feminismus

Das Leben der Frauen ist eine ständige Wirtschaftskrise

Frauenstreik

| Tinet Ergazina

Foto: Herbert Sauerwein

In vielen Länder sind Frauen* immer wieder auf die Straße gegangen, um gegen Gewalt und Unterdrückung, gegen Einschränkung ihrer reproduktiven Rechte, gegen herrschende Ungleichheiten und Diskriminierung zu protestieren. In den letzten Jahren fanden zahlreiche Proteste, Demonstrationen, direkte Aktionen und Streiks statt. Auch in Deutschland haben Einzelpersonen, Organisationen und Netzwerke mobilisiert, um die Streikbewegung rund um den 8. März aufzubauen. Ein gutes Beispiel ist die diesjährige Demonstration in Köln (siehe Fotos). Auch Frauen* in anderen Ländern müssen immer noch um bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen kämpfen. Über die Situation von Frauen* in Polen am Beispiel vom Arbeiskampf der Erzieher*innen aus Posen, schreibt Tinet Ergazina (GWR-Red.).

Foto: Herbert Sauerwein

Während die Stadt Poznań Unmengen an Geld in den Bau eines Fußballstadions für die Weltmeisterschaft in Polen 2012 investierte, fror die Stadtregierung die Löhne der Frauen, die in kommunalen Kinderkrippen arbeiten, ein. Die Frauen entschieden sich zu kämpfen, um nicht mehr die Rechnung für den Stadionbau und die anderen Schulden der Stadt zu tragen. Sie fordern existenzsichernde Löhne, kürzere Arbeitszeit und kleinere Kindergruppen, und dass die harte Arbeit mit den Kindern endlich wahrgenommen wird.

„40 Kinder in einer Gruppe, das ist wie in einem Warenlager“, sagt eine der Erzieherinnen im Dokumentarfilm Der Frauenstreik geht weiter von Magda Malinowska. (1) Es ist immer laut, jemand schreit oder weint, du musst ständig konzentriert sein, die ganze Gruppe im Blick behalten, und in Notsituationen – bei Verletzungen und Krankheit der Kinder – sofort richtig reagieren.

Die meisten Erzieherinnen in den Kinderkrippen und Kindergärten sind auf einen Zweitjob angewiesen, nur um ein normales Leben führen zu können, weil der Lohn aus einem Vollzeitjob dafür nicht ausreicht.

Eine Kollegin hat in der Kinderkrippe angefangen als ihre Tochter nach einer Hirntumor-Operation im Koma lag. Sie musste die Tochter zur Rehabilitation bringen. Und es gab immer noch zwei Jobs zu erledigen. Sie brach zusammen. „Mich ließ weitermachen“, erzählt sie, „dass ich alleinstehend bin und meine Kinder versorgen muss. Ich musste zur Arbeit gehen, um Geld in die Hand zu bekommen, um davon Lebensmittel zu kaufen und die Rechnungen zu bezahlen.“ (2)

 

Die Frauen tragen die Kosten der Sparmaßnahmen

 In den Umstrukturierungen nach der Wende 1989 und im Zuge der Wirtschaftskrisen sind es oft gerade Frauen, die mit mehr Arbeit für weniger Lohn bezahlen sollen. Die Sparmaßnahmen und Privatisierungen richten sich hauptsächlich gegen öffentliche Einrichtungen und den Pflegesektor, wo Frauen arbeiten und worauf Frauen angewiesen sind. Die kommunale Kinderversorgung und Altenversorgung wird auch in Polen immer mehr in die private, unbezahlte Sphäre geschoben. Schulen, Kinderver-sorgung und Pflegeeinrichtungen bekommen weniger von dem Budget zugeteilt oder werden geschlossen. In den frauendominierten sozialen Berufen, wie Erziehung und Pflege, werden die Löhne eingefroren oder gekürzt und die Arbeitszeit verlängert.

Die Gebühren für soziale Einrichtungen werden immer teurer, ebenso die Mieten in kommunalen und öffentlichen Wohnungen. Es kostet immer mehr, eine Familie zu versorgen. Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen werden privatisiert, so dass die Einrichtungen nicht mehr von öffentlichen Geldern nach Bedarf finanziert werden, sondern nach dem Gewinnprinzip betrieben werden. Kosten – für Löhne, Einrichtung usw. – sollen möglichst niedrig gehalten werden, um einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen.

Neben zwei Jobs kümmern sich Frauen um den Haushalt, die Kinder und Enkelkinder, ihre Eltern und vielleicht auch die Eltern des Ehemannes. Das Leben der Frauen ist eine ständige Krise.

Frauenstreik-Demo in Köln, 08.03.2020 – Foto: Herbert Sauerwein

Für ein besseres Leben kämpfen

Den Kolleginnen in den Kinderkrippen wurde klar, dass sie selbst mit aller Kraft für ein besseres Leben kämpfen mussten. 2011 gründeten sie eine Gewerkschaftssektion der Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP, Die Arbeiter_innen-Initiative). (3) Sie forderten Lohnerhöhungen und kleinere Kindergruppen, und organisierten Aktionen auf der Straße, im Rathaus und vor den Kindergärten.

Nach Angaben der Gewerkschaft IP hat die Stadt Poznań 190 Millionen Euro in die Errichtung des Fußballstadions investiert, und 5 Millionen Euro in eine Werbekampagne für die Stadt. Aus dem Budget der Stadt wurden währenddessen nur ca. 3 Millionen Euro den Kinderkrippen zugeteilt, obwohl ein hoher Bedarf an Kinderpflege besteht, weil die allermeisten Mütter erwerbstätig sein müssen, um über die Runden zu kommen. Das Geld, das für das Stadion genutzt wurde, hätte locker die Kosten für die 6.000 fehlenden Kinderkrippenplätze decken können.

Zu den Protesten der Erzieherinnen schlossen sich betroffene Eltern an. Die Stadt verlangte immer höhere Gebühren für die Nutzung der öffentlichen Kinderkrippen und Kindergärten. Die Eltern sollen immer mehr Geld zahlen für eine Einrichtung, in der die Arbeitsbedingungen und Löhne der Erzieherinnen immer schlechter werden, so dass die Kinder darunter leiden. Eltern und Erzieherinnen kämpfen gemeinsam für niedrigere Gebühren, höhere Löhne und mehr Geldmittel vom Budget der Stadt für Kinderpflege-Einrichtungen.

Sie zwangen die Behörden in Poznań, die Zahl der Krippenplätze zu erhöhen. Sie erkämpften sich Lohnerhöhungen und Vergütung von Überstunden. Sie stoppten die Schließung der Küchen in den Krippen. Sie blockierten auch den Plan, die Krippen zu privatisieren.

Sie haben erreicht, dass die Kinderkrippen nur von Kooperativen, die von den Arbeiterinnen selbst betrieben werden, übernommen werden können. Die Stadt könnte damit immer noch den Erzieherinnen aufzwingen, gemeinnützige Einrichtungen selbst, ohne Schutz, Anstellungssicherheit oder regelmäßige Zuschüsse aus öffentlichen Geldern, zu betreiben. Die Erzieherinnen weigerten sich, die Kinderkrippen unter den von der Stadt vorgeschlagenen Bedingungen zu übernehmen. Gemeinsam mit anderen Gewerkschaftsaktivist_innen wollen sie ein anderes Modell für Kinderkrippen-Kooperativen entwickeln, das zum Vorteil der Beschäftigten und der Familien ausgelegt ist.

 

„Müllerträge“ als Nährboden für Proteste

Foto: Herbert Sauerwein

Die Erzieherinnen lernten über die Kontakte mit den Eltern auch mehr über die schlechten Bedingungen in anderen Sektoren. Sie unterstützten Kämpfe an anderen Arbeitsplätzen, und nahmen teil an den landesweiten Demonstrationen gegen die Verschärfung des Abtreibungsverbots im Herbst 2016 („Schwarzer Protest“), und an den „Manifas“, der jährlichen Demonstrationen am 8. März.

Die unhaltbaren Arbeitsbedingungen in den Kinderkrippen sind kein Einzelfall. In Polen sind so genannte „Müllverträge“ („umowy śmieciowe“) ein Begriff: ein befristeter Arbeitsvertrag, oft in der Scheinselbstständigkeit, ohne soziale Absicherung, mit niedrigen Löhnen, so dass man zwei Jobs arbeiten muss, über die eigenen Kräfte hinaus. Vor allem Frauen arbeiten mit solchen Verträgen, und das ist der Nährboden für die großen Proteste in ganz Polen.

In den letzten Jahren sind nicht nur Erzieherinnen auf die Straßen gegangen. Es gab Proteste und Streiks auch von Krankenschwestern, Supermarktarbeiterinnen, Sozialarbeiterinnen, Familien die bezahlbare Mieten fordern, und vielen anderen. Meistens wurden diese Proteste nicht direkt als feministisch bezeichnet. Aber die Proteste machen deutlich, dass es keine Frauenrechte gibt ohne menschenwürdige Arbeitsbedingungen, ohne allgemeinen Zugang zu Kinderkrippen, Pflegeeinrichtungen und medizinischer Versorgung, ohne Selbstbestimmung über den eigenen Körper, ohne bezahlbare Wohnungen.

 

Wenn die Frauen streiken, steht die Welt still

Die Erzieherinnen in den Kinderkrippen wollen ihr Leben verbessern, und dafür müssen ihre schlechten Arbeitsbedingungen verändert werden. Die Arbeitsbedingungen sind abhängig von der Gestaltung des Budgets und der Haushalts- und Sozialpolitik der Stadt. Ihr langfristiges Ziel ist, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Pflegeeinrichtungen eine Priorität sind, und nicht nur ein lästiger Kostenaufwand.

Denn wenn keine Pflegearbeit gemacht wird, würden die Fabriken, Krankenhäuser, Büros, Geschäfte und andere Einrichtungen aufhören zu funktionieren. Die ganze Gesellschaft ist von der Arbeit der Frauen abhängig. Nicht nur am Arbeitsplatz, auch zu Hause funktioniert nichts mehr, wenn diejenigen, die als Frauen sozialisiert wurden, sich weigern, die ihnen zugeteilte Rolle zu erfüllen.

(1) „Der Frauenstreik geht weiter“, Regisseurin: Magda Malinowska, Dokumentarfilm 2018, Polnisch mit dt. Ut., Dauer: 49 Min.

Zum Streamen auf Labournet TV: https://de.labournet.tv/der-frauenstreik-geht-weiter

(2) Alle Zitaten im Artikel stammen aus dem o.g. Film.

(3) Webseite: http://www.ozzip.pl/

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.