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Das Dritte Reich als „größter Bordellbetreiber Europas“

Bordelle in deutschen Konzentrationslagern. Teil 1: Nationalsozialistische Prostitutionspolitik

| Anne S. Respondek

KZ Mauthausen, Lagerbordell - Foto: Bundesarchiv, Bild 192-349 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons

Die Historikerin Anne S. Respondek arbeitet zum Schwerpunkt sexuelle Gewalt im Krieg. (1) Sie erforscht die Bordelle in den Konzentrationslagern und die Bordelle der Wehrmacht und SS. Momentan promoviert sie an der TU Dresden mit dem Dissertationsprojekt „Wehrmachtsbordelle im Osten Europas“. Der folgende Beitrag ist der Auftakt einer Artikelserie über Frauen, die von den Nazis zur Prostitution gezwungen wurden. Die Serie soll in den kommenden Ausgaben der Graswurzelrevolution fortgesetzt werden. (GWR-Red.)

Denken wir an das Frauenbild des Nationalsozialismus, steigen zumeist innere Bilder von Müttern in uns auf: das Mutterkreuz fällt uns ein, sowie stilisierte Graphiken blonder, in Trachten gewandeter junger Mütter mit Kinderscharen, die an ihren Rockzipfeln hängen. Und es ist wahr: als „Hüterin des deutschen Blutes“ kam der deutschen Frau während des Dritten Reichs eine Sonderrolle zu. Frauen hatten Mütter zu sein, Dienerinnen der „Rasse“ und des Volkes. Aber dies ist nur die eine Seite der Medaille. Denn wie in allen zutiefst patriarchalen Systemen war auch im Dritten Reich das Frauenbild ein aufgespaltenes: Frauen wurden aufgeteilt in die „Heilige“ (die Mutter) und die „Hure“. Von letzteren soll diese Artikelserie handeln: von Frauen, die vom NS-Staat zur Prostitution gezwungen wurden – zum Beispiel in den Bordellen der Konzentrationslager.

Diese Bordelle in den Konzentrationslagern waren nicht, wie oft geglaubt wird, Bordelle für deutsche Soldaten. Sondern sie waren gedacht für männliche Häftlinge der Konzentrationslager. Diese sollten sich, obwohl gefangen, ausgebeutet, gequält, dennoch als Freier betätigen können – an ihren weiblichen Mithäftlingen, die in den KZ-Bordellen sexuell von ihnen missbraucht wurden. Diese Serie soll von ihnen handeln – und berichten von den Motiven des NS-Staats, derartige Bordelle einzurichten. Soll berichten davon, welche Frauen in diese Bordelle erpresst wurden und wie. Davon, wie es ihnen ging, wie es ihnen gelang, das Martyrium zu überleben. Davon, wie ein Bordellbesuch aussah, soll die Rede sein, aber es soll auch gefragt werden, wer die Freier waren, wie sie über die Frauen sprachen, ob sie ein Unrechtsbewusstsein hatten. Und Thema soll auch sein, wie es den betroffenen Frauen nach 1945 erging.
Dieses ist der erste Teil der Serie über KZ-Bordelle, der die Sexual- und Prostitutionspolitik des Nationalsozialismus vorstellen soll.
Frauen im Dritten Reich hatten zwar Aufstiegschancen in den NS-eigenen Organisationen Winterhilfswerk, NS-Frauenschaft und Bund Deutscher Mädel (BDM), waren hinsichtlich der Berufstätigkeit jedoch stark eingeschränkt und sollten aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt werden. Ausnahmen waren als „weiblich“ begriffene, dienende, erziehende, pflegende Berufe wie Krankenschwester, Erzieherin, Kindergärtnerin. Der NS-Staat installierte geburtenorientierte Förderungsmaßnahmen wie z. B. die Entstigmatisierung unehelich geborener Kinder, die Förderung von Frühehen, die Einführung des Kindergeldes und zinsfreier Ehestandsdarlehen (die „abgekindert“ werden konnten, d.h., mit jedem in der Ehe geborenen Kind reduzierte sich die Rückzahlungssumme). Sämtliche dieser Maßnahmen waren gekoppelt an rassistische, eugenische und erbgesundheitliche Komponenten – schließlich sollten nur die Frauen Kinder bekommen, die als erbgesund und „rassisch geeignet“ galten.

Frauen, die sich prostituierten, galten als „Asoziale“ und standen deswegen permanent mit einem Bein im Konzentrationslager, sie waren immer gefährdet, zwangsweise in ein staatseigenes NS-Bordell verschleppt oder zwangseingewiesen zu werden.

Eine „Entartung“ des „deutschen Blutes“ galt bei aller Sorge um einen Geburtenrückgang als unerwünscht. Deswegen wurden zeitgleich restriktive Maßnahmen im Sinne negativer Eugenik („Ausmerze“) erlassen: das Verbot von Abtreibungen galt nur für „Arierinnen“ – bei „rassisch unerwünschten“ Personen, bei „Art- und Gemeinschaftsfremden“, bei „Asozialen“ und „Minderwertigen“ wurden sie, genau wie Sterilisierungen, teils sogar zwangsweise vorgenommen. Im Sinne der „Höherzüchtung“ der „deutschen Rasse“, der „Aufnordung“, wurde ein Verbot von „Rassenschande“ erlassen, das „Mischlingskinder“ verhindern sollte. Der Geschlechtsverkehr hatte dem Volkswohl zu dienen, er war keine Privatangelegenheit.
Konsequenterweise erfolgte also ein bis dahin nicht gekannter Zugriff des Staates auf die Körper von Männern und Frauen im Dritten Reich. Dass Frauen der Zugriff auf ihren Körper und auf ihre sexuelle Selbstbestimmung verwehrt wird, ist in patriarchalen Systemen üblich. Im Dritten Reich vermischte sich diese sexistische Komponente mit rassistischen und klassistischen Elementen. Deutlich wurde dies auch an der Prostitutionspolitik des Dritten Reichs. Der „artreinen“, entsexualisiert dargestellten deutschen Mutter wurde das Bild der „liederlichen, triebhaften, unsteten asozialen Frau“ gegenübergestellt. Deren Lebensweise war ebenso unerwünscht wie eventuell entstehende Kinder ihrerseits.
Der NS-Staat verfolgte ergo eine restriktive Prostitutionspolitik. Schon in „Mein Kampf“ hatte Hitler Prostitution als „Schmach der Menschheit“ (2) bezeichnet, für den „Sittenverfall“ und sämtliche Geschlechtskrankheiten verantwortlich gemacht und betont, vor allem dem Mann müsse frühzeitig, z.B. durch Heirat, die Möglichkeit gegeben werden, sich sexuell zu betätigen – „denn die Frau ist ja ohnehin nur der passive Teil.“ (3)
Die restriktive Prostitutionspolitik im Nationalsozialismus umfasste mehrere Maßnahmen. Tausende Frauen wurden wegen „belästigenden öffentlichen Strichens“ festgenommen, weil der Staat die Allgemeinheit durch ihr Verhalten belästigt sah. Frauen mussten sich bei der Polizei registrieren. Sie hatten wöchentliche Zwangsuntersuchungen über sich ergehen zu lassen, sie unterlagen gesonderten Meldepflichten. Der Vorwurf, Prostituierte zu sein, konnte fast jede Frau treffen. Auch Frauen, denen „hwG“ („häufig wechselnder Geschlechtsverkehr“) nachgesagt wurde, konnten von der Polizei als Prostituierte zwangsregistriert werden. Frauen, die sich ohne männliche Begleitung in bestimmten Lokalen aufhielten, galten ebenfalls als prostitutionsverdächtig, genauso wie Kellnerinnen, Bardamen usw.
Ziel war dennoch niemals die Abschaffung der Prostitution. Der NS-Staat verfolgte Prostituierte, gängelte sie, kontrollierte sie, entmündigte sie, verschaffte sie teils in Konzentrationslager und brachte viele von ihnen um. Aber er tat dies nicht mit dem Ziel, Prostitution abzuschaffen – sondern die Motivation dahinter war, Prostitution zu kontrollieren. Sie sollte gänzlich durch den Staat gelenkt werden – und diesem nützlich sein. Nur Prostitution, die dem Staat nicht dienlich war, weil er keinen Zugriff auf sie hatte – die damals sogenannte „freie“, die „geheime“ Prostitution, die nicht behördlich bekannt war – sollte verhindert werden. An der Prostitution an sich hatte das Dritte Reich nämlich ein erhebliches Interesse. Bis zum Kriegsende 1945 entwickelte sich der NS-Staat zum „größten Bordellbetreiber Europas“ (4), gründete und unterhielt nicht nur im Reich selbst, sondern in nahezu allen besetzten Ländern ein umfangreiches Netzwerk von Bordellbetrieben.
Im Reich selbst geschah dies mit polizeilichen Mitteln. Staatliche Stellen lenkten die sogenannte „Kasernierung“ der Prostitution, das heißt, die zwangsweise Konzentrierung von prostituierten Frauen an Orte, die für Freier, aber nicht für die sonstige Zivilbevölkerung zugänglich sein sollten. Es erfolgte im Reich eine schrittweise Verschaffung von Frauen aus der Prostitution an von der Polizei genehmigte Orte: Bordelle, Bordellhäuser, Bordellstraßen, Bordellstraßenzüge, Bordellviertel. Frauen, denen Prostitution nachgesagt wurde, mussten an diesen Orten wohnen und anschaffen – woanders hinzuziehen, war ihnen nicht mehr erlaubt. Frauen, die sich gegen die Kasernierung wehrten, drohte die Internierung. Ebenso wie bei Versäumen der Zwangsuntersuchungen oder bei Verstößen gegen die Meldeauflagen drohte man ihnen mit einer Verschaffung ins KZ. Frauen, die sich prostituierten, galten als „Asoziale“ und standen deswegen eh schon permanent mit einem Bein im Konzentrationslager. Aber nicht nur dies drohte ihnen: Deutsche Frauen, französische Frauen, polnische Frauen, Frauen aller besetzten Länder, denen Prostitution vorgeworfen wurde, waren immer gefährdet, zwangsweise in ein staatseigenes NS-Bordell verschleppt oder zwangseingewiesen zu werden.
Es gab im NS-Staat und das bedeutet, auch in allen von ihm besetzten Ländern, staatlich errichtete, genehmigte und kontrollierte Bordelle für alle nur denkbaren Männergruppierungen. Es existierten Bordelle für die männlichen Häftlinge der Konzentrationslager, Bordelle für ausländische Zwangsarbeiter, Bordelle für die deutsche Wehrmacht (stramm geordnet nach Truppenteilen, aber auch nach Rang: ein Mannschaftssoldat hatte ein Offiziersbordell nicht zu betreten und andersherum), für die SS, die Waffen-SS, für die ukrainischen Wachmannschaften der Konzentrationslager, für die Polizei, für Eisenbahner, Männer der Bau-Organisation Thodt usw.
Die Bordelle für die Wehrmacht zeigen deutlich, wie Prostituierte dazu benutzt wurden, den „männlichen Trieb“ zu lenken, um damit imperialistische und machtpolitische Ziele durchzusetzen. Denn diese Einrichtungen waren geschaffen worden, um zu verhindern, dass deutsche Soldaten kampfunfähig wurden, indem sie sich bei der einheimischen Bevölkerung des besetzten Landes eine Geschlechtskrankheit zuzogen. (Dass es die deutschen Soldaten waren, die den weiblichen Teil der besetzten Bevölkerung mit Geschlechtskrankheiten ansteckte, u.a. durch Massenvergewaltigungen, kam den Wehrmachtsärzten nicht in den Sinn.) Daher sollten den Soldaten gesundheitlich kontrollierte Frauen staatlich bereitgestellt werden – und die Verschaffung in die Wehrmachtsbordelle erfolgte vor allem in den besetzten osteuropäischen Gebieten massenhaft durch Zwang, Druck, Gewalt und Verschleppung. Auch das war Teil der Kriegführung: Frauenkörper wurden benutzt, um eine einheimische Bevölkerung zu zerstören. Der weibliche Körper repräsentierte den „Volkskörper“ der besetzten Bevölkerung – ihn zu vergewaltigen, zu „beschmutzen“, kam in der Symbolsprache im nonverbalen Austausch zwischen besetzenden Männern und besetzten Männern einer Vergewaltigung und „Besudelung“ des überfallenen Landes gleich und sollte zudem alle Männer dieses Landes zutiefst kränken, da die „Ehre“ ihrer Frauen zerstört und deutlich gemacht worden war, dass sie nicht geschafft hatten, ihre Frauen zu beschützen.
Aber auch in den Konzentrationslagern gab es Bordelle, in die Frauen gezwungen wurden. Es gab Bordelle für die ukrainischen Wachmannschaften der KZ (die „Trawniki“), in denen zumeist polnische Frauen waren. Auch für die deutschen Bewacher der Lager, die „Totenkopfverbände“, existierten eigene Bordelle. Und es gab Bordelle für die männlichen Häftlinge der Konzentrationslager. Um für Außenstehende zu verschleiern, was in diesen Bordellbaracken im Lagergelände wirklich geschah, bekamen sie von den Nationalsozialisten einen die Wahrheit verhüllenden Namen: sie galten seit ihrer Errichtung nur als „die Sonderbauten“, und sie existierten in Mauthausen, Gusen, Flossenbürg, Buchenwald, Dachau, Neuengamme, Sachsenhausen, Mittelbau-Dora und in Auschwitz.

(1) Diese Serie ist eine populärwissenschaftliche Zusammenfassung ihrer Bachelorarbeit „Arbeitskommando Sonderbau – Über die Häftlingsbordelle in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern“, erhältlich u.a. hier: https://www.diplomarbeiten24.de/document/416204
Ihre Masterarbeit über Wehrmachtsbordelle wurde als Buch veröffentlicht, erhältlich hier: https://www.marta-press.de/themen/nationalsozialismus/19/gerne-will-ich-wieder-ins-bordell-gehen…
Anne S. Respondek betreibt die Seite
https://wehrmachtsbordelle.de/, auf der viele ihrer Texte zum Themenkomplex Prostitution im Nationalsozialismus, KZ-Bordelle, Wehrmachtsbordelle, sexuelle Gewalt in Kriegen kostenlos aufrufbar sind. In der GWR 470 vom Sommer 2022 zeigt sie in ihrem Artikel „Es ist nicht der Krieg, der vergewaltigt, es sind konkrete Männer“ auf, dass sexualisierte Gewalt eine Besatzungsstrategie ist, https://www.graswurzel.net/gwr/2022/05/es-ist-nicht-der-krieg-der-vergewaltigt-es-sind-konkrete-maenner/
(2) Hitler, Adolf, Mein Kampf, München 1940, S. 275
(3) Ebd.
(4) Das Zitat stammt aus: Sigmund, Anna Maria, „Das Geschlechtsleben bestimmen wir“. Sexualität im Dritten Reich, München 2008, S. 9