Die Gewaltfreie Aktionsgruppe (GA) Hannover ging Ende der siebziger Jahre aus der AG Syndikalismus hervor. Etwa 15 Menschen trafen sich regelmäßig, um über Anarchismus, Freie Liebe und den spanischen Bürgerkrieg, Theorien zum Gewaltmonopol des Staates und daraus hervorgehendem Antimilitarismus zu diskutieren. Sie sprachen auch über die Totale Kriegsdienstverweigerung (TKDV) und der Notwendigkeit zur Gewaltfreiheit sowie zu gewaltfreien Aktionen in der Geschichte; eine solide Grundlage für das Moralverständnis und eine Herausforderung für das Verantwortungsbewusstsein der Einzelnen.
Wer in der BRD nicht seiner „Wehrpflicht“ nachkommen wollte und auch nicht bereit war einen sogenannten zivilen Ersatzdienst zu leisten, galt als Totalverweigerer und kam ins Gefängnis. Dass es keinen adäquaten Ersatz für das Töten gibt und somit „Ersatzdienst“ jeder Logik entbehrt, war den Gerichten nicht verständlich.
Die GA unterstützte totale Kriegsdienstverweigerer mit Briefen ins Gefängnis, besuchte Gerichtsprozesse und veranstaltete öffentliche Solidaritätsaktionen – sowohl im Saal als auch in der Fußgängerzone. Dazu gehörte die öffentliche Festnahme unseres Totalverweigerers. Die GA besuchte ein Bundestreffen der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) und richtete selber eins in Hannover aus. Eine Blockade am Kreiswehrersatzamt, Mahnwache an der Kaserne, Ostermarsch…. Dann stand die Internationale Militärelektronik Messe IDEE im Zentrum unseres Tuns. Unser gewaltfreier Widerstand begann mit Mahnfasten als „Selbstreinigung“. Die GA wuchs auf 30 bis 50 Personen an, die regelmäßig an den GA-Treffen teilnahmen und sich zusätzlich in kleineren Arbeitsgruppen zusammenfanden. Die gewaltfreien Aktionen während der IDEE sind legendär, da brauche ich nichts aufzuzählen. Ich fasse zusammen: Alle waren ständig unterwegs und blockierten, diskutierten, schrieben. Nach Beratung mit einem Uraltanarchisten über die Umstände des Druckens gab die GA eine tägliche, kleine, antimilitaristische „Anti IDEE Zeitung“ heraus, ein Teil der Arbeit war, die Zeitung im stauenden Verkehr zu verteilen. Die Autofahrer sollten wissen, warum hunderte Menschen vor ihnen auf den Straßen saßen. Das war damals nicht so üblich. Die GA Hannover organisierte nicht den ganzen Widerstand gegen die IDEE! Auch das Gewaltfreie Training im UJZ Glocksee leiteten Externe, aber wir waren überall dabei. Teile der GA saßen temporär im Knast, die anderen vor der Tür, forderten deren Freilassung. Die GA fand immer Platz zum Zusammensein, Quatschen, Planen, Privates, Kochen, Haare schneiden, Lesen, Schreiben. Danach ging es weiter: raus zum Messegelände, die Blockade treffen und teilnehmen. Tag oder Nacht? Egal. Es war gut, auch weil wir nicht erwartet hatten, Erfolg zu haben. Es gab keinen Grund über irgendetwas enttäuscht zu sein, wir waren nicht nur reiner Absicht, sondern frei zu tun, was wir tun wollten, ohne Gelingensdruck. Aus „ein Zeichen setzten“ wurde die Vertreibung der IDEE aus der Stadt. Die darauf folgende Internationale Luftfahrtschau ILA fand dann auch nur das eine Mal in Hannover Langenhagen statt. Unglaublich, dass zugleich Abiturprüfungen liefen und bestanden wurden und sich die „1. Anarchistische Woche in Hannover“ abspielte. Konnte die GA nach der IDEE fortbestehen? Nicht mehr lange – wir entfalteten uns weiter! „Anarchismus leben“ heißt ja nicht ewig auf der Straße zu sitzen, nicht nur Friedensbewegung, auch Anti-AKW-Bewegung. Die Erfahrung zog in Leben und Alltag ein. Die FoodCoop lebte auf! Gewaltfreiheit und Anarchismus führten später in die „Graswurzel-Leserinnen-Gruppe“. Die Graswurzelgruppe Hannover und die Ortsgruppe der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter*innen-Union veranstalteten im September 2001 die 2. Anarchistische Woche (1) in Hannover.
(1) Siehe: Die Krise der Linken… FÄLLT AUS! Bericht von der 2. anarchistischen Woche in Hannover vom 22.9. - 7.10.2001, Artikel von Viola, in: GWR 263, November 2001, https://www.graswurzel.net/gwr/2001/11/die-krise-der-linken-fallt-aus/
M.A.Pol., Dipl.Päd. Viola Tölke war viele Jahre aktiv in der Gewaltfreien Aktionsgruppe Hannover.