Liebe Leser:innen,
von Berlin, Hamburg, Frankfurt, Leipzig, Dresden, Köln bis Bautzen und Lingen. In Dörfern, Groß- und Kleinstädten, in Ost und West stemmen sich Menschen mit großen Demos gegen den aufkommenden Neofaschismus. In München musste die Demo mit 250.000 Menschen am 21. Januar aufgrund von Überfüllung abgebrochen werden. Am gestrigen 27. Januar demonstrierten allein in Düsseldorf über 100.000 und in Wien über 80.000 Anti-Rassist:innen. Laut Bildungsstätte Anne Frank protestierten vom 19. bis 21. Januar über 1,4 Millionen Menschen gegen die AfD. Bei den Demonstrationen am 26. und 27. Januar in mindestens 310 Orten zählte campact weitere 820.000 Demonstrant:innen gegen den Rechtsextremismus. „Die Massenproteste sind die größten, die dieses Land je erlebt hat“, so campact-Sprecher Christoph Bautz am 28. Januar auf X. Insgesamt sind vom 19. Januar bis zum Schreiben dieses Editorials am 28. Januar schon mehr als zwei Millionen Menschen gegen den Rechtsruck auf die Straßen gegangen. Und es geht weiter. Großartig!
Für viele ist es ihre erste Protestaktion. Nicht wenige fühlen sich jetzt durch die soziale Bewegung gegen den Rassismus bestärkt, auch im Alltag und Bekanntenkreis der rechten Hetze entgegenzutreten und sich mit den Betroffenen zu solidarisieren. Mutige stehen jetzt auch in Orten auf, in denen die AfD bereits zweitstärkste oder stärkste Partei ist. Nicht nur im Osten des Landes wurde „die Straße“ lange durch rassistische Aufmärsche geprägt. Jetzt zeigt sich, dass die oft von den Rassist:innen verwendete Parole „Wir sind das Volk!“ (noch) nicht der Realität entspricht.
Die Gefahr, dass nach den anstehenden Landtagswahlen Neonazis an der Regierung beteiligt werden oder sie stellen, war noch nie so groß wie jetzt, wo der AfD bis zu 37% der Stimmen bei der Wahl in Thüringen vorausgesagt werden und die „Brandmauer“ der CDU real nur aus Pappe besteht. Der CDU-Chef hetzt gegen „kleine Paschas“, der SPD-Kanzler fordert auf der Spiegel-Titelseite „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ (vgl. GWR 483, S. 2) und die Ampel verschärft die menschenfeindliche Abschottungspolitik und die Abschiebe-Gesetze gegen Geflüchtete. Politiker:innen und Massenmedien gießen Wasser auf die Mühlen der Faschisten.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Deutschland laut einer Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte europaweit Vorreiter ist, was Rassismus gegen Schwarze und Muslime angeht.
Der antirassistische Druck von unten für eine solidarische Gesellschaft nimmt jetzt mit jeder Demo gegen Rechts zu. Gut so!
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen und die Menschen auf die Straße gebracht hat, war am 10. Januar eine Veröffentlichung von CORRECTIV. Die Investigativ-Journalist:innen berichteten über ein Geheimtreffen, das im November 2023 in Potsdam stattgefunden hatte. Dort kamen AfD-Politiker:innen, Neonazis und Finanziers zusammen und planten die Vertreibung von 14 Millionen Menschen aus Deutschland.
Andreas Kemper beleuchtet auf den Seiten 13/14 dieser GWR die Hintergründe dieses Treffens und den „Masterplan“ des Neofaschisten Martin Sellner.
Ein Blick in die GWR 486
Ein Verbündeter der AfD ist Putin. Am 24. Februar jährt sich der von ihm angezettelte Angriffskrieg auf die Ukraine zum zweiten Mal. Im März will sich der homophobe Autokrat und Kriegsverbrecher erneut wählen lassen. Er ist absurderweise auch für einige „Linke“ ein Hoffnungsträger. Dagegen setzen wir auf Aufklärung. Die „KGB-Kapitalismus“-Serie zeichnet den Weg Russlands bis zur Etablierung des eurasischen Größenwahns nach (S. 18/19).
Aus Dänemark berichtet Barbara Pfeifer. Mit ihrem Artikel „Fräulein Smillas Gespür für Dänemark“ (S. 16) über Grönlands Diskriminierung im hyggeligsten Land der Welt zeichnet sie nach, dass die neokolonialistische Politik der 1950er- und 60er-Jahre, die die Grönländer*innen zugleich dänisieren sollte, zu Kulturverlust und sozialen Problemen führte.
Anne S. Respondeks Text „Das Dritte Reich als ‚größter Bordellbetreiber Europas‘“ (S. 1 & 15) ist der Auftakt einer Artikelserie über NS-Prostitutionspolitik und Frauen, die von den Nazis zur Prostitution gezwungen wurden. Die Serie soll in den kommenden Ausgaben fortgesetzt werden.
Über „Rechte Vereinnahmung und Umdeutung in Comics“ geht es auf Seite 12, um den GDL-Streik und die Proteste von Bäuerinnen und Bauern auf Seite 22.
Der Filmemacher Robert Krieg erinnert an seinen Kameramann Mansour Karimian, der am 24.12.2023 durch einen Bombenangriff der türkischen Armee im syrischen Rojava (West-Kurdistan) ermordet wurde (S. 1 & 20).
Martin Baxmeyer analysiert die Dämonisierung der Letzten Generation (S. 2) und im dritten Teil des Interviews „Utopia 2.0“ mit Konstantin Wecker geht es u.a. um gewaltfreien Widerstand, Solidarität, Geflüchtete und Kriegsdienstverweigerung. Dazu passen die Artikel über den israelischen Kriegsdienstverweigerer Tal Mitnick (S. 24) und den Journalisten Julian Assange (S. 21 f.).
Ende November 2023 war die GWR Mitveranstalterin einer Podiumsdiskussion „100 Jahre anderes Radio“ (1). Mit dabei waren Aktive von Radio Nordpol und des ehemaligen Piratensenders „Radio Fledermaus“, Kira Sawilla von Radio Q, Radioforscher Jan Bönkost, Gabi Fortak vom „medienforum“ und ich für Radio Graswurzelrevolution. Die Veranstaltung hat uns inspiriert, einen GWR-486-Schwerpunkt zum Thema zu organisieren (S. 3-10).
Viel Spaß beim Lesen, Anarchie und Glück,
Bernd Drücke (GWR-Red.)
(1) Höre: https://www.nrwision.de/mediathek/100-jahre-anderes-radio-podiumsdiskussion-von-frequenzbesitzern-und-frequenzbesetzern-240123/
und https://www.freie-radios.net/125856