Lieber den Spatzen in der Hand als die Taube auf dem Dach, dachte sich wohl der bekannte Prenzlauer-Berg-Lyriker und -Grafiker Kai Pohl (Jg. 1964), als er sein neuestes Werk „Die Sache mit dem Spatz“ veröffentlichte.
Zwischen Prenzlauer-Berg-Blues und den üblichen urbanen Befindlichkeiten schwanken die Gedichte, zwischen bierseligen Betrachtungen und politischen Statements. Nichts ist, wie es scheint, aber alles will einen blenden, und bei all der Gentrifizierung ist man irgendwie vergessen worden, und jetzt sitzt man zwischen Schwaben und Superreichen von Sonstwoher, gutverdienende Kleinfamilien mit bellenden Kindern und qietschenden Hunden … aber alle haben keine Zeit mehr, um mal im Spätie oder auf der Parkbank eine Flasche Bier zu trinken.
Eine Textzeile, die all diese gutverdienenden Computerspezialisten und Influencer-Trutschen erst einmal verstehen müßten – eine Viecherei zwischen dem Nordtier und dem Menschen, der vom arbeitslosen Einkommen lebt, heißt: „Leben wie ein Rentier, doch nicht wie ein Rentier.“ Das Leben ist einfach zu kurz, um schöne Gedanken und kluge Worte an digitale Abzocker zu verschwenden.
Die Lyrik ist rau, aber herzlich, und manchmal reimt sich auch was. Wortspielereien, das Jonglieren mit unserer Sprache als Ausdruck von Mehrfachinterpretationen, als die Nichteindeutigkeit, die Sprache eigentlich vermitteln sollte. Die Unordnung von Worten und ihren Begriffen im Spiegel des Chaos unserer Zeit. Jedwede göttliche und/oder staatliche Ordnung ist ein trügerischer Schein. Kurz gesagt: Lyrik als die Wut über die politischen Ereignisse unserer Zeit und die kleinen persönlichen Missgeschicke: „Was aber, wenn sie weder den Mund / UND NOCH WENIGER / Wort halten können?“
Oder anders gesagt: Das Politische im verwestlichten Prenzlauer Berg ist auch nach über dreißig Jahren nichts besonderes, weil es hinter jeder Ecke lauert, einen unvermittelt anspringt, ohne Rücksicht auf Verluste das Bier aus der Hand reißt und dabei noch schwäbisch lacht – Achselzucken, und weiter: „Zum Abendbrot gibt’s Milbenkot / und Bienenspucke zu Ostpunkmucke.“
Man kann es drehen und wenden wie man will, die „Operation Chaos“ nimmt einem jedwede Hoffnung auf Besseres – egal was passiert: „Alle Wellen laufen auf das Ufer zu“, und in rasantem Tempo drehen wir uns immer schneller um den täglichen Wahn, bis wir aus der Umlaufbahn geschleudert werden, immer in Richtung Osten, unweigerlich.
Und der Dichter kann natürlich auch immer wieder philosophisch: „Das kantische Wir war nicht länger kinetisch / der hegelsche Ball war an Marx gefallen / Zerfall war kein Zufall – die Luft ist raus.“ Das Subversive einer Ostberliner Bohème funkelt hier und da zwischen SUVs und Touristen-Rennpappe. Eine blutige Nase kannst du dir überall holen, aber nirgendwo anders wird das Blaue Auge mit derartig proletarischem Stolz noch getragen. ‚Denkt bloß nicht, dass wir heulen‘, raunt man sich gegenseitig zu.
Kommt auch nicht immer vor, dass der Titel sogar im Buch auftaucht (jedenfalls ist dies bei Kai Pohl mitunter so), genauso wie der Titel dieses Textes in den Zeilen: „Märchenhaft blinkt die Verlockung – / ein räudiger Werbespot“ mit der Erkenntnis: „Die Menschheit ist gegen / sich selbst verschworen.“ Da kannst du dann einfach nichts mehr machen …
Und da der Grafiker Pohl keine Bleiwüste ertragen kann, gibt es als – nicht nur schmückendes – Beiwerk eine Collage von Joerg Broksch, eine zeichnerische Arbeit in Schwarz-Weiß, die wiederum in fünf Ausschnitten als Illustration dient.
Und zum Schluss gibt es dann eben noch, mit dadaistischem Augenzwinkern, den im Titel nicht vorhandenen Haiku: „Kein Haiku / Das einzige / was hier passiert ist / sind die Tomaten.“
Ein Jahr zuvor erschien ebenfalls bei Moloko Print aus Schönebeck in Sachsen-Anhalt das Büchlein „Der Esel küsst den Stein“. Beide Gedichtbände erschienen in der kleinen und feinen Reihe „Chapbook“, also Bücher mit bis zu 40 Seiten. Auch so ein kleines Meisterwerk mit Gedichten und Prosa sowie drei Foto-Collagen von Kai Pohl.
Zu den Produktionen der etwas schmaleren aber wohlfeilen Büchlein hat Kai Pohl sich mal folgendermaßen geäußert: „… ich wollte und konnte nicht warten, bis in ein paar Jahren eventuell ein dickeres Buch rausspringt.“ Dicke Bücher schreiben scheint ja heutzutage jede und jeder zu können, aber das kleine und feine, das immer in der Jackentasche deponierte kleine Werk, das macht Literatur (ebenso wie Lyrik) zu einem wunderbaren und jederzeit erlebbaren Wunder.