Alte Wege zum Frieden – neu entdeckt

| Heike Knops

Im Januar 2025 erschien in der GWR 495 unter dem Titel „Zur Klimaschuld der Boomer“ ein Zwischenruf von Heike Knops. Im folgenden Artikel setzt sich die pazifistische Philosophin nun mit der „Geschichte des Friedens“ auseinander und nimmt uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit (GWR-Red.).

Die Kriege der Menschheit stehen im Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts. Mit Merksätzen wie „333 bei Issus Keilerei“ wird uns die Frühzeit als eine lange Reihe von Kriegen und Machtkämpfen präsentiert.
Frieden erscheint so als seltener und kostbarer Ausnahmezustand, über den wir wenig wissen. Gab es früher eine Friedensbewegung? Wurde über eine friedliche Gesellschaftsordnung nachgedacht? War Gewaltfreiheit für irgendjemanden ein Thema?
Tatsächlich finden sich vom Altertum bis in die Neuzeit laute Stimmen für den Frieden! Menschen unterschiedlicher Epochen leisten Widerstand gegen den Krieg und haben konkrete Vorstellungen vom Frieden und friedlichen Zusammenleben.

Der Alte Orient

Ein frühes Dokument aus dem Alten Orient wirft ein helles Licht auf diese Zeit und widerlegt die Auffassung, damals sei Friede immer nur durch Demütigung der Verlierer (1) entstanden.
Es ist der älteste überlieferte Friedensvertrag der Welt von 1259 v. u. Z. aus dem wir erfahren, wie Interessenswahrung und -ausgleich zu Frieden zwischen den Ägyptern und Hethitern führte. Nach diplomatischem Botenverkehr und Geschenkeaustausch gelangten die verfeindeten Staaten zu gegenseitiger Unterstützung. Das hielten sie im Vertrag des sog. „guten Friedens“ fest.
Die Forschung geht davon aus, dass es auch vorher und nachher ähnliche Friedensverträge gab, aber von denen ist kein Text überliefert. Heute befindet sich eine Kopie des antiken Vertrages des „guten Friedens“ im UNO-Gebäude in New York.

Die Griechische Antike

Auch in der Antike gab es Stimmen für den Frieden. Der Komödiendichter Aristophanes (2) lebte von 450–380 v. Chr. Er rief mitten in den Kriegen seiner Zeit mit pazifistischen Theaterstücken zu gewaltfreien Aktionen auf, die einen Krieg beenden können. Sein erstes Werk, „Der Frieden“ von 421 v. u. Z., ist im griechischen Göttermythos verwurzelt und erzählt, dass sich selbst die Götter vom ständigen Kriegslärm belästigt fühlen und sich zurück gezogen haben.
Die Friedensgöttin wurde von Polemos, dem personifizierten Krieg, eingesperrt. Ein beherzter Winzer befreit die Göttin mithilfe des Chors. Es herrscht wieder Frieden und die Menschen feiern.

Nur ein Lanzenmacher und ein Waffenhändler werfen dem Winzer vor, sie um ihre Geschäfte gebracht zu haben. Krieg – ein gutes Geschäft für die Waffenschmiede! Bis heute!
Ein weiteres Theaterstück „Lysistrata“ von 411 v. u. Z. thematisiert den Kampf der Frauen beider Kriegsparteien gegen die Männer als Verursacher von Krieg und Leid. Die Frauen Athens und Spartas paktieren, um den Frieden zu erzwingen. Sie besetzen, angeführt von Lysistrata, die Akropolis und verweigern sich fortan ihren Gatten sexuell. Sie beschlagnahmen die dort gesicherten Gelder und unterbrechen so die Kriegsfinanzierung. In Sparta veranlassen die Frauen den gleichen Ausstand. Der Entzug der Kriegskasse und der Liebe führen tatsächlich zum Erfolg, also zum ersehnten Frieden.
In der 3. Komödie stellt Aristophanes die Frauen noch deutlicher als revolutionäre Kraft dar. Dieses Stück handelt von einer Gruppe von Frauen, angeführt von Praxagora (übers.: die in der Versammlung Handelnde), die beschließen, die Herrschaft über Athen zu übernehmen. Denn sie sind überzeugt, dass sie besser regieren können als die Männer, deren Politik von ständigen Kriegen, Habsucht und Aufrüstung geprägt ist.
Die Frauen verkleiden sich mit Bärten und Männerkleidung und gelangen so in die nur den Männern vorbehaltene Volksversammlung. Dort hält Praxagora eine Rede. Darin bezeichnet sie die korrupten Stadtoberhäupter wegen ihrer Kriege und ihrer persönlichen Bereicherung an öffentlichen Geldern als egoistisch. Sie schlägt vor, dass die Männer den Frauen die Kontrolle über die Regierungsgeschäfte überlassen.
Als es zu einer demokratischen Abstimmung darüber kommt, sind die meisten Männer von der Idee überzeugt und stimmen dafür.
Daraufhin beschließen die nun herrschenden Frauen, alle Besitztümer und Gelder zusammenzulegen. Aus diesem Gemeinschaftsfonds werden dann gleiche Löhne für alle gezahlt, um einen einheitlichen Lebensstandard zu schaffen. Damit sind dann alle Grundbedürfnisse gedeckt, sodass man kein Privatvermögen mehr braucht.
Ein bedenkenswertes Gesellschaftsmodell – aus der Antike!

Die Bibel

Die Bibel wurde zwischen 1200 v. u. Z. und 150 geschrieben. In beiden Bibelteilen ist „Frieden“ unter den Menschen und unter den Völkern ein zentraler Begriff. Wesentliche Grundlage des Friedens ist die Gerechtigkeit. Ein Prophetenwort sei stellvertretend für viele ähnliche Bibelstellen hier genannt: „Die Wirkung der Gerechtigkeit wird Frieden sein und die Frucht des Rechts ewige Sicherheit.“ (Jesaja 32, 17)

Diese Friedensbotschaft wurde in den ersten Christengemeinden ernst genommen. Daher konnte kein Soldat Mitglied der Gemeinde werden.
Aufgrund der christlichen Lehre von der Feindesliebe und Gewaltlosigkeit war für den Kirchenlehrer Origines (185–254) jede Gewaltanwendung Unrecht – auch, wenn sie der Verteidigung diente. Er erwartete die Abschaffung aller Kriege durch Ausbreitung des christlichen Glaubens.
Nach der konstantinischen Wende um 350 veränderte sich das Christentum, weil es Staatsreligion wurde. Das erforderte Staatstreue, die sich mit Pazifismus noch nie vertrug. Der Staat führte Kriege, die Kirche nahm fortan auch Soldaten auf.

Das Mittelalter

Nachdem Staat und Kirche zusammen gingen, strebte auch die Kirche nach weltlicher Macht und führte selbst Kriege. In seinem Aufruf zum 1. Kreuzzug 1095 verlieh Papst Urban II. den Soldaten die Bezeichnung Milites Christi (Soldaten Christi). Sie sollten „Verteidigung und Schutz für Kirchen, Witwen und Waisen, für alle Diener Gottes gegen das Wüten der Heiden“ sein. Bei der Durchsetzung seiner weltlichen Interessen unter Einsatz militärischer Gewalt konnte das Papsttum auf den Adel zählen.
Friedenspolitisch ist das Mittelalter eine traurige Epoche. Ein Berliner Forschungsprojekt von 2018 zur „Militarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften“ (3) weist anhand von Grabfunden nach, dass die Gesellschaft damals durch und durch militärisch geprägt war.
Erst im späten Mittelalter werden Stimmen für den Frieden laut. Sie fordern als Voraussetzung für Frieden, die Trennung von Staat und Kirche.
Einige Jahre später schreibt Erasmus von Rotterdam (1466–1536) seine pazifistische Hauptschrift, die sog. „Klage des Friedens“ (5). Auf 70 Seiten lässt Erasmus den Frieden selbst sprechen. Der Friede argumentiert auf drei Ebenen:
Aus Sicht eines kühl rechnenden Menschen sei es unsinnig, Krieg zu führen, denn ein Krieg koste auch den Sieger viel Geld.
Aus ethischer Sicht sei der Krieg verwerflich – denn nicht einmal Tiere ein und derselben Art brächten sich gegenseitig um.
Aus religiöser Sicht seien die Menschen durch das Neue Testament zur Gewaltlosigkeit aufgerufen.
Schließlich bittet der Friede, mit kühlem Kopf zu überlegen, was die wirklichen Ursachen des Krieges sind, und diese von den angeführten Kriegsbegründungen – also der Kriegspropaganda – zu unterscheiden und darüber hinaus die Kosten und die kurzfristigen wie die langfristigen Folgen des Krieges zu bedenken.
Auch widerlegt der Friede die Idee eines gerechten Krieges, da es in zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen keine parteilos beurteilende Instanz gibt! Vielmehr erhebt jede Seite für sich den Anspruch, die „gerechte Sache“ zu vertreten.
Als pragmatischen Schritt schlägt der personifizierte Friede Schiedsgerichte vor, die im Krisenfall eingesetzt werden sollen, damit Konflikte auf diplomatischem Weg geklärt werden. Und er geht noch weiter und entwirft die Vision eines Europa ohne Armeen.
Der damalige ‚Friedensappell‘ wurde zwar vielfach gelesen und gelobt – ohne allerdings die Herrschenden vom Krieg abzuhalten. Im Gegenteil, Kriegsdienstverweigerer wurden vom Papst und katholischen Herrschern als Ketzer verfolgt. Man sieht auch hier die klare Ausrichtung der Gesellschaft auf Krieg.

Die Neuzeit

Die Reformation (1517) belebt den Pazifismus und die Ablehnung von Kriegsdienst durch die Rückbesinnung auf die eigentliche Botschaft der Bibel. In und nach der Reformation entstehen sog. Friedenskirchen wie die Böhmischen Brüder, Hutterer, Mennoniten, Quäker, Baptisten und andere. Sie alle schließen Kriegsdienst für sich aus, haben mit ihrer Friedensbotschaft aber keinen gesellschaftspolitischen Anspruch.
Luthers Auffassungen zu Krieg und Frieden ändern sich im Laufe seines Lebens stark. Hintergrund ist seine Nähe zu und Abhängigkeit von den Interessen der damaligen Fürsten. Luthers Ambivalenz in der Friedensfrage schwingt in folgendem Zitat mit: „Man halte Frieden, solange man immer kann, wenn man ihn gleich um all das Geld kaufen sollte, das auf den Krieg gehen und durch Krieg gewonnen werden möchte. Es erstattet doch nimmer der Sieg, was verloren wird durch den Krieg.“(6)

Die Aufklärung

Die mit der Aufklärung um das Jahr 1700 einsetzende Entwicklung hin zu rationalem Denken sollte Akzeptanz schaffen für neu erlangte naturwissenschaftliche Kenntnisse (Galilei, Kepler, Kopernikus).
Mit der Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz wollte man sich darüber hinaus auch von überholten Vorstellungen und Ideologien befreien und gegen Tradition und Gewohnheitsrecht opponieren. Konkret hieß das, Vorurteile zu hinterfragen, religiöse Toleranz einzufodern und sich den Naturwissenschaften und dem Naturrecht zu öffnen.

Gesellschaftspolitisch zielt die Aufklärung auf mehr persönliche Handlungsfreiheit und Emanzipation ab – vor allem durch Bildung. Dabei wandelt sich auch das Menschenbild: Der Mensch wird als gut angesehen. Es sind die politischen Verhältnisse, die den Menschen böse werden lassen. Von daher werden Bürgerrechte, allgemeine Menschenrechte und das Gemeinwohl eingefordert. Auch in der Friedensfrage setzt die Aufklärung neue Akzente. Bis heute bekannte Denker widmen sich diesem Thema. Zwei davon seien hier stellvertretend genannt.

Voltaire (1694–1778)

Voltaire veröffentlicht 1769 sein Werk „Vom ewigen Frieden“ (7). Der letzte Abschnitt bietet eine Art Résumé und trägt den Titel „Den Fanatismus zerschlagen – heißt Frieden herstellen.“
Der einzige Weg, den Menschen Frieden wiederzugeben, bestehe darin, alle Dogmen, die sie trennen, zu zerstören und die Wahrheit, die sie vereint, wiederherzustellen; das sei in der Tat der ewige Frieden.
Dieser Friede ist kein Hirngespinst; er wird von allen ehrlichen Menschen von China bis Quebec gehalten.
Nur Dummköpfe bilden sich ein, an Dogmen zu glauben; diese sind zwar in großer Zahl vorhanden, schreibt Voltaire, aber die wenigen, die denken, werden mit der Zeit die vielen anführen. Der Götze fällt, und die allgemeine Toleranz erhebt sich täglich mehr auf seinen Trümmern.
Jeder rechtschaffene Mensch sollte daher nach seinen Kräften daran arbeiten, den Fanatismus zu zerschlagen und den Frieden wiederherzustellen .
Kant (1724–1804)

Nach Kant ist der Mensch zwar nicht grundgut, wie es die Aufklärung allgemein vertritt, er trägt aber die Veranlagung zur Moral in sich und kann somit gut handeln und gut sein. Von daher sieht Kant den Krieg als Normalzustand an, hält ihn aber nicht für gut oder notwendig.
Die moralische Vernunft befähigt, nach Kant, zum Frieden; Recht und Gerechtigkeit sind dessen Basis. In seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ (8) entwirft er 1796 konkrete Schritte zum zwischenstaatlichen Frieden.

1. Es soll kein Friedensschluss als solcher gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Krieg gemacht worden ist.
2. Es soll kein Staat, ob klein oder groß, von einem anderen Staat durch Vererbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden können.
3. Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz abgeschafft werden.
4. Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden (gemeint ist ein Kreditsystem unter Staaten, das zur Abhängigkeit der einen von den anderen führt).
5. Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staates gewalttätig einmischen.
6. Es soll sich kein Staat im Krieg mit einem anderen solche Feindseligkeiten erlauben, die das wechselseitige Vertrauen im künftigen Frieden unmöglich machen; als da sind: Anstellung von Meuchelmördern, Giftmischern, Brechung der Kapitulation, Anstiftung des Verrats in dem bekriegten Staat.

Ziel ist für Kant ein wachsender Völkerbund, der klein anfängt und sich immer weiter ausdehnt. Nach dem Ersten Weltkrieg – 124 Jahre nach Kants Idee davon – entstand der erste Völkerbund in Europa!

Das 20. Jahrhundert

1913 diskutieren sozialdemokratisch gesinnte Frauen einen möglichen Gebärstreik (9). Sie wollen ihre Körper nicht länger als Produktionsstätte für Kanonenfutter missbrauchen lassen.
Die Idee des so genannten Gebärstreiks – also die Weigerung, Kinder zu bekommen – macht als politische Aktion die Runde und findet damals auch im SPD-Parteiorgan „Vorwärts“ Erwähnung.
Tatsächlich gehen die Geburtenzahlen in Arbeiterinnenkreisen merklich zurück. Der Staat ist alarmiert, befürchtet den „Volkstod“. Für den sozialdemokratischen Arzt Alfred Bernstein ist das allerdings ein ideologischer Sieg. Zitat: „Der Geburtenrückgang trifft den Kapitalismus an seinem Lebensmark. Wenn wir Ausbeutungsobjekte nicht rekrutieren, wenn wir das Heer nicht vermehren, dann ist der Kapitalismus am Ende.“ (10)
Der Gebärstreik vor dem Ersten Weltkrieg erinnert an die Frauen in den pazifistischen Theaterstücken von Aristophanes. Frauen mobilisieren gegen den Krieg.
Nur hier und da hören wir auch in unseren Tagen von Frauenaktionen gegen Krieg. Bekannt sind die „Frauen in schwarz“(11). Eine Anti-Kriegs-Bewegung, die 1988 in Jerusalem ihren Anfang nahm. Schnell breitete sich die Initiative in andere Orten Israels aus, wo Frauen wöchentlich auf zentralen Plätzen von Städten oder an wichtigen Kreuzungen als Mahnwachen stehen. Inzwischen hat die Bewegung weltweit etwa 10.000 Frauen aktiviert. Sie sind organisiert in Aktionsgruppen.
Ein Mann des 20. Jahrhunderts, der sich sowohl konkret eingemischt, als auch ein Friedenskonzept erstellt hat, ist Albert Einstein. Mit ihm möchte ich unsere kleine Reise durch die Geschichte alter Wege zum Frieden beenden.

Albert Einstein (1879–1955)

Einstein war Sozialist und Internationalist und arbeitete für die Abschaffung der Kriege, für die Gleichheit und gegen den Kapitalismus. Mit Wissenschaftler*innen überall auf der Welt, die sich wie er für Frieden einsetzten, war er gut vernetzt und er war der Meinung, dass eine solche Zusammenarbeit auch Politiker*innen gelingen müsste. Im 1920 gegründeten Völkerbund sah Einstein „die Geburt einer überstaatlichen Organisation“ (12), die eine Vorbedingung zur Abschaffung des Krieges sein konnte. Seit 1928 unterstütze er die organisierte Bewegung der Kriegsdienstverweigerer (13). Kein Mensch habe „das moralische Recht, sich Christ oder Jude zu nennen, wenn er bereit ist, auf Befehl einer Obrigkeit planmäßig zu morden.“ (14)
Aus Sorge vor einer deutschen Atombombe, an der unter Hitler geforscht wurde, wandte er sich gemeinsam mit Leó Szilárd an Präsident Franklin Roosevelt. Sie wiesen auf die Gefahr der Kernspaltung und der Entwicklung einer Atombombe hin. Sie schlugen ein US-amerikanisches Atomforschungsprogramm vor, das schließlich zur Entwicklung der Atombombe führte. Die Unterzeichnung dieses Briefes bereute Einstein nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki schwer.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Grauen, das die Atombomben ausgelöst hatten, engagierte sich Einstein gegen die atomare Bewaffnung und für eine „Weltregierung“. Kriege seien das Ergebnis von souveränen Staaten, die weiterhin aufrüsten. Eine Weltregierung sollte nach Einsteins Meinung von den damligen Großmächten USA, UdSSR und GB etabliert werden. Für diese Weltregierung sollte Russland die Verfassung entwerfen, um das Misstrauen gegenüber Russland zu beseitigen. Ein interessanter Gedanke.
Die Suche nach Möglichkeiten zur Friedenssicherung beherrschte Einsteins Denken. Denn er wusste, die Freiheit der Forschung und unzensierte Publikationen sind an die Sicherung eines wirklichen Friedens gebunden; ebenso wie die Erhaltung der politischen Rechte des Individuums. Andernfalls werden diese Errungenschaften alle schrittweise, aber unaufhaltsam verloren gehen (15)! Im Kalten Krieg wendet sich Einstein gegen Militarisierung in den USA. Rüstungskonkurrenz ist für ihn kein Weg zur Verhütung von Kriegen, sondern eine verhängnisvolle Illusion. (16)
Je älter Einstein selbst wird, umso mehr wendet er sich an die ältere Generation. Sie ruft er auf, sich laut gegen Krieg zu wenden, da sich die Jungen durch Beruf und Familie dem Mainstream verpflichtet fühlen.
Enttäuscht von der Machtgier der Staatenlenker erwartet er von ihnen keinen Gewaltverzicht. Die Absage an kriegerische und militärische Handlungen muss von der Öffentlichkeit bzw. von denen, die dort Einfluss haben, gefordert und vertreten werden, so Einstein. Nur so werde dem kriegerischen Geist wirksam entgegen gearbeitet. (17)
Einsteins skeptischer Blick auf souveräne Staaten und deren Herrscher führt zu der Frage, ob es in staatenlosen Zeiten keine Kriege gab.
Unser heutiges Leben, geprägt von sozialer Ungerechtigkeit, Konkurrenzdenken, ruinösem Hyperkonsum und Kriegen ist menschheits-geschichtlich gesehen nur eine kurze Zeitspanne. In 99 % unserer Vergangenheit sah die Welt völlig anders aus. Auseinandersetzungen und Gewalt hatten viel kleinere Dimensionen. Denn der Homo sapiens ist von Natur aus eine kooperative, egalitäre und solidarische Spezies. Darin gründet gut 300.000 Jahre lang das evolutionäre Erfolgsrezept. Nur die gegenseitige Unterstützung sicherte das Überleben unserer Vorfahren, die in kleinen Gruppen von Jäger*innen und Sammler*innen lebten. Der paläoarchäologische Befund bezeugt: Die Menschen haben sich gegenseitig geholfen und unterstützt, ansonsten wären viele Verletzungen, die man an den Skeletten durchaus alt gewordener Menschen fand, einem Todesurteil gleichgekommen. Offenbar waren Pflege und Fürsorge sowie frühe Kenntnisse von Wundversorgung bei unseren Vorfahren fest verankert. (18)

Klimatische Veränderungen jedoch führten immer wieder zu größeren Wanderbewegungen. Der Zeitraum von 15.000 bis 7.000 v. u. Z. liefert ein vielfältiges Bild von neuen Gemeinschaftsformen unserer Vorfahren, die sie ausprobierten, um den vor allem klimatischen Herausforderungen zu trotzen. Dabei stießen manche Gruppen auf günstige Regionen, in denen sie dauerhaft genug Nahrung fanden und somit problemlos bleiben konnten. Einzelne Gruppen wurden sesshaft. Sie konstruierten Hütten und Vorratsgruben und gaben das Nomadenleben ganz oder saisonal auf.
In der Jungsteinzeit wuchs die Zahl der sesshaften Menschen, die Gruppengröße stieg an. Friedhöfe zeugen von einer kulturellen Ausprägung ihrer Ansiedlungen. Gleichzeitig markieren die Friedhöfe das Territorium als das „Land ihrer Ahnen“. Landbesitz und Grenzen entstehen, die Menschen werden immobil. In klimatisch schwierigen Zeiten werden sesshafte Gemeinschaften daher manchmal Ziele von Plünderungen. Solche gewalttätigen Eskalationen sind Krisensymptome einer Umbruchszeit und treten als Protest gegen Eigentum und die territoriale Monopolisierung von Land auf. (19)
Mit Beginn der Bronzezeit organisieren sich die inzwischen großen Gemeinschaften neu und entwickeln hierarchische Strukturen. Einige Gesellschaften stehen schon an der Schwelle zu Staaten. Diese Entwicklung gründet auf produktiver Landwirtschaft, neuen Ressourcen und Handelswegen. Eine kulturell produzierte Lebenswelt entsteht, in der Regeln und Gesetze die individuelle Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit der Menschen eingrenzen.
Es ist falsch anzunehmen, so der Wissenschaftler Steven Pinker, Menschen hätten sich in freier Entscheidung zu größeren Gemeinwesen zusammen geschlossen. Erste Staaten waren „eher eine Art Schutzgeldkartell, in dem mächtige Mafiosi den Einheimischen Ressourcen abpressten und ihnen im Gegenzug Sicherheit gegenüber feindseligen Nachbarn anboten.“ (21)
Auch für den Historiker Charles Tilly sind Staaten Produkte organisierter Kriminalität. (22)
In 99 % der Menschheitsgeschichte bestimmten Kooperation, Teilen und Solidarität das Leben der Menschen, die in egalitären Gruppen ohne nennenswertes Privateigentum als Sammler*innen und Jäger*innen umherzogen. (23)
Für eine egalitäre Spezies wie den Homo sapiens handelt es sich bei der Staatenbildung also um einen extremen Wandel der sozialen Ordnung. Plötzlich gibt es Herrscher und Untertanen. Ein Staat eignet sich das Gewaltmonopol über Menschen an, die in einer bestimmten Region leben. Die im Staatsgebiet lebenden Männer werden benutzt, um den Willen des Herrschers zu exekutieren. So wird der Staat zum institutionellen Rahmen, in dem sich ein umfassendes Kriegswesen entwickelt. (24)
Nicht der Krieg ist der Vater aller Dinge (Heraklit), sondern der Staat ist der Vater aller Kriege.

Dass durch die letzten 1 % kriegerischer Menschheitsgeschichte hindurch immer wieder Stimmen für den Frieden laut wurden, wie oben dargestellt, rührt wohl von unserem egalitären und solidarischen Habitus her, der uns über Jahrtausende hinweg tief eingeschrieben ist in unsere menschliche Natur.
Dieser Habitus hat seit 53 Jahren ein Sprachrohr: die Graswurzelrevolution! Die von ihrem Autor*innenteam vertretene egalitäre, solidarische, gewaltfreie und herrschaftsfreie Gemeinschaft ist offenbar nicht nur eine Utopie, sondern das Erbe unserer Vorfahren – ein zutiefst menschliches Verhalten. Solidarität und Kooperation in herrschaftsfreiem Miteinander ist somit in eigentlichem Sinne des Wortes menschengemäß und garantiert zudem das Überleben in Krisenzeiten.

(1) www.archaeologie-online.de/nachrichten/was-der-aelteste-friedensvertrag-der-welt-uns-lehrt-3893/
(2) Aristophanes, Die Komödien, Dt. Gesamtausgabe, Hg. Bernhard Zimmermann, Alfred Kröner Verlag 2019
(3) https://www.portal-militaergeschichte.de/taxonomy/term/836
(4) Marsilius von Padua, Der Verteidiger des Friedens, Reclam 1971
(5) Erasmus von Rotterdam, Die Klage des Friedens, hg.: Kurt Steinmann, Insel Verlag 2024
(6) Weimaer Ausgabe 31 I, 203,25–204,3
(7) Voltaire’s sämmtliche Schriften, Berlin: Wever,1786-1794, S. 514
(8) Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, Hg. Rudolf Malter, Reclam 2022
(9) Vgl. https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-gebaerstreikdebatte-berlin-100.html
(10) Vgl. https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-gebaerstreikdebatte-berlin-100.html
(11) www.womeninblack.org
(12) Ebenda, S. 77
(13) Ebenda, S. 109
(14) Ebenda, S. 110
(15) Ebenda, S. 516
(16) Ebenda, S. 519
(17) Ebenda, S. 118
(18) Vgl. Haral Meller u.a., Die Evolution der Gewalt, München 2024, S. 139
(19) Vgl. ebenda, S. 187
(20) Vgl. ebenda, S. 238
(21) Ebenda, S. 238
(22) Vgl. ebenda, S. 238
(23) Vgl. ebenda, S. 54
(24) Vgl. ebenda, S. 241