Der öffentliche Raum ist längst kein Ort für alle. Er wird kuratiert, kontrolliert, verwertet – so wie alles im Kapitalismus. Zwischen schicken Glasfassaden, Konsum und Sicherheitsdiensten zeigt sich, wer dazugehören darf und wer stört.
In einer Pressemitteilung vom 26. Oktober 2025 (1) ließ der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange alle Masken fallen und erklärte, dass er die Vertreibung von Obdachlosen und hilfsbedürftigen Menschen aus der Innenstadt als polizeiliche Aufgabe ansieht. „In Hilfsangebote hineindrängen und aus der Innenstadt fernhalten“, so der Masterplan. Man wolle es ihnen „so unbequem wie möglich“ machen. Die Dortmunder Polizei rennt damit in Politik und Verwaltung offene Türen ein. Denn das Dortmunder Sozialamt erklärte bereits letztes Jahr, „Obdachlosigkeit im Winter sei eine freiwillige Entscheidung“, und Bürgermeister Alexander Kalouti (CDU) hetzte bereits in seinem Wahlkampf gegen obdachlose Menschen.
Eine als Ordnungspolitik getarnte ästhetische Säuberung des öffentlichen Raums. Nicht die Existenz von Leid ist das Problem, sondern die durch das Leid verursachte Störung der kapitalistischen Inszenierung von Sauberkeit, Konsum und Wohlstand. Willkommen ist nur, wer funktioniert und konsumiert. Doch wer vom System vernachlässigt wurde und dadurch dessen Scheitern verkörpert, wird aus dem Sichtfeld der Bürgerschaft entfernt. Diese Politik ist die konsequente Ausdrucksform eines autoritären Neoliberalismus, der das Elend, das er selbst produziert, vertreibt und bestraft.
Der Staat und seine Callboys in Uniform agieren nicht als Schützer sozialer Sicherheit, sondern als Gewaltapparat zur Aufrechterhaltung kapitalistischer Verwertungslogik. Sie schützen keine Menschen, sondern Eigentumsverhältnisse. Zur Not auch mit tödlicher Gewalt, wie 2024, als die Dortmunder Polizei einen Menschen ohne Obdach und in psychischer Krise erschossen hat. Bettelverbote und Repressionen gegen von Armut betroffene Menschen sind keine Schutzmaßnahmen, sie sind soziale Kontrolle. Die unterlassene Hilfeleistung des Staates wird vertuscht, indem man die Opfer schuldig spricht. Sie gelten nicht als Zeichen eines Systemversagens, sondern als Störfaktor, als Sicherheitsrisiko, als Abweichung von der bürgerlich-kapitalistischen Norm. Denn im Kapitalismus gilt: Wer fällt, fällt tief und das bitte lautlos. Wer sich widersetzt und trotz Verbots weiterhin „aggressiv“ bettelt, aka nach Geld fragt, dem droht die Stadt mit 250 Euro Strafe. 250 Euro für den Versuch, an ein bisschen Kleingeld zum Überleben zu kommen. Wer das nicht zahlen kann, dem droht die Ersatzzwangshaft. Erst brechen, dann kriminalisieren und am Schluss wegsperren.
Die unterlassene Hilfeleistung des Staates wird vertuscht, indem man die Opfer schuldig spricht.
Hobbes‘ Leviathan lebt und frisst sich satt an denen, die wenig haben. Die Stadt Dortmund ist hier aber kein Einzelfall. Erst vor kurzem verhängte auch Darmstadt ein Bettelverbot mit der Begründung, man wünsche sich eine „respektvolle Atmosphäre“. Das Leid und die Armut anderer als respektlos zu framen, könnte aus dem Mund des Bösewichts eines dystopischen Romans kommen, kommt aber von Paul Georg Wandrey (CDU).
Feindlichkeit gegenüber Menschen ohne Obdach ist längst in Beton und Stahl gegossene Politik „Hostile Architecture“, der Lieblingsstil vieler Städte: Stacheln auf freien Flächen, geteilte Bänke, geneigte Sitzflächen – alles, um Menschen daran zu hindern, sich den öffentlichen Raum anzueignen. Denn auch Arme, darunter häufig migrantisierte Menschen, nutzen den öffentlichen Raum als Aufenthaltsort. Wer keinen Garten hat, geht in den Park oder die Innenstadt. Doch viel zu viele Bereiche des öffentlichen Lebens unterliegen der Marktlogik des Kapitalismus. Aufenthalt ja, aber nur wer Geld hat.
Design wird zur Waffe des Bürgertums im Klassenkampf, der städtische Raum zur Bühne einer autoritären Ästhetik der Ausgrenzung. Wehe dem, der diese Inszenierung stört. Zwischen Kaufrausch, Luxusindustrie, eskapistischem Billigkonsum und Coffee-to-go aus der neoliberalen Lieferkette inszeniert sich das deutsche Kleinbürgertum für einen kurzen Moment als Teil der Oberschicht. Menschen ohne Obdach, Arme und Hilfsbedürftige stören diese sorgsam kuratierte Atmosphäre. Sie erinnern daran, dass der Wohlstand nicht allen gehört. Wer stört, zeigt, dass es anders sein könnte. Und wehe dem, der von einer sozialeren Gesellschaft träumt. Die Ironie: Jetzt im Winter besingt die bürgerlich-christliche Gesellschaft wieder den Heiligen Martin, zieht mit Laternen durch die Straßen und feiert die Nächstenliebe. Was die wenigsten wissen: Der Mann im Martinslied war ein aggressiver Bettler, der den gütigen Martin mit den Worten „Ach helft mir doch in meiner Not, sonst ist der bittere Frost mein Tod“ förmlich bedrängte. Heute wäre er wohl polizeilich bekannt, aus der Innenstadt verwiesen oder in einer Ausnüchterungszelle gelandet. Nichts mit geteiltem Mantel, das wäre ja praktisch schon Sozialismus – und wo würden wir denn da bloß hinkommen. Oder, Herr Kalouti?
(1) Siehe: https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/polizei-obdachlose-innenstadt-dortmund-100.html
Zoa Zoa ist feministische Aktivist*in und Künstler*in. Kontakt: zoffundzoa@gmail.com
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.