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"Was würde ich machen, wäre ich heute in Spanien?"
Der spanische BürgerInnenkrieg - Eine Herausforderung für
die antimilitaristische Bewegung (1)
Der Krieg in Ex-Jugoslawien und der spanische
BürgerInnenkrieg sind nicht direkt vergleichbar. Es gibt
eine Reihe bedeutender Unterschiede zwischen Spanien 1936 und
dem Bosnien von heute - in der Kultur der Länder, dem internationalen
Kontext usw. Dennoch hatten beide Kriege eine einschneidende Bedeutung
für die internationale pazifistische Bewegung. VertreterInnen
der Friedensbewegung haben im Falle Ex-Jugoslawiens nach militärischen
Interventionen gerufen, genauso wie während des spanischen
BürgerInnenkrieges PazifistInnen bis hin zum damaligen Vorsitzenden
der WRI ihren Pazifismus aufgegeben und eine bewaffnete Unterstützung
der spanischen Republik und der AnarchistInnen gefordert haben.
Im Hinblick auf heutige und zukünftige Kriege ist daher ein
Blick auf die antimilitaristische Diskussion zum spanischen BürgerInnenkrieg
äußerst spannend. (Red.)
Die Totalverweigerer haben keine historische Erinnerung.
Vielleicht ist das einer der Gründe für ihren Erfolg,
daß sie nicht wissen, daß sie eine Geschichte haben
und sich in den Widersprüchen einer endlosen Gegenwart unvoreingenommen
neu erschaffen.
Ohne die Absicht, diese joie de vivre ("Lebensfreude")
der "Ungehorsamen" (*)
zu trüben, scheint es angebracht, in diesem Jahre voller
Gedenktage an unheilvolle Ereignisse die ersten Schritte des spanischen
Antimilitarismus der dreißiger Jahre dem Vergessen zu entreißen.
Es handelt sich um eine bescheidene Erfahrung, die, wie die Wahrheit,
eine der ersten Opfer des Krieges wurde und über Jahrzehnte
unter der Geschichtsschreibung der Sieger, der epischen Nostalgie
der Besiegten und der Ignoranz ihrer späteren ErbInnen begraben
war.
Das Entstehen der antimilitaristischen Bewegung während
der II. Republik war in der Hauptsache das Ergebnis des Zusammentreffens
zweier Strömungen: auf der einen Seite die bodenständige
Tradition der Opposition gegen das Militär, in spontanen
Formen der Flucht vor der Wehrerfassung wie in der organisierten
Richtung aus der ArbeiterInnenschaft. (Opposition gegen die Feldzüge
in Marokko, Generalstreik von Barcelona 1909, anarchistische Zirkel
etc.); auf der anderen Seite die pazifistischen Echos, die generell
auf den ersten Weltkrieg folgten, und die War Resisters' International
als ihr besonders organisierter Ausdruck.
Die wenigen Zeugnisse, die wir noch von den spanischen AntimilitaristInnen
der Epoche besitzen, reden uns von den Hoffnungen, die vom republikanischen
Regime und seinen Reformen in der Verfassung von 1931 angefacht
wurden, wie die Trennung von Kirche und Staat, die politische
und Religions-Freiheit oder die Abschaffung der Todesstrafe. Besonders
ermutigend war der Text des Artikels sechs der Verfassung: "Spanien
verzichtet auf den Krieg als Instrument der nationalen Politik",
er nahm die Formulierung auf, die im Briand-Kellogg-Pakt von 1928
das allgemeine Verbot des Krieges vorsah (das natürlich in
der spanischen Verfassung später niemals wieder aufgenommen
wurde). Das Scheitern des Staatsstreichs des Generals Sanjurjo
1932 und die fortschrittlichen Maßnahmen der ersten Zeit,
besonders die der Militärreform Anzañas, wurden gleicherweise
in den antimilitaristischen Medien gefeiert. (2)
Diese anfänglichen Hoffnungen verschwanden in dem Maße,
in dem die Grenzen der republikanischen Programme bemerkbar wurden,
besonders seit der Unterdrückung von Casas Viejas 1933, so
daß die AntimilitaristInnen definitiv Positionen ähnlich
denen, die in der spanischen Linken in Bezug auf die II. Republik
dominierten, annahmen. Die Meinungsverschiedenheiten mit dem Rest
der Linken sollten in der Hauptsache aus der Kritik am Gebrauch
gewaltsamer Mittel durch die ArbeiterInnenbewegung kommen, eine
Frage, deren Relevanz sich, wie wir nachfolgend sehen werden,
während der revolutionären Ereignisse von 1934 enthüllen
sollte.
Die Republik, die antimilitaristische Bewegung und die revolutionäre
Gewalt
Die ersten Nachrichten von der antimilitaristischen Bewegung zur
Zeit der Republik gehen auf 1932 zurück, mit der Gründung
des "Orden del Olivo" durch José Brocca, eine Gruppe, die
vom ersten Augenblick an in die WRI integriert war. Die Presse der
WRI informierte pünktlich von London aus über die Tätigkeit
dieses ursprünglichen Kerns, weshalb Nachrichten zu uns gelangt
sind wie die einmütige Annahme einer Resolution bei der Jahreskonferenz
1932 der Provinzialföderation der Gewerkschaften von Almería,
die die Abschaffung des obligatorischen Militärdienstes, das
Verbot der Herstellung von Waffen und den Rückzug aus Marokko
forderte, wobei gleichzeitig die Erklärung der WRI unterzeichnet
wurde. (3) Die Sektion
der sozialistischen Partei von Almería, die AntimilitaristInnen
in ihren Reihen zählte, verabschiedete ebenfalls Resolutionen
auf derselben Linie. Diese Standortbestimmungen wurden in Barcelona
von der "Asociación de Idealistas Prácticos" (Vereinigung der praktischen
Idealisten) unterstützt, die ebenfalls beschloß, sich
der WRI anzuschließen.
Anfang 1934 schätzte man die verschiedenen Gruppen rund
um den Orden del Olivo auf mehrere hundert AktivistInnen,
die Aufgaben wie Werbung, Publikation einer Wochenzeitung, öffentliche
Aktionen, Radioprogramme etc. wahrnahmen. Die Ideen der WRI fanden
die beste Aufnahme in Katalonien, mit der Verbreitung eines Manifestes
an die katalanische Jugend, das zum Widerstand gegen den Krieg
aufrief, der Organisation verschiedener Seminare mit antimilitaristischer
Thematik und mit einem ArbeiterInnenkomitee für antimilitaristische
Aktion in Barcelona.
Während nach den revolutionären Ereignissen von Oktober
1934 SozialistInnen und AnarchistInnen den gescheiterten ArbeiterInnenaufstand
verherrlichten, distanzierte sich die antimilitaristische Presse
von jeder epischen Lektüre, bezeichnete die Ereignisse als
"brudermörderischen Kampf" und unterstrich ihre unheilvollen
Konsequenzen:
"Krieg ist Krieg ... Wahnsinn, Mord, Blut, Zerstörung,
Elend. Als der Aufstandsversuch zermalmt wurde, war die Uneinigkeit
der Arbeiter vollständig. Die neutralen Massen, die für
sich selbst keine Überzeugungen haben und von den letzten
und stärksten Eindrücken beeinflußt werden, gingen
aus Angst und getragen vom Instinkt zu überleben zu den Rechten
über. Die proletarischen Parteien und die der Linken verloren
durch den Gebrauch der Gewalt fast alle ihre Positionen."
Die Debatte über die Legitimität und Gebotenheit der revolutionären
Gewalt war nicht neu. Der Holländer Bart de Ligt, herausragender
zeitgenössischer Ideologe der WRI und mit der libertären
ArbeiterInnenbewegung verbunden, informierte in einer Studie über
den spanischen Krieg, die 1938 publiziert wurde, über die Versuche
der holländischen SyndikalistInnen, die, "ohne aus Prinzip
gewaltfrei zu sein", in der Internationalen Arbeiterassoziation
(IAA) "den systematischen Gebrauch gewaltfreier Methoden" verteidigt
hatten, weil "die Entwicklung der Kriegstechnik eine vollständige
Revision der revolutionären Taktiken verlangt." De Ligt beobachtete,
daß bei der IAA "diese Propaganda auf starke Opposition bei
den spanischen Syndikalisten und Anarchisten stieß, was umso
beklagenswerter war, als die spanische Arbeiterbewegung, speziell
die CNT und die FAI, über lange Zeit hinweg schlagende Beweise
für die Wirksamkeit der beschriebenen (gewaltfreien, d.A.)
Methoden (Streik, Boykott, Nichtzusammenarbeit, d.A.) gegeben hat."
(4)
Der Orden del Olivo zeigte sich in diesem Sinne
kritisch gegenüber den Ereignissen von 1934, besonders im
Lichte des Ergebnisses, das auch seine eigenen Reihen betraf.
Auch wenn die antimilitaristischen Agitationsarbeiten formell
verboten waren, wurden sie weitergeführt, gelegentlich in
Zusammenarbeit mit Gruppen wie dem Theosophischen Lyzeum,
der Gesellschaft für psychische Forschung, der
Vereinigung der Medizinstudenten, der Gesellschaft
junger christlicher Spiritisten und anderen Äußerungen
der buntgescheckten republikanischen Fortschrittsbewegung, abgesehen
von den wichtigen Verbindungen zu den sozialistischen und anarchistischen
ArbeiterInnenaktivitäten.
Kriegsdienstverweigerung im republikanischen Spanien der 30er
Jahre
Ähnlich wie bei der Totalverweigerung unserer Tage wurde die
zivile Gehorsamsverweigerung dem Heer gegenüber als zentrales
Thema angesehen. So übernahm man Erfahrungen wie die des zivilen
Postfliegers Quirados J. Gou, der von der Regierung bestraft wurde,
weil er sich 1934 geweigert hatte, an den Luftbombardierungen der
ArbeiterInnenstellungen in Asturias teilzunehmen. 1935 weigerten
sich zwei junge katalanische Anarchisten öffentlich, ihren
Militärdienst abzuleisten und beschlossen, sich den Autoritäten
zu stellen. Inmitten einer antimilitaristischen Unterstützungskampagne
wurden sie nach vier Tagen Haft freigelassen, wobei man sich auf
ihren "verwirrten" Zustand bezog. Nach ihrer Freilassung verkündeten
sie in der Öffentlichkeit die Motive ihres Ungehorsams, und
ihr Beispiel diente als Vorbild für eine Gruppe von etwa einhundert
jungen Männern, die sich bereit erklärten, "jeden Militärdienst"
zu verweigern, also Totalverweigerer avant la lettre (im
reinsten Sinne).
Der Triumph der Volksfront im Februar 1936 eröffnete, auch
wenn er die unheilvolle Zeit der Rechtsregierung beendete, eine
Etappe der Instabilität, die die spanischen AntimilitaristInnen
mit wahrer Mutlosigkeit betrachteten. Im Juni dieses Jahres machten
sie ebenso die Regierung wie die Arbeiterbewegung für eine
Situation verantwortlich, deren Gründe sie als "viele und
komplexe" definierten. Wenn Azaña aufgrund "übertriebener
Konzessionen an die Feinde der Republik", nämlich an die
wirtschaftliche und militärische Rechte, verantwortlich war,
war die ArbeiterInnenbewegung Objekt der Kritik, weil "sie an
militärischen Übungen Gefallen findet" und "sich für
die gewaltsamste Aktion ausspricht". Während sich das Land
am Rand des Krieges befand, stellten sie fest, daß die schlimmsten
Folgen aus einer Situation entstehen würden, in der es "überall
eine Explosion von Haß und Drohungen gibt". Die Seiten von
"The War Resister" (London) faßten die Haltung
der spanischen AntimilitaristInnen Mitte Juni 1936 in den folgenden
Worten zusammen:
"Die Kommunisten und Sozialisten suchen eine 'rote' Diktatur,
die sich in Largo Caballero personifiziert, während die
Parteien der 'Rechten' die Hoffnung hegen, daß in dem
Maße, in dem die Unruhen die Verkündung eines Kriegsrechts
erfordern, die Soldateska die Gelegenheit nutzen kann, um sich
als Diktatur zu erheben und einen Faschismus reinsten Wassers
zu etablieren." (**)
Einige wenige Wochen sollten genügen, um diese Befürchtungen
Wirklichkeit werden zu lassen, was auf jeden Fall nicht die Organisation
neuer Initiativen behinderte. So schloß die letzte Schrift,
von der wir vor der faschistischen Erhebung wissen:
"In dieser stürmischen Atmosphäre hat sich
die 'spanische Liga der Kriegsgegner' als Mitglied der War Resisters'
International gebildet. Im gegenwärtigen Augenblick repräsentiert
diese Bewegung nicht mehr als eine Gruppe überzeugter Enthusiasten.
Eine intensive Propagandakampagne für die Prinzipien und
Taktiken des Widerstandes gegen den Krieg entsteht und findet
die günstigste Aufnahme bei anarchistischen Organisationen
und in der CNT, die für Spanien sehr wichtig ist. Bis das
Kriegsfieber, das zum gegenwärtigen Augenblick hoch ist,
wieder nachläßt, kann man kein schnelles Wachstum oder
schnelle Verbreitung voraussagen, aber ein Anfang ist gemacht."
Auf diese Weise wurde die spanische Liga der Kriegsgegner als spanische
Sektion der WRI gegründet, mit Frau Dr. Amparo Poch y Gascón
als Präsidentin, Fernando Oca del Valle als Sekretär,
José Brocca als Vertreter im Rat der WRI und anderen herausragenden
VertreterInnen wie Juan Grediaga (Barcelona), Mariano Sola (Valencia)
und David Alonso Fresno (Madrid).
Krieg und humanitäre Hilfe
"Was würde ich machen, wäre ich heute in Spanien?" fragte
sich H. Runham Brown, Ehrensekretär der WRI, in einem Artikel
mit dem Titel "Spanien. Eine Herausforderung für den Pazifismus"
vom Dezember 1936. Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage
liegt, abgesehen von seinen Betrachtungen über Theorie, Praxis,
Kohärenz, etc., die Brisanz des Dokuments in der Wiedergabe
eines Briefes von José Brocca aus Madrid kurz nach Ausbruch
des Krieges. Brocca beginnt, indem er seine Haltung vor dem Kriegsausbruch
schildert, in Begriffen, die anscheinend vorherige Aufteilungen
der Verantwortung aufgeben und sich der Dialektik des Augenblicks
anschließen:
"Unter den Umständen, unter denen die faschistische
Erhebung stattgefunden hat, hatte das Volk keine andere Alternative,
als die Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Es ist beklagenswert,
aber die ganze Verantwortung für die tragischen und blutigen
Tage, die wir erleiden, liegt bei denen, die ohne Rücksicht
auf die elementarsten sozialen Menschheitsprinzipien der Zerstörung
und dem Töten freie Hand gelassen haben, nicht um Ideale
zu verteidigen, sondern hassenswerte und vergängliche Privilegien,
die in mittelalterliche Barbarei zurückführen."
Nach diesen Klarstellungen mußte man sich fragen, welchen
Rahmen das antimilitaristische Credo ließ, um der Republik
in Waffen beizustehen, eine Frage, die gelöst werden mußte
als Unterstützung des bewaffneten Widerstandes, aber bei zivilen
Unterstützungsaufgaben, die zumindest im nächstliegenden
Bereich die Widersprüche zu den Prinzipien des Widerstandes
gegen den Krieg überwanden. Das heißt, man entschied
sich aber für eine Art republikanischer und selbstbestimmter
"sozialer Ersatzleistung". Aber lassen wir das Brocca selbst in
diesem ungewöhnlichen Zeugnis erklären:
"Für einige Tage blieb ich in Barcelona, um an
der Massenversammlung gegen den Krieg teilzunehmen, die wir organisiert
hatten, aber die nicht stattfinden konnte, da am selben Abend,
an dem sie abgehalten werden sollte, die militär-faschistische
Erhebung ausbrach, die Gefahr, die ich euch schon angekündigt
hatte.
Das waren Tage bitterer Kämpfe in Barcelona. Vom ersten
Augenblick stellte ich mich rückhaltlos in den Dienst der
Freiheit, ohne jedoch auf meine Prinzipien absoluten Widerstandes
gegen den Krieg zu verzichten; das heißt, ich tue alles,
was ich kann, mit Worten und Werken, für die antifaschistische
Sache, aber ohne an gewalttätigen Aktionen teilzunehmen,
und innerhalb der proletarischen und demokratischen Organisationen,
die im Kampfe stehen, um Spanien von dieser reaktionären
Tyrannei zu erretten. Meine Arbeit besteht in Information und
Propaganda. In Barcelona, in Valencia, in der Provinz Cáceres
und in Madrid war und bin ich weiter tätig in so interessanten
Aufgaben wie der Ermutigung, Anleitung und Organisierung von
Bauern in der Weise, daß sie, statt ihre Feldarbeit zu
verlassen, weiterarbeiten, sogar auf den Feldern, die von den
Faschisten bei ihrer Flucht verlassen worden sind, um die Unterbrechung
der Produktion und der Versorgung der Städte zu vermeiden;
ich richte Schulen und Heime für die Kinder derjenigen
Bürger ein, die gefallen sind oder an den verschiedenen
Fronten kämpfen, und nehme allgemein jede Gelegenheit wahr,
unter den Kämpfern unsere humanitären Ideale und unseren
Abscheu vor Unterdrückung und Grausamkeit zu verbreiten."
(5)
Daher war, wie später die Sprecher der Liga in einem an die
britische Öffentlichkeit adressierten Flugblatt erklärten,
"die Propaganda des Widerstandes gegen den Krieg in diesem Augenblick
nicht möglich"; was für PazifistInnen übrig blieb,
war die humanitäre Hilfe, da unter diesen Umständen "konstruktive
Arbeit dieser Art, im Namen des Pazifismus, das Wertvollste
ist." (6)
Praktische Unterstützung durch die WRI
Die WRI richtete daher einen Unterstützungsfonds für Spanien
ein mit dem Zweck, Hilfe zu senden, Informationen über Verwandte
und Freunde zu erlangen, die auf der franquistischen Seite gefangen
waren; den Gefangenenaustausch zu ermöglichen und ein Heim
zur Aufnahme von Kindern zu finanzieren, die in der französisch-katalanischen
Ortschaft Prats de Mollo Zuflucht gefunden hatten. Die Liga verfügte
über Speicherräume, betrieben von ihren AktivistInnen
in Madrid, Valencia und Barcelona, in denen sie Spenden aus anderen
Sektionen der WRI sammelten, besonders aus der britischen. Sechzig
baskische Kinder wurden in einem "Baskischen Haus" aufgenommen,
das von dieser Gruppe auf britischem Territorium organisiert wurde.
(7)
Dank dieser internationalen Hilfen tätigte José
Brocca beispielsweise 1937 in Holland den Kauf von 19 200 Büchsen
Kondensmilch, die später vom Lagerhaus im Hafen Valencias
aus an verschiedene Orte verteilt wurden. In Madrid nahmen die
AntimilitaristInnen an der Gründung eines Frauenkomitees
für die Verteilung von Kleidung und Nahrung teil, mit Spenden,
die durch Etiketten mit dem Text "War Resisters' International:
Pazifistische Hilfe für die Zivilbevölkerung Spaniens"
gekennzeichnet waren.
Frau Dr. Poch und José Brocca unternahmen auch eine Kampagne
für die Abschaffung der Waisenhäuser auf dem von der
Republik kontrollierten Territorium, die wegen ihrer "traurigen
Ähnlichkeit mit Gefängnissen" kritisiert wurden, und
setzten sich statt dessen für Kinderheime ein, die die Unterbringung
von Gruppen von nicht mehr als 25 Kindern in würdigeren Umständen
ermöglichten. 1937 organisierten sie gleichermaßen
die Abreise einer Gruppe von 500 Kindern nach Mexiko, wo sie von
den mexikanischen KriegsgegnerInnen empfangen wurden.
Die internationale antimilitaristische Hilfe umfaßte auch
einige Freiwillige, wie z.B. Lucie Penru, eine französische
Krankenschwester und Aktivistin der WRI, die vom Beginn des Krieges
an im Hospital de Sangré de la Barriada in Barcelona arbeitete,
bis das Zentrum 1938 aus Mangel an Mitteln geschlossen wurde;
von da an kümmerte sie sich um ein Heim für spanische
Flüchtlingskinder in Frankreich.
Weniger Glück hatte Heinz Kraschutzki, ein herausragender
deutscher Antimilitarist. Nach seiner Erfahrung als Leutnant in
der deutschen Kriegsmarine während des Ersten Weltkrieges
wurde er aktiver Kriegsgegner und übernahm die Leitung des
Organs der Deutschen Friedensgesellschaft "Das andere Deutschland".
Aufgrund der Veröffentlichung über die laufenden Wiederaufrüstungspläne
in dieser Zeitung wurde er wegen Hochverrats angeklagt, verließ
Deutschland und ließ sich mit seiner Familie 1932 auf Mallorca
nieder. Obwohl er es vermieden hatte, sich in Spanien politisch
zu betätigen, wurde er im August 1936 von den faschistischen
Kräften festgenommen. Die franquistischen Behörden wurden
daraufhin einerseits mit Petitionen für die Freilassung Kraschutzkis
seitens der WRI in Zusammenarbeit mit dem britischen Außenministerium
bedrängt, und auf der anderen Seite vom Verlangen der NazivertreterInnen
in Spanien, die seine Auslieferung verlangten mit dem Ziel, ihn
hinzurichten. In etwas salomonischer Weise machte die Junta von
Burgos mit den Nazibehörden aus, daß Kraschutzki nicht
hingerichtet würde, aber er sollte auch nicht freigelassen
werden, sondern wurde im Oktober 1938 in einem Kriegsgerichtsverfahren
zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges nahm die WRI die Anstrengungen für seine Freilassung
wieder auf, wiederum in Zusammenarbeit mit dem britischen Außenministerium,
und Heinz Kraschutzki wurde schließlich Ende 1945 freigelassen,
nachdem er mehr als neun Jahre in den Gefängnissen Francos
verbracht hatte. Um freigelassen zu werden, mußte er also
in langen Jahren von Exil und Kerker die Niederlage Deutschlands
abwarten in einem Krieg, dessen Vorbereitung er selbst als einer
der ersten an den Pranger gestellt hatte. (8)
Die Debatte im internationalen Pazifismus
Der Ausbruch des Krieges führte zu einer heftigen Erschütterung
in der internationalen öffentlichen Meinung, die bereits mit
Sorge die wachsende deutsche Aggressivität und Mussolinis Invasion
in Abessinien verfolgt hatte. Wenn die Linke den 18. Juli 1936 als
einen direkten Angriff auf ihre Programme in der ganzen Welt verstand,
war der Spanische Bürgerkrieg für die internationale pazifistische
Bewegung, wie es der nordamerikanische Historiker Allen Guttman
ausgedrückt hat, "die erste Krise nach dem Ende des Großen
Krieges." (9)
Die Verbreitung des Pazifismus in den zwanziger Jahren, die
Gründung der WRI 1921 selbst waren gekennzeichnet vom Vermächtnis
des Schreckens des ersten Weltkrieges und seinen mehr als acht
Millionen Toten. Der Pazifismus hatte sich aus der klaren Einsicht
entwickelt, daß alles, was ein anständiger Mensch angesichts
des Krieges tun konnte, war, sich frontal dagegenzustellen und
seine Mitarbeit zu verweigern, eine Gewißheit, die mit den
Ereignissen von 1936 infrage gestellt wurde.
"Was ist los mit der pazifistischen Bewegung?" überschrieb
der britische Philosoph C. E. M. Joad im Mai 1937 einen Artikel,
in dem er die pazifistischen Reaktionen auf das Anwachsen des
europäischen Faschismus analysierte. Wenn die Bewegung bis
1935 in der Unterstützung des Völkerbundes als Instrument
internationaler friedlicher Regelungen übereingestimmt hatte,
so bedeutete die Machtlosigkeit dieser Institution bei den Konflikten
von Abessinien und Spanien den Bruch dieses Konsenses und das
Auftauchen neuer Strömungen. Zwei gegensätzliche Tendenzen
gewinnen an Boden und bedrohen den Zusammenhalt der Bewegung;
in Worten von Joad "der reine Pazifismus" und "die mit der Volksfront
verbundenen Ideen". Der Zusammenprall beider Standpunkte in der
Debatte über den Spanischen Bürgerkrieg war unvermeidlich.
(10)
Unter denen, die die zweite Option vertraten, ist vielleicht
das herausragendste Beispiel das von Albert Einstein, der, während
der Entwicklung der Atombombe zur Zusammenarbeit mit den Militärs
überging, 1938 öffentlich die Aufhebung des Waffenembargos
zur Unterstützung der Republik forderte. (11)
Und Ende 1936 reichte sogar der Sekretär der WRI, Fenner
Brockway, seinen Rücktritt ein, weil er nicht mit der Haltung
übereinstimmte, die die WRI angesichts des Widerstands der
Republik angenommen hatte. Für Brockway war die Unterstützung
"nur bei sozial konstruktiven Diensten" nicht ausreichend, es
sei im Gegenteil geboten, den Widerstand der Republik in allen
seinen Konsequenzen zu übernehmen, eingeschlossen die Versorgung
mit Waffen:
"Sehr zu meinem Bedauern fühle ich, daß
ich die WRI verlassen muß. (...) Diese enge Verbindung mit
der Bewegung macht die Entscheidung zum Rücktritt schwierig,
aber ich meine, das ist der einzige ehrenhafte Weg, den ich nehmen
kann. Mein Temperament und der Kern meiner Philosophie bleiben
pazifistisch. (...) Aber ich stelle mich dieser Tatsache. Wäre
ich in diesem Augenblick in Spanien, würde ich mit den Arbeitern
gegen die faschistischen Kräfte kämpfen. Ich glaube,
es ist nicht der richtige Weg zu verlangen, daß die Arbeiter
mit den Waffen abgeschlachtet werden, die ihren Feinden von den
faschistischen Mächten so freigiebig geliefert werden. Ich
respektiere die Haltung der Pazifisten in Spanien, die, während
sie den Erfolg der Arbeiter wünschen, meinen, daß sie
ihre Unterstützung nur in konstruktiven sozialen Diensten
ausdrücken dürfen. Meine Schwierigkeit bei dieser Haltung
ist: wenn jemand wünscht, daß die Arbeiter triumphieren,
so kann er meiner Meinung nach nicht ablassen, alles zu tun, was
notwendig ist, um diesen Triumph zu ermöglichen." (12)
Während der Dreijahreskonferenz der WRI vom Sommer 1937 sollte
Bart de Ligt die von Brockway vertretene Haltung zurückweisen
und die Einstellung des "reinen Pazifismus" der WRI hinsichtlich
des aktuellen Krieges stärken. "Wir, Widerständler gegen
den Krieg, akzeptieren den Klassenkampf, aber wir akzeptieren keinen
Klassenkrieg," begann de Ligt seinen ausführlichen Beitrag.
Nachdem er, mit scharfer Kritik am Militarismus Stalins, das sowjetische
Experiment im einzelnen betrachtet hatte, stellte er in einer genauen
Erzählung die Ereignisse in Spanien dar und nahm offen Partei
für CNT und POUM in der Frage der Militarisierung der Milizen,
die von der PCE (spanische Kommunistische Partei) und den bürgerlichen
Kräften gefördert worden war. Trotz dieser Sympathie für
die republikanischen Kräfte werden Brockways Argumente ausdrücklich
zurückgewiesen:
"Wir haben keinerlei Grund, dem Beispiel unseres Kameraden
Fenner (Brockway, d.A.) zu folgen, der seit dem Ausbruch des Klassenkrieges
die modernen Kriegsmethoden als unvermeidliche Mittel akzeptierte,
um unsere sozialen Ziele zu erreichen. Wir stimmen mit Fenner
überein, wenn er auf der Notwendigkeit der praktischen Solidarität
mit der revolutionären Bewegung in Iberien besteht. Aber
wir denken, daß er sich irrt, wenn er erklärt, daß
die einzige Art, diese Solidarität zu beweisen, darin besteht,
auf die gewaltfreie Aktion zu verzichten und den Klassenkrieg
mit all seinen unvermeidlichen Konsequenzen zu akzeptieren. Wenn
wir in irgendeinem Fall von Klassenkrieg auf unseren gewaltfreien
Kampf verzichten und 'vorläufig' die gewaltsame Aktion akzeptieren,
wird das Ergebnis eine andauernde Akzeptanz des Krieges im Namen
der Revolution und eine systematische Unterhöhlung der Revolution
durch die ungeeignetsten Mittel sein."
Ähnliche Diskussionen wiederholten sich in den verschiedensten
pazifistischen und antimilitaristischen Gruppen und führten
alte GefährtInnen bei der Verurteilung des Ersten Weltkrieges
zu unvereinbaren Positionen. Das war etwa der Fall bei Norman Thomas
und John Haynes Holmes, beide herausragende pazifistische Wortführer
Nordamerikas und Gefährten in der War Resisters' League (der
nordamerikanischen Sektion der WRI). Thomas, Gründer der "No
Conscription League" (Keine Wehrpflicht-Liga) und herausragender
Förderer der Kriegsdienstverweigerung in den USA, organisierte
die Anwerbung von Freiwilligen für die "Kolonne Eugene V. Debs"
(zu Ehren der historischen sozialistischen Leitgestalt Nordamerikas)
innerhalb der Internationalen Brigaden und argumentierte, "weil
ich so fest an den Schrecken und die Nutzlosigkeit des Krieges glaube,
daher denke ich, wir müssen unseren spanischen Kameraden helfen,
Francos Krieg zu stoppen." Im Licht der internationalen Konjunktur
behauptete Thomas, die Unterstützung des militärischen
Widerstandes der Republik bedeute, "weithin die Hoffnung der Welt
zu vermehren, daß die Katastrophe eines zweiten Weltkrieges
vermieden wird, der noch viel schlimmer sein würde als der
erste." (13)
In offenem Widerspruch dazu setzte sich sein Gefährte John
Haynes Holmes mit Unterstützung der War Resisters' League,
die Thomas öffentlich antwortete und seine Initiative mit
der Mobilisierungspropaganda für den Ersten Weltkrieg verglich,
in dessen Verurteilung beide einig gewesen waren:
"Du und ich, Norman, wir haben diese Geschichte schon
einmal gesehen. Wir haben uns schnell erhoben, als die Belgier
auf ebenso bedauerliche Weise stöhnten, wie es heute die
Spanier tun. Wir weigerten uns, auf die betrügerischen Aufrufe
von 1917 zu hören, nach denen die Welt mit Hilfe des Gebrauchs
der Waffen für den Tod der Menschen in der Schlacht die Demokratie
verteidigen, die Kultur retten und den Krieg für immer abschaffen
werde. Sollen wir jetzt untätig zuschauen, wo eine neue Generation,
in derselben Versuchung wie wir es waren, dem Ruf nach einem neuen
Kampf zur Rettung der Demokratie und nach einem weiteren Krieg
zur Herstellung des Friedens nachgibt?"
Für Holmes wie für die Mehrheit in der WRI "führt"
der spanische Bürgerkrieg "Loyale und Rebellen auf ein gemeinsames
Feld von Gewalt, Grausamkeit und Haß", und die Haltung der
pazifistischen Bewegung ging zur humanitären Hilfe über:
"Schicken wir ihnen Nahrung, medizinisches Material in Hülle
und Fülle, aber nicht ein Gewehr, keine Bombe, kein Flugzeug,
das den Krieg verlängert und Zerstörung und Tod vermehrt."
(14)
Diese Polemiken nahmen die Widersprüche vorweg, die im
Pazifismus wenige Jahre später durch den Zweiten Weltkrieg
hervorgerufen wurden und die definitiv die ewige Gratwanderung
wiedergeben, auf der dieser Diskurs in all seiner Größe
und seinem Elend sich enthüllt.
Niederlage, Exil und Auslöschung der antimilitaristischen
Bewegung
Zurück zu den Aufgaben, die die Mitglieder der spanischen Liga
der Kriegsgegner beschäftigten: Als der Krieg zu Ende ging,
wurde von London aus die Schließung des Heims von Prats del
Mollo angeregt, sobald alle dort versammelten Kinder einen endgültigen
Bestimmungsort gefunden hätten, und gleichzeitig erreichte
man eine Erlaubnis zur Aufnahme von José Brocca in Großbritannien.
Die Liga beschloß jedoch angesichts der Nähe zur Grenze
und dem von den triumphierenden Kräften entfesselten Terror,
das Zentrum geöffnet zu halten, um bei der heimlichen Grenzübertritt
von Flüchtlingen auf französisches Gebiet mitzuhelfen.
José Brocca selbst überquerte die Grenze oftmals, um
die Flucht von GenossInnen und Verbündeten, die noch in Spanien
waren, vorzubereiten und zu erleichtern.
In dieser Zeit, zwischen der Bitterkeit der Niederlage der Republik
und der drohenden Ausdehnung des Krieges auf Europa, antwortete
Brocca auf die Besorgnisse seiner GenossInnen in London mit einer
gefühlsbeladenen Botschaft:
"Macht euch um mich keine Sorgen. Ich bin vollkommen
ruhig und voller Mut, um die Zukunft ohne Angst zu bestehen, was
auch immer geschieht. Mir ist bewußt, daß mich der
Ausbruch des Krieges der Möglichkeit berauben könnte,
nach England zu gehen. Ich hatte Zeit zu gehen, aber ich konnte
unser Heim nicht verlassen, ohne vorher Sicherheit für alle
Bewohner gefunden zu haben. Mir schien, daß meine Pflicht
die des Kapitäns eines Schiffes ist: bis zum Schluß
an Bord zu bleiben und jede mögliche Sicherheit für
die übrigen zu gewährleisten. Wenn meine ganze Arbeit
zu Ende ist, werde ich versuchen, eine Anstellung zu suchen, denn
ich habe mich niemals durch die einfachsten Arbeiten erniedrigt
gefühlt. Wenn ich es schaffe, werde ich zu einem der Flüchtlingslager
gehen, wo es schon Tausende von Spaniern gibt, die mit mir von
einem Geist und Fleisch sind. Ihr sollt sicher sein, daß
ich in diesen Zeiten allgemeinen Leidens, welches auch immer mein
Los sein wird, niemals in Verzweiflung fallen werde. Nichts soll
mich von meinen Prinzipien abbringen. Mein moralischer Widerstand
ist stärker als die Kraft der Ereignisse. Nichts und niemand
wird in der Lage sein, ihn zu brechen."
Das organisierte Leben der antimilitaristischen Bewegung, bescheiden
während der Republik und gequält während des Krieges,
erlischt endgültig im republikanischen Exil. Am 23. Mai 1939,
kaum ein Monat nach dem faschistischen Sieg, schifft sich der Kern
von etwa einem Dutzend Mitgliedern der Spanischen Liga der Kriegsgegner
im französischen Hafen Port Vendres mit dem Ziel Mexiko ein,
wo sie von den mexikanischen GenossInnen der WRI aufgenommen werden.
Andere Familien, die mit der Bewegung verbunden waren, hatten bereits
in Kolumbien, Kuba und Paraguay Aufnahme gefunden.
In dieser Zeit beschäftigte sich die WRI bereits mit der
Aufnahme von etwa hundert AntimilitaristInnen aus Deutschland
und Österreich, von denen die meisten aus Gefängnissen
und Konzentrationslagern der Nazis befreit worden waren, und führte
so die Aufgaben humanitärer Hilfe und Unterstützung
für Flüchtlinge fort, die mit dem Spanischen Bürgerkrieg
angefangen hatte; sie sollte während der Jahre des Zweiten
Weltkrieges andauern. (15)
Was José Brocca betrifft, den historischen Pionier der
Bewegung, so wurde er, nachdem er die Möglichkeit zurückgewiesen
hatte, nach England zu entkommen, bei verschiedenen Gelegenheiten
festgenommen und schließlich in einem französischen
Konzentrationslager interniert. Seinen FreundInnen gelang es,
ihn aus Vichy- Frankreich zu retten, und er kam im Oktober 1942
in Mexiko an, wo er von den AntimilitaristInnen dieses Landes
aufgenommen wurde. (16)
José Brocca starb im Juni 1950 in Mexiko aufgrund einer
Gehirnthrombose. Mit ihm endete diese Erfahrung der antimilitaristischen
Bewegung und die Vertretung der WRI im spanischen Staat.
Mehr als drei Jahrzehnte später gründete sich, in
vollständiger Unkenntnis dieser Vorgeschichte, die Movimiento
de Objeción de Conciencia (Bewegung der Kriegsdienstverweigerer)
als Sektion der WRI und gelangte dazu, mit der Totalverweigerung
angesichts der Militärmacht unserer Tage den Geist von José
Brocca, Amparo Poch, Heinz Kraschutzki und allen KriegsgegnerInnen
wiederzubeleben, die uns in den turbulenten dreißiger Jahren
vorausgegangen sind.
Xabier Agirre Aranburu
Übersetzung: Gerd Büntzly
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