„Nach einem jahrelangen, vergeblichen Tauziehen zwischen den Gegnern und Befürwortern der Atomenergie, das teils auch in Parlamenten und teils sogar in Gerichtssälen stattfand, war es der GAK (1) mit der Besetzung des AKW-Geländes schliesslich gelungen, grosse Teile der Nordwestschweizer Bevölkerung gegen das Bauvorhaben zu mobilisieren und den politischen Druck permanent zu erhöhen“ (2) Viele Publikationen über gewaltfreie Kampagnen und Aktionen lenken ihren Blick auf das unmittelbare Geschehen einer Aktion oder auf den politischen Wirkmechanismus einer Kampagne. Das vorliegende – zum 50. Jahrestag der Bauplatzbesetzung in Kaiseraugst im April des Jahres – neu aufgelegte Buch von Ex-GWR-Redakteur Michael Schroeren beschreibt anhand von Archivmaterialien (3) systematisch das Entstehen der Kampagne gegen das – zum Start der Kampagne bereits beschlossene und in Bauvorbereitung befindliche – AKW im schweizerischen Kaiseraugst. Bevor sie im Buch überlesen wird, weise ich auf eine triviale, aber für Aktivist*innen wichtige Erfahrung hin: Der größte politische Erfolg beginnt meist mit einer kleinen Gruppe. Einer Gruppe, die oft so klein ist, dass die politisch als nötig erachteten Ziele völlig unerreichbar erscheinen. Ohne den Mut, das Organisationstalent und die Überzeugungskraft der Mitglieder solcher Gruppen sind politische Ziele nicht zu erreichen: Zum ersten Treffen der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst „waren kaum mehr als zehn erschienen, für das zweite Treffen (…) verzeichnete der Sitzungsbericht nur neun Teilnehmer (…), in der Kasse befanden sich ganze 30 Franken“. (4) Das aus gewaltfreier Perspektive spannende an der Kampagne gegen den Bau des AKW Kaiseraugst sind die mustergültig angewendeten Elemente einer erfolgreichen gewaltfreien Kampagne: Von der öffentlichen Ankündigung, den basisdemokratischen Strukturen und einer gemeinsamen schriftlichen Übereinkunft, über den „Probe-Hock“, regionale Ortsgruppen, Boykottaktionen, Informationskampagnen und öffentliche Bereitschaftserklärungen bis hin zur eigentlichen Bauplatzbesetzung, den politischen Verhandlungen und schließlich den oft niederschmetternden Folgen des errungenen Erfolgs, begegnen uns zahlreiche Faktoren für das Gelingen Gewaltfreier Aktionen und Kampagnen, die sich auch in den Folge-Jahrzehnten immer wieder neu als zielführend beobachten lassen. „Voraussetzung (…) war die kontinuierliche Aufbauarbeit, getragen von Bürgeraktionen überparteilichen und gewaltlosen Charakters, die als Ein-Punkt-Bewegungen mit eng umgrenztem Kampfziel eine zunehmend größere Zahl von Aktivisten, Mitgliedern und Sympathisanten informieren, organisieren und mobilisieren konnten (…).“ (5) Für mich ist es immer wieder faszinierend, wie lange die erfolgreiche Praxis Gewaltfreier Aktion zurück reicht und wie sich das Wissen darum bewegungsübergreifend weltweit ver-
breitet – oft ohne dass den jeweiligen Aktivist*innen diese Wurzeln bewusst sind. Im konkreten Fall beispielsweise orientierten sich die Mitglieder der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst neben den vorangegangenen Bauplatzbesetzungen im elsässischen Marckolsheim und im badischen Wyhl auch an der „Blockierung einer Kohlenstoff-Fabrik (Carbon Black) durch die Anwohner in dem englischen Ort Port Tennant und der Bauernbewegung gegen die Ausweitung eines NATO-Übungsplatzes im südfranzösischen Hochplateau Larzac.“ (6) Die Graswurzelaktivisten Eric Bachman und Günter Saathoff transportierten die im deutsch-französisch-schweizerischen Dreiländereck gemachten Erfahrungen anschließend per Vortragsreise weiter zu nuklearen Widerstandsgruppen in den USA, wo sie z.B. 1975–1977 im Rahmen mehrerer großer gewaltfreier Bauplatzbesetzungen der Clamshell Alliance gegen das geplante AKW Seabrook Anwendung fanden. (7) Die internationale Solidarität und länderübergreifende Zusammenarbeit ist eine Praxis, die im Dreiländereck eine lange Tradition hat: Aktuelles Beispiel ist die Informations-Kampagne des Trinationalen Atomschutzverbands (TRAS) mit .ausgestrahlt, BUND und IPPNW gegen den unverantwortlichen Weiterbetrieb der vier schweizerischen Uralt-AKWs in Beznau, Gösgen und Leibstadt. (8) Nicht unerwähnt bleiben soll ein historisches Augenzwinkern: Peter Scholer, Mitgründer der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst und bis heute in der Schweizer Anti-AKW-Bewegung aktiv, kam eher zufällig zur GAK-Gründung: „An der ersten Sitzung war ich auch dabei, aber eigentlich mehr aus Versehen. Ich wußte von nichts. Ich meinte, die Einladung käme von einem anderen Epple und so ging ich dorthin. Ich wollte eigentlich gar nicht groß mitmachen, weil ich sonst schon genug zu tun hatte.“ (9) Der Autor Michael Schroeren, befragt zu seiner Motivation für die Neuauflage, soll hier das Schlusswort bekommen: „Es gibt nicht sehr viele leuchtende Beispiele in der Geschichte gewaltfreier Widerstandsbewegungen, die derart erfolgreich waren wie die in Kaiseraugst. Diese Beispiele machen Mut, weil sie zeigen, dass gewaltfreier Widerstand funktionieren kann. Wir tun gut daran, sie genau zu studieren und aus ihnen zu lernen. Nicht zuletzt deswegen habe ich mich entschlossen, mein ‚Geschichtsbuch‘ über Kaiseraugst zum 50. Jahrestag des Beginns der Bauplatzbesetzung neu herauszugeben und damit verfügbar zu machen.“ (10)
(1) Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst
(( 2)) David Häni: Kaiseraugst besetzt! Die Bewegung gegen das Atomkraftwerk. Schwabe Verlag, Basel 2018. S. 350
(( 3)) Die von der GAK erhaltenen Akten können z.B. im Staatsarchiv Basel-Stadt recherchiert und eingesehen werden.
(4) Schroeren, 1977, S. 28
(( 5)) ebd., S. 155
(( 6)) ebd., S. 29
(( 7)) Joanne Sheehan, Eric Bachman: Seabrook—Wyhl—Marckolsheim: transnational links in a chain of campaigns, auf: wri-irg.org/en/story/2014/seabrook-wyhl-marckolsheim-transnational-links-chain-campaigns
(8) https://atomschutzverband.ch/tras-praesentiert-neue-studie-zu-den-risiken-der-schweizer-akw-an-landespressekonferenz-baden-wuerttemberg/
(( 9)) Schroeren, 1977, S. 28
(10) Mail Michael Schroeren vom 3.9.2025