nie wieder

Moralvorstellungen

CDU-AfD-Untersuchungsausschuss zum Verfassungsschutz

| Andreas Kemper

Titelmoral

Faschisten sind Machiavellisten und Machiavelli sagt im Il Principe, dass es in der Welt nur Pöbel gebe, der belogen werden will. Es gibt verschiedene Formen der Lüge.

Stell dir vor, du gerätst in einen Streit mit einem Faschisten und eine dritte Person kommt hinzu und fragt, was los sei. Du sagst: „Er hat mir eben gesagt, er hofft, dass bald wieder Konzentrationslager für Leute wie mich geöffnet werden.“ Und dieser weist das empört von sich: „Das ist gelogen, mir werden von diesem Linksextremen Zitate in den Mund gelegt!“ Tatsächlich hatte er nicht gesagt „Konzentrationslager“ sondern „KZs“. Er klärt nicht auf, worin der Fehler meiner Aussage liegen soll, sondern suhlt sich triumphierend in seiner Welt, in der Kleinkariertheit und Formalismus über Wahrhaftigkeit siegt. Es handelt sich nicht nur um eine äußere, sondern, schlimmer noch, um eine innere Verlogenheit.

Es handelt sich dabei um eine kaltschnäuzige Skrupellosigkeit, die die faschistische Grundeinstellung unterstreicht, die Banalität des Bösen, die in allem korrekt ist, nur nicht in den wesentlichen Fragen von menschlicher Würde und Menschenrechten.

Mit dieser Einleitung möchte ich auf einen CDU/AfD-Untersuchungsausschuss in Thüringen zum Verfassungsschutz eingehen, der auch mit einem Artikel von mir in der Graswurzelrevolution begründet wird, in der angebliche „Lügen“ über den AfD-Politiker Björn Höcke stehen sollen.

Bevor ich darauf eingehe, möchte ich beim Formalismus bleiben. Das Festhalten an Formularen, Uniformen, Formalitäten, Förmlichkeiten, ist kennzeichnend für die preußische Untertanenmentalität, die Heinrich Mann bereits vor über einhundert Jahren in seinem Roman „Der Untertan“ skizzierte.

Höcke benennt selbst diese Formverliebtheit der Deutschen und insbesondere der Ostpreußen. Interessanterweise entlarven Höcke gerade diese Passagen als Lügner und Neonazi. In seinem Artikel zum 8. Mai, zum Kriegsende vor achtzig Jahren, klagt er über die Zerstörung von „Königsberg“, welches durch die „Formliebe“ und den „Fleiß“ der Ostpreußen so prachtvoll geworden sei.

Ist es Frechheit oder Dummheit, dass Höcke die Kombination der Begriffe „Formliebe“ und „Fleiß“ im Zusammenhang mit dem Kriegsende benutzt? Es gab vor ihm nach meinem Wissen nur einen Text, der dies auch machte: Ein Neonazi-Text in der Neonazi-Zeitschrift „Volk in Bewegung“, geschrieben unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“. Ich hätte auf Dummheit getippt, die sich aus der Kombination der Stumpfheit einer faschistisch-stakatoförmigen Wortschatzmonotonie und der Dumpfheit fehlender Phantasie, ertappt werden zu können, speist. Denn ich konnte Höcke aufgrund mehrerer Wortkombinationen, die NUR bei Höcke und Ladig auftauchen, bei sonst niemanden, als Autor hinter den „Ladig“-Texten entlarven (hinzu kommen text-externe Indizien wie Ladigs Beschreibung von Höckes Wohnhaus und Höckes enge Bekanntschaft mit dem Herausgeber der Ladig-Texte, dem Neonazi Thorsten Heise). Tatsächlich fehlten mir diese Worte „Formliebe und Fleiß“ noch in meiner Synopse identischer Begrifflichkeiten von Ladig und Höcke.
Hier liegt der Fall aber vielleicht doch noch anders und damit möchte ich auf den von Höcke bzw. der Thüringer AfD angeschobenen Untersuchungsausschuss zum Verfassungsschutz zu sprechen kommen.

Die SPD-Abgeordnete Dorothea Marx sagte in ihrer Parlamentsrede zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses, dass sie in dem AfD-Text ein „Kuckucksei“ in der Passage C.12 entdeckt habe. In dieser Passage geht es um meinen Artikel „Björn Höckes faschistischer Fluss. Der völkische Machiavellismus des AfD-Politikers“ aus der Graswurzelrevolution Nr. 431 vom September 2018, aber Dorothea Marx geht es hier zunächst um etwas anderes. Sie sagte im Parlament am 07. März 2025:

„Ich komme aber jetzt zu einem Punkt, über den ich mich tatsächlich gefreut habe, denn Ihr Untersuchungseinsetzungsauftrag enthält ein nettes, kleines Ei, ein nettes Ostereichen, ein vorgezogenes Geschenk für mich. Das ist die Ziffer C.12 bei den Fragen, die Sie behandelt haben wollen. Da geht es um Erkenntnisse eines gewissen Herrn Andreas Kemper. Das hat mich doch sehr freudig gestimmt. Denn der Soziologe Andreas Kemper ist der, der darauf gekommen ist, dass Herr Höcke mit einem gewissen Landolf Ladig identisch sein müsse.“

Da ich dort im Antrag zum Untersuchungsausschuss zitiert werde, müssten auch meine Landolf Ladig-Recherchen auf den Tisch, fordert Dorothea Marx und dann zitiert sie ausgerechnet die Landolf Ladig-Passage, aus der Höcke dann zwei Monate später, am 8. Mai, rezitieren wird:

„Eine Ahnung schleicht sich dabei vielleicht bei immer mehr gebildeten Angelsachsen ein, daß eben nicht die Aggressivität der Deutschen ursächlich für zwei Weltkriege war, sondern letztlich ihr Fleiß, ihre Formliebe und ihr Ideenreichtum. Das europäische Kraftzentrum entwickelte sich so prächtig, daß die etablierten Machtzentren sich gezwungen sahen, zwei ökonomische Präventivkriege gegen das Deutsche Reich zu führen.“

Das Festhalten an Formularen, Uniformen, Formalitäten, Förmlichkeiten, ist kennzeichnend für die preußische Untertanenmentalität, die Heinrich Mann bereits vor über einhundert Jahren in seinem Roman „Der Untertan“ skizzierte

Die durch den Zweiten Weltkrieg zerstörte Pracht, die sich aus der „Formliebe“ und dem Fleiß der Deutschen entwickelt habe – diese Passage taucht bei Höcke am 8. Mai wieder auf, als er das „Königsberg“ seiner Großeltern beschreibt: „die Altstadt, das prachtvolle Zeugnis der Formliebe und des Fleißes vieler ostpreußischer Generationen, ist ausradiert.“
Außer Höcke und Ladig verwendet niemand in diesem Kontext diese Wortkombinationen. Dass Höcke aber öffentlich nun auch noch diese Ladig-Passage rezitiert, nachdem ihm im Landesparlament das Zitat als sein eigener unter Pseudonym geschriebener Text vorgehalten wurde, ist, wie gesagt, besonders dreist oder besonders dumm.

Aber kommen wir nun zum eigentlichen Thema, dem Absatz C.12 des AfD-Antrages zum VS-Untersuchungsausschuss. Mein GWR-Artikel „Björn Höckes faschistischer Fluss“ (1) wurde damals vom Thüringer Verfassungsschutz-Chef Stephan J. Kramer zum Großteil übernommen (2), um in einer Pressekonferenz erstmals einen Teil der AfD, nämlich Höcke, zum Prüffall zu erklären. Höcke hatte bereits am 09.12.2024 auf Telegram zu diesem Prüffall geschrieben: „Entlastende Gutachten blieben unbeachtet, dafür wurden Zitate eingebracht, die der ebenfalls linksextreme Soziologe Andreas Kemper mir in den Mund gelegt hatte. Die Einstufung als Prüffall scheiterte deshalb vor dem Verwaltungsgericht Weimar.“
Nur um dies klarzustellen: Die angeblich falschen Zitate spielten juristisch überhaupt keine Rolle für das sogenannte „Scheitern“ (heute gilt Höcke nicht mehr als „Prüffall“, sondern als „gesichert rechtsextrem“). Im später erfolgten Antrag unter C.12 heißt es dann, dass im Untersuchungsausschuss geklärt werden solle:

„ob die Vorwürfe zutreffen, dass der Verfassungsschutzpräsident bei der Bekanntgabe des ‚Prüffalls’ der AfD öffentlich aus einem Text des Soziologen Andreas Kemper zitiert und dabei falsche Zitate verwendet haben soll und dies sowohl öffentlich als auch intern fälschlicherweise als eigene Aussagen ausgegeben habe“ (3)

Bislang gibt es nur die Behauptung, ich hätte falsch zitiert, aber die AfD oder auch andere Publikationen wie „Apollo News“ oder „Nius“, haben diese Behauptung bislang nicht mit den entsprechenden Textpassagen belegt. Mich hatte diese Unterstellung zunächst erschrocken und ich habe intensiv nach falschen Zitaten gesucht und bin an einer Stelle fündig geworden. Und mit dieser einen Textstelle komme ich auf den Anfang des Textes oben zurück.

Ich hatte folgendes zu Höcke geschrieben und dabei einige Originalzitate von ihm eingeflochten:

„Die Errichtung dieses neuen Systems werde Generationen dauern und die Deutschen würden durch ein ‚tiefes Tal’ gehen. Brandige Glieder könnten nicht mit Lavendelwasser kuriert, sondern nur ‚durch gewaltsamste Verfahren reorganisiert werden’ […] Die Maßnahmen, die ergriffen werden müssten, würden unseren ‚eigentlichen Moralvorstellungen zuwider laufen’. Er spricht von einer notwendigen ‚wohltemperierten Grausamkeit’ und zitiert damit Peter Sloterdijk. Sloterdijk meinte damit die Grausamkeit der Zurückweisung von Geflüchteten wie in Kanada, Höcke zielt hingegen auf ein ‚großangelegtes Remigrationsprojekt’, also auf Grausamkeiten ganz anderer Dimension, und stellt klar: ‚existenzbedrohende Krisen erfordern außergewöhnliches Handeln.‘“
Mein Fehler: Höcke sprach von „moralischen Empfindungen“ statt von „Moralvorstellungen“. Ein Unterschied, der in der Brutalität von Höckes Aussagen keinen Unterschied macht, rein formal gesehen aber eine „falsche“ Wiedergabe ist.
Womit wir wieder beim Zusammenhang von „Formliebe“ und Menschenfeindlichkeit der Neonazis wären.

Wo könnte ich ihn noch falsch zitiert haben? Ich schrieb einiges zu Höckes Ansatz des Verfassungskreislaufes, ein antiquierter Ansatz, der bei einem verbeamteten Geschichtslehrer irritiert. In einem Satz heißt es: „Aktuell befinden wir uns nach Höcke‚ im letzten Degenerationsstadium’ der Demokratie, in der Ochlokratie (225ff.).“ Die Seitenzahl bezieht sich auf Höckes Ausführungen in seinem Buch. Das Zitat „im letzten Degenerationsstadium“ bezieht sich hingegen auf die Neuruppiner Rede von 2017. Höcke sagte dort wörtlich: „Diese Demokratie, liebe Freunde, sie ist keine Demokratie mehr. Sie ist nicht nur keine Demokratie mehr, weil wir keine richtige Meinungsfreiheit mehr haben. Sie ist ein Entartungsstadium der Demokratie, wie sie schon die klassischen Staatsrechtslehrer in der Antike formuliert haben. Sie ist auch keine funktionierende Oligarchie mehr. Diese Demokratie ist das letzte Degenerationsstadium, eine sogenannte Ochlokratie, das ist eine Herrschaft der Schlechten.“

(1) https://www.graswurzel.net/gwr/2018/
09/bjoern-hoeckes-faschistischer-fluss/
(2) Siehe:
https://www.graswurzel.net/gwr/2018/09/wirbel-um-die-anarcho-postille/
; https://www.graswurzel.net/gwr/2019/01/nazi-bafoeg-fuer-die-afd/
; https://jungle.world/artikel/2018/39/nationalsozialistische-ansichten-aufgezeigt ; https://www.graswurzel.net/gwr/2018/09/graswurzelrevolution-bild-und-afd-hetzen-gegen-anarcho-postille-aus-muenster/
(3) https://parldok.thueringer-landtag.de/ParlDok/dokument/100420 S. 4

Der Soziologe Andreas Kem-
per ist regelmäßiger GWR-Autor, Referent und Buchautor mit den Themen Klassismus, Faschismus, Antifeminismus und Proprietarismus (Rechts„libertarismus“). Im März 2025 erschien in der GWR 497 sein Artikel „Neoaristokratischer Antifeminismus“: https://
www.graswurzel.net/gwr/
2025/03/neoaristokratischer-
antifeminismus/

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

Wir freuen uns auch über Spenden auf unser Spendenkonto.