Vorstellungen einer anderen, einer lebenswerten Welt

Das Grundrechtekomitee und die GWR

| Britta Rabe und Michèle Winkler

„Es kann immer etwas passieren, auch im guten Sinne“ (1), versprach Wolf-Dieter Narr 2012 gegenüber der Graswurzelrevolution in Hinblick auf die Perspektiven Sozialer Bewegungen. Er schrieb häufig in der GWR, hatte ein „anarchistisches Motiv im Herzen“ – und prägte als Mitbegründer und Mitstreiter über lange Jahre das Komitee für Grundrechte und Demokratie.
Das Zitat scheint heutzutage, im Angesicht der voranschreitenden autoritären Formierung und des vielerorts anschwellenden Faschismus, aus der Zeit gefallen. Ein Blick etwa nach Serbien oder den Iran zu den dortigen System sprengenden Protesten, in den Sudan oder in die Türkei lehrt indes, dass der Satz weiterhin Geltung besitzt.

In dieser politisch hochgefährlichen Situation braucht es so vieles. Im Zeitalter der Desinformation bedarf es dringender denn je treffende Analysen und kritische Berichterstattung. Gegen die Politik von Unterdrückung und Vereinzelung bedarf es unser aller Zusammenschluss in Form von gegenseitiger Unterstützung und solidarischer Praxis.
Ebenso wie die Graswurzelrevolution sind wir eng an der Seite Sozialer Bewegungen und diskutieren Möglichkeiten emanzipatorischer Praxen. Ausgehend von radikaldemokratischen Prinzipien geht es uns darum, Gewaltverhältnisse abzuschaffen und Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte für alle Menschen, weltweit, zu realisieren. Hierfür müssen Gesellschaft und Ökonomie grundlegend umgestaltet und demokratisiert werden. Wir streiten zugleich für die Abschaffung von Herrschaftsverhältnissen und für den Aufbau solidarischer und selbstbestimmter Alternativen.
Seit wir 2018 zum Grundrechtekomitee gestoßen sind, führen wir die Tradition des Vereins – so wie wir sie verstehen – unter den veränderten Anforderungen des 21. Jahrhunderts fort. Aus der Perspektive radikaler Demokratie und Menschenrechte blicken wir dabei auf die fortschreitenden Verwerfungen, die aus Vielfachkrise und einem Kapitalismus im Endstadium resultieren. Gegen die damit einhergehende zunehmende Verrohung suchen und finden wir als radikal-menschenrechtlicher Verein unsere Inspiration unter anderem in abolitionistischen Ideen und Erfahrungen. Dabei verstehen wir den Abolitionismus nie allein auf die Abschaffung der Versklavung bezogen oder nur als die Forderung nach der Abschaffung von einsperrenden Institutionen. Wir halten es mit Ruth Wilson Gilmore, die sagt: „Abolition setzt voraus, dass wir eine Sache ändern: nämlich alles.“ Dieser Ansatz macht den Kopf frei für Vorstellungen einer anderen, einer lebenswerten Welt, und er basiert unter anderem auf anarchistischen Ideen und Graswurzelbewegungen weltweit.
Im Kampf gegen die massiv voranschreitende autoritäre Formierung wird manchmal gewarnt, es sei jetzt nicht die Zeit für weitgehende Forderungen oder gar für utopische Ideen. Das halten wir für falsch. Am Aufbau einer widerspenstigen und offenherzigen Bewegung für die Möglichkeit einer lebenswerten Zukunft für alle, müssen Menschen und Projekte jetzt arbeiten, ob klein oder groß. Projekte wie auch die GWR, mit der wir als Komitee für Grundrechte und Demokratie seit Jahrzehnten inhaltlich und thematisch verbunden sind und deren Wege die unseren immer wieder kreuzen. Wir brauchen auch hier die Strategie der vielen kleinen widerständigen Zusammenschlüsse, die wie Pilze aus dem Boden wachsen, wie sie mit den Festivals of Resistance in den USA gerade versucht wird. Denn eine weitere Erfahrung besagt, dass Regime ja nie für immer bestehen, sondern irgendwann fallen. Syrien hat es uns vor wenigen Monaten vorgemacht.

In diesem (guten) Sinne wünschen wir euch für die nächsten 500 alles Gute!

Britta Rabe und
Michèle Winkler
Komitee für Grundrechte
und Demokratie

(1) „Menschenrechtliche Arbeit, die nicht in der Luft schwebt.“ Muriel Schiller und Bernd Drücke im Gespräch mit Wolf-Dieter Narr. Teil 1, in: GWR 371, September 2012,
https://www.graswurzel.net/gwr/2012/09/menschenrechtliche-arbeit-die-nicht-in-der-luft-schwebt/

Kontakt:
www.grundrechtekomitee.de/