Michael Hunklinger beschäftigt sich in seinem neuesten Buch „Wir werden nicht verschwinden“ mit Migrant*innen, LGBTQI+-Personen, Persons of Colour und Menschen mit Behinderung. Diese Minderheiten bilden in Deutschland 20 Prozent der Bevölkerung. Hunklinger macht deutlich, dass sie den zunehmenden Rechtsruck realer, bedrohlicher, existenzieller wahrnehmen als der große Rest der Bevölkerung. Sie liefern damit aber auch der Mehrheit wichtige Informationen: „Die Bedrohung von Minderheitenrechten ist ein Frühwarnsystem für den Zustand von Demokratie und Gesellschaft.“ (S. 138) Hunklingers Buch ist ein Beitrag zur Demokratieforschung. Für die Minderheiten hat die liberale Demokratie eine besondere Bedeutung, da sie „weit über bloße Mehrheitsentscheidungen hinaus“ geht, nämlich „eine respektvolle Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen und Minderheitenrechten [erfordert] und […] auf gemeinsamen Werten wie Gleichheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“ basiert. (S. 22) Der Liberalismus hatte laut Hunklinger immer zwei Stränge, den politischen findet er bezüglich „Menschenrechten, Meinungsfreihit und sozialem Fortschritt“ gut (S. 38), den wirtschaftlichen mit seiner „Überbetonung des Marktes“ negativ. Er kritisiert die neoliberale Verwertungslogik: Minderheiten werden nur akzeptiert, wenn sie ökonomischen Mehrwert bieten (migrantische Arbeitskräfte sind willkommen, solange sie wirtschaftlich nützlich sind); queere Identitäten werden gefeiert, wenn sie marktfähig sind („Kommerzialisierung queerer Identitäten“, S. 45). In Bezug auf Minderheiten sieht Hunklinger bei der liberalen Demokratie zwei Dimensionen der Koinzidenz (d.h. Zusammentreffen): 1. Intersektionalität (horizontale Kann-Ebene): verschiedene Formen von Diskriminierung und Ungleichheit können sich überschneiden und verstärken. Werden diese Formen dagegen erkannt, kann das aber wiederum dazu führen, dass sich Menschen aus unterschiedlichen (Minderheiten-)Gruppen gegenseitig schützen und unterstützen, im Sinne von Solidarität. 2. Fundamentale Basis (vertikale Muss-Ebene): Eine „funktionierende Demokratie bietet erst die Mechanismen und Instrumente, um Rechte einzufordern, Ungleichheiten abzubauen und Schutz vor Diskriminierung zu gewährleisten.“ (S. 142) Hier sieht man, dass Hunklinger sich keine herrschaftsfreie Gesellschaft vorstellen kann. Denn er betont, dass ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat wichtig ist, um Minderheiten schützen zu können. Rechtsextreme sind an sich schon kritisch zu sehen. Aber problematisch wird es, wenn die Konservativen nach Rechtsaußen kippen, und dabei Positionen der Rechtsextremen übernehmen und damit deren Politik eine Mehrheit verschaffen,wie es aktuell in Deutschland, aber auch in Österreich passiert. Einen Konflikt bezüglich Umgang mit Minderheiten sieht Hunklinger aber auch bei den Linken. Sie spalten sich zum Teil, indem ein Teil nur die sozioökonomische Perspektive im Blick hat (d.h. soziale/wirtschaftliche Gerechtigkeit; Kapital(ismus)kritik; Klassenverhältnisse), der andere auf Identitätspolitik fokussiert (d.h. Minderheitenrechte; Unterdrückung durch Geschlecht, Rassifizierung oder sexuelle Orientierung). Hunklinger meint, dass man dagegen beide Aspekte zusammen denken muss. Er macht deutlich, dass das Internet heute eine große Bedeutung hat, sieht es aber für Minderheiten als zweischneidiges Schwert: Positiv im Sinne von Informationen einholen, gegenseitige Vernetzung und Austausch. Aber negativ bezüglich verwendeter Algorithmen, Überwachung und die Macht durch wenige Technologieunternehmen. An mehreren Stellen geht er auf die Wichtigkeit der verwendeten Sprache ein. Er sieht auf der rechten Seite eine entmenschlichende Rhetorik (Wörter wie „Flüchtlingswellen“ oder „Asylbetrüger“, dass sie mit bestimmten Begriffen eine Interpretation gleich mitliefern („Asylflut“ oder „Systempresse“) und versuchen, die Grenzen des Sagbaren immer weiter zu verschieben (zum Beispiel „Geflüchtete ‚konzentriert‘ an einem Ort unterzubringen.“, S. 92). Das Buch liefert einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Entwicklung in Deutschland und anderswo, in dem es gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen aus Sicht von Minderheiten zeigt. Ich hatte auf dem Open-Ohr-Festival an Pfingsten 2025 in Mainz die Gelegenheit, den Autor persönlich kennenzulernen. Dort hat er an der Podiumsdiskussion „Zurück zu alten Rollen? Der reaktionäre Wertewandel und seine Auswirkungen auf die Demokratie“ teilgenommen. Aber hauptsächlich war er anwesend, weil er in einer Lesung sein neuestes Buch vorstellen wollte. Ich konnte dabei merken, dass er voll im Thema steckt und dies auch überzeugend vertritt. Spontan hat er seinem Publikum gezeigt, was Solidarität heißen kann. Es fing nämlich während seiner Lesung (Open Air) zu regnen an. Er, alleine auf einer ziemlich großen überdachten Bühne, forderte seine vierzig Zuhörer*innen auf, auf die Bühne ins Trockene zu kommen. Er wandte sich daraufhin seinem Publikum im Rücken zu, und setzte seine Lesung souverän fort.
Die Bedrohung von Minderheiten ist ein Frühwarnsystem
Ein Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt in Queer Politics zu Minderheiten und Rechtsruck
Michael Hunklinger Wir werden nicht verschwinden. Wie Minderheiten dem Rechtsruck trotzen Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2025, 160 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-218-01464-9.