Liebe Leser*innen,
die Palestinians and Jews for Peace beschreiben den 7. Oktober 2023 als Tag unermesslichen Schreckens: „Wir waren (…) verzweifelt darüber, wie schnell die Welt begann, Seiten zu wählen, Verbrechen zu rechtfertigen und unsere gemeinsame Menschlichkeit zu vergessen. (…) Wir mussten trauern – nicht allein, sondern gemeinsam. Uns gegenseitig daran erinnern, dass Mitgefühl kein Verrat ist, dass das Trauern um jedes Leben keine Schwäche bedeutet und dass Solidarität das einzige Gegenmittel gegen Hass ist. (…) Die von der Hamas am 7.10. verübten Gräueltaten waren ein Massaker – kein Akt des Widerstands. Dies als Widerstand zu bezeichnen oder den Horror dieses Tages zu verherrlichen, (…) entmenschlicht beide Völker und verrät den Kampf um wahre Befreiung. Ebenso war die Reaktion der israelischen Regierung auf den 7.10. nichts anderes als kollektive Bestrafung – eine Kampagne der Zerstörung und des Todes, die Zivilist*innen ins Visier genommen und Gaza seines Lebens beraubt hat.“ (1)
Israels Armee hat seit dem 8. Oktober 2023 auf Befehl der rechtsextremen Netanjahu-Regierung bis zum Waffenstillstand im Oktober 2025 große Teile Gazas zerstört und mehr als 67.000 Palästinenser*innen getötet (siehe Artikel auf Seite 2 und 20).
Der Waffenstillstand ist brüchig, aber er ist ein Hoffnungsschimmer.
Hoffnung machen uns auch die sieben Millionen Menschen, die am 19. Oktober 2025 in den USA unter dem Motto „No Kings!“ an den Demos gegen Trump und die Umwandlung der US-Demokratie in eine neofaschistische Autokratie teilgenommen haben.

Auch hierzulande wächst der Widerstand gegen den Rassismus, der von rechten Medien, der AfD und der nach rechts gerückten CDU/CSU befeuert wird.
Merz verkündete am 14. Oktober: „Wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“, aber die Bundesregierung korrigiere „frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik“ und schiebe inzwischen viel mehr Menschen ab. Später legte er nach: „Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte.“ Daraufhin gingen unter dem Motto „Wir sind die Töchter“ in Hamburg, Münster und zig anderen Städten Tausende gegen die Hetze des Kanzlers auf die Straße. Weiter so!
Angesichts der Geschichte des deutschen Militarismus, der die Menschheit zweimal in einen Weltkrieg geführt hat, macht die von Merz und Co. propagierte Aufrüstung Deutschlands vielen Menschen Angst, wie auch Robert Kriegs Interview mit der italienischen Sozialistin Luciana Castellina auf Seite 8 zeigt.
Gegen die Militarisierung regt sich Widerstand. So hat das „Rheinmetall entwaffnen“-Camp im Sommer bundesweit für Schlagzeilen gesorgt und frischen Wind in die Antikriegsbewegung gepustet. Die Rückblicke auf das Camp fallen aber unterschiedlich aus, wie die Artikel auf den Seiten 6 und 7 zeigen. „Wir haben bisher kein Camp erlebt, das sich zwar einerseits gegen Krieg und Rüstung ausspricht und andererseits so viele militaristische Tendenzen aufwies, wie in Köln“, schreibt der Anarchistische Antikriegsrat Berlin.
Heike Knops skizziert mit ihrem Artikel auf Seite 3f., dass der Krieg kein Normalfall der Menschheitsgeschichte ist. Auf Seite 5 geht es um Anarchie und Kriegsdienstverweigerung.
Gisela Notz und Antonia Lammertz stellen uns auf den Seiten 13 ff. zwei Wegbereiterinnen des Anarchismus vor: Luisa Capetillo und Traudchen Caspers. Außerdem geht es in dieser GWR u.a. um Mietrebell*innen (S. 11), die Geschichte Spaniens seit dem Bürgerkrieg (S. 1, 9f.), die aktuelle Situation der Zapatistas in Mexiko (S. 1, 16), Geflüchtete in Griechenland 1922 und heute (S. 18 f.), Zivilen Ungehorsam (S. 20), KI (S. 22) und das Archiv Aktiv (S. 23).
Empfehlen möchte ich auch die „Tee & Taktik“-Podcast-Folge 14 (2) zum Thema „Datenschutz vs. Staat – der gestoppte Zensus“. Lea Bonasera hat mich als Aktivisten der Volkszählungsboykott-Bewegung 1987 über eine der erfolgreichsten und oft vergessenen Protestbewegungen der BRD befragt. Die VoBo-Bewegung der 1980er wehrte sich kollektiv, kreativ, laut und witzig gegen die staatliche Überwachung. Sie legte den Grundstein für das Datenschutzgesetz und zeigte, wie vielfältig ziviler Ungehorsam sein kann. Außerdem wird ein Blick auf die Repressionen geworfen, mit denen der Staat versuchte, die Bewegung zu brechen – und darauf, wie es gelingen konnte, den Staat in die Knie zu zwingen.
Vielleicht können der Podcast und die GWR 503, im Sinne von Ton Steine Scherben, neue Energie „für den Kampf ums Paradies“ verbreiten?
Anarchie und Glück,
Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)