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"Kein deutsches Anarchoblatt lebte l�nger"

300. Ausgabe der Graswurzelrevolution erschienen. T�rkische Beilage vorerst auf Eis gelegt. Ein Interview mit Bernd Dr�cke

Dr. Bernd Dr�cke aus M�nster i. W. ist Redakteur der libert�r-anarchistischen Zeitung Graswurzelrevolution

F: Die 1972 gegr�ndete Graswurzelrevolution ist jetzt zum 300. Mal erschienen. Gibt es in der Geschichte der anarchistischen deutschen Presse eine Publikation, die l�nger existierte?

Nein. Uns gibt es seit 33 Jahren, an zweiter Stelle liegen mit je 31 Jahren die 1947 gegr�ndete Befreiung und Die Freiheit, eine Zeitung, die der deutsche Anarchist Johann Most, der von 1846 bis 1906 lebte, ab 1879 herausgab.

F: Wer steckt hinter der Zeitung? Wer sind die Graswurzelrevolution�re?

Dahinter steht eine vielf�ltige Bewegung. Vor allem Antimilitaristen aus der BRD, aber auch international organisierte Kriegsgegner, Feministinnen, antirassistische Initiativen und Atomkraftgegner. Es sind also nicht nur Anarchistinnen und Anarchisten. In Deutschland gibt es rund 100 Gruppen, die uns nahestehen. Wir sind assoziiert mit der WRI, der Internationalen der Kriegsgegner, die aus 90 Organisationen in 45 L�ndern besteht.

F: Betrachten Sie sich als politische Organisation oder als Diskussionsgemeinschaft?

Wir sind keine Partei, sondern eher ein Netzwerk vor allem von gewaltfreien und anarchistischen Gruppen und Zusammenschl�ssen.

F: Sie bezeichnen sich als libert�re Sozialisten. Was verstehen Sie darunter?

Die 1. Internationale spaltete sich 1871 in Marxisten und Bakunisten. Letztere nannten sich libert�re Sozialisten, weil der Begriff Anarchisten eher abwertend verwandt wurde. "Libert�r" (freiheitlich) ist ein Synonym f�r "anarchistisch". Es ist also nicht falsch, wenn wir uns auch als libert�re Sozialisten verstehen.

F: Wie wird eine solche Zeitung finanziert? Druck, Redaktion und Vertrieb kosten Geld - und linke Zeitungen bekommen selten Anzeigen.

Ich bin der einzige hauptamtliche Redakteur, au�erdem haben wir 30 Mitherausgeber und weitere Autoren, die ehrenamtlich schreiben. Die Finanzierung l�uft vorwiegend �ber 2.000 Abonnements. Weitere 2.000 Exemplare setzen wir �ber Kioske, Buchl�den oder bei Veranstaltungen und Demonstrationen ab.

F: Manch einem mag der Titel Graswurzelrevolution ungew�hnlich erscheinen. Wie ist dieser Name entstanden?

Als die Zeitung 1972 gegr�ndet wurde, waren unterschiedliche Gruppen beteiligt. Bei der Suche nach einem Titel stie�en die Gr�nder auf den englischen Begriff "grassroots" - Graswurzeln also. Die Gedankenverbindung war, da� Graswurzeln ebenso wie soziale Revolutionen von unten her wachsen. Seit der Zeit ist das Wort Graswurzelrevolution ein Begriff f�r eine gewaltfreie Revolution.

F: Wof�r stehen Sie politisch, was sind Ihre Schwerpunkte?

Wir haben verschiedene Arbeitsbereiche. Unser Ziel ist eine gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft. Das soll unter anderen durch direkte Aktionen erreicht werden, wozu wir auch Sabotage und Generalstreiks z�hlen. Gewalt gegen Menschen lehnen wir ab.

F: Ein Schwerpunkt der Graswurzelrevolution ist die Propagierung der Kriegsdienstverweigerung. Hatten Sie deswegen schon Besuch vom Staatsanwalt?

Es gab mehrere Ermittlungsverfahren. W�hrend des Jugoslawien-Krieges 1999 wurde ich als presserechtlich Verantwortlicher wegen �ffentlicher Aufforderung zu Straftaten angezeigt, weil wir zur Desertion aufgerufen hatten. Wir hatten damals ein Extraheft in einer Auflage von 35.000 Exemplaren auch vor Kasernen verteilt. Die Anzeige verlief aber im Sande, weil die Justiz die Verj�hrungsfrist bei presserechtlichen Verfahren �berschritt - die betr�gt n�mlich nur sechs Monate.

F: Sie hatten vor einiger Zeit eine t�rkische Beilage eingef�hrt - wie ist die Resonanz darauf?

Das ist die Otk�k� - t�rkisch: Graswurzel. Momentan liegt diese zweisprachige Beilage auf Eis. Schon die erste Ausgabe wurde in der T�rkei beschlagnahmt, wir haben dann noch sieben Ausgaben unter die Leute gebracht. Auf Dauer war uns das zu riskant, unsere Mitarbeiter in der T�rkei sind akut gef�hrdet.

Interview: Peter Wolter
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Aus: junge Welt, 15. Juni 2005


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