Der Fall ist Teil des Budapest-Komplexes, einer internationalen Verfolgungswelle gegen Antifaschist*innen: Seit rund eineinhalb Jahren sitzt die non-binäre Person Maja in Budapest unter menschenunwürdigen Bedingungen in Untersuchungshaft. Seit dem Frühjahr läuft der offen politisch motivierte Prozess, in dem es um körperliche Auseinandersetzungen mit Nazis Anfang 2023 in der ungarischen Hauptstadt geht. Für Januar 2026 wird ein Urteil erwartet, das bis zu 24 Jahre Haft betragen kann.
Anlass für die grenzüberschreitende staatliche Hetzjagd auf Antifaschist*innen waren antifaschistische Aktionen in der ungarischen Hauptstadt Anfang Februar 2023. Jedes Jahr findet dort – wohlwollend geduldet von den Behörden – das NS-glorifizierende Großevent „Tag der Ehre“ statt, der größte europäische Naziaufmarsch. Zu den Gegenprotesten reisen jedes Jahr Antifaschist*innen aus verschiedenen Ländern an.
Im Februar 2023 kam es am Rand der faschistischen Großveranstaltung zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Nazis und mehreren Antifaschist*innen. Die ungarischen Behörden verhafteten drei linke Aktivist*innen noch in Budapest und verfolgten weitere Beschuldigte mit Europäischem Haftbefehl und Öffentlichkeitsfahndungen. Aus Angst, an das ungarische Rechtsaußen-Regime ausgeliefert zu werden, tauchten die meisten Betroffenen unter.
Die meisten im Budapest-Komplex Beschuldigten stammen aus Deutschland, und die hiesigen Behörden nutzten das als willkommene Gelegenheit für ihre eigene Repressionsagenda gegen antifaschistische Strukturen.
Zahllose Überwachungsmaßnahmen und Hausdurchsuchungen sollten das soziale und politische Umfeld der Untergetauchten durchleuchten und einschüchtern. Die Familien wurden immer wieder drangsaliert und mit brutalen Polizeieinsätzen terrorisiert. Offensichtlich sollten die Gesuchten auf diese Art gezwungen werden, sich zu stellen. Dass die deutschen Behörden aber eine Zusicherung verweigerten, sie nicht an Ungarn auszuliefern, hielt die Untergetauchten lange davon ab. Während andere EU-Staaten eine Auslieferung beschuldigter Antifaschist*innen an Ungarn ablehnen und darauf verweisen, dass dort keine rechtsstaatlichen Minimalstandards herrschen, hatten die hiesigen Behörden keinerlei Skrupel.
Rechtsbrüche und unmenschliche Haftbedingungen
Dass es nicht bei einer bloßen Drohung bleibt, zeigt der Fall Maja. Die non-binäre Person aus Jena war ebenfalls im Budapest-Komplex beschuldigt und untergetaucht. Vor rund zwei Jahren – am 11. Dezember 2023 – wurde Maja in Berlin verhaftet und kämpfte von da an ununterbrochen dagegen, an das offen queerfeindliche und rechtsautoritäre Regime unter Viktor Orbán ausgeliefert zu werden. Am Abend des 27. Juni 2024 ermöglichte das Berliner Kammergericht die Überstellung, doch für den nächsten Morgen wurde ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erwartet. Die Berliner Behörden nutzten die verbleibenden Stunden für eine rechtswidrige Nacht-und-Nebel-Aktion und verschleppten Maja nach Ungarn.
Als das höchste Gericht am Vormittag des 28. Juni 2024 die Auslieferung untersagte, saß die non-binäre Person bereits im Budapester Untersuchungsgefängnis.
Trotzdem lässt sich Maja nicht entmutigen und meldet sich regelmäßig mit Grußworten und Briefen zu Wort. Die Zustände im Untersuchungsgefängnis sind wie erwartet katastrophal: „Ich musste über sieben Monate außerhalb meiner Zelle immer Handschellen tragen, teilweise auch in meiner Zelle, egal ob beim Einkaufen, bei Skype-Telefonaten oder bei Besuchen. Die Beamten führen stündlich eine Sichtkontrolle in meiner Zelle durch, auch nachts, und dabei schalten sie immer das Licht an“, berichtete Maja im Sommer 2025. „Ich muss Intimkontrollen über mich ergehen lassen, bei denen ich mich komplett zu entkleiden habe. Besuche fanden in getrennten Räumen statt, wo ich von meinen Familienangehörigen, Anwälten und offiziellen Vertreter:innen durch eine Trennscheibe getrennt wurde.“ Das Essen ist ungesund, die Duschgelegenheit mangelhaft. In die Zelle, in der es von Bettwanzen und Kakerlaken wimmelt, dringt kaum Tageslicht. Vor allem aber wird die non-binäre Person in harter Langzeit-Einzelhaft gehalten, der Kontakt zu anderen Gefangenen ist stark eingeschränkt und beträgt maximal eine Stunde am Tag.
Gegen diese unhaltbaren Zustände trat Maja im Juni 2025 in einen rund sechswöchigen Hungerstreik. Zentrale Forderungen waren, zurück nach Deutschland oder zumindest aus dem Untersuchungsgefängnis in Hausarrest verlegt zu werden. Außerdem verlangte Maja bessere Haftbedingungen, insbesondere ein Ende der Isolation. Nach mehreren Wochen nahmen die körperlichen Folgen lebensbedrohliche Ausmaße an, und Maja beendete den Hungerstreik selbstbestimmt. Diese Aktion schuf nochmals starke internationale Öffentlichkeit. In vielen Städten und Ländern fanden Solidaritätsaktionen statt, breite gesellschaftliche Kreise protestierten gegen Majas Behandlung, und einige deutsche Politiker*innen reisten zu einem Besuch nach Ungarn.
Konkrete Verbesserungen im Haftalltag wurden aber nicht erreicht: Als Maja im Spätsommer aus dem Haftkrankenhaus zurück nach Budapest verlegt wurde, herrschten die gleichen Zustände wie zuvor, und nach wenigen Tagen wurde eine äußerst gewalttätige mehrstündige Nacktkontrolle durchgeführt.
Die Anträge der Anwälte, Maja in Hausarrest zu überführen, lehnt das Gericht auch weiterhin regelmäßig ab – zuletzt Anfang Oktober 2025. Der Richter begründete die Entscheidung damit, dass die zahlreichen Solidaritätsaktionen die Zugehörigkeit zur „antifaschistischen Organisation“ belegten, die in Ungarn ja inzwischen als „Terrororganisation“ eingestuft wird. Außerdem, so das Gericht, sei der Hungerstreik ein Zeichen dafür, dass Maja die ungarische Justiz nicht anerkenne!
Politischer Prozess in Budapest
Parallel läuft seit dem Frühjahr 2025 der Prozess vor dem Budapester Landgericht, zu dem Maja jedes Mal in Ketten und an einer Hundeleine gebracht wird. Schon im Vorfeld ließen Gefängnisverwaltung und Justiz kaum eine Möglichkeit aus, um eine gute Vorbereitung zu verhindern: Gespräche mit der Verteidigung fanden durch eine Trennscheibe und unter weiteren Einschränkungen statt, Maja konnte nur einen Bruchteil der umfangreichen Akte einsehen – von der nicht einmal ein Zehntel auf deutsch übersetzt wurde.
Beim Vorverhandlungstermin am 21. Februar 2025 zeigten die Repressionsbehörden unverblümt, dass die Entrechtung und Demütigung die Beschuldigten brechen sollen. Die Staatsanwaltschaft bot einen absurden „Deal“ an: Bei Ablegung eines Geständnisses sowie Verzicht auf Beweiserhebung und Prozess würde sich das Strafmaß auf „nur“ 14 Jahre unter verschärften Bedingungen beschränken – statt der angedrohten Maximalstrafe von bis zu 24 Jahre Gefängnis. Maja wies diesen „Deal“ entschieden zurück.
Die meisten im Budapest-Komplex Beschuldigten stammen aus Deutschland, und die hiesigen Behörden nutzten das als willkommene Gelegenheit für ihre eigene Repressionsagenda gegen antifaschistische Strukturen.
Seit 6. März finden die regulären Verhandlungstermine statt, bei denen sich regelmäßig solidarische Unterstützer*innen vor dem Gericht versammeln und auch am Prozess teilnehmen. Dabei erfahren sie immer wieder Repressalien: Die Zugangskontrollen sind extrem, und die Solidaritätskundgebungen werden mit Auflagen und Verboten schikaniert. Hinzu kommen Angriffe durch Nazis, die von der ungarischen Polizei wohlwollend geduldet werden.
Lange Zeit galt als sicher, dass das Urteil gegen Maja im Oktober 2025 verkündet wird. Nachdem aber Ende September der erste Prozess im Budapest-Komplex vor einem deutschen Gericht endete, wollte die ungarische Justiz diese Akte noch mit einfließen lassen und setzte eine Verhandlungspause bis Anfang 2026 an. Aktuell wird für den 22. Januar mit dem Urteil gegen Maja gerechnet.
Allerdings ist auch denkbar, dass es sich noch einmal verzögert: Als antifaschistische und non-binäre Person ist Maja das perfekte Feindbild für Viktor Orbán, der in seinem bevorstehenden Wahlkampf sicher gerne darauf zurückgreift. Von daher kann es durchaus sein, dass er das Gericht anweist, den Prozess zu verlängern – nicht einmal die EU hält Ungarns Justiz für auch nur halbwegs unabhängig.
Prozesse in Deutschland
Parallel geht die Repression auch in Deutschland weiter: Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung von Maja nachträglich für unrechtmäßig erklärt hatte, begann die Bundesanwaltschaft, Prozesse vor deutschen Gerichten zu planen. Nach und nach waren mehrere Antifaschist*innen verhaftet worden, acht weitere stellten sich im Frühjahr 2025 und wurden direkt in Untersuchungshaft genommen. Dadurch ist die Zahl der Antifaschist*innen in hiesigen Gefängnissen so hoch wie seit Jahrzehnten nicht.
Den Auftakt machte das Verfahren gegen Hanna aus Nürnberg, die im Mai 2024 in ihrer Nürnberger Wohnung verhaftet und ebenfalls im Budapest-Komplex beschuldigt wurde. Über sechs Monate wurde vor dem Oberlandesgericht München verhandelt und trotz aller Bemühungen kein Beweis produziert. Selbst groteske Methoden wie unwissenschaftliche Körpervermessungen halfen nicht weiter, aber das zügelte den Verurteilungswillen nicht im Geringsten: Der Generalbundesanwalt warf der Antifaschistin sogar versuchten Mord vor und forderte acht Jahre Haft. Zwar wies das Gericht den Mordvorwurf zurück, aber verhängte dennoch fünf Jahre – auf Grundlage einiger dürrer und widersprüchlicher Indizien.
In den kommenden Monaten finden noch weitere Budapest-Prozesse gegen Antifaschist*innen statt: In Dresden werden sieben, in Düsseldorf sechs Aktivist*innen wegen des Vorfalls im Februar 2023 vor Gericht gestellt, und weitere Prozesse sind absehbar. Bei einigen Angeklagten kommen noch Vorwürfe aus dem Antifa-Ost-Verfahren hinzu.
Sowohl in Deutschland als auch in Ungarn wird der Budapest-Komplex ganz offensichtlich genutzt, um abschreckende Exempel zu statuieren und Antifaschist*innen einzuschüchtern. Das Signal ist klar: Wer engagiert gegen Nazis auftritt, hat mit schwersten Strafen zu rechnen. Umso wichtiger ist, sich solidarisch zu zeigen und die Betroffenen zu unterstützen – durch Beteiligung an Kundgebungen, Spenden für Prozesskosten und Postkarten an die Gefangenen! Gute Hinweise gibt die Kampagne „Wir sind alle Antifa“, die die Rote Hilfe e. V. angesichts dieser Repressionswelle gestartet hat.
Solidarität gegen Mutlosigkeit
Trotz dieser Verfolgungen versuchen die Antifaschist*innen, sich nicht entmutigen zu lassen. Ein beeindruckendes Statement verfasste Maja im Februar angesichts der Anklageschrift und der drohenden Höchststrafe, die das eigene Alter übersteigt:
„Auch wenn Ungarn mich weiterhin gefangen hält, im bloßen Willen, mich vorzuverurteilen, zu bestrafen und abzuschrecken, während die Bundesregierung schüchtern nickend Orbán die Hände hält, auch wenn die Isolation meinen Kopf zermürbt, die fehlende Sonne mich erblassen lässt und die Sehnsucht nach einem vertrauten Gespräch und einer einzigen Umarmung mich nachts aus dem Schlaf reißt – ich bleibe da, ich bleibe an eurer Seite.
Lasst es uns immer wieder wagen, nicht zu verstummen, auch wenn die Monate und Jahre manchmal drohen, alle Hoffnung und das Vertrauen auf die eigenen Kräfte zu zersetzen. Verzagen können wir nicht, es wäre fatal. Zu viel steht auf dem Spiel, so viel ist bereits wieder ins Rutschen geraten, was einst erkämpft und erlernt wurde.“
Weitere Informationen unter:
basc.news
alle-antifa.org
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.