Volksbegehren: „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“

| Florian Fuchs

Die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWE) strebt die Vergesellschaftung privater, profitorientierter Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohneinheiten an. Als Rechtsgrundlage wird sich auf Art. 15 des GG berufen (1), flankiert durch die Berliner Landesverfassung, in der das Grundrecht Wohnen in Art. 28 Satz 1 verankert ist (2). Die vergesellschafteten Wohnungen sollen Spekulationen entzogen und in eine eigens gegründete AöR (Anstalt öffentichen Rechts) überführt werden. Durch diese Rechtsform soll der gesellschaftliche Auftrag der Wohnraumversorgung unterstrichen und ein erneuter Verkauf des Bestandes, sowie ein Profitcharakter der neuen Körperschaft ausgeschlossen werden. (3)

Die Forderungen nach einer anderen Verwaltung städtischen Wohnraums keimte schon 2013 durch das Instrument der Rekommunalisierung (4) auf und brachte einen dezentralen Ansatz der Wohnraumverwaltung ins Spiel. Das Aufbegehren seitens der Zivilgesellschaft rührte aber von der dauerhaften Krise auf dem Berliner Wohnungsmarkt her, welche zum einen durch finanzpolitische Skandale, wie den Berliner Bankenskandal 2001, zum anderen durch das überbordende neoliberale Mantra ausgelöst wurde. Mit den zunehmenden Privatisierungen vor allem unter einem Rot-Roten Senat, den daraus folgenden leeren Kassen und dem damit einhergehenden Sozialstaatsabbau, der teilweise aus Karlsruhe befeuert wurde (5), begann eine explosionsartige Steigerung der Berliner Mieten bei einer stagnierenden Reallohnentwicklung innerhalb der Berliner Bevölkerung. Sowohl der Bund als auch das Land Berlin entwickelten mit Mietpreisbremse und Mietendeckel Instrumente, um auf diese Missstände zu reagieren. Aus unterschiedlichen Gründen erwiesen sich diese als nicht zielführend. Vielmehr wurden die Kapitalerträge auf dem Wohnungsmarkt gesteigert ohne Rücksicht auf die Bestandsmieter bei Gewerbe und Wohnen. Noch frappierender ist die Lage im sozialen Wohnungsbau, der praktisch nur als Subvention zur Eigentumsförderung der Banken und Eigentümer*innen dient und nur über eine kurze Zeit „sozial“ zwischengenutzt wird. (6)

Die Gegner des Volksbegehrens halten der Idee der Vergesellschaftung zwei Punkte entgegen. Die Kosten für die Finanzierung, ergo das Aufbringen der Entschädigungssumme, sowie die Höhe der Entschädigung. Hier lohnt sich ein Blick in den unten aufgeführten Entwurf der Initiative. Zur Entschädigungshöhe lässt sich auf ein Werkstattgespräch der Frankfurt University of Applied Science vom 09.04.2021 hinweisen. (7)

Ferner brachten die Gegner das Argument des Bauens als Gegenposition in Stellung. Allerdings sollten bei dieser Sache mehrere Aspekte berücksichtigt werden. Erstens geht es in dem Volksbegehren um die Bestandsmieten, von Neubau ist gar nicht die Rede. Langfristig lässt sich sogar entgegenhalten, dass die AöR mit den Mieteinnahmen und durch ihre Statuten angehalten werden könnte, den Neubau für die unteren Einkommensschichten voranzutreiben. Zweitens bewirkt der jetzige Neubau keine sinkenden Mieten, wie selbst ein Teil der Kapitalseite in einem empirischen Untersuchungsbericht in 80 deutschen Großstädte konstatierte. (8) Drittens fallen die geringen Einkommensschichten beim sozialen Wohnungsbau aktuell unter den Tisch, da diese auf 4 € bis 6 € (nettokalt) Mieten angewiesen sind, die Einstiegsmieten für den geförderten Wohnraum aber in den meisten Fällen zwischen 6 € und 8,50 € liegen. (9)

Die Frage der städtischen Wohnraumversorgung stellt sich somit in den Reigen der sozialen Fragen unserer Zeit. Begrüßenswert bleibt, dass Politik und Wirtschaft, sowie deren Auswüchse durch eine aktive Zivilgesellschaft konterkariert werden. Aktuell sind ca. 130.000 Unterschriften eingereicht worden. Die Ungültigkeitsquote der Unterschriften beträgt schätzungsweise 20 %. Aktuelle Informationen lassen sich auf der Internetseite der Kampagne aufrufen (www.dwenteignen.de), sowie in der dazugehörigen App, die als kalendarisches Sammelsurium dient. Die Sammlung der Unterschriften endet am 25. Juni 2021.

(1) „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.“ Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 15 (www.gesetze-im-internet.de/gg/art_15.html)
(2) „Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.“ Berliner Landesverfassung Art. 28 Satz 1 (www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/verfassung/artikel.41548.php)
(3) Einen vorläufigen Gesetzesentwurf hatte die Initiative am 10.05.2021 veröffentlicht (https://www.dwenteignen.de/wp-content/uploads/2021/05/Vergesellschaftungsgesetz.pdf)
(4) https://kottiundco.net/2013/10/30/
rekommunalisierung-plus-kotti/; Anschließend wurden auch sozialwissenschaftliche Projektstudien am Kottbusser Tor durchgeführt (s. https://kottbussertor.org/start.html )
(5) Butterwegge Christoph; Rechtfertigung, Maßnahmen und Folgen einer neoliberalen (Sozial-)Politik, in: Butterwegge et alii; Kritik des Neoliberalismus, Wiesbaden 2008, 2. Aufl.; S. 135–220. Konkret S. 207.
(6) Hamann, Ulrike; Holm, Andrej; Kaltenborn, Sandy;Die Legende vom sozialen Wohnungsbau (Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt Bd. 2), Berlin 2016, 2. Auflage. Hier wird in aller Ausführlichkeit über das Thema des sozialen Wohnungsbaus informiert und auch kursorisch auf die Berliner Wohnungsmisere eingegangen.
(7) https://www.frankfurt-university.de/fileadmin/standard/Hochschule/Fachbereich_1/Ffin/
Thesenpapier_zum_Werkstattgespraech_Entschaedigung_Art._15_GG.pdf. Für eine juristische Diskussion ist der Platz hier nicht gegeben. Die Argumentation fußte jedoch auf der Grundlage, dass Spekulationen nicht durch das GG finanziell belohnt werden sollten und somit eine Entschädigung i. H. d. Verkehrswertes unzulässig wäre.
(8) https://web.archive.org/web/20191208204650/, https://www.empira.ch/de/aktuelles-leser/items/einflussfaktoren-von-wohnungsmieten. Der ganze Bericht findet sich neben der Kurzversion.
(9) Holm, Andrej; Geschäftsmodell mit beschränkter Wirkung; Warum der soziale Wohnungsbau seinen Namen nicht verdient in: Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis 2 (2019), S. 40–45. Konkret S. 42.