Rückkehr zur Normalität?

Kritik der Verharmlosung der Pandemie

| Wilhelm Achelpöhler

Thomas Ebermann: Störung im Betriebsablauf. Systemirrelevante Betrachtungen zur Pandemie, konkret texte 80, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2021, 136 Seiten, 19,50 Euro, ISBN 978-3-930786-94-7

Die Corona-Pandemie ist ein Jahrhundertereignis – und sie hat die Linke kalt erwischt. Und so beginnt Ebermann gleich mit der These, die Pandemie sei nicht unvorhersehbar gewesen, aber unvorhergesehen. Vorhersehbar auch für Linke, weil es ja durchaus linke Analysen gab, wie jene von Rob Wallace, der den Zusammenhang der „ökosystemischen Verhältnisse“, die das Kapital seinen Interessen gemäß gestaltet, seiner Entwaldungen und einer Landwirtschaft mit genetischen Monokulturen, Schlachtvieh und Pflanzen mit nahezu identischem Erbmaterial und der Ausbreitung von Mikroorganismen beschrieb.

Ebermanns Ausgangspunkt lautet: „Linkssein ist nur denkbar als Feindschaft gegenüber dem Tod“. Er analysiert unter Rückgriff auf die Arbeiten von Wolfgang Hien den Umgang von Staat und Kapital mit den Körpern und der Gesundheit der Menschen. Hien beschreibt die Leiden der Arbeiter*innen in den Bergwerken, Fabriken und Büros seit dem Beginn der Industrialisierung. Ebermann: „Es wurde immer nur so viel Schutz durchgesetzt, wie es den herrschenden ökonomischen und politischen Eliten bevölkerungspolitisch opportun war“. Und er nimmt in den Blick, dass bereits „das so genannte Wirtschaftswunder“ auf der „Verachtung des (angeblichen) menschlichen Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ basierte. Dazu gehören allerdings auch Gewerkschaften, die vielfach ihren Frieden mit diesen Verhältnissen machten, den „starken Proletarier“ heroisierten, der die Verhältnisse aushielt, statt sich ihnen zu widersetzen. Über Streiks und Proteste gegen die Arbeitsbedingungen unter der Pandemie ist jedenfalls aus Deutschland nichts bekannt geworden – anders etwa in Italien. Und dazu gehören auch die Ideen der „Selbstoptimierung“ und Selbstverhärtung, die ihren Teil dazu beitrugen, dass sich trotz der Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung Millionen in die U-Bahnen drängten, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen.
Auch dem Umgang des deutschen Staates mit der Pandemie liege deshalb „ein notwendiges kapitalistisches Kalkül zugrunde (…) , nämlich das Ausbalancieren von akzeptierten Opfern und die Vermeidung einer »zu hohen«, das nötige Reservoir der Ware Arbeitskraft beeinträchtigenden Zahl von Infektionen – bei Erhalt der Loyalität gegenüber dem Staat sowie seinem regierenden und kon-struktiv-oppositionellen Personal selbstverständlich“. Die „Rückkehr zur Normalität“ ist deshalb für Ebermann kein Heilsversprechen, seine Kritik gilt dem Staat ebenso wie allen, die die Gefahren der Pandemie verharmlosen, kommen sie von rechts oder von links.
Eine Fortsetzung des Buches wird ja vielleicht noch erscheinen: Ebermanns Beschäftigung mit den Reaktionen der Linken auf die Pandemie und mit ihrer Auseinandersetzung mit der staatlichen Pandemie-Politik. Manche, die den Staat im „Ausnahmezustand“ und im Übergang zu einem autoritären Regime sehen, waren in ihrer politischen Kritik an der staatlichen Politik kaum noch von bürgerlichen Liberalen unterscheidbar. Anderswo schlug die „Stunde linker Staatsmythologisierung“. Der Wiederaufstieg der Sozialdemokratie nach der Pandemie ist deshalb wohl kein Zufall. Für die Entwicklung linker Politik jenseits dieser Pole ist Ebermanns Buch ein wichtiger Beitrag.