Mareile Pfannebecker, James A. Smith: Alles ist Arbeit. Mühe und Lust am Ende des Kapitalismus. Edition Nautilus, Hamburg 2022, 222 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-96054-290-2.
„Alles ist Arbeit“ ist eine Mischung aus wissenschaftlicher Abhandlung und Streitschrift. Mit dem Blick auf Missbeschäftigung (malemployment) und Entschäftigung (disemployment) untersuchen Mareile Pfannebecker und James A. Smith hier, wie sich im Neoliberalismus Arbeit und Arbeitslosigkeit immer ähnlicher wurden: „In den prekärsten Fällen kann es passieren, dass Beschäftigte und Arbeitslose genau dieselbe Tätigkeit nebeneinander in denselben Unternehmen verrichten, von denselben Essensausgaben ernährt werden und nachts in dieselben Obdachlosenheime zurückkehren.“
Missbeschäftigung und Entschäftigung
Mit Missbeschäftigung werden dabei Tätigkeiten bezeichnet, die keine ausreichende Lebensgrundlage bieten, gesundheitlich schädigend sind, große unbezahlte Anteile haben oder übermäßig überwacht werden. Dass Arbeit an sich im gesellschaftlichen Diskurs als bedeutender gilt, als die Frage, ob Menschen überhaupt von dieser leben können, ist den Autor*innen zufolge symptomatisch für dieses Phänomen. Während dieser Diskurs staatliche Hilfe als ineffizient ablehnt, wird die Missbeschäftigung zugleich durch Sozialleistungen, Aufstockungen und Kosten im Gesundheitssystem subventioniert.
Entschäftigung meint hingegen statistische oder faktische Ausschlüsse von Personengruppen, die somit weder Arbeit haben, noch Recht auf Sozialleistungen. Das Phänomen reicht von statistischen Bereinigungen bis hin zu faktischen Abschiebungen.
Des weiteren wird mit dem Begriff der „Lebensarbeit“ illustriert, wie heute alle Lebensbereiche zu Arbeit werden können und dadurch Raum für anderes verschwindet, während zugleich klassische Arbeitsstrukturen und Berufe in Auflösung begriffen sind. Das Buch beschreibt, dass Angestellte zunehmend Aufgaben außerhalb des eigentlichen Berufsbilds übernehmen. Zusammenstellungen von Kompetenzen ersetzen konkrete Berufe.
New Labour und Workfare
Diese Konzepte werden weitgehend am Beispiel Großbritanniens diskutiert. Dort verdreifachten sich in den 1980er und 90er Jahren die Arbeitslosenzahlen aufgrund der Schließung von Bergwerken. Zugleich wurden die Bedingungen der Arbeitslosigkeit massiv verschärft. Im neoliberalen Diskurs erfolgte eine Gleichsetzung wirtschaftlicher Abhängigkeit und körperlicher Sucht, der in den 2010er Jahren den Begriff der Sozialleistungsabhängigkeit hervorbrachte.
Die New Labour Partei unter Tony Blair schuf Programme für Weiterbildung, Arbeitseinsätze und Sanktionen. Ab sofort ging es nicht mehr um die Absicherung Arbeitsloser, sondern um die Förderung Arbeitssuchender. Dieses neue Vokabular ging einher mit einer Gleichsetzung von Arbeit und Gesellschaftszugehörigkeit. Ivor Southwood zufolge wurde auch die Arbeitslosigkeit „in einen Scheinjob verwandelt, komplett mit vorgetäuschtem Arbeitsplatz, Stechuhrzeiten und Vorgesetzten“.
2012 trat unter dem Arbeitsminister Duncan Smith das Workfare-Programm in Kraft, mit dem Sozialleistungen für Arbeit ausbezahlt wurden. Arbeitslose wurden beispielsweise für Tätigkeiten in Supermärkten angeworben, bei denen das Gehalt aus Arbeitslosengeld und Spesen bestand. Zugleich gab es Entlassungen bisheriger Angestellter. In diesem neuen System entschieden ausgelagerte Unternehmen über Arbeitsfähigkeit, was häufig zur Sanktionierung von chronisch Kranken und Menschen mit Behinderung führte. Der Bezug von Sozialleistungen wurde gezielt verkompliziert und Zahlungsverzögerungen führen häufig zu weiteren Problemen, wie etwa Wohnungsverlust. Dieses neue Sozialregime gibt Geld aus, um Disziplinierungsinstrumente zu schaffen. Pfannebecker und Smith kritisieren hier zusammenfassend: „Sozialleistungen können nicht den Grundlebensstandard garantieren und gleichzeitig, in Form ihres Entzuges, eine legitime Disziplinierungsmaßnahme darstellen.“
Die veränderten sozialen Bedingen zeigen sich heute in gesunkener Lebenserwartung. Einem Bericht des UN-Sonderberichterstatters Philip Alston zufolge lebte 2018 ein Fünftel der Bevölkerung Großbritanniens in Armut. Zugleich ließ die Regierung verlauten, die Beschäftigungszahlen seien auf einem Rekordhoch. Doch viele Angestellte haben zu wenig Stunden bei schlechter Bezahlung oder sind durch zu viele Jobs überlastet. Während die Arbeitslosigkeit der Arbeit zunehmend ähnelt wird zugleich die Arbeit immer prekärer. So sind in Großbritannien 55% aller Obdachlosen offiziell erwerbstätig.
Die Vermarktung des eigenen Selbst
In einem weiteren Kapitel des Buches geht es um die Theorie des jungen Mädchens nach dem französischen Anarcho-Kollektiv Tiqqun. In Rückgriff auf das Bild junger Frauen aus der Oberschicht des 18. und 19. Jahrhunderts, deren Hauptaufgabe ihre Selbstoptimierung war, wird hier der gesellschaftliche Zwang zur Selbstverwertung diskutiert. Obwohl diese Theorie vor dem Aufkommen sozialer Netzwerke wie Instagram entstand, werden die beschriebenen Mechanismen hier besonders deutlich. Denn das Problem der digitalen Welt „ist nicht nur, dass es schwierig ist zu wissen, ob das, was man in einem bestimmten Moment online tut, Freundschaft, Vergnügen oder Arbeit ist“, sondern auch, dass das eigene Selbst immer warenförmiger wird. Dabei findet eine Verbindung von Persönlichkeit und Marktwert statt. Der Begriff des „jungen Mädchens“ spiegelt einerseits, dass Frauen und junge Menschen besonders stark von diesen Phänomenen betroffen sind, und meint andererseits alle Menschen „bis hin zum Papst“.
Die Autor*innen stellen die These auf, dass die zunehmende affektive und immaterielle Arbeit, die in den 1980ern als „Hausfrauisierung“ der Arbeit bezeichnet wurde, „zum Modell für die heutige digitale Wirtschaft geworden“ sei. Die „Demokratisierung“ durch das Internet bringe ein „Übermaß an Popularitätsarbeit und ein „Übermaß an freiwilligen, unbezahlten Inhalten, in struktureller Isolation produziert“ mit sich. Dabei sei die Produktion von Inhalten für Youtube und anderen Plattformen ähnlich prekär und unabgesichert wie die Arbeit für Uber und andere Unternehmen der Gig-Economy.
Smith und Pfannebecker argumentieren, dass auch klassische Arbeit immer mehr mit einer Inszenierung des privaten Selbst verbunden ist. Dem Zwang zur Selbstdarstellung im Internet können die wenigsten ausweichen. Beispielsweise anhand von Crowd-Funding für Krankenhausrechnungen zeigt sich die „Sympathie-Ökonomie“, in der Geld aufgrund von Popularität und Darstellung fließt. Zugleich lässt sich bei vielen Tätigkeiten nicht mehr unterscheiden, ob es um den Wunsch nach Bestätigung oder das Pflegen der eigenen Marke geht.
Post-Arbeits-Diskurse
Bereits im 19. Jahrhundert gab es skurrile Jobs, die oft dennoch nicht abgelehnt werden konnten. Wie die Autor*innen hier darlegen, war Barlebys „Ich möchte lieber nicht“ bereits damals eine Ausnahme. Heute ist die Ablehnung einer Stelle noch schwieriger geworden, da Tätigkeiten und Arbeitskräfte zunehmend austauschbarer sind. Dies geht mit einem hohen Grad an Schutzlosigkeit einher und wird in der Platzformökonomie besonders deutlich.
Das Buch setzt sich mit politischen Ansätzen auseinander, die „eine vollautomatische Post-Arbeits-Gesellschaft“ fordern. Die Autor*innen kritisieren an der Anti-Arbeits-Literatur, dass diese oft konkrete Nutzungen der freiwerdenden Zeit idealisiert und mitunter die unbezahlte Arbeit (Selbermachen, Care-Arbeit) über die bezahlte stellt. Sie schreiben, der Post-Arbeits-Diskurs ziele entweder auf Befriedigung heutiger Wünsche ab oder versuche diese moralisch zu überwinden. Hier sehen sie ein Dilemma, da Veränderung nur von den jetzigen Bedürfnissen getrieben werden kann und zugleich zukünftige Bedürfnisse nicht vorhersehbar sind.
Die Autor*innen fordern einen Vertrauensvorschuss in die zukünftigen Entscheidungen der von Lohnarbeit befreiten Menschen in Bezug auf die Nutzung ihrer Zeit und die Gestaltung der Gesellschaft. Es brauche einen ehrlichen und selbstbewussten Umgang mit dem Risiko des Unbekannten und wahrscheinlich noch unvorstellbaren. Anstatt heutige Bedürfnisse zu befriedigen oder zu überwinden, basiere diese „dritte Form des Wollens“ auf Autonomie und Solidarität. Dem düsteren Bild des „Anthropozän“ wird hier das „Kapitalozän“ entgegengesetzt, und so die Hoffnung auf ein postkapitalistisches Wirtschaftsmodell möglich, in dem wir nicht nur mehr freie Zeit haben, sondern auch Raum zum Experimentieren. Durch Infragestellung von Eigentum und Kontrolle der kapitalistischen Technologien könnten diese begrenzt und umgestaltet werden.
Fazit
„Alles ist Arbeit“ ist einerseits eine lesenswerte Analyse, die vieles zusammenbringt und Ansätze neu verbindet. Andererseits ist das Buch stellenweise sehr akademisch. Es nimmt auf viele vorausgehende Konzepte Bezug. Etwa das auf Foucault und Blanchot zurückgehende Konzept der Entwerkung (désoeuvrement), das einen positiven Blick auf Nicht-Arbeit ermöglicht. Auf den „literarischen Kommunismus“ nach Jean-Luc Nancy, der eine Vision der Arbeit als „eine auf kreativ geteilten Grenzen basierende Form der Produktion“ ermöglicht. Die Idee des auf das Kollektiv „Laboria Cuboniks“ zurückgehenden „Xenofeminismus“, der durch Aneignung technischer Mittel „hundert Geschlechter erblühen […] lassen“ will. Aaron Bastianis Utopie eines „Fully Automated Luxury Communism“ (FALC) wird mit Bezugnahme auf das Silicon Valley weiter diskutiert. Des weiteren ist das Buch gespickt mit Beispielen aus der popkulturellen Welt, während der Alltag der Missbeschäftigten leider nur auf Metaebene zur Sprache kommt.