„Am Ende blieben sie nackt auf dem Schlachtfeld zurück. Nicht nur das Leben war ihnen genommen, auch die Kleider, die Stiefel und ihre Habseligkeiten. Beraubt und geschunden, wurden 47 Männer in ein Massengrab geworfen. In manchen Köpfen steckten noch Bleikugeln. Nichts verriet mehr, wer Freund und wer Feind war.Nach der Schlacht hatten Bauern sie zusammen in ein Grab geworfen. Nur die letzten beiden Toten drapierten sie zuoberst in der Pose des gekreuzigten Christus. Der eine lag mit weit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken, die leeren Augen blickten zum Himmel – der andere ruhte auf dem Bauch und schaute durch das Gewimmel der Leichen in Richtung Hölle.“ (1)
Allein an diesem Tag hatte der 30jährige Krieg 6.000 Menschen das Leben gekostet. Wie die vielen andere Kriege auch, hinterließ dieser Krieg Tod und Verwüstung. Damals zogen die Kriegsherren noch selbst mit in die Schlacht und kamen darin um, wie unzählige einfache Soldaten auch. Der Schwedenkönig ebenso wie der Feldherr der katholischen Liga starben in den Gefechten des 30jährigen Kriegs. Seither wagen die Feldherrn sich kaum mehr persönlich ins Schlachtfeld. Seither sitzen sie hinter dicken Mauern ihrer Paläste und Bunker, entfesseln Kriege und schicken andere in den Tod.
Abgesehen von Seuchen hat in der Vergangenheit bis heute nichts mehr Menschenleben gekostet und Schaden angerichtet für Gesellschaften und Umwelt als eben Kriege.
Warum machen Menschen dabei mit?
Es gehört zu ihrer Natur, hören wir vom ehemaligen US-Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Barack Obama in seiner Dankesrede bei der Preisverleihung: „Der Krieg kam, in der einen oder anderen Gestalt, mit dem ersten Menschen in die Welt!“ (2)
Für diese Behauptung wird die biblische Geschichte von Kain und Abel als Beleg aufgerufen. (3) Kain erschlägt seinen Bruder, weil Gott dessen Opfer anschaut, wie es im Text heißt, seines aber nicht. Kain wird zornig. Seine Wut richtet sich gegen seinen eigenen Bruder. Jetzt ist er tot.
Und Gott redet ihn direkt an: „Was hast Du getan!“ Der Gott, der sein Opfer nicht angeschaut hat, schaut nun ihn an und tritt in direkten Kontakt zu ihm. Wegen des Mordes wird er aus seiner Heimat und Familie verbannt. Der Ackerbau aber, von dem Kain bisher lebte (nicht aber der nomadische Hirte Abel!), wird verflucht. Auf ihm lastet fortan der Fluch der harten, wenig ertragreichen Arbeit.
Ackerbau wird von Gott verflucht, nicht aber der Mensch Kain! Im Gegenteil, er wird geschützt durch das sogenannte göttliche Kainsmal. Es bewahrt ihn vor Übergriffen in der Fremde, wo er nun wieder als Nomade leben wird.
Das Gegensatzpaar: nomadisches Leben, für das Abel steht, und sesshaftes Leben, das Kain als Bauer verkörpert, ist bedeutungsvoll für die frühe Menschheitsgeschichte und die Frage von Gewalt, wie wir noch sehen werden.
Diesem Mythos um Kain und Abel haftet das Ewigkeitsmotiv von Gewalt und Krieg an. Noch immer ist es weit verbreitet, wurde vom Sozialdarwinismus „wissenschaftlich“ untermauert und findet Eingang in den Geschichtsunterricht. Kindern wird die Geschichte meist heute noch als Aneinanderreihung von Schlachten und Machtkämpfen dargestellt. Und aus den gut 5000 Jahren, die mit schriftlichen Quellen dokumentiert sind, entsteht tatsächlich der Eindruck, Krieg sei immer existent gewesen.
Damit wird aber lediglich ein Bruchteil der Menschheitsgeschichte berücksichtigt – und zwar jenes Prozent, in dem der Krieg allgegenwärtig war und ist.
Was aber ist mit den restlichen 99 % Menschheitsgeschichte?
Welche Quellen gibt es aus der Zeit? Was weiß die Wissenschaft darüber?
Evolutionäre Anthropologie und Primatologie will das tierische Erbe in uns freilegen und das Zusammenspiel von biologischer und kultureller Entwicklung aufdecken. Außerdem die Archäologie, die aufgrund von Ausgrabungsfunden uralte Lebensformen ins Licht setzt und die Geschichts- und Religionswissenschaften, die erklären, wie Krieg, Mord und Totschlag Eingang in die Zivilisation fanden – für diese Wissenschaften ist auch die frühe menschliche Entwicklung kein Buch mit sieben Siegeln mehr.
Auf Basis des aktuellen Forschungsstandes können die Vorgeschichte des Krieges, die Wurzeln von Aggression und Gewalt, dargelegt werden. Von da aus lässt sich erkennen, unter welchen Bedingungen es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt und wer die Kriegstreiber sind.
Gewalt und Krieg fußen auf Aggression, von der zwei grundsätzliche Formen unterschieden werden: reaktive und aktive Aggression. (4)
Reaktive Aggression ist eine unmittelbare Antwort auf eine unmittelbare Bedrohung und wird von Zorn oder Angst begleitet.
Der aktiven Aggression fehlt dieser Kontext. Ihr geht ein gezielter Plan voraus, Emotionen müssen gar nicht im Spiel sein.
Strafrechtlich werden beide Formen unterschiedlich beurteilt. Aktive Aggression gipfelt in kaltblütigem Mord und wird entsprechend bestraft, während reaktive Aggression als Notwehr meist straffrei bleibt.
Im Krieg nun stehen sich Soldaten gegenüber, die sich gar nicht kennen, die keinen persönlichen Konflikt miteinander haben. Menschen, die von ihren Regierungen ausgebildet und losgeschickt werden, um andere zu töten. Das klingt nach einem Plan, also nach aktiver Aggression.
Liegt uns das im Blut? Aktive Aggression? Welche Erkenntnisse hat die Wissenschaft? Wie haben wir Menschen uns entwickelt?
Eine Millionen Jahre lang war der aufrechte Gang der Haupt-unterschied zwischen den sogenannten Homininen, aus denen wir hervorgegangen sind, und den Menschenaffen. Durch klimatische Veränderungen aber mussten die Homininen schließlich den Wald und damit die sicheren Baumschlafplätze verlassen und sich in die offene Savanne wagen. Die bisher praktizierte Art, Raubtieren zu entkommen, indem man auf Bäume kletterte und sie mit Ästen bewarf, war nun nicht mehr möglich. Auf eine neue Strategie wurde zugegriffen, die auch andere Primaten anwenden.
Vom Leopard überrascht, liefen sie nicht weg, sondern stellten sich ihm gemeinsam entgegen. Schulter an Schulter, einer neben dem anderen, eine bedrohliche menschliche Wand gegen das Raubtier. (5) Bei Pavianen und Schimpansen, die im offenen Gelände in Gefahr geraten, ist derselbe gemeinsame Schulterschluss zu beobachten.
Unsere menschlichen Vorfahren waren schließlich so gut darin, Raubtieren zu trotzen, dass sie diesen auch zunehmend die Beute abjagten. So begannen sie, auch Fleisch und fetthaltiges Knochenmark zu essen.
Das Geheimnis ihres Erfolgs lag darin, effektiv zu kooperieren und ihre Intelligenz zu nutzen, um neue Werkzeuge und Strategien zum Nahrungserwerb zu erfinden. Im Laufe der Zeit wurden die Homininen zu nomadischen Jäger*innen und Sammler*innen. Eine neue Lebensweise in der Geschichte der Primaten war geboren.
Aus Sicherheitsgründen schlossen sich manchmal diese nomadischen Gruppen zusammen und erlangten eine Größe von bis zu 50 Individuen.
Wie sah ihr Leben aus?
Die einen sammelten und jagten Nahrung, die anderen blieben bei den ganz jungen und ganz alten Gruppenmitgliedern. Die Nahrung, die schließlich ins Lager gebracht wurde, wurde geteilt. Die Zusammenarbeit, das Teilen von Nahrung war ein Entwicklungsschritt unserer frühen Vorfahren, der auf Kooperation fußt.
Vor etwa 300.000 Jahren hatten sie die Stufe des Homo sapiens erreicht. (6) Mit dieser menschlichen Entwicklungsstufe wird die Population etwas dichter und die Sprache ausgeprägter. Weiterhin aber lebten die Menschen nomadisch als Jäger*innen und Sammler*innen; meist in überschaubaren Gruppen von nur 25 Personen. Über die Sprache und Verwandtschaft waren sie mit anderen Gruppen verbunden, mit denen sie sich sporadisch trafen und wohl auch Feste feierten und Rituale begingen. Beide Geschlechter trugen ihren Anteil zum Gruppenunterhalt bei. Entsprechend egalitär gestalteten sich die Geschlechterbeziehungen.
Nomadische Gemeinschaften von Jäger*innen und Samm-ler*innen können keine Lebensmittel lagern und besitzen ebenso wenig eine üppige Ausrüstung. Abgesehen von Kleidung, Schmuck und Werkzeugen gibt es kein Privateigentum. Mehrfach im Jahr wird das Lager gewechselt und alle Habe muss über längere Distanzen transportiert werden. Dass trotz fehlender Vorräte niemand hungern musste, liegt an einem ausgeklügelten System des Teilens. Jeder kann mal Pech beim Sammeln und Jagen haben, jeder kann mal krank oder verletzt sein, Familien können viele Kinder haben und daher viele Kalorien benötigen … alles Lebenslagen, die damals von der Gesamtgruppe abgefedert wurden. Nur aufgrund dieser gegenseitigen Hilfe und Fürsorge konnte die Gruppe überleben.
Dieses Prinzip der Gegenseitigkeit ist ein Kernelement der menschlichen Psychologie, sagen Wissenschaftler*innen heu-te. Sinn für Fairness und die Balance in den sozialen Beziehungen ist uns ins Menschsein eingeschrieben.
In den Gruppen der Jäger*innen und Sammler*innen kommt ein zweites Prinzip hinzu: die Anerkennung der grundlegenden Gleichheit aller Menschen und die Autonomie jedes Einzelnen. Daher hatten diese Gruppen keinen Anführer. Sie waren egalitär organisiert. Insofern alle von der gegenseitigen Solidarität profitierten, waren offene Konflikte in den Gruppen die Ausnahme. Zudem gab es kein Privateigentum, das Anlass zum Streiten gegeben hätte. Es findet sich also wenig Konfliktpotential, keine Aggression und keine Tötungsabsicht innerhalb der frühen Menschengruppen. Körperliche Auseinandersetzungen kamen in einem Jäger- und Sammler-Lager seltener vor als in einer Schimpansen- oder Bonobogruppe, belegen die Forschungsergebnisse aus Tier-Beobachtungen.
Tiere kämpfen nur in Konkurrenzsituationen und töten dabei gelegentlich auch ihren Gegner, ohne das geplant zu haben. Denn die klare Absicht, den anderen zu töten, setzt ein Bewusstsein vom Tod voraus. Das ist bisher bei Tieren nicht beobachtet worden. Angestaute Wut, Aggression, wie wir sie heute kennen, die sich plötzlich entlädt, aus der heraus ein Mord geplant wird, steht im Widerspruch zur evolutionär angelegten Rationalität des Kampfes, wie er im Tierreich beobachtet wird. Zudem ist Gewalt im Tierreich nicht das einzige und schon gar nicht das bevorzugte Mittel der Konfliktlösung. Biologisch verankert sind Gewaltausbrüche, plötzliche Aggression und planmäßiges Morden also nicht.
Streit gibt es im Zusammenleben von Gruppen im Tierreich wie bei den Menschen. Doch mittlerweile ist nachgewiesen, dass sich praktisch alle Tierarten, die in stabilen Gruppen leben, nach einem Streit wieder versöhnen. Dasselbe tun Menschen der Frühzeit in Jäger- und Sammlergruppen. Auch Versöhnung ist uns tief eingeschrieben in unser Sein. (7)
Die menschliche Frühzeit lehrt uns, dass das nomadische Zusammenleben in egalitären, solidarischen Gruppen ein minimales Maß an Aggression hervorbringt. Deshalb lassen sich aus der Zeit keine speziellen Kriegswaffen finden, keine Befestigungen, keine Schlachten, geschweige denn ausgedehnte Feldzüge, keine dauerhafte Besetzung gegnerischen Territoriums, keine Gefangennahme und Versklavung von Feinden. All das wird für sesshafte Gesellschaften später typisch. Gewalt und Mord halten mit dem sesshaften Leben Einzug und werden zur überwiegend männlichen Angelegenheit. (8)
Diese kurze Skizze der Vorzeit, gespeist aus den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie, der Primatologie und Ethnografie widerlegt die These, dass sich die menschliche Evolution in einem permanenten Kriegszustand vollzogen haben soll. In 99 % der Menschheitsgeschichte war der Krieg unbekannt!
Die frühe Menschheit führte ein gut an die Umwelt angepasstes Nomadenleben in überschaubaren Gruppen basierend auf gegenseitiger Fürsorge und einem grundsätzlich friedlichen Miteinander mit anderen Gruppen, auf die man zufällig oder regelmäßig traf.
Alles war gut, warum wurde man dann sesshaft?
Im Umherziehen von einer Stelle zur nächsten fanden die Gruppen hin und wieder sogenannte Gunstregionen, wo sie länger als sonst Nahrung fanden und also länger bleiben konnten. (9) Sie mussten vielleicht nur ein mal im Jahr den Ort wechseln: Sommer- und Winterlager. Da lohnte es sich, einfache Hütten zu bauen und kleine Vorratsgruben anzulegen. Je länger die Gruppen bleiben konnten, umso mehr entwickelte sich ein komplexeres Gemeinschaftsgefüge. Zum Beispiel bildeten sich Bestattungsriten für die Toten heraus. Der neue Lebensraum wurde zum Land der Ahnen einer Gruppe. Orte erhielten Relevanz.
Damit setzt in der Mittelsteinzeit eine Transformation ein. Noch immer gibt es nomadische Gruppen, aber zunehmend bilden sich in den oben genannten, fürs Leben günstigen Regionen überwiegend oder dauerhaft sesshafte Gruppen. Ackerbau und Viehzucht gewinnen an Bedeutung. Archäologische Funde legen nahe, dass es zu kulturellen Inselbildungen kam und sich die weiträumigen Netzwerke verschiedener Jäger- und Sammler-Gruppen langsam auflösten.
Patriarchat und Krieg erblicken gemeinsam das Licht der Welt!
Die Beschränkung auf einen fest umrissenen Lebensraum und die dort vorhandenen Ressourcen hat jedoch negative Folgen für die Menschen. In diese Situation spricht der Mythos von Kain und Abel und votiert für das Nomadenleben! Mobile Menschen können leichter auf die Wechselfälle ihrer natürlichen Umgebung reagieren. Hitze, Kälte, Überflutungen ziehen sich durch die Erdgeschichte, seit es Menschen gibt. Nomad*innen können problemloser darauf reagieren und zu neuen Ufern aufbrechen.
Von den dramatischen Klimaschwankungen vor etwa 10.000 Jahren waren erstmals auch sesshafte Gruppen betroffen. Dabei wurden ihre bisher ertragreichen Lebensräume vernichtet. Ganze Ortschaften wurden unbewohnbar oder unfruchtbar und mussten verlassen werden. Eine Wanderbewegung setzte ein. Gute Lebensräume aber waren knapp. Das begünstigte gewalttätige Exzesse. Es kam zu Plünderungen von Gemeinschaften, die noch genug Nahrung hatten, aber nicht teilen wollten.
In dem Kontext bildeten sich Anführer*innen (10) heraus, die bei nahenden Räubern die Abwehr organisieren. Nach der Gefahrensituation zogen sie sich wieder zurück in die Gruppengemeinschaft. Noch entstand keine Hierarchie.
Aber das sesshafte Leben veränderte die Menschen; neue Strukturen des Miteinanders bildeten sich heraus. Sesshafte Menschen betrachten das Land, das sie beackern, zunehmend als ihr Eigentum. Es besitzt feste Grenzen und steht nur noch den eigenen Leuten offen. Solche Gruppen müssen sich im Zweifelsfall dem Kampf stellen. Plünderungen und die damit verbundene Gewalt entstand somit aus Protest gegen das Privateigentum und die territoriale Monopolisierung von Land. Aus diesen historischen Zeiten finden sich erstmals Waffen, die ausschließlich zum Töten von Menschen angefertigt sind.
Einst begründete den Erfolg unserer Spezies die gegenseitige Unterstützung im Alltag und Zeiten der Not. Jetzt grenzen sich Menschen von anderen Menschen zunehmend ab.
Um 5.200 v. Chr. hören die friedlichen Zeiten auf:
Bevölkerungszunahme, die in großem Umfang erst im sesshaften Leben entstehen konnte (11), und Trockenheit mit Ernteausfällen führen zu immer mehr gewalttätigen Übergriffen. Das bäuerliche Zusammenleben von Mensch und Tier auf engem Raum und die Unkenntnis über Hygiene öffnen Seuchen Tür und Tor. Dennoch setzen sich Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht in kleinen Dorfgemeinschaften durch. Mehr und mehr wird diese Lebensweise zur Normalität. Und mit ihr die darin entstandene Kampfbereitschaft. Sie wird zum Kernelement des bäuerlichen Ethos. In dem Kontext gewinnen die Söhne an Bedeutung: als Kämpfer und Erben – die männlich konstruierte Abstammungslinie kommt auf.
Mit der Bevölkerungszunahme entstehen Ungleichheiten innerhalb der Dörfer.
Alteingesessene haben sich das gute Land gesichert. Wenn Familien wachsen oder Neue dazu kommen, muss auch weniger gutes Land bewirtschaftet werden. Weniger gutes Land bedeutet weniger Ertrag. Ungleichheit basiert auf unterschiedlich gutem und unterschiedlich viel Landbesitz.
Das soziale Gefüge wandelt sich: Einst waren belastbare Beziehungen untereinander und zu benachbarten Gruppen die Lebensversicherung, sowohl bei Nahrungsmangel wie bei Krankheit und im Alter. Jetzt machen Getreidespeicher und Viehbesitz es möglich, sich von den Nachbarn zu lösen. An die Stelle von Solidarität treten Egoismus und die eigene Abstammung.
Wo zwischenmenschliche Verbindungen schwinden, hat Gewalt jedoch leichtes Spiel. Patriarchat und Krieg erblicken gemeinsam das Licht der Welt! (12)
Die frühen agrarischen Gesellschaften produzieren nicht nur soziale Ungleichheit, sondern bringen auch mächtige Patriarchen hervor, die an der Spitze immer größer werdender Familien und Clans stehen. Erstmals werden dauerhaft wehrhafte Verbände gebildet. Fehde und Blutrache werden gesellschaftlich institutionalisiert. Auf Gewalt wird mit Gegengewalt reagiert. Der Einzelne kann nicht mehr wählen, wie er einen Konflikt löst, er wird zum Kampf verpflichtet.
Mit der Erfindung des Privateigentums und dessen Vererbung in der männlichen Linie im Neolithikum ist ein strukturelles Problem in die Welt gelangt, das sich immer wieder in Gewalt und letztlich Kriegstreiberei entlädt. (13)
Eine tödliche Identitätskonstruktion
Mann und Waffe verschmelzen in der Identität des Kriegers. Das männliche Selbstverständnis wird bei dieser tödlichen Identitätskonstruktion mit der immer währenden Potenz begründet, Leben zu nehmen. Vielleicht sollte damit eine Gegenidentität geschaffen werden zur weiblichen Potenz, Leben zu geben. Jedenfalls definieren sich fortan die Helden und Herrscher als Herren über Leben und Tod.
Das Neolithikum (14) ist das Zeitalter der Menschheitsgeschichte, in dem kriegerische Aktivitäten allgegenwärtig werden und ein Kriegertum entsteht, das mit spezialisierten Waffen und Befestigungen einhergeht.
Die Herrschaft der Staaten und ihrer Despoten bricht an
Die frühen Staaten basieren auf räuberischer Erpressung. Menschen haben sich nicht freiwillig zu einem großen Gemeinwesen zusammengeschlossen. „Es war eher eine Art Schutzgeldkartell, in dem mächtige Mafiosi den Bauern Ressourcen abpressten und ihnen im Gegenzug Sicherheit gegenüber feindseligen Nachbarn anboten“, wie die Historiker Charles Tilly und Steven Pinker die Entstehungen von Staaten und ihren Herrschern beschreiben. (15)
Seither ist die Welt in Herrscher und Untertanen eingeteilt.
Herrscher verfügen über das Gewaltmonopol und haben von daher die Möglichkeit, Menschen aus ihrem Staat in den Krieg zu zwingen. Staaten bilden den institutionellen Rahmen, in dem Krieg im Laufe der Jahre immer komplexer und selbstverständlicher wird.
99 Prozent der Menschheitsgeschichte war die Erwerbskunst das Jagen und Sammeln dessen, was die Natur zu bieten hatte. Mit der Landwirtschaft tauchte vor etwa 12.000 Jahren eine neue Erwerbskunst auf; durch Ackerbau und Viehzucht produzierten die Menschen ihre Nahrung selbst. Vor gut 5.000 Jahren dann etablierte sich als weitere neue Erwerbskunst der staatlich organisierte Krieg, mit dem einige wenige gewaltsam den Besitz, das Land und Leben anderer Menschen an sich bringen.
Positiv ausgedrückt, ist der Krieg also eine kulturelle Errungenschaft. Negativ gesehen aber ist er eine Anomalie, die den von Natur aus kooperativen, egalitär gesinnten und fürsorglichen Menschen im Laufe der kulturellen Entwicklung aufgezwungen wurde. Kriege gründen in einer für Menschen untypischen Lebensweise, die mit den frühen Staaten entstanden ist. Wir heute stehen am Ende dieser Entwicklung. Staatsoberhäupter, die sich fremdes Land aneignen und daraus neue Arbeitskräfte rekrutieren, deren Landwirtschaft, Industrie oder Bodenschätze sie ausbeuten, sind allgegenwärtig. Krieg ist zum Wirtschaftsfaktor geworden.
Aus evolutionärer Perspektive ist Krieg jedoch kein Schicksal und schon gar nicht die einzige menschliche Strategie zur Konfliktlösung.
Der Philosoph Immanuel Kant (16) fügt dieser entwicklungsgeschichtlichen Sicht einen Grundsatz der Aufklärung hinzu: die Vernunft. Sie ist unvereinbar mit Krieg. Für Staaten, die Handelsbeziehungen zueinander pflegen, ist es unvernünftig, Kriege zu führen. Sie schaden sich mehr, als sie gewinnen können.
Ein besonderes Bedrohungspotential sieht Kant in den stehenden Heeren (17) der Staaten, die von den jeweils anderen Ländern als konstante Bedrohung verstanden werden müssen. Daher diktiert die Vernunft einem jeden Staat, abzurüsten. Kant votiert zudem für eine kosmopolitische Föderation republikanischer Staaten, die durch eine gemeinsame internationale Rechtsordnung gebunden sind und wo Konflikte im Vorfeld kriegerischer Handlungen beigelegt werden. (18)
Aus evolutionärer Perspektive ließe sich diskutieren, ob Staaten überhaupt die richtigen Akteure sind, um Entscheidungen über das Führen von Kriegen zu fällen. Diese schwerwiegende Entscheidung sollte bei der betroffenen Bevölkerung (19) liegen;bei den mittlerweile acht Milliarden Artgenossen, die evolutionär kooperativ geprägt sind und von daher rational über die Art der Konfliktlösung entscheiden können, wenn man sie lässt.
Selbst mitten in Kriegshandlungen hat es Verbrüderungen zwischen feindlichen Soldaten gegeben und die Waffen wurden niedergelegt.
Legendär ist die spontane Waffenruhe an der Westfront Weihnachten 1914 zwischen britischen und deutschen Soldaten. (20) Statt zu kämpfen, feierten sie Weihnachten zusammen. Der Alptraum aller Offiziere und Heeresleitungen, der Traum aller Pazifist*innen und Anti-militarist*innen.
(1) Harald Meller, Kai Michel,Carel van Schaik, Die Evolution der Gewalt, München 2024, S. 7
(2) Ebenda, S.12
(3) Bibel, Genesis 4,1-16
(4) Ebenda, vgl. S. 43
(5) Ebenda, vgl. S.48
(6) Ebenda, vgl. S. 52
(7) Ebenda, S. 70 f.
(8) Ebenda, S.107
(9) Ebenda, vgl. S. 143
(10) Insbesondere das Richterbuch der Bibel beschreibt solche Prozesse und nennt auch entsprechende Anführerinnen.
(11) Meller, u.a., Die Evolution der Gewalt, S.112 f. In mobilen Gemeinschaften stillen Frauen ihren Nachwuchs 3-4 Jahre, bis die Kinder dasselbe essen konnten wie die Erwachsenen. In der Zeit gibt es keine neue Schwangerschaft. Sesshafte Frauen können öfter schwanger werden und Babys mit Getreidebrei versorgen.
(12) Ebenda, S.206
(13) Ebenda, S.213
(14) Neolithikum begann je nach geografischer Lage zwischen 9500 v. Chr. und 4000 v. Chr.
(15)Ebenda, vgl. S.238
(16) Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, 1795, Reclam Verlag, Stuttgart 2022
(17) Kant / Reclam, vgl. S. 7f.
(18) Kant / Reclam, vgl. S. 24-26
(19) Kant,/ Reclam, vgl. S. 17 Auch Kant geht davon aus, dass die Bevölkerung nicht für Krieg stimmen wird, wenn man sie fragt.
(20) Meller, u.a., Die Evolution der Gewalt, vgl. S. 131 / vgl. auch: Paul Maurice, Etienne Dubslaff, Maude Williams, Deutsch-französische Fraternisierungen in Kriegszeiten. Interdisziplinäre Ansätze zu den Fraternisierungen in den neuzeitlichen deutsch-französischen Konflikten (1799–1945), Stuttgart, Steiner Verlag, 2019
Dr. Heike Knops skizzierte im Sommer 2025 in der GWR 500 mit ihrem Artikel „Alte Wege zum Frieden – neu entdeckt“ die Geschichte des Friedens. Siehe: https://www.graswurzel.net/gwr/2025/06/alte-wege-zum-frieden-neu-entdeckt/
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.