonie Papies, Hannah Schiedel, Lea Staake: AnarchaFeministische Perspektiven, Syndikat-A-Verlag, 143 Seiten, 13,80 Euro, ISBN: 978-3-9817138-8-6

Dieser Sammelband unternimmt den Versuch, anarchistische feministische Perspektiven mit aktuellen politischen Bewegungen und Fragestellungen zusammenzuführen. Die Beiträge gehen zurück auf ein autonomes Seminar der Fakultät für Soziologie an der Universität Bielefeld.
Im ersten Kapitel beschäftigt sich Frederik Fuß mit Antifeminismus im historischen Anarchismus am Beispiel der üblichen als Gründungsfiguren tradierten Männer – Proudhon, Bakunin, Kropotkin –, aber auch beim Syndikalistischen Frauenbund und in der FAU. Das ist eine überfällige Korrektur der sonstigen historischen Überblicke, die diese Analysekategorie in der Regel ignorieren. Etwas fragwürdig ist allerdings, dass die historischen Ideen oft am Grad ihrer Ähnlichkeit zu heutigen queerfeministischen Positionen beurteilt werden, anstatt eine ihrer Zeit entsprechende Auswertung vorzunehmen.
Zwei weitere Kapitel beschäftigen sich mit den Themen Gewalt und Strafe – beides sowohl aus anarchistischer wie auch feministischer Perspektive wichtige Themen. Bei Lea Staakes Text über Gewalt wird allerdings nicht ganz klar, was die feministische Perspektive dabei ist, denn eigentlich lässt sie nur die alte anarchistische Debatte über die Legitimation von Gewalt noch einmal Revue passieren. Leonie Papies hingegen verbindet traditionelle anarchistische Kritik am staatlichen Strafsystem mit aktuellen Debatten über „Transformative/Restorative Justice“, also der Erkenntnis, dass Gerechtigkeit nicht durch Bestrafen der Täter erreicht wird, sondern aktiv hergestellt werden muss.
Die beiden folgenden Kapitel von Hanna Schiedel beschäftigen sich mit chilenischem Feminismus, konkret der vor einigen Jahren international beachteten Performance „Un violador en tu camino“ sowie den feministischen Bewegungen unter Pinochet. Ähnlich angelegt ist auch das letzte Kapitel von Katharina Ciax über die autonomen Gebiete Nordsyriens. Bei der Diskussion darüber, inwiefern diese Initiativen und Praxen anarchafeministischen Charakter haben, blieb für mich allerdings ein gewisses Unbehagen darüber, wie die Autorinnen hier ihre eigenen Maßstäbe und Definitionen an Feminismen in anderen Weltregionen anlegen. Würde eine anarchafeministische Perspektive einzunehmen nicht eher bedeuten, in einen Dialog und Austausch mit anderen einzutreten?
Wer sich aufgrund des Buchtitels Informationen zum aktuellen Stand anarchafeministischer Debatten verspricht, wird jedenfalls enttäuscht. Die behandelten Themen sind zwar für sich genommen interessant, doch ihre Zusammenstellung hier mutet etwas willkürlich an. In gewisser Weise sind die Beiträge gleichzeitig zu detailliert und zu oberflächlich: Sie verlieren sich in Einzelheiten, lassen jedoch eine eigene These, eine Zusammenführung zum Thema vermissen. Auch wäre ein Lektorat wünschenswert gewesen, das die Texte von ihrem anstrengenden akademischen Duktus und den zahlreichen Redundanzen befreit – man muss nicht in jedem zweiten Kapitel erneut lesen, dass der Begriff „Anarchafeminismus“ eine Wortschöpfung von Peggy Kornegger und Carol Ehrlich aus den 1970er-Jahren ist. Mehr konzeptionelle Überlegungen dazu, wie aus einer Vorlesungsreihe sinnvollerweise ein Buch werden kann, hätten dem Projekt gutgetan.