Der ukrainische Faschist Stepan Bandera

| Daniel Jerke

Grzegorz Rossoliński-Liebe Stepan Bandera – Leben und KultWallstein Verlag, Göttingen 2025, 574 S., 46 Euro, ISBN 978-3-8353-5592-7

Wer war Stepan Bandera, für den es heute in der Ukraine zahllose Denkmäler gibt, den selbst manche ukrainischen Feministinnen und LGBTQ+-Aktivist_innen bewundern und dessen Grab auf dem Münchner Waldfriedhof gepflegt wird, während er in Israel, Polen und Russland als Inbegriff eines rechtsextremen Massenmörders gilt?
Der deutsch-polnische Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe verbindet in seinem Buch, das eine Übersetzung seiner 2014 auf Englisch veröffentlichten Doktorarbeit darstellt, das Leben Banderas (1909–1959) mit der Geschichte der Ukraine im Allgemeinen und des ukrainischen Rechtsextremismus im Besonderen. Die Geschichte wird transnational erzählt, nicht nur weil Bandera einen großen Teil seines Lebens nicht auf dem Gebiet der heutigen Ukraine verbrachte, sondern weil die Erinnerung an ihn (im Guten wie im Schlechten) bis heute Grenzen überschreitet.
Stepan Bandera wurde 1909 als Sohn eines griechisch-katholischen Priesters in dem Teil der Westukraine geboren, der damals zu Österreich-Ungarn gehörte und nach dem Ersten Weltkrieg an Polen fiel. 1929 trat Bandera der frisch gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) bei, in der er schnell aufstieg. Weil es dabei aber zu vermehrten Konflikten mit der bisherigen Führung kam, spaltete sich die OUN 1940 und Bandera stand von nun an der Mehrheitsfraktion, der OUN-B, als „Führer“ (Prowidnyk) vor. Unabhängig von diesen persönlichen Querelen versuchte die OUN von Anfang an, die Gründung eines ukrainischen Staates durch Gewalt zu erzwingen. Bandera erklärte schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges öffentlich, dass die Organisation bereit sei, für die Umsetzung dieses Ziels „Tausende Menschenleben zu opfern“. Die Gelegenheit dazu ergab sich mit dem Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjet-union im Juni 1941. Die ONU-B rief einen ukrainischen Staat aus, der aber von den Nazis nicht anerkannt wurde, weil sie die Ukraine lieber selbst beherrschen und ausbeuten wollten. Bandera wurde daraufhin nach Deutschland gebracht und schließlich unter milden Bedingungen im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert.
Banderas Haft wird bis heute benutzt, um ihn als Opfer des Nationalsozialismus darzustellen. Doch Rossoliński-Liebe zeigt überzeugend, wie verlogen das ist: Die OUN bezog sich in ihrer Weltanschauung sowohl auf den italienischen Faschismus als auch den deutschen Nationalsozialismus und pflegte enge Beziehungen zu anderen rechtsextremen Bewegungen und Regimen. Dementsprechend sollte der angestrebte ukrainische Staat eine totalitäre Diktatur unter Führung der OUN werden, weshalb die Organisation auch von Anfang an nicht zögerte, mit Gewalt gegen andere Ukrainer_innen vorzugehen, die ihre Meinungen nicht teilten. Minderheiten sollten in dieser selbstständigen Ukraine im besten Falle nur toleriert werden. Banderas Abwesenheit führte zwar dazu, dass er nicht direkt an der Massengewalt der ukrainischen Nationalisten vor Ort, beteiligt war, doch hatte seine Politik dieser Brutalisierung Vorschub geleistet. Mitglieder der OUN-B und anderer ukrainischer rechtsextremer Gruppen versuchten vor Ort Fakten zu schaffen, indem sie – teilweise zusammen mit den Nazis, teilweise selbstständig – abertausende Angehörige der jüdischen und polnischen Bevölkerung der Westukraine ermordeten. Als dann 1944 diese Gebiete Teil der Sowjetunion wurden, wurden die ukrainischen Nationalisten selbst im großen Stile durch die sowjetische Armee vertrieben, inhaftiert oder getötet. Bandera blieb daraufhin in der Bundesrepublik, wo er bis zu seiner Ermordung 1959 durch den sowjetischen Geheimdienst in München auf den Ausbruch eines Dritten Weltkrieges wartete, von dem er sich eine neue Chance zur Entstehung eines ukrainischen Staates versprach. Der von OUN-B im Exil weiterbetriebene Kult um ihren „Führer“ verstärkte sich durch seine Ermordung weiter und wurde auch in der Westukraine heimlich gepflegt, wo er dann mit dem Ende der Sowjetunion wieder an die Öffentlichkeit gelangte.
Auch wenn das Buch von Rossoliński-Liebe ein paar Kürzungen hätte vertragen können und mir persönlich der Stil an manchen Stellen zu sehr beschreibend und zu wenig analysierend ausfällt, so kann ich es sehr empfehlen. Dem Autor gelingt es, Bandera klar als das zu zeigen, was er war, nämlich ein faschistischer Fanatiker, ohne an Kritik an seinen Gegnern (erst Polen, dann der Sowjetunion) und Konkurrenten (anderen ukrainischen Nationalisten) zu sparen. Diese Mittelposition, die keine eindeutigen Urteile scheut, fehlt häufig in den aktuellen Debatten über den Ukraine-Krieg.