so süß wie maschinenöl

16: Arbeit, Ökonomie und Alltag

Paradigmenwechsel in den USA:

Diversität war gestern

| Elmar Wigand

Beitragdiverität

„Paradigmenwechsel“ ist auch so ein Wort... Vielleicht kein Bullshit-Begriff, aber doch etwas überstrapaziert. Ein Paradigmenwechsel ist in etwa das, was Hannes Wader in seinem Vagabunden-Song „Heute hier, morgen dort“ besingt: „Denn was neu ist, wird alt, und was gestern noch galt, gilt schon heut' oder morgen nicht mehr.“

Der Paradigmenwechsel, der mich gegenwärtig stark beschäftigt, ist die Abkehr der USA vom Prinzip der Soft Power und die Hinwendung dieser kriselnden und innerlich zerrissenen Imperialmacht zu unverblümter Hard Power. Diese Kursumkehr ist nicht bloß rhetorisch-symbolisch, sondern handfest: Sie manifestiert sich etwa in der Schließung der Entwicklungshilfe-Organisation USAID und in Plänen, das gesamte US-Bildungsministerium nach Vorbild von Argentinien zu schleifen. Außerdem in neuen Sprachregelungen, die gegen die Prinzipien „Diversity, Equity & Inclusion“ gerichtet sind (zu deutsch: Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion).

Warum gibt die letzte verbleibende Supermacht, die sich von China herausgefordert sieht, diese brillante und subtil wirkende Waffe aus der Hand?

Was gibt es Besseres als die, die glauben wollen, glauben zu lassen, dass Kriege und Eroberungen im Namen der Menschenrechte geschehen? Abschaffung der Sklaverei, The War to end all wars, Elvis in Bad Nauheim, Frauenrechte für Afghanistan und Christopher Street Day in Kiew… Es hat doch blendend funktioniert!
Wen in der Atlantik-Brücke und angegliederten Medien interessierten angesichts der Segnungen der USA noch Milton Friedman in Chile und der Tod von Salvador Allende 1973, Folter und Todesschwadrone in Südamerika und das Gefängnissystem der USA? Ist es klug, auf diese Form der Gehirnwäsche per kognitiver Dissonanz – George Orwell nannte es Doppeldenk – zu verzichten? Und: Was bedeutet dieser Paradigmenwechsel für radikale Basisbewegungen, die auf Autonomie der arbeitenden Klasse, Emanzipation und direkte Demokratie ausgerichtet sind?

Ein eher traditionell anti-imperialistisch orientierter Genosse, den ich schätze, meinte dazu lapidar, nach dem Motto „Seht her, ich habe es immer gewusst!“, und fast etwas triumphal: „Die USA lassen die Maske fallen und zeigen ihre hässliche Fratze. Endlich.“
Ja, aber warum tun sie das? Wofür ist das notwendig?

Wäre nicht eine geschlechtergemischte, gendersensible, homo-freundliche, aber dennoch skrupellose Armee denkbar? Könnte diese Armee nicht womöglich noch grausamer und effektiver sein?

In den ersten Monaten der zweiten Amtszeit von Donald Trump gab es ein solches Sperrfeuer aus schockierenden Maßnahmen und noch schockierenderen Vorschlägen, dass die Abkehr von der Soft Power fast unverarbeitet blieb, auch weil diese Zeitenwende von einem größeren und extremeren Paradigmenwechsel verdeckt wurde.
Trump geht im zweiten Anlauf – wie angekündigt – nach dem Prinzip seines Vordenkers Steve Bannon vor, „Flooding the Zone with shit“, und nach der US-Militärstrategie „Shock and awe“ (zu deutsch: Die strategischen Bereiche mit Scheiße fluten, Erstarrung und Furcht verursachen.). Die US-Regierung hat die Gewaltenteilung und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit aufgegeben. Sie ignoriert offen internationales Recht, was für geopolitisch Interessierte nichts Neues ist, aber früher zumeist passiv, indirekt und unausgesprochen geschah.
Der US-Sicherheitsberater Henry Kissinger, das State Department und die CIA prahlten meist nicht offen zur besten Sendezeit mit den Schandtaten ihrer Agent*innen, Putschisten und Folterknechte. Wenn sie ihre Verbrechen zugaben, dann eher zähneknirschend als „notwendiges Übel“. Nun aber ignoriert die US-Regierung neben dem Pariser Klimaschutz-Abkommen, UN-Resolutionen zu Palästina, dem Den Haager Gerichtshof für Menschenrechte und der internationalen Anti-Geldwäsche-Institution Financial Action Task Force (FATF) auch die eigene, inländische, nationale Rechtssprechung (1). Damit haben Trump, seine kriminellen Oligarchen, rechtsextremen Volksverhetzer und religiösen Irren, den Boden der Verfassung von 1776 verlassen.
Der Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 und die Versuche Donald Trumps, die Wahl 2020 zu fälschen, blieben ungesühnt oder wurden amnestiert (2). Möglicherweise wird J6, wie der Sturm aufs Capitol dort heißt, als Pendant zum Marsch auf Rom durch Mussolini im Jahr 1922 in die Geschichte eingehen, also als Meilenstein auf dem Weg in eine faschistische Diktatur.
Richtersprüche, welche die sofortige Freilassung von unrechtmäßig inhaftierten Ausländer*innen und den Stopp von Abschiebungen anordneten, werden unter Trump II. offen ignoriert. Konkret ging es um über 200 vermeintliche Gangmitglieder, die in einen Folter-Gefängniskomplex in El Salvador abgeschoben wurden, der Guantanamo auf Kuba ähnelt (3) – Indizien für Gangmitgliedschaft waren mitunter Tatoos (4). Und es ging um einen Studenten der Columbia-Universität namens Mahmoud Khalil, dem ohne tragfähigen Grund die Greencard entzogen wurde und der in Abschiebehaft landete. Hier konnte ein Bezirksgericht die Abschiebung vorerst stoppen, nicht aber die Inhaftierung (5).
Neben Mahmoud Khalil drohen Hunderten Gegner*innen der israelischen Besatzungspolitik, die 2024 an US-Universitäten gegen den Gaza-Krieg protestierten, die Abschiebung. Ihnen wurde die Aufenthaltsgenehmigung entzogen.
Jüngst haben drei namhafte Yale-Professor*innen und US-Dissident*innen freiwillig das Land verlassen: Marci Shore, Timothy Snyder und Jason Stanley sind gemeinsam nach Toronto gegangen – auch aus Protest gegen die kriecherische Haltung der US-Unis gegenüber der Trump-Regierung. Sie sind sich inzwischen einig, dass der Begriff Faschismus für die derzeitige Situation in den USA nicht mehr übertrieben ist. Timothy Snyder befürchtet einen Bürgerkrieg. Nachzulesen in der Süddeutschen Zeitung, die in ihrer redaktionellen Linie der Demokratischen Partei nahe steht (6). Ich denke eher, dass dieser Bürgerkrieg ausfällt, weil einer Opposition, die weitgehend von staatlichen oder Stiftungsgeldern abhängig ist, die Kraft für eine adäquate Gegenwehr schon im Ansatz fehlt.

Zurück zum Paradigmenwechsel: Warum sollte ein Imperium seine Fratze zeigen? Warum auf die Maske verzichten?

Der rechtsradikale österreichische Publizist Gerald Grosz bringt es auf den Punkt: „Weil wir bei Kriegsvorbereitungen nicht zwischen 72 Geschlechtern zuerst unterscheiden können, um zu wissen, ob wir ein Transenbattaillon nach Russland schicken, um Russland zu erobern. Auch können wir bei Kriegsbeginn nicht darüber entscheiden, ob wir eine vegane Gulaschkanone aufstellen, damit sie und ihre Neigungsgruppe herrlich ihr Tofugulasch bekommen, weil sie sonst für nichts in der Lage sind. Wir können bei Kriegsbeginn auch nicht ihr Lieblingsthema berücksichtigen, dass wir die dieselbetriebene Panzerflotte so schnell auf E-Mobilität klimagerecht umstellen.“ (7)

Eine ketzerische Gegenfrage: Wäre nicht eine geschlechtergemischte, gendersensible, homo-freundliche, aber dennoch skrupellose Armee denkbar? Könnte diese Armee nicht womöglich noch grausamer und effektiver sein? In Zeiten, in denen die Drecksarbeit zunehmend von Drohnen erledigt wird, ist es doch egal, ob und wie wir geschminkt sind? Die israelische Armee könnte hier womöglich als Vorbild dienen. Im Gazakrieg hat sich die Beteiligung von Frauen an Kampfhandlungen um 350 Prozent gesteigert, wie der Tagesspiegel mit merkwürdiger Bewunderung berichtet (8). Offenbar dauert das aber alles zu lange und bringt für Länder wie Russland, die USA und Deutschland zu wenig, die über eine ungenutzte Reservearmee in Millionenstärke verfügen. Man setzt auf Strafgefangene, bildungsferne Schichten, Einwanderer, abgehängte Männer, Arbeitslose und Verzweifelte. Der Krieg bliebt binär. Freund oder Feind. Mann oder Frau. Mann im Krieg, Frau zuhause. Hast Du gedient oder bist Du eine Memme? Und an der Front gilt mono statt stereo: Es gibt Gulasch. Und gefahren wird mit Diesel. Punkt. Und jetzt Abmarsch!

(1) Meike Schreiber, Markus Zydra: Finanzkriminalität – Die Mafia wird sich freuen, SZ, 31.3.2025, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geldwaesche-usa-trump-oligarchen-li.3225092
(2) Peter Burghardt: USA – Der Sturm aufs Kapitol wird zum „Tag der Liebe“, SZ, 31.1.2025, https://www.sueddeutsche.de/politik/trump-sturm-kapitol-rache-li.3190620
(3) Brandon Drenon: US deports hundreds of Venezuelans despite court order, BBC, 17.3.2025, https://www.bbc.com/news/articles/cp9yv1gnzyvo
(4) U.S. Transfers More Immigrants to Salvadoran Prison, Admits to „Error“ in Deportation of Maryland Dad, Democracy Now!, 1.4.2025, https://www.democracynow.org/2025/4/1/headlines/us_transfers_more_immigrants_to_salvadoran_prison_admits_to_error_in_deportation_of_maryland_dad
(5) „This Is All Retaliatory“: Judge Blocks Mahmoud Khalil’s Deportation as Trump Vows More Arrests, Democracy Now!, 11.3.2025, https://www.democracynow.org/2025/3/11/mahmoud_khalil_ice_columbia_university_palestine
(6) Adrian Kreye: USA – „Es wird einen Bürgerkrieg geben“, SZ, 31.3.2025, https://www.sueddeutsche.de/kultur/timothy-snyder-marcy-shore-jason-stanley-wissenschaftler-flucht-usa-li.3228579
(7) Fellner! Live – Sebastian Bohrn Mena vs. Gerald Grosz, Instagram. 4.3.2025, https://www.instagram.com/geraldgrosz/reel/DGyc8RmN1RT/
(8) „Immer mehr wollen zu den Kampfeinheiten“: Erstmals kämpfen Frauen der israelischen Armee im Gazastreifen, Tagesspiegel, 24.1.2024, https://www.tagesspiegel.de/internationales/immer-mehr-wollen-zu-den-kampfeinheiten-erstmals-kampfen-frauen-der-israelischen-armee-im-gazastreifen-11104876.html

Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht e.V. Mit Jessica Reisner moderiert er die Sendung arbeitsunrecht FM. Seine Kolumne ist in der Ausgabe #01/2025 zu hören:
https://www.freie-radios.net/133495