nie wieder

Im Schatten Francos

Spaniens Geschichte vom Bürgerkrieg bis heute

| Walther L. Bernecker / Sören Brinkmann

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Franco 1946 in Guipúzcoa. Foto: Vicente Martín, CC BY-SA 3.0, Wikipedia, Lizenzfrei. Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Francisco_Franco#/media/Datei:Francisco_Franco_junto_a_autoridades_militares_ en_unas_maniobras_(10_de_19)_-_Fondo_Car-Kutxa_Fototeka.jp

Am 20. November 1975, vor genau 50 Jahren, starb Spaniens Diktator Francisco Franco. Seit seinem militärischen Sieg über die Zweite Republik 1939, in dessen Folge auch die von einer anarchosyndikalistischen Massenbewegung getragene soziale Revolution zerschlagen wurde, hat er das Land über fast vier Jahrzehnte hinweg mit eiserner Hand regiert. Die Historiker Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann werfen einen Blick auf die Franco-Diktatur und die Entwicklungen seit dem Spanischen Bürgerkrieg bis heute. (GWR-Red.)

Francos Aufstieg, die Zweite Republik und der Weg in den Bürgerkrieg

Francos historischer Aufstieg zu einem der prägenden Diktatoren des 20. Jahrhunderts war keineswegs vorgezeichnet, sondern vielmehr der spezifischen Konstellation zu Beginn des Bürgerkrieges geschuldet. 1892 als Sohn eines Kapitäns der Marine in der Hafenstadt Ferrol im Nordwesten Spaniens geboren, strebte der junge Francisco früh eine militärische Laufbahn an. Nach einer Ausbildung an der Infanterieakademie in Toledo diente er seit den frühen 1910er Jahren als Offizier in den Kolonialtruppen von Spanisch-Marokko. Hier gelang ihm durch militärisches Talent und durch die Möglichkeiten, die der Kolonialkrieg bot, ein steiler Aufstieg, der ihm nicht nur Auszeichnungen und öffentliche Popularität, sondern 1926 mit 33 Jahren auch die 
Beförderung zum Brigadegeneral bescherte.

Mit dem Ende der Monarchie und der Ausrufung der Zweiten Republik 1931 sollte sich der Lebensweg Francisco Francos auf verhängnisvolle Weise mit dem politischen Schicksal Spaniens verstricken. Den Hintergrund hierzu bildeten die dramatischen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahre, die zu den konfliktreichsten der neueren spanischen Geschichte zählen. Als Modernisierungsregime gestartet, strebte die von einer Allianz aus bürgerlichen und sozialistischen Kräften getragene Republik danach, die überkommenen sozioökonomischen, kulturellen und politischen Strukturen des Landes grundlegend aufzubrechen und einen laizistisch-liberalen Staat nach Vorbild der westeuropäischen Nachbarn zu etablieren. Zu den zentralen Reformen zählten demnach eine demokratische Verfassung, eine Militärreform, die Beschränkung der Macht der Kirche, eine Bildungsreform, die Entkrampfung der Beziehungen zwischen Zentrum und peripheren Nationalismen (in Katalonien und dem Baskenland) sowie vor allem eine Agrarreform, um die extrem ungleiche Eigentumsverteilung und das daraus resultierende Massenelend auf dem Land zu lindern.

In den traditionellen Kreisen der spanischen Gesellschaft – dem Großgrundbesitz, dem Großbürgertum, der Katholischen Kirche und großen Teilen der Armee – wurden die republikanischen Reformen jedoch von Anfang an als ein Frontalangriff auf deren überkommene Rechte verstanden. Aus Sicht von Industrie- und Landarbeiter*innen wiederum blieben die Ergebnisse der Reformen weit hinter den Erwartungen zurück, weshalb auch auf dieser Seite Skepsis und Ablehnung gegenüber dem republikanischen Experiment rasch wuchsen. Die Folge waren zahllose Arbeitskonflikte in der Industrie und auf dem Lande, soziale Unruhen und vereinzelte Aufstandsversuche von Links und Rechts, während die enorme Last der Probleme und die politische Zersplitterung zu häufigen Regierungswechseln führte. Bis zum Kriegsausbruch 1936 wurden die Bürger*innen Spaniens insgesamt dreimal zu den Wahlurnen gerufen; die entsprechenden Ergebnisse schubsten das Land dabei in kurzer Zeit – einem Pendel gleich – von links nach rechts und wieder zurück.

Für General Franco, der Sympathien für die Monarchie hegte, politisch bis dato aber nicht weiter in Erscheinung getreten war, hatte das republikanische Experiment mit einer Enttäuschung begonnen: Die neue Regierung schloss die von ihm geführte Militärakademie von Zaragoza. Zugleich war der zuständige Minister jedoch bemüht, den jungen Aufsteiger mit der Beförderung zum Militärkommandanten der Kanarischen Inseln für die republikanische Sache zu gewinnen. Umworben wurde Franco aber auch von der politischen Rechten, die ihn nach der Regierungsübernahme 1934 nicht nur zum Divisionsgeneral beförderte, sondern auch mit der Niederschlagung des Bergarbeiteraufstands von Asturien im Oktober desselben Jahres beauftragte – eine Aufgabe, die er mit Entschlossenheit und äußerster Härte bewerkstelligte und für die er wenig später mit dem höchsten militärischen Amt, dem Chef des Generalstabs, belohnt wurde. Auslöser für den Aufstand war die Regierungsbeteiligung des eigentlichen Wahlsiegers von 1933, einer ultrakonservativen Parteienallianz, was von der politischen Linken als Machtergreifung des Faschismus gedeutet worden war.

Nach einem weiteren Regierungskollaps und dem erneuten Sieg der politischen Linken, dem so genannten Volksfrontbündnis, in den Wahlen vom Februar 1936 überstürzten sich die Ereignisse: Getrieben von revolutionärer Ungeduld gingen die meist in der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) organisierten Landlosen in den Latifundiengebieten des spanischen Südens massenhaft zu eigenmächtigen Landbesetzungen über; in den Städten nahm die Streikaktivität dramatisch zu; bewaffnete Verbände der Linken und Rechten lieferten sich Straßenschlachten und ein Klima der Gewalt griff um sich. Zwei politische Morde – der zweite die Vergeltung für den ersten –, lieferten schließlich den Anlass dafür, dass sich am 17./18. Juli 1936 eine Gruppe republikfeindlicher Generäle, die schon seit geraumer Zeit Umsturzpläne schmiedete, zum Losschlagen entschied.

General Franco, der kurz zuvor aufgrund des Verdachts politischer Unzuverlässigkeit von der Volksfront-Regierung als Chef des Generalstabs abgesetzt und erneut auf die Kanarischen Inseln abkommandiert worden war, stand zunächst lediglich in der zweiten Reihe. Mehrere zufällige Ereignisse, wie der Unfalltod der beiden eigentlichen Putschanführer, sowie die Tatsache, dass der Coup an entscheidenden Orten wie der Hauptstadt Madrid, der Industriemetropole Barcelona sowie in Valencia, Andalusien und an der Nordküste kläglich scheiterte, brachten Franco unverhofft in eine günstige Position. Denn während sich in Spanien eine Pattsituation zwischen aufständischen und republiktreuen Kräften abzeichnete, gelang es ihm, in Marokko das Kommando über das Afrikakorps und die ebenfalls dort stationierte Fremdenlegion zu übernehmen – Einheiten, die einmal nach Spanien gebracht, militärisch den Ausschlag geben würden.

Erfolgreich war Franco auch dabei, den deutschen Diktator Adolf Hitler dazu zu bewegen, bereits sieben Tage nach Putschbeginn Transportflugzeuge zur Verfügung zu stellen, um seine marokkanischen Truppen auf das spanische Festland überzusetzen. Einmal dort angelandet, sollte Franco die militärische Initiative auf dem spanischen Kriegsschauplatz – auch dank der massiven militärischen Unterstützung durch NS-Deutschland und das faschistische Italien – nicht mehr aus der Hand geben. Durchaus folgerichtig erscheint daher auch Francos Ernennung zum Generalissimus aller Streitkräfte sowie schließlich zum Staatschef und alleinigen Anführer der Bewegung am 1. Oktober 1936. Der Krieg selbst hingegen endete nach verlustreichen Abnutzungsschlachten rund zweieinhalb Jahre später mit dem Einzug von Francos Truppen in Madrid am 1. April 1939.

Die Franco-Diktatur: Repression, Autoritarismus und Modernisierung (1939–1975)

Die Bilanz des Krieges war verheerend, Industrie und Landwirtschaft waren zerrüttet, Wohnraum zerstört, es herrschte Hunger. Noch schlimmer waren die menschlichen Verluste: Abgesehen von schätzungsweise 150.000 Kriegstoten und rund einer halben Million Exilant*innen fielen in Krieg und Nachkriegszeit mindestens 200.000 Menschen politischen Repressionen und Justizmorden zum Opfer. Das unter Francos Führung etablierte Regime verfolgte seine Gegner*innen gnadenlos und hielt bis zu seinem Ende an deren sozialer und wirtschaftlicher Diskriminierung fest. Alle Reformen der Republik, ebenso wie die Ergebnisse der sozialen Revolution, die sich im Sommer 1936 in der republikanischen Zone Bahn gebrochen hatte, wurden rückgängig gemacht, Kirche und Großgrundbesitz in ihre überkommenen Rechte eingesetzt, in Katalonien und dem Baskenland wurden nicht nur die Autonomiebestrebungen, sondern auch die regionalen Sprachen und Identitäten brutal unterdrückt. Das franquistische Regime etablierte sich als zentralistischer Einheitsstaat, der sich vor allem nach 1945 politisch und wirtschaftlich von aller Welt abschottete und nostalgisch in die imperiale Vergangenheit zurückblickte.

Bei seiner Machtausübung konnte Diktator Franco – der zugleich Staatsoberhaupt, Regierungschef, Oberbefehlshaber des Militärs und Führer der einzig zugelassenen Partei Falange war – die verschiedenen sozialen und ideologischen Gruppen, die so genannten „politischen Familien“ des Regimes, gegeneinander ausspielen und für seinen Machterhalt nutzen. In der Frühphase stützte er sich vor allem auf das Militär und die faschistische Partei Falange, seit 1945 sodann verstärkt auf die katholische Kirche, ab Ende der 1950er Jahre schließlich auf das Opus Dei, eine elitäre katholische Laienorganisationen. Deren Wirtschaftsexperten strebten nach einer Öffnung und Modernisierung der seit Jahren stagnierenden spanischen Wirtschaft sowie einer Annäherung an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Seit 1959 wurde dieses Liberalisierungsprogramm – bei gleichzeitiger Beibehaltung der autoritären Strukturen des Regimes – systematisch umgesetzt.

Die auffälligsten Erscheinungen der 1960er Jahre waren einerseits der durch die Reformen ausgelöste spektakuläre Aufschwung der spanischen Wirtschaft, andererseits die enorme Zunahme des Krisen- und Widerstandspotentials quer durch alle sozialen Schichten. Die wirtschaftliche Liberalisierung und Öffnung zum Weltmarkt verursachten ein Wirtschaftswunder, das das Agrarland Spanien in eine Industrie- und Dienstleistungsökonomie transformierte und so den Anschluss an Westeuropa finden ließ. Gleichzeitig gelang es dem Regime nicht, die gewaltigen Wohlstandsgewinne in neue politische Legitimität umzumünzen. Im Gegenteil: Am Ende der Franco-Herrschaft war die spanische Gesellschaft urbanisierter, säkularisierter und regimekritischer denn je, die Autonomie- und Selbständigkeitsbestrebungen der Regionen ausgeprägter als jemals zuvor. Die sozioökonomische Modernisierung der franquistischen Diktatur führte somit nicht, wie ihre Architekten erhofft hatten, zu ihrer Konsolidierung, sondern zu ihrer Unterminierung. Zum Zeitpunkt von Francos Tod war die Zukunft des Landes ungewisser denn je.

Transition: Spaniens Übergang in die Demokratie (1975–1996)

Geregelt war tatsächlich nur die Nachfolge an der Staatsspitze durch die Proklamation des bourbonischen Prinzen Juan Carlos zum König Spaniens zwei Tage nach dem Tod des Diktators. Entgegen der Absicht Francos, auf diese Weise die Kontinuität des Regimes zu sichern, entschied sich der junge König im Angesicht der gesellschaftspolitischen Realitäten allerdings für eine politische Öffnung, die rasch an Eigendynamik gewann. Unter dem von ihm ausgewählten Regierungschef Adolfo Suárez kam es zur Legalisierung der Oppositionsparteien, zu den ersten freien Wahlen 1977 sowie zur Ausarbeitung einer neuen demokratischen Verfassung, die 1978 per Referendum in Kraft gesetzt wurde. Mit überwältigenden Mehrheiten in fast allen Landesteilen angenommen, etablierte diese Spanien als parlamentarische Monarchie, garantierte Grundrechte und öffnete außerdem den Weg zu einer grundlegenden Dezentralisierung des politischen Systems. Bis 1982 untergliederte sich das spanische Staatsgebiet so in 17 Autonome Gemeinschaften, die – ähnlich deutscher Bundesländer – eigene politische Institutionen und gesetzgebende Kompetenzen erhielten. Die einst so mächtige anarchosyndikalistische Bewegung kam nach 1975 indes nicht über ein kurzes Wiedererwachen hinaus und verlor in den folgenden Jahren auch aufgrund interner Spaltungen stark an Bedeutung.

1982 kam es durch den Wahlsieg der sozialistischen Partei (PSOE) unter der Führung von Felipe González zum ersten Machtwechsel in der jungen Demokratie, der den Weg in den Bipartidismus wies. Die insgesamt 14 Jahre umfassende Regierungszeit von González war charakterisiert durch den Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft (1986) sowie den dadurch beschleunigten wirtschaftlichen Strukturwandel, den Ausbau des Wohlfahrtsstaates und eine umfassende gesellschaftliche Liberalisierung. In anderen Worten: Nach Bürgerkrieg und Jahrzehnten der wirtschaftlichen und kulturellen Abschottung war Spanien wieder nach Europa zurückgekehrt und erfreute sich nun erst recht eines stetig weiterwachsenden Zustroms von Tourist*innen aus West- und Nordeuropa.

Zu den Schattenseiten dieser Jahre zählte hingegen der Terrorismus der baskischen Separatistenorganisation ETA, deren Ansprüche durch die politische Dezentralisierung des Staates nicht befriedigt werden konnten. Stattdessen forderte der ETA-Terror immer weitere Opfer, während der Staat nicht nur mit juristischen Mitteln antwortete, sondern, wenn auch illegal, ebenfalls zur Gewalt griff. Der so genannte „schmutzige Krieg“ der GAL, einer von Regierungsvertretern gegründeten Antiterroreinheit, die in der Regierungszeit von González zig Morde an ETA-Mitgliedern verübte, war mehr als nur ein Makel auf der weißen Weste der jungen Demokratie, sollte für die politisch Verantwortlichen einige Zeit später aber immerhin strafrechtliche Konsequenzen haben.

Das Erbe der Transition: Vom Konsens zur Polarisierung (1996–2011)

Ungeachtet der Konflikte um den baskischen Separatismus erweisen sich der demokratische Übergang und die anschließenden Regierungsjahre der Sozia-list*innen in der Rückschau als eine von breitem Konsens und Kooperationswillen der demokratischen Kräfte geprägte Periode. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung von extremer Polarisierung und Bürgerkrieg sowie der latenten Bedrohung durch das spanische Militär, wo zu Recht die größten Vorbehalte gegen eine politische Öffnung vermutet wurden, waren Vertreter*innen von Links und Rechts bis weit an die Ränder zu Versöhnung und weitreichenden Kompromissen bereit. Wie klug diese bewusste Mäßigung zur Sicherung der Demokratie war, zeigte insbesondere der Putschversuch von Guardia Civil und Militär vom Februar 1981, dessen Scheitern vor allem dem entschlossenen Widerstand von König Juan Carlos als Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu verdanken war.

Integraler Bestandteil der Konsenspolitik der Transition war das mit großer Mehrheit 1977 verabschiedete Amnestiegesetz, das Straflosigkeit für alle politischen Gewalttaten der Vergangenheit zusicherte und damit vor allem den Anhängern des Franco-Regimes zugutekam. Hinzu kam außerdem jener so genannte Pakt des Schweigens, d. h. die informelle Abmachung unter den politischen Eliten, die Schrecken der Vergangenheit nicht in die politische Debatte der Gegenwart hineinzuziehen. Was aus der damaligen Perspektive plausibel, ja geradezu unabdingbar erscheinen mochte, sollte sich ein Vierteljahrhundert später für viele allerdings als ein schwerwiegendes Versäumnis der Transition darstellen. Denn nicht zu Unrecht wurde kritisiert, dass die Tabuisierung der Vergangenheit das durch die vielfachen Verbrechen der Franco-Diktatur entstandene historische Unrecht an den Verlierern des Bürgerkrieges verlängerte.

Forderungen nach Reparation und der Aufklärung des Schicksals von bis zu 150.000 „verschwundenen“ Opfern der franquistischen Repression artikulierten sich vor allem seit der Jahrtausendwende in Gestalt einer im ganzen Land entstehenden zivilgesellschaftlichen Bewegung. Dies geschah vor dem Hintergrund der konservativen Regierung von José María Aznar, der das Land seit 1996 mit Sparpolitiken, neuem Selbstbewusstsein und einem betont transatlantischen Kurs regierte. Zu den Erfolgen der Regierung Aznar zählten ein neues Wirtschaftswachstum sowie der Beitritt des Landes zur Gemeinschaftswährung des Euro (1999/2002). Verschiedene kulturpolitische Initiativen, die auf eine Rehabilitierung von politischem Zentralismus und Nationalstolz abzielten, produzierten indes Ablehnung und Proteste. Auf massenhaften Widerstand stieß vor allem aber die Unterstützung der Regierung Aznar für die USA im Irakkrieg 2003 sowie der Versuch, die islamistischen Anschläge in Madrid ein Jahr später wahlkampftaktisch zu instrumentalisieren.

Zu einem weiteren gesellschaftspolitischen Konfliktfeld wurden seither auch die Vergangenheit sowie insbesondere der zivilgesellschaftliche Anspruch auf Aufklärung und Reparation, der von Vertretern des konservativen Partido Popular regelmäßig als ein „Aufreißen alter Wunden“ denunziert wurde. Doch auch die 2004 unter José Luis Rodríguez Zapatero erneut an die Macht gelangten Sozialist*innen sollten sich – obgleich historisch auf der Verliererseite – zunächst schwer tun mit einer gesetzlichen Regelung zugunsten der Opfer. Nach anderen gesellschaftspolitischen Reformvorhaben wie der Einführung gleichgeschlechtlicher Ehen, Expressscheidungen und einer weiteren Liberalisierung des Abtreibungsrechts, die das konservativ-katholische Lager in Aufruhr versetzt hatten, verabschiedete die Regierung Zapatero 2007 schließlich ein so genanntes Erinnerungsgesetz. Dieses enthielt Maßnahmen wie etwa die finanzielle Unterstützung für die Exhumierung von Massengräbern, die Rehabilitierung der politisch Verfolgten und die Entfernung franquistischer Symbolik im öffentlichen Raum, blieb jedoch in vielen Punkten hinter den Forderungen der zivilgesellschaftlichen Gruppen zurück.

Polarisierung und kein Ende: Spanien seit der Wirtschaftskrise

Seit 2009 wurde die Vergangenheitsthematik von der globalen Finanzkrise und ihren Folgen für Spanien vollständig in den Hintergrund gedrängt. Hier platzte nun eine hausgemachte Immobilienblase und wurde zum Auslöser für eine dramatische Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit, gefährlich wachsenden Haushaltsdefiziten und sozialen Verwerfungen, die wiederum das Vertrauen in das politische Establishment schwächten. Ausdruck der Krise war 2011 die vorwiegend jugendliche Protestbewegung der „Empörten“ sowie einige Zeit später der Aufstieg neuer politischer Kräfte, die das etablierte Zwei-Parteien-System ins Wanken brachten. Während die linkspopulistische Partei Podemos ihre Wurzeln in der Empörtenbewegung hatte, versuchte sich Ciudadanos als neue Kraft im politischen Zentrum zu etablieren.

Seit 2018 konnte sich im spanischen Parteienspektrum mit Vox außerdem eine Partei der extremen Rechten etablieren, die neben vielen anderen Themen immer wieder auch als Sachwalter des franquistischen Erbes auftritt. Entscheidender Treiber hierfür war eine weitere Krise, nämlich die 2017 von katalanischen Separatist*innen durch ein widerrechtlich durchgeführtes Unabhängigkeitsreferendum ausgelöste Staatskrise. Die damalige konservative Zentralregierung in Madrid reagierte scharf und suspendierte vorübergehend die Autonomie, erreichte damit aber lediglich eine Verhärtung der Fronten. Neue Bewegung in die verfahrene Lage brachte dagegen die neuerliche Machtübernahme durch die Sozialist*innen 2018. Unter der Führung von Pedro Sánchez begann nicht zuletzt aus machtpolitischen Gründen eine schrittweise Einbindung der Separatist*innen in das Regierungslager, dies allerdings um den Preis fragwürdiger Zugeständnisse und einer weiteren Vergiftung des politischen Diskurses.

Die extreme Polarisierung des politischen Klimas mag auch den Hintergrund für die jüngsten vergangenheitspolitischen Initiativen der Regierung Sánchez gebildet haben. Tatsache ist jedenfalls, dass die Sozialist*innen erst jetzt bereit waren, die heikelsten Aspekte der Vergangenheitsproblematik entschlossen anzugehen. Dazu zählte die Entpolitisierung der monumentalen Grabanlage Francos in Cuelgamuros, das ehemalige „Tal der Gefallenen“ nordwestlich von Madrid, sowie die besonders umstrittene Umbettung seiner sterblichen Überreste im Jahr 2019 nach El Pardo. 2022 folgte außerdem das so genannte Gesetz der Demokratischen Erinnerung, das deutlich über die Regelungen von 2007 hinausging und die kritische Auseinandersetzung mit der Franco-Ära somit weiter institutionalisierte.

Am 50. Jahrestag von Francos Tod bietet sich somit ein gemischtes Bild: Spaniens Demokratie ist heute fest etabliert, zugleich aber von Fragmentierung und Polarisierung geprägt. Die traditionellen Volksparteien PP und PSOE haben sich trotz aller Krisen zwar als dominierende Kräfte behaupten können, sind heute jedoch auf Koalitionspartner an den politischen Rändern angewiesen. Fragen der Erinnerung, nationalen Identität und territorialen Einheit bleiben hoch umstritten. Die politische Polarisierung ist nicht nur das Ergebnis aktueller Krisen, sondern auch Ausdruck der langen Schatten der Franco-Diktatur.

Zum Thema siehe auch:
Alexandre Froidevaux: Gegengeschichten oder Versöhnung? Erinnerungskulturen und Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur "Transición" (1936-1982), Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2015

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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