PilgerInnen, Päpste und die Polizei

Repression gegen christliche Klima-AktivistInnen in Hamm

| Horst Blume

Immer wieder geht die Polizei brutal gegen gewaltfreie Proteste und Aktionen des Zivilen Ungehorsams vor. Für überregionales Aufsehen sorgte am 23. Juli 2021 ein Vorfall in Hamm, als eine Gruppe christlicher Klima-AktivistInnen von einem massiven Polizeiaufgebot angegangen wurde. (GWR-Red.)

Auf ihrem Weg von Gorleben nach Garzweiler gingen die christlichen PilgerInnen mit einem großen gelben Kreuz 19 Etappen von Station zu Station und machten auf den zerstörerischen Braunkohleabbau, die gefährliche Atomkraft und auf die Klimakatastrophe aufmerksam. Überall waren sie willkommen, und auch die jeweilige Polizei hatte nirgendwo etwas auszusetzen. Doch dann kamen sie nach Hamm, und gleich an der Stadtgrenze zwischen Feld und Wald begann der Ärger mit der örtlichen Polizei. Diese stellte den religiösen Charakter der Veranstaltung infrage und warf den etwa zwanzig PilgerInnen vor, den Kreuzweg zu politischen Zwecken zu missbrauchen und ihn nicht angemeldet zu haben. Sie beanstandeten ebenfalls das „Hungertuch“ von „Misereor – Brot für die Welt“ und ein Zitat von Papst Franziskus „Diese Wirtschaft tötet“.
Was folgte, war eine beispiellose Eskalation seitens der Staatsmacht, die einen Vorgeschmack auf die zu erwartenden Folgen des geplanten verschärften Polizeigesetzes von Nordrhein-Westfalen gibt. Die äußerst aggressiven PolizistInnen gingen mit gezogenem Schlagstock auf die völlig gewaltfreien TeilnehmerInnen zu, andere richteten Pfefferspray auf sie. Das Rentnerehepaar von „Christians for Future“ Aachen wurde von der Polizei zu Boden gestoßen und verletzt. Michael Zobel (Waldpädagoge in Garzweiler) wurde in Handschellen abgeführt, Kreuzträger Jonas festgenommen und auf das Polizeipräsidium Hamm gebracht. Insgesamt vier Polizeiwagen waren zur Stelle, um die PilgerInnen aufzuhalten. Diese begannen eine Andacht, was die Polizei sogleich als nicht angemeldete Kundgebung betrachtete. Einige TeilnehmerInnen versuchten, beschwichtigend mit der Polizei zu reden oder pastoralen Beistand herbeizutelefonieren. Zitat der Polizei: „Dann holen wir eben eine Hundertschaft und räumen Sie hier ab“. (1)
Aus der Andacht heraus will die Polizei die Personalien von dem „Kreuzträger“ feststellen. Als dieser sich nach längerer Diskussion zum nebenstehenden VW-Bus wendet, um seinen Personalausweis zu holen, wird er von PolizistInnen umringt. Denn dies wird als „Flucht aus dem Polizeigewahrsam“ ausgelegt. Es kommt zu einer Anzeige wegen „versuchter Gefangenenbefreiung“. Weiterhin wurde von der Polizei beanstandet, dass ein Teilnehmer angeblich Filmaufnahmen gemacht hätte. Erst nachdem mehrere Pfarrer aus den umliegenden Gemeinden hinzugekommen waren, beruhigte sich die Situation langsam, und die PilgerInnen konnten ihren Weg nach Hamm-Mitte fortsetzen, allerdings mit der Auflage, ihre Transparente nicht zu zeigen.
Die persönlichen Berichte der schockierten TeilnehmerInnen am Spätnachmittag in den Fuge-Räumen (Forum für Umwelt und gerechte Entwicklung) über die aggressiven Attacken der Hammer PolizistInnen waren erschütternd. Niemand hatte mit so einer Eskalation gerechnet. Am Tag danach stellte die Lokalzeitung „Westfälischer Anzeiger“ (WA) unter der bezeichnenden Überschrift „Polizei stellt Klima-Pilger“ lediglich die Polizeiversion der Ereignisse dar, obwohl zwei Redakteure ein längeres Telefongespräch mit dem Sprecher der PilgerInnen geführt hatten. Tage später berichtete der WA ausführlicher und differenzierter. Der Grünen-Bürgermeister von Hamm und eine Linke-Bundestagsabgeordnete forderten Aufklärung, und zahlreiche Kirchenleute und -gruppen solidarisierten sich mit den PilgerInnen.
In vielen kirchlichen Medien wurde ebenfalls sehr kritisch über den Vorfall berichtet. Problematisch an den dort wiedergegebenen Aussagen finde ich allerdings, dass sie sich darüber beschweren, dass ihre religiöse Demonstration von der Polizei wie eine säkulare behandelt wurde. Unsere Ziele sollten keine religiösen Privilegien oder eine Besserstellung der Kirchen sein, sondern gleiche Rechte und Freiheiten für alle. Die rechtliche und faktische Besserbehandlung von Kirchen und Religiösen gehört abgeschafft. Es wäre ebenfalls wünschenswert, wenn in Zukunft die diesmalige rege Solidarität in Zukunft genauso engagiert bei Aktionen säkularer Gruppen gelebt werden könnte.
Die PilgerInnen zogen die nächsten zwei Tage – zeitweilig begleitet durch ein Polizeiboot – entlang des Datteln-Hamm-Kanals zum umstrittenen Kohlekraftwerk Datteln 4, wo eine Kundgebung mit einhundert Menschen stattfand. In verschiedenen Redebeiträgen wurden immer wieder Zitate von Päpsten eingestreut. Ich finde, das ist reichlich autoritätsfixiert und angesichts der ultrakonservativen Ansichten der Päpste und der vielen Verbrechen, die Teile der Amtskirche begangen haben, nicht gerade eine sehr überzeugende Argumentation.
Unterdessen wurden im „Westfälischen Anzeiger“ mehrere Leserbriefe abgedruckt, die offenbaren, wie wenig Menschen bisher davon mitbekommen haben, unter welchen repressiven Bedingungen Demonstrationen oder Aktionen schon seit Jahren stattfinden müssen. Ein Leserbriefschreiber findet es völlig normal, dass PolizistInnen ähnlich wie HandwerkerInnen ihr „Handwerkszeug“ Polizeiknüppel und Pfefferspray auch einsetzen oder dies androhen. Ein anderer hat sich zweimal Querdenken-Demonstrationen angesehen und schließt aus deren Beleidigungen und Verhalten gegenüber der Polizei umstandslos auf das Verhalten anderer DemonstrantInnen bei völlig anderen Themen und Situationen: Die Polizei hätte einen schwierigen Job und müsste deswegen immer in Schutz genommen werden. Um dieser Uninformiertheit begegnen zu können, reicht es nicht aus, in unseren kleinen Zeitungen und innerhalb unserer „Blase“ wortreich die Polizeirepression zu beklagen. Auf solche Leserbriefe muss direkt geantwortet werden, die Diskussion persönlich gesucht und die Auseinandersetzung in den (a)sozialen Medien intensiviert werden.
Bleibt noch die Frage, warum ausgerechnet in Hamm die Polizei so repressiv gegen die gewaltfreien PilgerInnen vorging. Hier sind schon öfter rechtsradikale PolizeibeamtInnen aufgefallen. Zuletzt der Polizeimitarbeiter Thorsten Wollschläger von der rechtsterroristischen Gruppe S. Er konnte jahrelang seine Gesinnung offen ausleben, ohne belangt zu werden. Ideologisch unterfüttert wurden seine Ansichten von der geschichtsrevisionistischen und NS-täterverharmlosenden Hammer Polizeihistorienseite (2), die von den Hammer Polizeipräsidenten gefördert und bei dem derzeit laufenden Prozess in Stammheim gegen die Gruppe S. erwähnt wurde (siehe GWR 460).
Offensichtlich sind die wortreichen polizeioffiziellen Erklärungen, ab jetzt genauer hinzuschauen und Toleranz und Empathie gegenüber zivilgesellschaftlichen Gruppen walten zu lassen, nicht das Papier wert, auf denen sie stehen. Inzwischen ermittelt zu den Vorkommnissen während der Pilgerreise polizeiintern die benachbarte Polizei Dortmund. Es ist also keine unabhängige Untersuchung, die der Staatsanwaltschaft später zur Bewertung vorgelegt wird.