Es gibt Bücher, die man sich nicht selber aussucht, sondern, die zu einem kommen. Sie sind unscheinbar und unverfänglich und plötzlich offenbaren sie sich und fügen Lebensfäden zusammen, über-kreuzen sich usw. Udo Breger, Jahrgang 1941, ist ein deutscher Autor, Übersetzer, Verleger (Expanded Media Editions) und ein Begleiter der US-amerikanischen Beat-Generationen, der seit den 1970er Jahren in Basel lebt. Berichtet wird hier über seine Bekanntschaft mit Carl Laszlo (1923-2013), einem ungarisch-schweizerischen Juden und Auschwitz-Überlebenden. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebt Laszlo in Basel als Kunsthändler, Verleger, Autor und Psychoanalytker. Breger hatte Kontakte zum Schriftsteller William S. Burroughs und zum Künstler Brion Gysin, Laszlo wollte beide Kennenlernen. Es war der „Kirchenmäusler“ Breger und der launische Kunstsammler und Millionär Laszlo, die sich hier begegneten. Breger passte öfter mal auf die dreistöckige Villa auf und Laszlo – bewusst oder unbewusst – brachte dem Deutschen bei, über Antisemitismus, die Schuld und das Schuldgefühl nachzudenken. Das Thema sollte Breger nicht mehr loslassen. Es waren wilde Jahre in den 1970ern und 80ern. Es ging um Koks und Kunst zwischen Basel und New York. Laszlo war ein Exentriker und sehr vielseitiger, interessanter Mensch. Einerseits war er bekannt durch seine Memoiren „Ferien am Waldsee. Erinnerungen eines Überlebenden“ (1956 ff.). Er erlangte Kult durch seine internationalen Kunstzeitschriften „Panderma“ und „RADAR“, sowie zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zur Psychologie. Außerdem schrieb er Theaterstücke usw. Sein Kokainkonsum brachte ihm einen kurzen Gefängnisaufenthalt ein. Im New Yorker Restaurant „The Kiew“ wollte Laszlo mal – entgegen den dortigen Gepflogenheiten wie in der DDR platziert zu werden – sich seinen Tisch selbst aussuchen, was ihm allerdings verwehrt wurde. Laszlo stürmte daraufhin samt Entourage wieder raus mit der Bemerkung „You fucking Jew“. Auf Nachfragen der Begleitung meinte Laszlo nur, dass er als Jude das dürfe. Das sei dann halt irgendwie so wie mit den jüdischen Witzen – es macht einen Unterschied, wer sie erzählt. Warum es heutzutage nicht mehr modern zu sein scheint ein Personenregister hinten im Buch anzuhängen, verstehe ich nicht. Es würde das Erarbeiten eines Textes erleichtern. Nichts desto trotz holen mich die Geschichten ab, die über jüdisches Familienleben gehen, über Aufarbeitung deutscher Geschichte, ohne dass ich gleich zum Konvertiten werde, und über die Kunst, Literatur und die Lebensweisen unangepasster Menschen mit all ihren Brüchen. Bregers Erinnerungen lesen sich gut und sind eine Ergänzung zu seinen Erinnerungen „Road Stops – Stationen einer Lebensweise mit Burroughs, Gysin und vielen anderen“ von 2016. Unaufgeregt wird hier über eine Hochzeit der US-amerikanischen Nachkriegsliteratur und Kunst berichtet, die wohl nie so spannend war, wie seinerzeit. In vielem waren Breger und Laszlo eher konträre Figuren, die sich dann aber auch wieder in ihren Arbeiten und Interessen ergänzten. Beide waren Beobachter und Akteure eines langsam verschwindenden künstlerischen Undergrouds, einer hippieesken Generation von Widerstand, Verweigerung, aber auch alternativen Lebensformen, die es heute so nicht mehr zu geben scheint. All das ist heute Mainstream. Darüber kann man traurig sein. In diesem Geiste gibt es auch immer wieder Nachahmer*innen, Verweiger*innen einer kommerziellen Kunst. Für all jene sind diese Erinnerungen eine Fundgrube.
Eine Fundgrube „Alles andere verweht vom Fahrtwind des Planeten“
Udo Breger über Zeiten mit Carl Laszlo
Udo Breger Extraterritorial. Zeiten mit Carl Laszlo Verlag Moloko Print, Schönebeck 2024, 137 Seiten, 17,50 Euro, ISBN 978-3-910431-82-9