Der Soziologe und der Captain

Eine Reise durch das Star-Trek-Universum

| Prostetnik Vogon Jeltz

Torsten Bewernitz, What would Picard do? Star Trek als Social Fiction, mit Gastbeiträgen von Ursula K. Le Guin, Yanis Varoufakis und Jens Kastner, illustriert mit 20 Zeichnungen von Findus, Unrast, Münster 2025, 144 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-89771-638-4

Vermutlich entfaltet das Büchlein „What would Picard do?“ von Torsten Bewernitz seinen vollen Reiz nur für Leute, die wie der Autor, der Rezensent und einige andere mit der US-amerikanischen Fernsehserie Star Trek bzw. Raumschiff Enterprise aufgewachsen sind. Weniger Glückliche werden sich fragen „Wer ist eigentlich dieser Picard und was hat es mit uns zu tun, was er tun oder lassen würde?“ Die Antwort auf diese Frage versteckt sich im Untertitel „Star Trek als Social Fiction“. Social Fiction ist ein Subgenre der Science Fiction, in dem nicht der technische Fortschritt oder das Abenteuer im Vordergrund stehen, sondern die Zukunft ein Ort ist, um soziale Alternativen zu erforschen, wie z.B. die Frage: „Wie sähe eine Gesellschaft aus, in der das Geschlecht keine Rolle spielen würde?“ in Ursula K. Le Guins Roman „The left hand of Darkness“ (dt. „Der Winterplanet“, 1974). Folgerichtig stellt Bewernitz dann auch statt eines Vorwortes Ursula K. Le Guins Artikel „Meine Verabredung mit der Enterprise“, aus dem unten zitiert wird, seinem Star-Trek-Buch voran. Dagegen handelt es sich z.B. bei George Lucas‘ „Star Wars“ bzw. „Krieg der Sterne“ nicht um Social Fiction, sondern um eine Space Opera, weil hier keine neuen sozialen Möglichkeiten ausprobiert oder für die Gegenwart relevante Fragen diskutiert werden, sondern eine Geschichte erzählt wird, die ebenso gut im Mittelalter oder im Wilden Westen spielen könnte und nur zufällig in die Zukunft verlegt wurde. Anders verhält es sich beim Raumschiff Enterprise. Natürlich war bzw. ist auch Star Trek ein Produkt der Kulturindustrie, das in erster Linie der Unterhaltung dient. Filme oder Serien sind Waren, die für teures Geld produziert werden und Gewinn abwerfen müssen. Ihr Inhalt muss marktkompatibel sein. Sie dürfen alles, nur nicht sich schlecht verkaufen. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu ein Qualitätsmerkmal, dass die spätere Kultserie zunächst kommerziell nicht erfolgreich war und es nur in die Verlängerung schaffte, weil sie von den neuen Farbserien der NBC noch die besten Einschaltquoten hatte. Aber bereits die Originalserie Star Trek, die von 1966 bis 1969 in den USA ausgestrahlt wurde, beschrieb eine liberal-humanistische Zukunft, die in deutlichem Kontrast zu den USA ihrer Entstehungszeit stand. Beispiele hierfür sind die multikulturelle Brückencrew des Raumschiff Enterprise, zu der eine Afrikanerin, ein Asiate und ein Russe gehörten, der erste Kuss zwischen einer Schwarzen und einem Weißen im US-amerikanischen Fernsehen oder auch, dass ein unbekanntes und gefährliches Wesen sich als eine um ihre Kinder besorgte, intelligente Lebensform erweist. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Humanismus mit der ab 1987 ausgestrahlten, zweiten Serie Star Trek – The next Generation. „Auf [dem neuen Raumschiff] Enterprise sehen wir jeweils die Unterschiede zwischen verschiedenen menschlichen Ethnien und verschiedenen außerirdischen Spezies, zwischen den Geschlechtern, Behinderungen, offensichtlichen Missbildungen, die schlicht allesamt als verschiedene Arten des Menschlich-Seins akzeptiert werden“, so Ursula K. Le Guin. Selbst die alten Feinde werden menschlicher. Insbesondere die Klingonen, die in der Originalserie noch als die Sowjets bzw. Russen des kalten Krieges herhalten mussten, werden nicht mehr als anonyme Bedrohung dargestellt, deren einziger Lebenszweck die Zerstörung der freien Welt zu sein scheint, sondern man erfährt etwas über ihre Kultur, ihre Lebensweise und die Werte, die ihr Handeln begründen. In unserer aktuellen Situation ist das geradezu subversiv. „Gewalt wird in The next Generation stets als Problem dargestellt oder als Scheitern bei der Lösung eines Problems, niemals ist sie die wahre Lösung”, schreibt Ursula K. Le Guin. Markenzeichen dieses neuen Raumschiffs Enterprise sind die Episoden, in denen ethische oder soziale Fragen aufgeworfen und auf Grundlage eines humanistischen Wertekanons diskutiert werden. Captain Picard, der Titelheld von Bewernitz‘ Buch, ist die Personifizierung dieser Werte, unter dessen Leitung die Besatzung der Enterprise sich mit solchen moralischen Herausforderungen auseinandersetzt. Wie sieht es aber mit dem Klassenkampf im Star-Trek-Universum aus? Wie weit reicht die Gleichberechtigung der Geschlechter und finden sich in den unendlichen Weiten auch Spurenelemente von Anarchismus? – Solche und ähnliche Fragen werden in dem schwarz-roten Bändchen mit der spacigen Schrift untersucht. Dankenswerterweise ist dabei keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein kurzweiliges Essay entstanden, in dem der Autor seine eigene Perspektive als linker Trekkie mit Reflexionen und Hintergrundwissen über die Serie verbunden hat – „denn im Wesentlichen soll dieses Buch Vergnügen bereiten“. Hierzu tragen nicht zuletzt die Illustrationen von Findus und die launigen Kapitelüberschriften bei. Abgeschlossen wird das Buch mit Gastbeiträgen des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, „Star Trek gegen Imperialismus“, und des Soziologen und Kunsthistorikers Jens Kastner über die Grenzen des Versuchs mittels der Repräsentation sogenannter Minderheiten soziale oder materielle Gleichheit zu schaffen. „Alles, was ich will, ist in der Sonne sitzen und mein Buch lesen.“ (Star Trek – The next Generation, Picard macht Urlaub.)