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Die eigentliche Herausforderung wird erst noch kommen
75 Jahre War Resisters' International (WRI)
Devi Prasad aus Indien arbeitete von 1962
bis zu Beginn der 80er Jahre als Generalsekretär der WRI
im Londoner WRI-Büro. Devi Prasad wurde als 17jähriger
1938 in Tagores Kunst-Universität in Santinik-Etan als Student
aufgenommen. Ab 1942 beteiligte er sich an der gegen die britische
Kolonialherrschaft gerichteten "Quit- India!"-Bewegung. Von 1944
bis 1962 arbeitete er als Kunstlehrer in Gandhis "Nai-Talim"-Bewegung
("Neue Erziehung"). Der Beitrag zeichnet die Geschichte der WRI
aus dem Blick eines Insiders, aber auch dem kritischen Blick eines
Inders, nach. (Red.)
So weit ich weiß, war die War Resisters' International
(WRI) die erste internationale pazifistische Organisation, die
ihre Opposition gegen jede Art von Krieg nicht nur in Worten ausdrückte,
sondern auch Individuen aller Überzeugungen - philosophisch,
religiös und politisch - dazu anregte, diese Opposition in
Aktion umzusetzen. Ihre Mitglieder taten das selbst unter der
Gefahr von Gefängnis- und sogar Todesstrafe. Natürlich
gab es andere internationale Organisationen mit gleichermaßen
entschiedener, vielleicht sogar größerer Opposition
gegen jede Art von Krieg. Aber die hatten ihre besondere AnhängerInnenschaft.
Der Internationale Versöhnungsbund (VB) beispielsweise, der
sehr aktiv und älter ist als die WRI, richtete sich nur an
Menschen christlichen Glaubens. Mitglieder anderer Religionen,
AgnostikerInnen, AtheistInnen oder HumanistInnen konnten ihn nicht
wirklich als ihre Basis betrachten.
Der Erste Weltkrieg Der Erste Weltkrieg brachte den Menschen Europas die schrecklichsten
Erfahrungen an Leiden und an Vernichtung von Leben und Besitz von
ungeheuren Ausmaßen. Das traf nicht nur ChristInnen, sondern
alle Menschen Europas und viele in anderen Teilen der Welt, die
kaum etwas mit dem Krieg zu tun gehabt hatten.
1921 trafen sich in Bilthoven in den Niederlanden einige Mitglieder
des VB mit anderen, die von der Notwendigkeit einer internationalen
pazifistischen Organisation überzeugt waren, die offen für
alle Menschen ohne Unterschied von Glauben, Religion, Überzeugung
oder politischer Meinung sein sollte, und gründeten eine
Organisation mit dem Namen Paco - das Esperanto-Wort
für Frieden. Sie wählten die folgende Erklärung
als Grundlage für die Mitgliedschaft: "Der Krieg ist
ein Verbrechen an der Menschheit. Wir sind daher entschlossen,
keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung
aller Kriegsursachen mitzuarbeiten."
Die Gründer und Gründerinnen solcher Organisationen
wie WRI und VB waren überzeugt, daß die Millionen von
Menschen, die an immer besseren Waffen zum Massenschlachten ausgebildet
werden, kein Verlangen danach haben, ihre Mitmenschen zu töten,
und meist noch nicht einmal wissen, warum sie gezwungen werden,
diese entsetzlichen Taten zu begehen. Menschen müssen diese
abscheulichen Taten begehen, weil sie den Befehlen ihrer Regierungen
unterworfen sind. Und Tatsache ist, daß die Existenz von
Regierungen vom Bestehen bewaffneter Streitkräfte abhängig
ist. Daher sollte denen, die - freiwillig oder gezwungenermaßen
- in eine Armee eintreten, klar gemacht werden, daß der
Schlüssel für das Ende des Militarismus zu einem beträchtlichen
Teil in ihren Händen liegt.
In Worten wie in Taten ging es den Gründern und Gründerinnen
der WRI um die Wahrheit, von der Tolstoi auf dem schwedischen
Friedenskongreß 1909 gesprochen hatte: "Die Wahrheit ist
in ihrer vollen Bedeutung darin enthalten, was vor tausenden von
Jahren gesagt wurde... Du sollst nicht töten. Diese
Wahrheit besagt, daß der Mensch unter keinen Umständen
und unter keinem Vorwand einen anderen töten soll oder darf.
... Und deshalb denke ich, daß wir, die hier auf dem Friedenskongreß
versammelt sind, wenn wir diese Wahrheit nicht klar und deutlich
aussprechen, sondern uns an die Regierungen wenden und ihnen allerlei
Maßnahmen vorschlagen, um die Übel des Krieges zu verringern
und die Kriege seltener zu machen, auf diese Weise jenen Menschen
gleichen, die, obwohl sie den Türschlüssel in der Hand
haben, versuchen, durch die Mauern zu brechen, von denen sie wissen,
daß sie dazu viel zu dick sind. ... Können wir denn,
die wir die Abschaffung des Krieges anstreben, nichts Zweckmäßigeres
für unser Ziel finden, als den Regierungen, die nur durch
die Armeen, also durch Krieg bestehen, Maßnahmen vorzuschlagen,
die den Krieg vernichten sollen? Sollen wir den Regierungen vorschlagen,
sich selbst zu vernichten?" (1)
Die praktische Antwort auf Tolstois Frage wurde von christlichen
PazifistInnen sehr positiv gegeben, indem sie nicht in die Armee
gingen und sich weigerten, die Idee des militärischen Zwangsdienstes
zu akzeptieren. Was aber ist mit jenen Millionen, die keine ChristInnen
waren? Viele von ihnen brauchten keinen Schutz unter einem religiösen
Dach, um zum Töten ihrer Mitmenschen "nein" zu sagen. Für
sie war die Grundlage pazifistischer Werte ihr eigener Glaube
- religiös oder sonstwie - bzw. ihre Überzeugung, daß
der wichtigste Aspekt des Pazifismus im Glauben an die Würde
des Lebens im allgemeinen und des menschlichen Lebens im besonderen
liegt. Für sie war Leben heilig. Darüberhinaus waren
sie auch davon überzeugt, daß keine Person oder Gruppe
für sich in Anspruch nehmen kann, die letzte Autorität
in Sachen Wahrheit zu sein und daher darüber auch nicht richten
kann.
Die GründerInnen der WRI und ihre NachfolgerInnen wußten,
daß Krieg eine Folge von falschen gesellschaftlichen und
politischen Konzepten und falschem Management ist und daß
dies notwendigerweise mit der Macht des Staates und seinen Interessen
verknüpft ist. In dieser Hinsicht glaube ich, daß die
Position der WRI die eines aufgeklärten Anarchismus ist,
eine Formulierung, mit der Gandhi manchmal sein eigenes Verhältnis
zur Staatsmacht beschrieb. "Für mich", schrieb er, "ist politische
Macht nicht ein Ziel an und für sich, sondern eines der Mittel,
mit dem Menschen ihre Lebensbedingungen in allen Bereichen verbessern
können. Politische Macht bedeutet, nationales Leben durch
nationale VertreterInnen zu regulieren. Wenn nationales Leben
so vollkommen wird, daß es sich selbst reguliert, wird Vertretung
nicht mehr notwendig sein. Das ist dann der Zustand der aufgeklärten
Anarchie. In David Thoreaus Worten: "... diejenige Regierung ist
die beste, die am wenigsten regiert". (2)
Es ist offensichtlich: Um eine Welt ohne Krieg zu schaffen, muß
die Macht des Staates drastisch verringert, wenn nicht völlig
beseitigt werden.
Die WRI (früher Paco) ging im März 1923 nach England.
Die Bezeichnung Widerstand gegen Krieg wurde zum
ersten Mal gegen Ende 1922 gebraucht. Runham Brown, erster Sekretär
der Internationale, schrieb in Der Durchbruch:
"Damals bestand nur eine Geschäftsstelle ohne Vorstand oder
Komitee. Tag für Tag schrieben wir Briefe, lange Briefe,
nicht über theoretische Fragen, sondern Tatsachenberichte.
... Der Widerhall war erstaunlich. ..." (3)
Antworten kamen aus allen Teilen der Welt, die beschrieben, wie
dieselbe Idee Wurzeln in den Köpfen von Männern und
Frauen schlug, die unter den unterschiedlichsten Bedingungen lebten.
Menschen, die isoliert in unterschiedlichen Teilen der Welt
lebten, stellten fest, daß Krieg eine Perversion menschlichen
Strebens nach Frieden und Freiheit ist und daher total verworfen
werden muß. Es scheint, daß die Geschichte darauf
wartete, daß einige Menschen die notwendige Initiative ergriffen,
um die Isolierung zu durchbrechen. Innerhalb kurzer Zeit entstanden
Widerstandsgruppen gegen Krieg in ganz Europa und Nordamerika.
Im Laufe ihres Bestehens leisteten viele engagierte und äußerst
erfahrene Menschen bedeutsame Beiträge für das Wachstum
der WRI und ihre Aktivitäten. Neben dem Gründersekretär
Runham Brown zählen dazu Bart de Ligt, Fenner Brockway, Wilfred
Wellock und George Lansbury, um nur einige Namen zu nennen.
Die erste internationale Konferenz wurde 1925 in Hoddesdon,
England, abgehalten. Sie bestätigte die Erklärung, verabschiedete
eine Satzung und wählte den ersten Internationalen Rat, der
sich nicht aus VertreterInnen von Nationen zusammensetzte, sondern
aus VertreterInnen verschiedener Denkrichtungen innerhalb der
WRI. Diese Tradition ist seither stets befolgt worden, mit der
Ausnahme, daß mit dem Wachsen der Internationale gegen Ende
der 60er Jahre die Notwendigkeit entstand, neben den 12 gewählten
Mitgliedern VertreterInnen der Mitgliedsorganisationen im Rat
zu haben.
Kriegsdienstverweigerer jeden Glaubens und jeder Überzeugung
aus allen Teilen der Welt schlossen sich der WRI an. Und obwohl
es mehrere internationale Organisationen gab, die ähnliche
Arbeit machten, bestand allgemein die Auffassung, daß es
nicht den leisesten Verdacht der Rivalität zwischen ihnen
gab. In Anbetracht der Situation waren jedoch alle der Ansicht,
daß weitestgehende Zusammenarbeit erforderlich sei. Die
WRI ergriff die Initiative und eine Gemeinsame Beratende Versammlung
wurde geschaffen, der sieben internationale Organisationen angehörten.
Sie hatten alle eine für sie typische Mitgliedschaft, die
sich durch religiöse, politische oder sonstige Überzeugungen
voneinander unterschied. Aber es gab vieles, das notwendigerweise
gemeinsam getan werden sollte.
Was die Dynamik des Widerstandes gegen Krieg angeht, möchte
ich zwei Punkte ansprechen. Der eine bezieht sich auf eine Änderung
in der Formulierung der WRI-Erklärung. Die Generalversammlung
traf nach dem 2. Weltkrieg die Entscheidung, das Wort "wir" in
das Wort "ich" zu ändern. Der Grund liegt darin, daß
die letzte Verantwortung für unser Handeln beim Individuum
liegt und nicht bei irgendeiner Gruppe. Um bereit zu sein, eine
abgegebene Verpflichtung als Individuum einzuhalten, ist es notwendig,
das Wort "ich" und nicht "wir" zu gebrauchen. Ich bin der Ansicht,
daß die Änderung von "Wir sind daher ..." zu "Ich bin
daher ..." aus psychologischen wie moralischen Gründen wesentlich
war. Denn schließlich ist das Individuum die grundlegende
Einheit, auf die sich die sozialen Werte aufbauen. Die meisten
schöpferischen Aktionen beginnen beim Individuum.
Tatsache ist jedoch, daß ein einzelner Stein noch kein
Haus ausmacht. Später, etwa in den 60er Jahren, wurde erkannt,
daß kollektive Aktion gemeinsam mit individueller Aktion
einen wesentlichen Teil im Prozeß sozio- politischer Veränderung
darstellt. An dieser Stelle will ich dieses Argument nicht weiterverfolgen,
sondern lediglich die Rolle des Individuums als grundlegende Einheit
der Gesellschaft betonen.
Der zweite Punkt betrifft die Handlungsmöglichkeiten des
Menschen im Widerstand gegen Krieg, der militärischen Zwangsdienst
verweigert. Die WRI-Erklärung beinhaltet Totalverweigerung
gegen Militärdienst als absolutes Konzept. Aber gegen Mitte
der 20er Jahre wurde die Idee vom "Alternativdienst" eingebracht.
War das eine richtige Entscheidung? Auf der einen Seite half er,
die Sache bedeutend weiter zu verbreiten und machte einen weit
größeren Teil junger Männer mit den Problemen
des Militarismus vertraut. Mit anderen Worten: Er wirkte als Methode,
neue Rekruten für die Armee der Kriegsdienstverweigerer
zu werben.
Ich glaube, daß dieses Konzept pragmatisch zunächst
richtig war. Aber die führenden PazifistInnen übersahen
die Wichtigkeit, den Kriegsdienstverweigerern die Theorie des
totalen Widerstands gegen Krieg von Anfang an klar zu machen.
Es wäre notwendig gewesen zu betonen, daß Krieg total
abgelehnt werden muß. Von Anfang an hätten Kriegsdienstverweigerer
lernen müssen zu verstehen, daß Alternativdienst nur
ein vorbereitender Schritt in Richtung totaler Ablehnung des Krieges
sein kann.
Der zweite Weltkrieg
Der 2. Weltkrieg brach einen Monat nach der Ratssitzung
von 1939 in Basel aus. Obwohl der Rat wußte, daß der
Krieg die weltweite Familie der Kriegsdienstverweigerer nicht zerstören
würde, war ihm aber auch klar, daß er neue Mauern schaffen,
viele Kommunikationslinien zerstören und Zweifel bei vielen
wecken würde, die die Erklärung vor fast 18 Jahren unterschrieben
hatten. Ein wichtiges persönliches Beispiel dafür war
Albert Einstein, ein Mensch voller Mitgefühl. In früheren
Jahren hatte er in großer Ernsthaftigkeit und romantischem
Optimismus den Antimilitarismus der WRI mit viel Enthusiasmus und
Engagement unterstützt. Als die Wolken dann sichtbar wurden,
gab er seinen Antimilitarismus auf und ermutigte gleichzeitig die
Alliierten, immer tödlichere Waffen zu entwickeln, um Hitler
zu besiegen.
"Im Juli 1929 trat der Herausgeber des Christian Century
an Einstein, der tiefe Bewunderung für Gandhi geäußert
hatte, heran und befragte ihn über seine eigenen pazifistischen
Ansichten. Einstein sagte: Mein Pazifismus ist ein instinktives
Gefühl. Ein Gefühl, das mich besitzt; und den Gedanken,
einen anderen Menschen zu ermorden, verabscheue ich. Meine Haltung
ist nicht das Ergebnis einer intellektuellen Theorie, sondern
liegt in einer tiefen Antipathie gegen jede Art von Grausamkeit
und Haß." (4)
Am 11. September 1933 schrieb Einstein jedoch in seiner Antwort
auf einen Brief von G.C. Heringa: "... um zusammenzufassen: Unter
gegenwärtigen Umständen sollten realistische Pazifisten
nicht länger die Abschaffung aller Militärmacht fordern,
vielmehr sollten sie ihre Internationalisierung anstreben. Nur wenn
solch eine Internationalisierung erreicht ist, wird es möglich
sein, auf die Reduzierung militärischer Macht bis herunter
zu einer internationalen Polizeimacht hinzuarbeiten." (5)
Offensichtlich muß eine Erklärung, die von jemandem
wie Einstein kam, dem Staat moralische Unterstützung gegeben
haben, noch stärkere nationale Militärstreitkräfte
zu schaffen. Sie muß ebenfalls Anlaß für jene
Leute gewesen sein, ihren Pazifismus aufzugeben, die die sozialen
und politischen Implikationen des Widerstands gegen Krieg nicht
wirklich erfaßt hatten, obwohl sie die WRI-Erklärung
unterschrieben hatten. Man kann die Tatsache nicht ignorieren,
daß die Liebe für das Mutterland und der Glaube an
einen gerechten Krieg oder die Furcht vor der Macht des Staates
viele dazu veranlaßt haben muß, ihren Pazifismus aufzugeben.
Als die britische Sektion der WRI, die Peace Pledge Union, 1936
gegründet wurde, haben fast 140 000 Männer und Frauen
die Erklärung unterschrieben. Als aber der Krieg ausbrach,
hielten nur wenige tausend an der Erklärung fest. Es war
in der Tat ein Rückschlag für die Bewegung. Gleichzeitig
öffnete es jedoch die Augen.
Mit dem, was ich zu dieser Frage gesagt habe, möchte ich
nur nochmals die Position der WRI wiederholen, daß Krieg
ein Verbrechen gegen die Menschheit ist und darum
bedingungslos abgelehnt werden muß. Trotz des Rückschlags
ermutigte die WRI auch weiterhin junge Männer, nicht zur
Armee zu gehen.
Der Glaube an die Vorrangigkeit menschlicher Würde veranlaßte
die WRI, sich den Opfern des Krieges zuzuwenden. Sie arbeitete
in außerordentlich bewundernswerter Weise daran, vielen
Kriegsflüchtlingen praktische Hilfe zu geben, indem sie Heime
für sie unterhielt, insbesondere für Waisenkinder. Sie
organisierte vor allem die Lansbury Farm in England, die britischen
KDVern die Möglichkeit alternativer Arbeit bot. Die WRI hat
auch tausenden von Flüchtlingen während des Spanischen
Bürgerkrieges praktische Hilfe gegeben. Diese Arbeit war
bewundernswert, nicht nur weil sie eine Tat der Menschlichkeit
war und unter äußerst schwierigen und riskanten Bedingungen
geleistet wurde, sondern sie war der richtige Schritt, um die
Kerze am Brennen zu halten. Darüber hinaus half sie, eher
unterbewußt, eine andere wesentliche Seite des Pazifismus
zu betonen: die sozio-ökonomische Rekonstruktion der Gesellschaft.
In mancher Hinsicht enthielt sie die Saat des gandhischen Kontruktiven
Programms, eine der zwei Seiten von Gandhis Freiheitskampf - wobei
die andere Satyagraha ist (gewaltloser Widerstand
gegen Ungerechtigkeit).
Von 1940 bis 1946 konnten regelmäßige Konferenzen
und Ratssitzungen nicht stattfinden. Daher wurde 1945 der Vorschlag
gemacht, regionale Konferenzen abzuhalten. Er besagte, daß
wieder ein Anfang für die größeren Aufgaben der
Internationale gemacht werden müsse. Den Menschen des Widerstandes
gegen Krieg wurde klar, daß es zur Beseitigung des Krieges
aus der menschlichen Welt zwingend notwendig sei, daß Widerstand
gegen Krieg in seiner umfassendsten Bedeutung verstanden werden
müsse. Die Wichtigkeit der Arbeit, die vom WRI-Büro
- dem Vorsitzenden Runham Brown und der Sekretärin Grace
Beaton - getan wurde, kann nicht genug hervorgehoben werden.
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Zu den bemerkenswerten Entwicklungen dieser Zeit zählen:
- Die Menschen des Widerstands gegen den Krieg gingen mit neuem
Elan an ihre Antikriegsarbeit, was vor allem Opposition gegen
militärischen Zwangsdienst bedeutete, eine Institution,
die es in den meisten Ländern gab. Es war offensichtlich,
daß die WRI dieser Frage erneut große Aufmerksamkeit
widmete, da es Grundlage und Anfang aller WRI-Arbeit sein muß.
- Im Anschluß an eine Auswertung der vergangenen Erfahrungen
und der Ereignisse rund um die Welt, fanden viele PazifistInnen,
daß es notwendig sei, die sozio-ökonomischen Implikationen
des Pazifismus mehr in den Vordergrund zu rücken. Das wichtigste
Ereignis, das PazifistInnen beeinflußte, war der Erfolg
von Indiens Freiheitskampf unter der Führung von Mahatma
Gandhi, der neues Licht auf die Macht der Gewaltlosigkeit warf.
Das Welttreffen der PazifistInnen 1948 in Indien war ein Schritt,
der ernste Diskussionen über die Zukunft der Bewegung in
Gang brachte. Die WRI spielte eine bedeutende Rolle bei der
Organisierung des Welttreffens der PazifistInnen. Unglücklicherweise
starb Runham Brown unmittelbar vor diesem PazifistInnentreffen.
- Kaum war der Krieg zuende, begann der Kalte Krieg - die Bildung
der beiden Blöcke. Es war eine weitere Herausforderung
für die sozialen RevolutionärInnen gegen Krieg, um
Lösungen für die Probleme zu finden, die durch den
Kalten Krieg geschaffen wurden - nämlich die Teilung der
Welt in zwei Blöcke. A.J. Muste arbeitete an dieser Frage,
und in seiner Rede vor der Dreijahreskonferenz 1954 stellte
er die Idee des Dritten Weges vor. Zur selben Zeit wurde das
Konzept der Blockfreiheit geboren.
- Die wohl größte und dringendste Frage, die das
Denken all derer beschäftigte, die sich um die Sicherheit
der Menschheit sorgten, war die Atombombe. Obgleich die Kampagne
für atomare Abrüstung genau genommen nicht aus einem
pazifistischen Konzept heraus entstanden war, waren die meisten,
die die Initiative zur Organisierung der Kampagne ergriffen,
PazifistInnen. Zu Recht oder Unrecht verhielt sich die WRI ihr
gegenüber ziemlich gleichgültig. Trotz der Entwicklungen
innerhalb der WRI, besonders auf philosophischer Ebene, die
bedeuteten, daß das Bewußtsein für ein umfassenderes
pazifistisches Konzept für gesellschaftliche Veränderung
gewachsen war - ein Konzept, wie es von Gandhi propagiert und
demonstriert worden war - wagte es die WRI als ganze nicht,
mit einem umfassenden Programm für Widerstand gegen Krieg
und gesellschaftliche Veränderung hervorzutreten. Sie konnte
weder eine aktive Beziehung zu den umfassenderen Konsequenzen
der Antiatombewegung herstellen, noch die Situation nutzen,
um Strategien für ein allumfassendes gewaltloses Konzept
für gesellschaftliche Veränderung zu entwickeln.
Die sechziger und siebziger Jahre Die 60er und 70er Jahre brachten weitere Elemente gewaltloser
sozialer Revolution in das pazifistische Programm. In den USA verstärkte
die Arbeit von Martin Luther King und in Europa die von Danilo Dolci
und Lanza del Vasto und anderen die Erfordernisse eines umfassenden
Konzeptes für Frieden und Freiheit. Ein Mitarbeiter Gandhis
übernahm 1962 die Leitung des WRI-Büros. Er versuchte,
Gandhis Perspektive in der Arbeit der Internationale zu verstärken.
In seiner bescheidenen Weise versuchte er, die Barrieren zwischen
der westlichen Welt und dem, was die "Dritte Welt" genannt wurde,
zu überwinden, allerdings praktisch ohne Erfolg. Trotz mehrerer
Erklärungen und guter Absichten gelang es der WRI nicht, wirkliche
Beziehungen zur "Dritten Welt" herzustellen - weder zu ihrer Kultur
und Geschichte noch zu ihren Bedürfnissen. Sie versuchte weiterhin,
den Menschen der Dritten Welt und ihrem Denken das Konzept des Antimilitarismus
nahezubringen, in dem Glauben, daß es dies ist, was die Welt
eigentlich braucht.
Die führenden PazifistInnen konnte nicht verstehen, daß
der Krieg als solcher nicht das eigentliche oder gar das große
Problem für die afro-asiatischen Gesellschaften darstellt.
Es ist wahrscheinlich, daß das Gefühl eines kolonialistischen
Überlegenheitskomplexes, den der Westen gegenüber afrikanischen
und asiatischen Gesellschaften entwickelt hatte, eine Blockade
im Denken ihrer Menschen geschaffen hatte. Das gab ihnen wahrscheinlich
ein Gefühl der Verantwortung, die Dritte Welt zu erziehen.
Selbst einige der besten und verständigsten PazifistInnen
konnten ihr koloniales Denken nicht ablegen.
Nach wie vor besteht eine breite Kluft zwischen der WRI und
den afro-asiatischen Ländern. Eine echte Schwester- und Brüderlichkeit
zwischen ihnen muß erst noch hergestellt werden. Eine Änderung
der Einstellung unter den westlich orientierten AktivistInnen
und das Verständnis für die Dynamik der Macht in den
afro-asiatischen Gesellschaften muß erst noch entwickelt
werden, wenn der radikale Pazifismus seine Rolle spielen soll,
eine Welt ohne Krieg zu schaffen.
Eine wichtige Aktion der WRI war, daß die Kriegsdienstverweigerung
auf die Tagesordnung der Menschenrechtskommission der Vereinten
Nationen gesetzt wurde. Ein weltweiter Aufruf wurde in Gang gebracht
und der Kommission mit 40 000 Unterschriften für die Anerkennung
der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissengründen gegen Militärdienst
als grundlegende Menschenrecht vorgelegt. Zweifellos hat dies
zu einer Verbreiterung der KDV-Bewegung geführt.
Es gibt keinen Zweifel daran, daß in der Sache des Widerstands
gegen die Institution des Krieges die WRI in der vordersten Front
gewesen ist. Eine gewagte und einfallsreiche Aktion der WRI war
das öffentliche Verteilen von Flugblättern, mit denen
US-Soldaten aufgefordert wurden, sich zu fragen, ob der Krieg,
den sie in Vietnam führten, in irgendeiner Weise gerechtfertigt
werden könne.Wenn sie zu der Ansicht kämen, daß
er sinnlos und unmenschlich sei, sollten sie da nicht eine entschiedene
Haltung dagegen einnehmen? Das wenigste, was sie dagegen tun könnten,
wäre, sich zu weigern, an die Front zu gehen. Dies Flugblatt
gab den desillusionierten und frustrierten US-Soldaten zusätzliche
Stärke und Vorstellungskraft. Fast eine Million gingen AWOL
(Abwesenheit von der Truppe ohne Erlaubnis) oder desertierten
von der Truppe. Es wird angenommen, daß zu den wichtigsten
Kräften und Faktoren, die zum Ende des US-Krieges in Vietnam
führten, die massive Weigerung der Jugend Amerikas zählte,
in Vietnam zu kämpfen und ihr Leben für nichts und wieder
nichts zu opfern.
Die Freiheitskämpfe der unterdrückten und ausgeraubten
Völker in vielen Teilen der Erde, besonders in Lateinamerika
und die StudentInnenunruhen von 1968 in Europa und den USA stellten
den PazifistInnen die Frage nach der Beziehung zwischen Frieden
und Freiheit. Ich erinnere mich, daß ich 1967 in Amerika
war, als Martin Luther King verkündete, daß für
ihn Frieden und Freiheit zwei Seiten derselben Medaille seien.
Er war zu dieser Schlußfolgerung nach sechs Monaten meditativen
Nachdenkens und Introspektion gekommen.
Die große Frage war: Ist Kämpfen für die eigene
Befreiung ungerecht? Es war dasselbe Dilemma, dem sich Albert
Einstein gegenübersah. Einstein gab seinen Pazifismus auf.
Sollten die PazifistInnen jetzt dasselbe tun?
Das Dilemma zwang die WRI dazu, ihre Haltung in dieser Frage
zu klären. Auf seiner Sitzung in Wien 1968 gab der Rat der
WRI eine Erklärung über Freiheitsbewegungen und
die WRI (6) ab.
Sie begann wie folgt:
"Die WRI ist in erster Linie eine Freiheitsbewegung.
Wir arbeiten für das Recht des Menschen auf Freiheit: die
Freiheit, ohne Hunger, Krieg und Seuchen zu leben; die Freiheit
ohne wirtschaftliche, soziale, rassische und kulturelle Ausbeutung
zu leben; die Freiheit des Individuum, sich zu entfalten und seine
Anlagen als schöpferische Wesen voll zu entwickeln; die Freiheit,
soziale Fähigkeiten zu entwickeln, Fähigkeiten, die
so oft durch autoritäre Strukturen gehemmt und entstellt
worden sind und die den Menschen befähigen, in Gemeinschaft
zu leben und sich über Egoismus zu erheben. ..."
Der Titel der 13. Dreijahreskonferenz 1969 war Befreiung und
Revolution - Gandhis Herausforderung. Jene Zeit war, verursacht
durch den Vietnamkrieg, durchtränkt mit Frustration und Mißtrauen.
Der gesamte Trend auf dieser Konferenz war eine Art von Fortsetzung
desselben Dialogs: Worin besteht die Rolle pazifistischer Bewegungen
heute? Es gab einige sehr gute Antworten, aber kein Aktionsprogramm
kam zustande.
Die anderen gewagten Aktionen der WRI waren:
- der Widerstand gegen die Invasion der UdSSR in der Tschechoslowakei
und
- die Aktion gegen Pakistans Invasion in Bangladesch (Operation
Omega).
Beide zeigten das Potential pazifistischer Bewegungen im allgemeinen
und der WRI im besonderen, eine integrierte Perspektive für
eine neue Welt zu schaffen - eine Welt ohne Krieg, eine Welt ohne
Große Brüder und eine Welt, in der Freiheit
und Würde des Lebens oberste menschliche Werte sind.
Die Art und Weise wie die WRI größer wurde und die
Rolle, die ihre GründerInnen und ErbauerInnen gespielt hatten,
gaben die Richtung an, in die die Internationale gehen sollte
und die die Erklärung von Wien 1968 so treffend mit den Worten
formulierte: "Die WRI ist in erster Linie eine Freiheitsbewegung.
..." Die Menschen, die die Bewegung steuerten, z.B. Runham Brown,
Wilfred Wellock, Bart de Ligt u.a. waren SozialrevolutionärInnen.
Sie müssen eine Welt vor Augen gehabt haben, die frei sein
würde nicht nur vom Militarismus sondern auch von autoritären
Strukturen, Ausbeutung und Ungleichheit. Wie können sie sonst
diese Erklärung entworfen haben: "Ich bin daher entschlossen,
... an der Beseitigung aller Ursachen des Krieges mitzuarbeiten."
Darüberhinaus haben der Internationale Rat und die Generalversammlung
mit den Implikationen der Erklärung
von Anfang an beschrieben und immer wieder bestätigt was
sie für die Kriegsursachen halten: Kolonialismus und
wirtschaftlicher Imperialismus, Intoleranz, wirtschaftliche
Ungerechtigkeit, ständige militärische Kampfbereitschaft,
Nationalismus und der Staat als oberste Autorität.
(7)
Die achtziger Jahre Die Geschichte ist ein eigenartig Ding. Es scheint, daß
sie ständig mit den Menschen spielt, aber gleichzeitig Lehren
erteilt und Alternativen eröffnet. Die Ereignisse in den Ländern
Osteuropas gegen Ende des vorigen und zu Beginn dieses Jahrzehnts
haben, oder besser gesagt, sollten uns einige Lehren erteilt haben.
Es schien mir, als hätte die Sonne aus allen Richtungen geschienen,
um der Menschheit die Torheiten zu zeigen, mit denen sie gelebt
hat.
Als wenn Gandhi mir im Traum mit einem Augenzwinkern gesagt
hätte. "Habe ich es nicht gesagt ...". Aber ich sollte nicht
garstig zu ihm sein. Er wäre nie so egozentrisch gewesen.
Er hätte wahrscheinlich zu mir gesagt: "Mein Lieber, es war
höchste Zeit, daß Du etwas aus der Sache lernst."
Ich bin beunruhigt, wenn ich höre, daß Menschen vom
WRI-Podium aus ihre Freude über den Tod der
Sowjetunion zum Ausdruck bringen. Obgleich das Ende solch eines
Regimes auf jeden Fall unvermeidlich und wünschenswert war,
ist es tragisch zu sehen, daß manch ein/e FriedensarbeiterIn
es für den Tod des Sozialismus schlechthin hält
und sich darüber freut. Sie hielten die Sowjetunion für
sozialistisch. In Wirklichkeit jedoch bot das Ende
der Sowjetunion die Gelegenheit, die Realitäten menschlicher
Natur und Bedürfnisse zu entdecken. Es war eine Gelegenheit
zu verstehen, was wirklicher Sozialismus sein sollte. Unglücklicherweise
hat diese Art von Freude über das Ende der sozialistischen/kommunistischen
Regime in den Köpfen vieler einfacher Menschen ein Gefühl
erzeugt, daß der Kapitalismus unvermeidlich und sogar wünschenswert
ist.
Ich habe an der Konferenz über Soziale Verteidigung in
Bradford vor ein paar Jahren teilgenommen (die Konferenz wurde
1990 von der WRI zusammen mit dem Internationalen Versöhnungsbund
und der Bradford School of Peace Studies der Universität
Bradford organisiert, d.Übers.). Ich war traurig, als ich
hörte, daß mehrere TeilnehmerInnen, denen große
Ehre eingeräumt wurde, Ärger und Haß gegen den
Sozialismus zum Ausdruck brachten. Ich wünschte mir, die
WRI wäre in ihrem Verständnis von dem Zusammenbruch
des Sowjetregimes etwas klüger gewesen.
Die Arbeit, die die WRI seit dem Zusammenbruch des Sowjetblocks
getan hat, ist bewundernswürdig. Die Gründung von Gruppen
von gewaltlosen AktivistInnen in Osteuropa ist ein ermutigender
Anfang für eine Nie Wieder Krieg Bewegung in diesen Ländern,
die unter der repressiven sogenannten Diktatur des Proletariats
lebten, wo die Freiheit des Gewissens des Individuums fast fünfzig
Jahre lang ermordet wurde. Ich schätze das WRI-Sekretariat
aufrichtig für ihre Initiativen und harte Arbeit in dieser
Richtung.
Aber die Frage bleibt: Wie soll es weitergehen? Es scheint, daß die Internationale einen Stand erreicht
hat, in dem eine Erneuerung und Wiederbelebung ihrer Strategien
ernsthaft überlegt werden sollte.
Es besteht kein Zweifel darüber, daß die aus tiefer
Überzeugung kommenden Opfer hunderttausender Männer
und Frauen gegen militärische Zwangsdienste in den Völkern
überall in der Welt ein größeres Bewußtsein
von der Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit des Militarismus erzeugt
hat. Und obwohl die meisten Menschen sich keine Alternative zum
Krieg vorstellen können, verherrlichen sie Krieg nicht mehr
als den Retter menschlicher Werte.
Allerdings sollten wir daran denken, daß sich der Charakter
des Krieges besonders seit dem Vietnamkrieg, der sich zu einem
elektronischen Krieg entwickelt hatte, drastisch
verändert hat. Von Staaten geführte Kriege erfordern
heute keine Wehrpflichtarmeen mehr. Der Staat kann heute Kriege
führen, ohne den Massen Zwangsdienste aufzuerlegen. Sein
Bedarf an Zwangsdiensten sieht heute anders aus. Darum müssen
auch die Strategien der WRI im Kampf gegen Zwangsdienste geändert
werden.
Obwohl die WRI weiterhin gegen militärischen Zwangsdienst
arbeiten wird, wird sie das nicht nur im Zusammenhang mit Militarismus
tun, sondern alle Zwangsdienste als Werkzeug in der Hand des Staates
ablehnen. Als Anfang und Mitte der 60er Jahre Wehrpflichtige über
die verschiedenen Ebenen der Opposition gegen militärischen
Zwangsdienst diskutierten, sah sich die Rat veranlaßt, die
Position der WRI in diesem Zusammenhang zu klären. 1967 gab
der Rat eine Erklärung, aus der ich hier zitiere:
"Die WRI ist gegen alle Zwangsdienste - sei es für militärische
oder zivile Zwecke - und fordert ihre völlige Abschaffung.
... Die WRI bestätigt nochmals, daß ihre Kampagne gegen
Zwangsdienste nur Teil ihres Kampfes gegen Krieg und seine Ursachen
und für die Errichtung einer gewaltlosen Gesellschaftsordnung
ist." (8) Eine Studie
der Geschichte der WRI zeigt klar, daß die grundlegende
Inspiration für die Gründung der WRI nicht der Antimilitarismus
allein war. Letztenendes war es das Streben nach grundsätzlicher
Veränderung unserer sozio- politischen Ordnung, so daß
daraus schließlich eine Welt ohne Krieg entstehen kann.
Es muß allerdings zugegeben werden, daß die WRI
- und auch keine andere pazifistische Organisation - nicht einen
Aktionsplan vorlegen konnte, um die Veränderungen zustande
zu bringen, die zu einer gewaltlosen Gesellschaftsordnung führen
könnten. In den 30er Jahren war Bart de Ligt wahrscheinlich
der entschiedendste Propagandist für eine gewaltlose Gesellschaftsveränderung.
Sein Briefwechsel mit Gandhi zeigt, wie hart er daran arbeitete,
um den Prozeß für gewaltlose Gesellschaftsveränderung
in pazifistischen Kreisen voranzubringen. Das geschah so sehr,
daß er die Aktionen und Ideen Gandhis heftig kritisierte,
die er - zu Recht oder Unrecht - für Kompromisse mit dem
Staat hielt. Ich bin mir ganz sicher, daß er wunderbare
Absichten hatte und auch optimistisch war. Aber ich sehe auch,
daß er kein praktisches Programm hatte, dies Ziel zu erreichen.
Ich mache niemandem die Hilflosigkeit zum Vorwurf, die viele
in der gegenwärtigen Situation fühlen. Ich schreibe
dies Phänomen der Historizität der Ereignisse des zwanzigsten
Jahrhunderts zu. Ich betrachte dies als einen Schritt im Prozeß
der menschlichen Entwicklung. Unsere Erfahrung hat geholfen, die
Krankheit zu diagnostizieren. Aber wir haben die Heilmethode noch
nicht gefunden. Die meisten DenkerInnen, die MarxistInnen eingeschlossen,
haben ihre Utopien hochgehalten. Aber keiner von ihnen konnte
den Weg zu seiner/ihrer idealen Welt entdecken. Was die MarxistInnen
für die Dämmerung des Sozialismus hielten, stellte sich
als das größte Desaster heraus und hat dem Sozialismus
selbst geschadet.
Vielleicht war Gandhi bis zu einem gewissen Grade erfolgreich.
Er konnte eine einigermaßen klare Richtung angeben, welcher
Weg zu gehen ist. Aber sobald Indien die ersten Schritte in diese
Richtung nahm, kamen einige VerehrerInnen der sogenannten modernen
Industrialisierung an die Spitze und sagten, daß der Weg
in Richtung gewaltloser Gesellschaftsveränderung in der modernen
Welt der Technik nicht mehr realistisch und erstrebenswert sei.
Es war aber auch nicht der Weg, der ins Zeitalter des Überflusses
führte, wie ihn ProphetInnen des Materialismus wie John Maynard
Keynes oder Karl Marx versprochen hatten. Der Weg zur gewaltlosen
sozialen Revolution war vorläufig blockiert.
Ich will nicht den Fehler machen zu denken, daß ich die
Antwort habe. Aber ich weiß, daß einige vielleicht
die Antwort haben. Auch bin ich der festen Ansicht, daß
die Antwort, nach der wir suchen sollten, nicht aus akademischen
Übungen oder theoretischen Projektionen kommt. Sie wird von
denen kommen, die entsprechende Erfahrungen haben und die ihre
intellektuellen, rassischen, kulturellen, technischen, mystischen,
religiösen oder sonstigen Ichbezogenheiten ablegen können.
Es wird eine kollektive Suche nach der Wahrheit des Lebens sein
müssen.
Ich habe festgestellt, daß im Prozeß gewaltloser
revolutionärer Veränderung Widerstand gegen Militarismus
und Unrecht allein nicht genug ist. Es sollte ein anderes Element
geben, das als integraler Bestandteil unseres Kampfes dazugehört.
Die Schaffung von Alternativen ist gleichermaßen wesentlich.
Man kann es alternative Lebensweise nennen, die auf Werten aufbaut,
die die menschlichen Gesellschaften miteinander und die menschliche
Gesellschaft mit der Natur vereinen.
Beide - Widerstand und Rekonstruktion - dürfen nicht nebeneinander
hergehen, sondern müssen vollkommen miteinander integriert
sein. Das ist es, wie ich die WRI-Erklärung verstehe.
Devi Prasad
Übersetzung: Wolfgang Zucht
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