„Illustrationen können das Verständnis erleichtern“

Interview mit dem UNRAST-Verlag

| GWR-Redaktion

Die Anzahl der Comics und Graphic Novels steigt stetig, was auf die Popularität dieses Mediums hindeutet. Das gilt auch für politische und historische Literatur. Wie sieht es aus der Perspektive der Verleger*innen aus? Können die Verlage neue Leser*innenkreise mithilfe der herausgegebenen Comics gewinnen? Über die Bedeutung von Comics und Graphic Novels hat die GWR-Redaktion mit dem UNRAST-Verlag gesprochen. (GWR-Red.)

GWR: In eurem Angebot habt ihr schon seit einigen Jahren eine Reihe von Sachcomics zu feministischen Themen und illustrierte Einführungen in Antimilitarismus, Zapatismus, Gewaltkritik und die Klimabewegung. Welche Erfahrungen habt ihr mit diesen Medien gemacht?

UNRAST-Verlag: Unsere Erfahrungen mit Sachcomics sind bisher durchweg gut. Die Titel sind bei unseren Leser*innen beliebt, quer über die diversen Themen der Comics hinweg. Die Idee ist, viele unterschiedliche Personengruppen mit unseren Comics zu erreichen. Da geht es von Louie Läugers kritischen Comics zu den Themen Aufklärung, Sexualität und Geschlechtlichkeit, die übrigens nicht nur für Jugendliche und junge Erwachsene einen guten Einstieg in diese Thematiken bieten, bis hin zu illustrierten Geschichten bestimmter politischer Bewegungen oder Diskurse. Insbesondere die historische Erzählung wird durch Illustrationen gut begleitet, ergänzt und auf besondere Weise erfahrbar gemacht. Ein Beispiel dafür ist „Kritik der Gewalt“ von Brad Evans und Sean Michael Wilson, ein Sachcomic, der darstellt, was radikale Denker*innen zum Begriff der Gewalt geschrieben haben.

Seht ihr Comics als einen niederschwelligen Einstieg in die Auseinandersetzung mit historischen und politischen Themen? Eröffnen sie neue Leser*innenkreise?

Wir erleben häufig, dass der Inhalt von Sachcomics unterschätzt wird. Es stimmt aber, dass Illustrationen das Verständnis und eine erste Auseinandersetzung mit einem Thema erleichtern können. Viele Menschen schätzen den Reiz von Bildern als willkommene Abwechslung zu reinem Text. Niedrigschwellig ist vor allem der erste Akt des Öffnens eines Sachcomics, da er sich auch zwischendurch überfliegen lässt und mit visuellen Elementen das Interesse schnell einfangen kann. Nach diesem ersten Eindruck wird die lesende Person häufig von einer fundierten Recherche und einem komplexen Inhalt überrascht: „Gender“ von Meg-John Barker und Jules Scheele eröffnet beispielsweise ganz neue Sichtweisen. Es ist aber schwierig, hier zu verallgemeinern, denn es gibt keinen Prototyp einer Graphic Novel. Sie sind jeweils so unterschiedlich wie ihr Inhalt. Bei anderen (Sach-)Büchern gibt es ja auch unterschiedliche Schreibstile und Formen, die für Leser*innen unterschiedlich interessant sind.
Wie oben erwähnt, beobachten wir ein großes Interesse an unseren Sachcomics. Das spricht dafür, dass Comics unsere Leser*innenkreise durchaus erweitern können, wenn nicht sogar ganz neue eröffnen.

Kann eine Graphic Novel überhaupt so komplexe theoretische Ansätze adäquat vermitteln, oder können sie maximal angerissen werden? Betrachtet ihr das als Problem?

Wir sehen zwischen Comics und Komplexität keinen Widerspruch und dementsprechend auch kein Problem. Wie eingangs erwähnt, sind Sachcomics sehr unterschiedlich und beschäftigen sich durchaus mit komplexen Themen, z. B. aus der Philosophie oder politischer Theorie. So bringt Emma in „Ein anderer Blick auf den Klimawandel“ ein vielschichtiges Thema mit wenigen Worten und treffenden Bildern auf den Punkt. Die Kunst dieses Mediums liegt gerade darin, die Komplexität prägnant, verständlich und grafisch zu erfassen. Comics werden schnell allein als „guter Einstieg“ für junge Menschen abgestempelt. Einige Bücher sind selbstverständlich genau dafür gedacht und dafür auch sehr wertvoll. Aber der Wert von Comics an sich sollte nicht nur darauf reduziert werden.
Wir bei UNRAST schätzen sie als frischen und kreativen Weg, um Inhalte zu vermitteln und Leser*innen auch mal mit dem ein oder anderen Witz in hochkomplexe Diskurse einzuführen. Graphic Novels sind eine eigenständige Kunstform. Das Zusammenspiel von Bild und Text erweitert das Medium Buch um eine Ebene, die ein „lediglich“ geschriebener Text nicht bietet.
Wenn wir aber von Problemen sprechen wollen, sehen wir diese eher in einer starren Form von Kultur- und Wissensproduktion, die sich nur auf geschriebenen Text als vermeintlich höchstwertiges Medium stützt und keine Veränderungen zulässt. Warum sich nicht öffnen für diverse Inhalte, Gestaltungen und Formen, die zwischen zwei Buchdeckeln Platz finden?

GWR: Danke für das Gespräch!

UNRAST Verlag:

Ehemals aus der autonomen Szene entstanden und mit dem Anspruch angetreten, Bücher aus der Bewegung für die Bewegung zu machen, kann der 1989 gegründete UNRAST Verlag mittlerweile auf eine über 30-jährige Geschichte zurückblicken. In deren Verlauf wurde nicht nur das Programm immer vielfältiger, sondern es entwickelte sich auch die unausgesprochene Verlagspolitik, gegensätzliche Tendenzen innerhalb der Linken miteinander in Kontakt zu bringen und bestenfalls sogar zu versöhnen. So stehen Bücher mit sozialrevolutionären, ökologischen oder digitalkritischen Inhalten neben Publikationen zur Antidiskriminierung von LSBTIQ* oder BIPoC, feministische Perspektiven ergänzen antifaschistische, und internationale theoretisch-analytische Texte glänzen neben politischen Sachcomics. Allen Titeln gemeinsam ist eine progressive Ausrichtung hin zu einer gerechteren Gesellschaft.

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