Hamburg ist die Stadt der Klassengegensätze. Nirgendwo in Deutschland geht die Schere zwischen arm und reich stärker auseinander, in keiner Stadt wohnen Prolet*innen und Bourgeois räumlich näher beieinander. „42.000 Millionäre leben in der Hansestadt. Nirgendwo in Deutschland ist die Millionärsdichte höher“, so eine Studie der Linken aus dem Jahr 2016. (1) Unter den 42.000 Millionär*innen sind elf Milliardäre.
Ihren perversen Reichtum, der alle Dimensionen Normalsterblicher sprengt, haben sie angehäuft durch Firmen wie etwa die Spedition Kühne + Nagel, den Otto-Versand, die Chemiefirma Beiersdorf, Tchibo-Kaffee oder auch Brillen (Fielmann). Gleichzeitig gibt es wachsende Armut. Nicht nur gleichzeitig, sondern gerade wegen der vielen Millionäre steigt die Verelendung. Etwa durch Gentrifizierung, also die ökonomische Vertreibung der arbeitenden Klasse aus ihren angestammten Wohnvierteln. Oder durch öffentliche Armut, die Verwahrlosung der Infrastruktur und des kommunalen Gemeinwesens.
Die Kassen sind leer. Warum nur?
Auch weil diese superreichen Antisozialen keine oder kaum Erbschafts- und Vermögenssteuer zahlen. Der Hamburger Wohltäter Klaus-Michael Kühne hat seine fünf Milliarden in die Schweiz gebracht. Die unzureichenden Steuersätze Deutschlands sind diesen Widerlingen noch zu hoch. Aber: Verelendung hat viele Gesichter. Es gibt sie nicht nur auf den Hamburger Straßen, sondern auch in den Villen der Superreichen. Moralische Verwahrlosung, ein Fehlen von Mitgefühl und Menschlichkeit, das krankhaft ist. Und brutal. Wie gruselig die Welt Hamburger Multimillionär*innen konkret sein kann, wird derzeit in einem spektakulären Prozess um eine zweifache Kindesentführung ausgeleuchtet.
Der Fall Christina Block ist der „Prozess des Jahres“. Die 300fache Millionärin, Erbin der Steakhaus-Kette Blockhaus und des Hamburger Fünfsternehotels Grand Elysée, Christina Block, hat ein israelisches Spezialkommando 200 Tage in dem Luxus-Hotel ihrer Familie untergebracht. David Barkay, ein ehemaliger Offizier der berüchtigten israelischen Spezial-Einheit 504 des Mossad, die für Folter von Gefangenen zuständig ist, hat die beiden Block-Kinder, zehn und dreizehn Jahre alt, in der Silvesternacht 2023 aus Dänemark vom Wohnsitz ihres Vaters entführt, der das Sorgerecht hat. Zuvor war ein anderer Entführungsplot gescheitert, in den der ehemalige BND-Chef August Hanning und ein ehemaliger Zielfahnder des Hamburger LKA verwickelt sein könnten. (Sie bestreiten das, die Staatsanwaltschaft ermittelt und hat 13 Wohnungen und Büros im Oktober 2025 durchsuchen lassen.) (3) Ebenso scheiterte der Versuch, dem Vater der Kinder Kinderpornografie und Pädophilie anzuhängen. Was hier aufgedeckt wird, lässt erschaudern. Als Krimiplot hätte man es nicht verkaufen können, weil es zu unwahrscheinlich klingt. In Deutschland wird der Fall als Gossip auf den Panorama-Seiten verwertet. Der Lebensgefährte und mutmaßliche Komplize von Christina Block ist immerhin der ehemalige Sportschau-Moderator Gerhard Delling.
Verelendung hat viele Gesichter. Es gibt sie nicht nur auf den Hamburger Straßen, sondern auch in den Villen der Superreichen. Moralische Verwahrlosung, ein Fehlen von Mitgefühl und Menschlichkeit, das krankhaft ist. Und brutal.
Ich meine, dass der Fall eigentlich in den Wirtschaftsteil gehört. Er beleuchtet, wozu ein kriminelles Unternehmer*innenmilieu fähig ist und welches Mindset diese verrottete Elite hat. Das kriminelle Ensemble wird komplettiert von Gerhard Schröders ehemaligem Regierungssprecher, dem Bild-Redakteur Bela Anda, der Christina Blocks ekelerregende Taten gegenüber der Öffentlichkeit so verkauft: „Eine Mutter hat ein Recht auf ihre Kinder.“ Der Geschäftsführer des Hamburger Hafens, Jens Meier, steht im Verdacht, den Kontakt zum Mossad hergestellt zu haben. (5) Die vorgetragenen Verbrechen, die beteiligten Akteur*innen müssen auch Betriebsräte, Gewerkschafter*innen und investigative Journalist*innen interessieren. Denn was die Steakhaus-Kette Blockhaus kann – ein vergleichsweise kleiner Fisch an der Hamburger Alster – das können diese Multimillionär*innen tendenziell alle.
Es zeigt, wie gefährlich und skrupellos diese Leute sind. Es klingt bizarr, das in einer anarchistischen Zeitung zu schreiben, und provokant: Gegenüber diesem Milieu ist ein funktionierender Rechtsstaat derzeit unsere einzige Hoffnung. Wenn es nach mir ginge, würden einige dieser Figuren für lange Zeit hinter Gitter kommen. Ob der hiesige Rechtsstaat wirklich noch uneingeschränkt funktioniert, darf bezweifelt werden. Aufhorchen lässt, dass das Hamburger Familiengericht in zweiter Instanz Christina Block das Sorgerecht zugesprochen hatte, obwohl die Kinder eindeutig geäußert hatten, dass sie beim Vater bleiben wollten. In erster Instanz hatte der Vater gewonnen, die dänischen Behörden kamen zu demselben Befund und weigerten sich, dem bizarren deutschen Urteil Folge zu leisten. Fünf Mittäter der Entführung, darunter ein Bewohner der völkerrechtswidrig besetzen Golanhöhen, laufen in Israel frei herum – in jenem Land, das offenbar keine roten Linien mehr kennt, das Völkermord in Gaza und in den besetzten Gebieten eine der Apartheid ähnliche rassistische Diskriminierung vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspult.
Ein Auslieferungsantrag wurde bislang nicht gestellt. Womöglich verbietet das die deutsche Staatsräson. Wo wir uns vielleicht einig sind: Diese Superreichen gehören enteignet. Mehr Geld zu besitzen, als ein normaler Mensch in einem Leben ausgeben kann, ist pervers. Punkt. Und zu viel Geld zu erben, das zeigt die Causa Block, verdirbt offensichtlich nicht nur den Charakter. Das Großwerden in diesem Milieu, mit dazu gehöriger Elite-Ausbildung, scheint wichtige Teile der Persönlichkeit verkümmern zu lassen. Das Wohl der Kinder? Spielt für diese Soziopath*innen offenbar keine Rolle, die einen unbescholtenen Vater als Pädophilen abstempeln wollten und die Kinder von „Anti-Terror“-Terroristen verschleppen ließen, die ihnen den Mund zuklebten, sie wie Säcke über die Schulter warfen, durch den Wald schleppten und ihnen zuriefen: „Sei ruhig, oder ich bringe dich um!“ Warum uns das interessiert: Weil diese Leute und ihre Methoden jederzeit auch gegen aktive Betriebsräte, konfliktbereite Gewerkschafter*innen, soziale Aktivist*innen und investigative Publizist*innen eingesetzt werden können.
(1) Joachim Bischoff / Bernhard Müller: Hamburg: Reiche, arme Hansestadt – Soziale Spaltung, öffentliche Finanzen und Armutsbekämpfung, vorort links, April 2016, https://www.vorort-links.de/uploads/media/Soziale_Spaltung_04_2016_end_end.pdf ; Im Jahr 2025 hat München offenbar Platz 1 der Millionärsdichte übernommen. Dennoch ist die ökonomische Spreizung in Hamburg offenbar immer noch am Höchsten. (Reichtum wird in Deutschland kaum erforscht, daher sind die Zahlen unpräzise.)
(2) Block-Prozess: Razzia und Ermittlungen gegen Ex-BND-Chef August Hanning in Hamburg, Sat.1 Regional Hamburg, 16.9.2025, https://www.youtube.com/watch?v=RNclCKWFE3U
(3) Omer Benjakob: Israeli Ninjas and Porn Drones Behind Bizarre Abduction of German Heiress' Kids, Haaretz, 10.9.2025, https://archive.is/3esjB
(4) Sven Becker, Julia Kanning, Christopher Piltz: Entführung der Block-Kinder – Der Ex-Spion und seine Kampfsportfreunde, Spiegel, 12.09.2025, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/fall-christina-block-der-ex-agent-und-seine-kampfsportfreunde-a-c3b7534e-23b3-488f-8a6d-ac813921580e | https://archive.is/vRzDL
Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht e.V. Mit Jessica Reisner moderiert er die Sendung arbeitsunrecht FM. Seine monatliche GWR-Kolumne ist nach Erscheinen auch als Podcast zu hören, u. a. auf: https://www.freie-radios.net
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.