Gemeinsam gegen die deutsche Rüstung

Protestcamp „Rheinmetall Entwaffnen“ in Kassel

| Dominik Wetzel

Vom 30. August bis 4. September 2022 fand das „Rheinmetall Entwaffnen“-Camp in Kassel statt. Sechs Tage lang gingen von den Goetheanlagen beim Bahnhof Wilhelmshöhe verschiedene Protestaktionen gegen die lokalen Standorte der Rüstungsindustrie aus.

Kassels Geschichte ist mit der Rüstungsindustrie eng verwoben. Am Ende des Zweiten Weltkriegs zählte Kassel zu den am stärksten zerstörten Städten Deutschlands. Ziel der flächendeckenden Zerstörung durch die britische Luftwaffe wurde die nordhessische Großstadt vor allem wegen ihrer Bedeutung als Rüstungszentrum. (1)

Gegen Militär, Patriarchat und Kapitalismus

Fast 80 Jahre später widmeten sich aus dem gleichen Grund die Proteste des Bündnisses „Rheinmetall Entwaffnen“ (RME) der Stadt. Das Camp-Programm war gefüllt mit Vorträgen und Diskussionen. Viel diskutierte Themen waren neben Militarisierung, Patriarchat und Kapitalismus unter anderem der demokratische Konföderalismus in Nordsyrien, auch Westkurdistan bzw. Rojava genannt, die revolutionäre Autonomie der Zapatistas im Südosten Mexikos sowie die Bewaffnung Europas und seiner Außengrenzen.
Rheinmetall ist Deutschlands größter Rüstungskonzern und deshalb seit Jahren im Mittelpunkt antimilitaristischer Proteste. Nun, wo das seit Jahren geplante Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär aufzuwenden, fast oppositionslos durchgesetzt werden konnte und die Bundeswehr zusätzlich 100 Milliarden Euro Sondervermögen erhält, wird Deutschland laut Bundeskanzler Scholz „in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der Nato verfügen“. (2) Bisher war Deutschland der viertgrößte Waffenproduzent der Welt hinter den USA, China und Russland, nun läuft auch die eigene Hochrüstung auf vollen Touren. (3) Deshalb schrien die Menschen es bei den Aktionstagen in Kassel auf den Straßen: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt!“

Fahrräder gegen Kriegsproduktion

Am Freitag, kurz vor 5 Uhr, begannen die Demonstrant*innen, das Werk von Krauss-Maffei Wegmann (KMW) zu blockieren, um die Belegschaft pünktlich zum Schichtwechsel an der Arbeit zu hindern. Von klassischer Musik und revolutionärem Gesang der „Lebenslaute“ begleitet blockierten sie friedlich die Tore zum Werk. Dazu errichteten sie auf der einen Seite des Werks eine Barrikade aus Reifen und Baustellenteilen sowie auf der anderen eine Blockade aus mitgebrachten Fahrrädern.
Um der Belegschaft doch den Zugang zu ermöglichen, schlug sich die Polizei, auch mithilfe von Pfefferspray, eine Schneise durch die Demonstrant*innen. Die Situation eskalierte, und aus der Demonstration flogen Reifen und Baustellenteile auf die Polizist*innen. Wenige Minuten später hatte sich die Lage wieder beruhigt. Nach Sonnenaufgang warteten Teile der Belegschaft an den nahe gelegenen Straßenecken, doch niemand kam hinein. Zu einem Kommentar waren die Arbeiter*innen nicht bereit.
Nachdem die Antimilitarist*innen überzeugt waren, dass die Schicht ausfallen würde, setzte sich die Demo zufrieden in Bewegung. Unter kleineren Rangeleien und Gewaltandrohung durch die Beamt*innen konnte die Demonstration zurück zum Camp gelangen.
Während einer Kundgebung am späten Freitag vor dem Rheinmetall-Sitz in Kassel kam es schließlich zu Festnahmen. Um die Freiheit der Gefangenen zu fordern, blockierten die Teilnehmer*innen daraufhin eine Hauptverkehrsstraße. Die Polizei zog sich mit den Gefangenen zurück.
Der größte Teil des RME-Camps beteiligte sich am Freitagabend an einer Spontandemonstration gegen patriarchale Gewalt gegen Frauen und sexuelle Minderheiten, nachdem Malte C. am Christopher Street Day in Münster brutal zusammengeschlagen worden war und nach fünf Tagen Koma im Krankenhaus schließlich seinen Verletzungen erlag.

„Soll’n sie doch am Panzer sparen!“

Am Samstagmorgen kontrollierte die Polizei mehrere Gruppen von Passant*innen und deren Taschen in der Nähe der Rüstungsbetriebe. Als sie dabei Transparente, Spraydosen und Trennschleifer fanden, erteilten sie Platzverweise.
Die Hauptdemonstration am Samstag verlief an den KMW-Werken entlang und endete mit Reden und Sprechchören in der Kasseler Stadtmitte. Rufe wie „Geld für Krankenhäuser her statt für Krieg und Bundeswehr!“ und „Weiter für 9 Euro fahren, sollʼn sie doch am Panzer sparen!“ erreichten die Umstehenden.
Am Rand der Proteste kam es zu kleineren Konflikten: Einige Kundgebungsteilnehmer*innen, die sich der Partei „die Basis“ zugehörig fühlten, wurden von der Demoleitung mit den Worten „keine Querdenker“ bereits bei Demobeginn am Hauptbahnhof verscheucht, obwohl diese sich seit Jahren als Teil der Friedensbewegung sahen.
Vor allem aber kam es immer wieder zu Rangeleien zwischen Protest und Staatsgewalt. Die Polizei filmte von Anfang an die Demo, und einzelne beschwerten sich lautstark bei den Kameraträger*innen. Später wurden Rauchtöpfe gezündet. Die Polizei versuchte, die Verantwortlichen aus der Demo zu ziehen, was ihr jedoch nicht gelang.
Nach der Abschlusskundgebung wurden einzelne Demonstrant*innen aus der Versammlung gerissen. Eine Beschuldigung: Vermummung. Die Stimmung spannte sich noch mal an, löste sich jedoch mit der Ankunft der nächsten Straßenbahn.
Insgesamt konnte mit den fast einwöchigen Protesten in Kassel ein starkes Zeichen gegen Militarismus und die Rüstungsindustrie gesetzt werden.