Es liegt zwar noch keine Transportgenehmigung für das heikle Unterfangen vor, aber es wird schon kräftig vorbereitet. Vorbereitet sind aber auch Atomkraftgegner_innen in und um Ahaus, 15 Menschen demonstrierten kurzfristig bei Beginn der Bauarbeiten und machten deutlich, dass diese Atommülltransporte aus Jülich auf Widerstand stoßen. Das war seit 15 Jahren so, das ist im Dezember bei den Bauarbeiten so und das wird auch 2025 so sein, wenn vermutlich nach der Bundestagswahl (eventuell auch schon früher) die Castorbehälter rollen sollen. 152 einzelne Transporte über die Autobahn quer durch NRW sind beantragt. Es gab Probetransporte mit einigen Problemen, so hat sich der Fahrer des Castor-LKW im Kreuz Kaiserberg bei Duisburg verfahren und die Polizeikolonne kurzzeitig verloren. Ein Teil der der bei den Probetransporten genutzten Route ist inzwischen für Schwerlasttransporte gesperrt. Für aktuelle Informationen über die geplanten Routen empfehlen sich Routenplaner und die Webseiten der Anti-Atomkraft-Initiativen (1).
152 Castorbehälter – Oldies mit gefährlichem Inventar in unbekanntem Zustand
Die Castoren enthalten ca. 300.000 Brennelementekugeln
des Jülicher Versuchsreaktors AVR, trotz des Namens ein kommerzielles AKW. Die Brennelementekugeln bestehen hauptsächlich aus Graphit und enthielten einen kleinen Kern an Uran, so dass sie nun verschiedenste radioaktive Spaltprodukte enthalten. Wegen der hochradioaktiven Inhaltsstoffe muss der Atommüll sicher von der Umwelt abgeschirmt werden. Aufgrund des Graphits sind die Kugeln prinzipiell brennbar, wenn auch schwer entzündlich. Leicht entzündlich ist hingegen der teilweise in Castoren enthaltene Graphitstaub, der durch Abrieb im Reaktorbetrieb entstand. Insgesamt wurden 20 verschiedene Brennelementkugel-Typen eingesetzt, die Buchhaltung darüber, was in welchem Castor ist, hat der Whistleblower Dr. Rainer Moormann als lückenhaft bezeichnet.
Beladen wurden die Castorbehälter bis 1993, die Nutzungsdauer wurde damals mit ca. 40 Jahren veranschlagt und genehmigt – dann sollte es ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Gorleben geben (siehe Artikel in dieser GWR).
Die ersten Jülicher Castoren benötigen ab 2032 eine neue Zulassung! Was sich inzwischen aufgrund von weiteren radioaktiven Zerfallsketten innerhalb der Castorbehälter getan hat und wie sich das auf den Zustand der Castoren auswirkt, lässt sich nur theoretisch erahnen – der tatsächliche Zustand im Inneren ist unbekannt und soll auch für eine verlängerte Nutzungsdauer nur theoretisch betrachtet werden.
Gewaltfreier Protest – Erfolg, Niederlage, weitermachen!
Atommüll-Debakel in Jülich von Anfang an:
Seit 1993 wird auf dem Gelände des Forschungszentrums Jülich (FZJ) ein Zwischenlager in Leichtbauweise für AVR-Brennelemente in Castoren betrieben, dessen Genehmigung nach 20 Jahren ohne angemessene Reaktion der NRW-Atomaufsicht im Jahr 2013 ausgelaufen ist. Der Ablauf der Genehmigung war lange zuvor absehbar, da die Befristung bis 2013 seit Inbetriebnahme bestand. Seit 2009 gibt es die Pläne, die Castoren deswegen nach Ahaus zu bringen – und seitdem zahlreiche Protestaktionen, dies zu verhindern. In den letzten 15 Jahren haben weder das Forschungszentrum (FZJ) und die von ihm beauftragte Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN), die nun im Besitz der 152 Castoren ist, noch die Landes- oder Bundesregierung dafür gesorgt, dass eine neue, den heutigen Anforderungen entsprechende „Zwischenlager-Halle“ in Jülich gebaut wurde.
Stattdessen arbeiten sie vorrangig an Plänen zum Abtransport, erst in die USA (angeblich damals „schnellste Lösung“), ohne Rücksicht auf Transportrisiken und mit der wahnwitzigen Idee, das Graphit der Brennelemente durch Verbrennen abzutrennen. Dagegen gab es zahlreiche Demonstrationen, Besuche und Austausche mit amerikanischen Atomkraftgegner_innen und zuständigen Politiker_innen. Ein Erfolg der Anti-Atom-Bewegung: 2022 beerdigten Politik und JEN die Export-Pläne kleinlaut. Dafür nahmen die Pläne für Castortransporte nach Ahaus neue Fahrt auf, dass sei nun die angeblich „kostengünstigste Lösung“. Den Menschen wurde vorgegaukelt, Jülich sei „atommüllfrei“, wenn die Castoren abtransportiert würden. Das ist eine Lüge, denn es wird dort weiter schwach- und mittelradioaktiver Atommüll „konditioniert“. Der hochverstrahlte Reaktorbehälter liegt dort ebenfalls, gekippt in einer neuen Halle. Es ist also nicht unmöglich, in Jülich für alte Probleme, neue Lagermöglichkeiten zu schaffen!
Argumente, die gegen die Castortransporte von Jülich nach Ahaus sprechen:
• Das Zwischenlager in Ahaus hat nur noch eine Genehmigung bis 2036. Bereits im Jahr 2030 müssen Pläne für die Räumung des Lagers vorgelegt werden. Geplant ist eine Neu-Genehmigung, ob die aber gelingt ist rechtlich fraglich.
• Das Ahauser Zwischenlager ist nicht ausreichend gegen Flugzeugabstürze und Terrorangriffe geschützt, es entspricht auch nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik.
• Eine eventuell notwendige Reparatur der über 30 Jahre alten Castoren ist in Ahaus nicht möglich.
• Die hochporösen, brennbaren Brennelementkugeln müssen vor einer wie auch immer gestalteten Endlagerung (Wirtsgestein) auf noch unbekannte Art und Weise konditioniert (=bearbeitet) werden. Eine direkte Endlagerung der teils zerborstenen Brennelementkugeln und der nicht genau deklarierten Castor-Inventare mit unterschiedlichen Brennelementkugeln ist unrealistisch!
• Eine Konditionierung des Atommülls ist in Ahaus weder möglich, noch vorgesehen. Somit müssten die BE-Kugeln für die Endlagerkonditionierung nochmal transportiert werden – vielleicht sogar nach Jülich zurück, denn verantwortlich für Entwicklung und Durchführung dieses Verfahrens bleiben das FZJ und die JEN.
• Die Castortransporte müssten mit 130 t schweren LKW über 200 km quer durch das dicht besiedelte NRW gefahren werden – beantragt sind 152 Einzeltransporte.
• Jeder Transport von Atommüll stellt eine erhöhte Gefahr für Mensch und Umwelt dar.
• Der Neubau eines maximal sicheren Zwischenlagers in Jülich ist technisch möglich. Die 2013 genannten Bedenken bezüglich der Erdbebensicherheit der alten Halle konnten laut NRW-Atomaufsicht/ BASE bereits 2019 wieder ausgeräumt werden – damit wäre eine genehmigte Zwischenlösung in der alten Halle bis zum Neubau denkbar.
Dass der Protest mit Demonstrationen, symbolischen Blockaden vor den Toren in Ahaus und Jülich, Recherche und Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich ist, zeigt sich auch daran, dass die JEN vor den USA-Plänen und seit 2022 schon mehrfach angekündigt, sehr bald alle Genehmigungen zu haben und dann losfahren zu können. Das ist bis heute nicht der Fall!
Das OVG-Urteil vom 3. Dezember 2024 – Wenn Politik versagt, werden Menschen handeln!
Die Stadt Ahaus und ein Anwohner haben gegen die Einlagerungsgenehmigung für die Castoren geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Münster sah hingegen alle Sicherheitsbedenken ausreichend berücksichtigt. Nach Ansicht der Atomkraftgegner_innen ist das aber wenig verwunderlich, wenn nur kleinteilige Vorschriften und unrealistische Annahmen betrachtet werden, aber die Gesamtproblematik, nämlich die verzögerte Endlagersuche um ca. 100 Jahre einfach ausgeblendet werden. Diese Verzögerungen haben (bislang) keinen Eingang in das Atomgesetz oder andere Erlasse gefunden, so dass sie vor Gericht ebenso wenig berücksichtigt werden, wie der veraltete Zustand der Ahauser Atommüllhalle. Dann wäre nämlich schwarz auf weiß gerichtlich besiegelt, dass Deutschland ein massives Atommüllproblem hat.
Nicht entmutigen lassen – Verantwortung für Atommüll einfordern – kreativ und gewaltfrei
Die Atomkraftgegner_innen lassen sich nicht entmutigen. Wie eingangs erwähnt wurden die kurzfristig angekündigten baulichen Vorbereitungen direkt mit einer Mahnwache begleitet. Weitere Protestaktionen gegen die Bauarbeiten sind bei Drucklegung der GWR nicht auszuschließen gewesen. Am 15. Dezember folgt die nächste große Demo am Ahauser Atommülllager. Der Protest in Form der Sonntagsspaziergänge jährt sich zum 30. Mal – auch das ein Erfolg! Langer Atem zahlt sich aus, seit 2005 gab es keine Castortransporte nach Ahaus mehr. Das letzte Wort ist bezüglich der Jülicher Castoren noch nicht gesprochen, die Transportgenehmigung fehlt noch immer, Klagen dagegen sind schon in Aussicht und 152 Einzeltransporte sind auch für die Polizei nicht mal eben so zu sichern. Kreativer, gewaltfreier Protest wird sich auswirken, entweder auf die akuten Transportpläne selbst und/ oder den weiteren Umgang mit dem Atommüll. Denn bis zum Endlager gehen noch einige Jahre ins Land.
Kleiner Exkurs: Der Castor
In den Hochphasen der Anti-Atom-Bewegung war es quasi „Allgemeinwissen“, was ein Castor-Behälter ist. In Zeiten von halbherzigem Atomausstieg, Klimawandel und Rechtsruck kann man dieses Wissen nicht mehr voraussetzen. Zu verlockend sind die Märchen von der Lösung der Energie-Probleme durch Atomkraft. Castor steht für „cask for storage and transport of radioactive material” also ein „Behälter zur Aufbewahrung und zum Transport radioaktiven Materials“, der das Material sicher einschließen soll, um Gesundheitsschäden durch die radioaktive Strahlung zu verhindern. In Jülich wurden Castor-Behälter vom Typ AVR/ THTR beladen, ein eher kleiner Castor-Typ, aber deswegen nicht weniger gefährlich. Kommt es zur Freisetzung des enthaltenen hochradioaktivem Atommülls sind schwerwiegende Gesundheitsschäden bis hin zum Tod möglich. Die Physikerin Oda Becker hat für .ausgestrahlt ein Gutachten zur Sicherheit bei den geplanten Castor-Transporten (2) verfasst.
Exkurs: Der AVR – das Jülicher Atomkraftwerk
1969 nahm ein Prototyp eines sogenannten Kugelhaufenreaktors, ein besonderer Typ eines Atomkraftwerks, im Forschungszentrum Jülich seinen kommerziellen Betrieb auf – der sogenannte AVR (Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor GmbH). Bis 1988 wurde Strom ins öffentliche Netz eingespeist und verkauft. Gleichzeitig wurde der Reaktor in verschiedenen Szenarien und mit verschiedenem Brennstoff getestet und erforscht. Im Gegensatz zu den „klassischen AKW“ wurde das Uran nicht in Form von Brennstäben in den Reaktor eingebracht, sondern in Kugelform. Diese Kugeln sind tennisballgroß, bestehen hauptsächlich aus Graphit und enthalten einen kleinen Kern an Uran für die Kernspaltung. Wegen verschiedener Pannen setzte sich dieser Reaktortyp nicht durch – erst 2014 wurden nach einem externen Bericht durch die Betreiber gravierende Versäumnisse, Probleme und Fehlverhalten eingeräumt. Zurück bleibt bis heute ein radioaktiv kontaminierter Reaktorbehälter, kontaminiertes Erdreich und 152 Castorbehälter, die den radioaktiven Brennstoff sicher umhüllen sollen. Aufgrund der Graphitkugeln ist das Volumen dieses Atommülls deutlich größer als bei klassischen Druckwasserreaktoren. Zum Vergleich: Im Atommüllzwischenlager Lingen stehen „nur“ 42 Castorbehälter. Und das obwohl das AKW Lingen ca. die 220-fache Menge an Strom erzeugt hat.
(1) Am 19. Januar 2025 wird es in Ahaus wieder einen Sonntagsspaziergang in Form einer Demo geben. Weitere Infos: www.sofa-ms.de ; www.bi-ahaus.de ; https://ww.ausgestrahlt.de/themen/atommuell/hochradioaktiv/zwischenlagerung/castortransporte-vom-zwischenlager-julich-nach-ahaus/?edit_off=true
(2) https://www.ausgestrahlt.de/themen/atommuell/hochradioaktiv/zwischenlagerung/castortransporte-vom-zwischenlager-julich-nach-ahaus/gefahren-bei-castortransporten/