Glück und GWR

Der Rabe Ralf grüßt seine Geistesverwandtschaft

| Johann Thun

Der Autor hatte das Glück, zu einer Zeit in Marburg zu studieren, als an der altehrwürdigen Universität noch Reste ihrer glorreichen Vergangenheit zu finden waren. Diese war gleichzeitig konservativ und linksradikal geprägt. Von biederen Professoren wurde man hier in den Kanon der Tradition eingeführt und lernte – ein Seminar weiter, bei nicht weniger angegrauten Dozenten –, wie man diesen Kanon ideologisch auseinanderpflückt bzw. (was wichtiger ist), wo man in diesem Kanon widerspenstige und rebellische Stimmen findet, die wie Zeitgenossinnen und Zeitgenossen zu uns sprechen.
Die passenden Bücher bestellte man sich in der Buchhandlung „Roter Stern“, die auch heute noch malerisch an der Lahn liegt und den Geist des „alten Marburg“ bewahrt. Hier hielt der Autor zum ersten Mal ein Exemplar der „Graswurzelrevolution“ in den Händen. Im Vergleich zu den anderen Zeitungen, die links und rechts davon auslagen, gefielen ihm die undogmatische Ausrichtung und die radikale Treue zu den eigenen Idealen. Die Zeitung aus Münster wurde ihm allmonatlich zur außerseminaristischen Oppositionslektüre.
Die meisten Marburger*innen ziehen irgendwann nach Berlin. So auch der Autor. Da er sich trotzdem nach der grünen Idylle zurücksehnte, wurde er Redakteur der Berliner Umweltzeitung „Der Rabe Ralf“.

Ökologie und Anarchie

Wie die GWR wird auch der Rabe Ralf von Idealismus getragen. Unsere Umsonstzeitung kann nur erscheinen, weil sich ihre Macherinnen und Macher selbst „ausbeuten“ und immer wieder Menschen finden, die dem Raben ihre Zeit und ihre Arbeit, ihr Geld und ihre Liebe schenken. Wie die GWR würde sich der Rabe trotzdem über mehr Abos freuen. Am besten für uns alle wäre ein Doppelabo, wie der Raben- und GWR-Autor Maurice Schuhmann unlängst schrieb.
Unsere Zeitung hat sich in den letzten Wochen optisch verändert. Mithilfe einer Förderung der Stiftung Naturschutz Berlin haben wir nun ein ansprechendes Layout, sind unter „raberalf.de“ 
im Internet zu finden und präsentieren uns in der Ausstellung „Den Vogel zeigen“, die bis September im Museum Pankow kostenlos besucht werden kann. Trotzdem ist der Rabe der alte geblieben. Wir stimmen GWR-Redakteur Bernd Drücke zu, der in einem Interview bei uns gesagt hat: „Ich bin ein Fan des Printmediums und hoffe auf eine Renaissance.“ (1)
Das klingt für viele genauso naiv wie der Traum von einer gewalt- und herrschaftsfreien Welt, dem der Rabe ebenfalls anhängt. Da unsere permanent totgesagten Zeitungsprojekte aber immer noch lebendig sind, muss ja wohl noch Hoffnung bestehen.
Der Rabe Ralf hat „Ökologie“ schon in seinen Anfängen sehr breit aufgefasst. Die Zeitung war immer politisch und hat einen starken „anarchoökologischen“ Flügel. Es gibt viele Autorinnen und Autoren, die gleichzeitig für den Raben und die GWR schreiben. Dass vom Anarchismus mehr und bessere Wege zum Umweltschutz führen als von allen anderen „Ismen“, kann bei der Lektüre von Gustav Landauer, Louise Michel, Élisée Reclus, Bernard Charbonneau und vielen weiteren schnell festgestellt werden.

Mit dem Zweifel solidarisch

Ich kann nicht verhehlen, dass mir persönlich – bei allem Antimilitarismus – in den letzten Jahren gelegentlich Zweifel kamen. Kann man den Kurden in Rojava wirklich dazu raten, die Waffen niederzulegen? Dürfen sich die ukrainischen Verbände – in denen auch viele Anarchisten kämpfen – nicht auch mit Waffen verteidigen? Solche Zweifel sollten aber nicht zu Abkehr und Bruch, sondern zu Selbstreflexion und Dialogbereitschaft führen. Wenn die politische Rechte immer stärker wird, kann sich die Opposition nicht nur mit sich selbst beschäftigen. Trotzdem: Die GWR und der Rabe Ralf vertreten eine Vielzahl an Meinungen, dabei sind wir uns aber im Grundsätzlichen einig.
Die gesamte Raben-Redaktion grüßt die Graswurzelrevolution herzlich zur Ausgabe 500. Eure Standhaftigkeit ist uns ein Vorbild. Wir wünschen euch Anarchie und Glück.

(1) Siehe: https://www.raberalf.de/archiv/graswurzel