Widerstand gegen den Vietnamkrieg

„War, huh, yeah. What is it good for? Absolutely nothing!“ (Edwin Starr* 1969) 

| Horst Blume

Lou Marin (Hg.) „Hell no, we won’t go!“ 50 Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs: Der antimilitaristische Widerstand in der US-Armee und der US-Zivilgesellschaft. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2025, 82 Seiten, 11,90 Euro, ISBN 978-3-939045-58-8

Heutzutage wirken viele ehemals Friedensbewegte ratlos und sind im Fall des Ukrainekrieges sogar unschlüssig, was zu tun sei. Es ist deshalb hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, wie die Friedensbewegung vor gut fünfzig Jahren agiert und welche außergewöhnlichen gewaltfreien Aktionsformen sie genutzt hat. Angesichts der aktuellen Trump-Autokratie können sich viele Menschen heute kaum noch vorstellen, dass in den USA die Friedensbewegung so stark war, dass der führende imperialistische Staat der Welt gezwungen wurde, sich aus Vietnam zurückzuziehen. Das vorliegende Buch schöpft aus bisher in der BRD kaum bekannten englischsprachigen Quellen, um die Vielfalt und Radikalität des Protests darzustellen. Zudem werden Artikel aus den allerersten Ausgaben der Graswurzelrevolution aus dem Jahr 1972 wieder zugänglich gemacht.  Begonnen hatten die militärischen Auseinandersetzungen in Vietnam als Kampf gegen die repressive französische Kolonialmacht. Später wurden unter dem autoritären Thieu-Regime in Südvietnam etwa 200.000 Menschen gefangengehalten. Buddhistische Mönche traf es besonders hart. Die Graswurzelrevolution berichtete 1974 über die Solidarität mit ihnen in der BRD und den USA. Die zivilgesellschaftliche Massenbewegung gegen den Krieg war in den Vereinigten Staaten so breit verankert, dass sich 16 Millionen Wehrpflichtige ihrer Rekrutierung entzogen. Viele verschwanden „still“ ins Ausland, beispielsweise nach Kanada. Andere schickten ihre Einberufungsbescheide zurück oder verbrannten ihre Wehrpässe, was Strafverfolgung nach sich zog. Bekannt wurde die Aktion von den katholischen Priestern Philip und Daniel Berrigan, die vor einem Einberufungsamt mehrere hundert Akten mit selbst hergestelltem Napalm öffentlich verbrannten. In einigen Städten wurden Einberufungsbüros und entsprechende Unterlagen beschädigt. Ende 1972 errang die Bewegung einen Teilerfolg, indem die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Das Buch berichtet ebenfalls über vielerlei Befehlsverweigerungen und Sabotageakte innerhalb der Armee. Es gab über 300 Untergrundzeitungen. In der Nähe der Stützpunkte in den USA sowie in Berlin und Frankfurt gründeten ZivilistInnen „GI-coffee-houses“, in denen mensch abseits von Kommerz mit den Soldaten ins Gespräch kommen konnte und Dissidenz gefördert wurde. Friedenspiraten Interessant ist auch ein Artikel aus der Nummer 0 der Graswurzelrevolution, in dem über die Friedenspiraten berichtet wurde. 1972 behinderten im Hafen von Philadelphia Kanus, Motorboote und sogar die Matrosen ein Munitionsschiff beim Auslaufen. Ebenfalls wurde über „Volksblockaden“ bei Zügen, Straßen und Zufahrten von Luftwaffenstützpunkten berichtet. Wie verheerend die unterschiedlichen Waffen, Bomben, Projektile und Minen wirken, wird in einem eigenen Kapitel verdeutlicht.  Der Herausgeber Lou Marin betont, dass die Frauenbewegung ein großer Bestandteil der Antikriegsbewegung war und „sich gegen eine Romantisierung von Gewaltaktionen sowohl im Krieg als auch innerhalb der Antikriegsbewegung, wie sie bei männlichen Protestierenden durchaus üblich war“, wandte. Er zitiert viele Quellen, die über die Kritik von Schwarzen Müttern und Schwarzen Gemeinschaften an den immensen Kosten des Krieges bei gleichzeitiger Verarmung und Ausbeutung im Inland berichten. Denn ein großer Teil der GIs waren Afroamerikaner. Gegen den Krieg mobilisierten unter anderem der Bürgerrechtler Martin Luther King, der Anarchist Noam Chomsky und die großen amerikanischen Gewerkschaften, während Zeitschriften wie „Time“ und „Life“ bis Oktober 1967 nur unkritische Pro-Kriegsartikel veröffentlichten. Ein Kapitel beschäftigt sich mit den zahlreichen prominenten MusikerInnen und ihrem Protest. „Insgesamt sind wohl weit über 5.000 kriegsbezogene Songs veröffentlicht worden, wobei einige auch eine patriotische, regierungstreue oder die Soldaten unterstützende Aussage transportierten“, schreibt Lou Marin. Eingebettet waren diese vielfältigen Aktivitäten in zahlreiche Massendemonstrationen mit mehreren hunderttausend Menschen. Im Buch wird auch über umstrittene Vorfälle berichtet, bei denen innerhalb der US-Truppen ein Klima der Feindschaft untereinander herrschte und die dazu führten, dass auch Vorgesetzte getötet wurden. Aber auch Antimilitaristen in den USA erwogen Gegengewalt. Die US-Regierung war nahe dran, die Kontrolle über ihre demoralisierten Truppen zu verlieren. Im Anhang des Buches befindet sich eine siebenseitige Chronologie der Ereignisse. Und Wehrdienstverweigerer und Bausoldaten der DDR positionierten sich in zwei Briefen von 1967 und 1969. 50 Jahre nach dem Ende des Vietnamkrieges beleuchtet dieses Buch den vielfach unbeachteten gewaltfreien Widerstand gegen den Krieg in den USA. Es kann für heute neue Impulse geben.

Anmerkung: *) https://www.youtube.com/watch?v=dQHUAJTZqF0