Neo C.s neues Buch „Tierbefreiung braucht Antikapitalismus“ knüpft an seinen im Verlag Graswurzelrevolution erschienenen Band „Veganarchismus. Thesen zum Verhältnis zwischen Veganismus und Anarchismus“ an. Der Autor richtet sich mit dem neuen Titel an die Tierbefreiungs-Bewegung, an alle Kapitalismus-Kritiker*innen und jene, die es noch werden sollen. Er legt dar, warum wir alle den Antikapitalismus brauchen und wie eine Transformation zu erreichen sei. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: „Teil 1 – WAS IST“ und „Teil 2 – WAS TUN?“ Im Vorwort kritisiert Neo C. Tiergruppen wie „Anonymous for the voiceless“, welche sich als vermeintlich intersektional inszenieren, und konstatiert, dass Tierbefreiung und Kapitalismus ein Widerspruch sind. Er argumentiert, „dass alle Menschen, die das Elend der Tiere beenden wollen, nicht umhinkommen, sich mit der ökonomischen Beschaffenheit unserer Gesellschaft auseinander zu setzen“. „Der Kapitalismus ist die Ökonomie der Konkurrenz“ Der Autor wettert gegen Staat und Parteien, die notwendige radikale Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe nicht durchsetzen, sondern stattdessen Lützerath räumen. Die Parteien könnten keine Veränderung herbeiführen, „solange das Prinzip bürgerlichen Eigentums nicht in Frage“ gestellt werde. Die Streitschrift legt den Fokus darauf, warum Moralphilosophie und Konsumkritik innerhalb des Kapitalismus nicht zielführend seien. „Eine Bewegung, die primär auf Konsumverhalten und ethisches Bewusstsein fokussiert, dabei aber die ökonomischen Bedingungen vernachlässigt“, laufe ins Leere. In vielen seiner Sätze wird die marxistische Position deutlich, die darauf beharrt, primär die Überwindung des Kapitalismus voranzutreiben, da im Sinne des Haupt- und Nebenwiderspruchs, mit der Beendigung dieses Wirtschaftssystems die Befreiung der Welt, einschließlich aller Menschen, Tiere und Umwelt eintreten würde. Aber werden, wenn der Kapitalismus überwunden wird, auch alle anderen Diskriminierungsformen und Ungerechtigkeiten dieser Welt verschwinden? Es gibt keine historischen Belege dafür, dass z.B. in den anarchistischen Gebieten während des Bürgerkriegs in Spanien 1936-1939 oder im staatskapitalistischen „Sozialismus“ der DDR die Tierausbeutung beendet worden wäre, obwohl zumindest im kurzen Sommer der Anarchie 1936 in weiten Teilen Spaniens kein Kapitalismus mehr vorherrschte. Im Gegenteil, in beiden Systemen war Tiernutzung der Normalzustand. Neo C. veranschaulicht, warum Kapitalismus Umweltzerstörung, Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse herbeiführt. Dabei wird auch auf das „Problem mit dem Eigentum“ eingegangen. Allerdings dreht sich der Autor etwas im Kreis und sieht die Notwendigkeit darin, den „Individuellen Idealismus“ anzugreifen und das Bild zu verfestigen, „das kapitalistische Treiben“ nehme davon „kaum Notiz“. Alternativer Konsum sei „gut für das individuelle Gewissen und punktuell vielleicht auch für den Planeten“, aber sicher scheint er sich dabei nicht zu sein. Der Appell an die Moral wird herangezogen, nur um wieder zu erklären, warum diese nicht effektiv sei mit dem Blick darauf, wer was schlecht macht oder schuld ist. So wird das Bild der „sogenannten Superreichen“ genutzt, „die mit ihrem individuellen Lebensstil tatsächlich einen relevanten Einfluss zum Beispiel auf den Klimawandel haben“. Konsumkritik sei nur gerechtfertigt, wenn sie an die Profiteur*innen dieses Systems gerichtet sei. Einzig ein Vorgehen, das den Kapitalismus überwindet, sei zielführend. Diese These finden wir auch beim Bündnis Marxismus & Tierbefreiung, doch bleibt beim Marxismus die Frage offen, wieso marxistische Systemkritik sich überhaupt von Moralphilosophie distanziert. Denn im Kern beinhaltet die marxistische Analyse des Kapitalismus auch einen Appell an die Moral, die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems zu überwinden. Auch in anderen Wirtschaftsformen gab es Sexismus, Rassismus und Tierausbeutung, diese sind kein Symptom des Kapitalismus, sondern existieren auch parallel zur Wirtschaftsform. Ein Aktivismus, der alle anderen Kämpfe als Nebenwiderspruch einordnet, ist im Kern marxistisch und verschleiert die Intersektionalität von Unterdrückung. Ein ähnliches Argument finden wir oft bei Marxist*innen gegenüber Feminismus, wo Kämpfe von Aktivist*innen als Nebenwidersprüche abgetan werden. Wieso soll es wirkungsvoll sein, den Kapitalismus individuell abzulehnen, aber wirkungslos, die Tiernutzung individuell abzulehnen? Wieso können wir nicht antikapitalistisch sein und gleichzeitig individuell die Ausbeutung der Tiere auch moralisch problematisieren? Ist mit Kapitalismuskritik allein viel geholfen? „Teil 2 – Was Tun?“ beschäftigt sich mit Handlungsoptionen und lässt leider Fragen offen. Im Buch wird durch Thesen und Zitate deutlich, warum wir Antikapitalismus brauchen, aber nicht, wie dieser konkret aussieht und umgesetzt werden kann, außer anhand von Beispielen, wie einem veganen Nachbarschaftscafé, welches sicher schön zu haben wäre, aber uns auch nicht aus den Fesseln der kapitalistischen Wirtschaftsweise löst. Was aber konkret hilft, kein Tierleid mehr zu finanzieren, ist eine vegane Lebensweise. 3 % leben in Deutschland vegan – das sind 2,5 Millionen Menschen. Insgesamt empfand ich „Tierbefreiung braucht Antikapitalismus“ als interessantes, spannendes Plädoyer für mehr Antikapitalismus, wenn auch mit einem marxistischen Beigeschmack.
Die Rezensent*in ist seit neun Jahren aktiv beim Tierbefreiungstreff