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Zeitung aus Deutschland ist der Türkei ein Dorn im Auge

Redakteur in Izmir fürchtet nach Beschlagnahme um seine Sicherheit

Von Jan Dörner

Das Ziel der deutsch-türkischen Zeitung "Otkökü" ist, die Ideen der Gewaltfreiheit und des Pazifismus in der Türkei und der türkischen Gemeinschaft Westeuropas zu verbreiten. Doch ein Vertrieb in der Türkei ist gescheitert.

Das Damoklesschwert hängt über Ossi", sagt Bernd Drücke besorgt, Koordinationsredakteur der "Otkökü" für Deutschland, "und der Faden wird immer dünner." Ossi, das ist Osman Murat Ülke, der wahrscheinlich bekannteste türkische Kriegsdienstverweigerer, der seine derzeitige Freiheit nicht zuletzt einer weltweiten Solidaritätskampagne verdankt. "Aber gerade jetzt, wo Ossi kürzlich die Aufgabe als Koordinationsredakteur unserer Zeitung in der Türkei übernommen hat, rechnet er wieder verstärkt mit seiner Verhaftung.

Hohe Strafen für Kritik am Militär

"Das Projekt ist dem türkischen Staat ein Dorn im Auge", berichtet Drücke, der seinen Freund Ülke gerade in der Türkei besucht hat. Der saß für seine pazifistische Überzeugung schon zweieinhalb Jahre in diversen türkischen Gefängnissen, denn Kriegsdienstverweigerung und die Kritik am Militär sind in der Türkei noch immer bei hohen Strafen verboten. Im Moment lebt der bekennende Pazifist in einem semilegalen Status in Izmir mit der Gefahr, jederzeit wieder als Deserteur verhaftet zu werden. Ausreisen kann der in Deutschland aufgewachsene Ülke nicht, da sein Pass längst abgelaufen ist.

Die Situation ist im Moment für Ülke so unsicher, weil 500 Exemplare der Zeitung aus dem nordrhein-westfälischen Münster nie beim Antimilitaristischen Verein in Izmir (ISKD) ankamen. Dort fand sich in der Post lediglich eine Mitteilung der türkischen Polizei: Das Paket mit den für den Weitervertrieb in der Türkei bestimmten "Otkökü" wurde an das Innenministerium in Ankara weitergeleitet - nach ganz oben also. Der Inhalt der antimilitaristischen Zeitung dürfte dort kaum auf Wohlwollen gestoßen sein. Es wurde sowohl über das kurdische Volk als auch über den osmanischen Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern im Jahre 1915 berichtet. Beides Dinge, die es offiziell nicht gibt. In der Türkei reicht das aus, um den ISKD zu schließen, den jungen "Otkökü"-Verlag zu verbieten und Ülke wieder zu inhaftieren. Doch noch ist nichts dergleichen passiert. Angesichts der Beschlagnahme durch die türkischen Behörden war es Drücke, dem presserechtlich Verantwortlichen, nicht ganz wohl, in die Türkei zu Ülke zu reisen, aber "alles verlief ohne Probleme, und einige Exemplare der letzten Ausgabe konnte ich auch noch mitnehmen", berichtet er.

Im August kommt die dritte Ausgabe

Dass das Paket aus Deutschland beim ISKD nicht ankam, ist nicht verwunderlich, denn die als zweitstärkste Partei an der Regierungskoalition beteiligte faschistische MHP rief die Anhänger ihrer Organisation "Die Grauen Wölfe" - von denen traditionell viele bei der Post arbeiten - dazu auf, die Sendungen unliebsamer Verschicker und Empfänger zu kontrollieren. In Deutschland, Österreich und der Schweiz stieß die alle drei Monate erscheinende "Otkökü" auf Interesse Trotzdem ist das Konzept der Zeitung, in der Türkei ebenso wie in Westeuropa als kostenlose Massenzeitung - derzeitige Auflage 7000 Exemplare, Tendenz steigend - verbreitet zu werden, durch die Maßnahmen des türkischen Staates gescheitert. Dennoch wird es Ende August eine dritte Nummer der Zeitung geben. "Gerade jetzt ist es wichtig, öffentlichen Druck herzustellen, um Ossi zu schützen.", meint Drücke.

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Aus: Neues Deutschland, 6.8.2001


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