Liebe Leser*innen,

1922 schrieb Kurt Tucholsky, in Deutschland gelte „derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht“. Daran hat sich auch 102 Jahre später nur wenig geändert.
Am 31. Mai 2024 wurde bei einer Messerattacke durch einen aus Afghanistan geflüchteten Mann in Mannheim ein Polizist schwer verletzt. Der Beamte erlag am 2. Mai seinen Verletzungen. Die Instrumentalisierung dieses tragischen Todesfalls folgte auf den Fuß. In den Medien wird von AfD-Chefin Alice Weidel und anderen Rassist*innen jetzt täglich die Abschiebung von Geflüchteten in den von den islamistischen Taliban beherrschten Folterstaat Afghanistan gefordert. Die Kampagne in den Massenmedien ist ein Angriff auf die Menschenrechte und Wasser auf die Mühlen der Faschist*innen nicht nur der AfD.

Rassismus und Polizeigewalt

Ein Thema, über das deutsche Medien unzureichend berichten, ist rassistische Gewalt. Insbesondere über Polizeigewalt lesen, sehen und hören wir fast nirgendwo etwas.
Das Konzept des anarchistischen Graswurzeljournalismus unterscheidet sich dagegen klar vom Mainstream-Boulevard. Als soziale Bewegungszeitschrift für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft berichtet die GWR von unten und steht auf der Seite der Menschen, die von rassistischer, queerfeindlicher und sexistischer Gewalt betroffen sind.
Mit der GWR Nr. 490 präsentieren wir Euch einen Schwerpunkt zu den Themen Polizeigewalt und rechte Gewalt.
„Ich will einen Richter“, der Artikel von Chiara Oschika über tödliche Polizeigewalt spricht auf Seite 3 ein mediales Tabu an. Allein in Mannheim sind seit 2022 vier Menschen durch die Polizei ums Leben gekommen.
Aufgrund der drastischen Schilderungen von Polizeigewalt und Rassismus haben wir den Artikel „Sichtbar machen, Gedenken und Erinnern“ über 30 Jahre Recherche und Dokumentation des staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus durch die Antirassistische Initiative Berlin mit einer Triggerwarnung versehen. Beim Lektorat dieses schockierenden Artikels auf Seite 4 f. konnte ich die Tränen nur schwer zurückzuhalten.
Vergleichsweise kurzweilig ist dagegen das Interview, das GWR-Praktikant*in Nika Hackenreiter und ich mit Maria Salinas über Rassismus, Sexismus und das Dagegenhalten geführt haben (S. 5 f.). Thomas Billstein ist Referent bei Backup-NRW, einer Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt und Autor des Buches „kein vergessen – Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland nach 1945“. Sein Artikel „Rechte Gewalt: Wider die neue Normalität“ auf Seite 7 macht klar, dass Gewaltkriminalität gegenüber Wohnungslosen in den letzten Jahren drastisch angestiegen ist: „Insbesondere die Zahl der Gewalttaten gegenüber obdachlosen Frauen hat alarmierend zugenommen.“
Über Rechtsextremismus in der Kinder- und Jugendhilfe schreibt Florian Adner auf Seite 8, während Nika auf Seite 9 im Artikel „Auto-Männer und ihr Hass auf Umweltaktivistinnen“ das Phänomen der „Petromaskulinität“ unter die Lupe nimmt.
Die Leitartikel „Menschenpark der wohltemperierten Grausamkeit“ (S. 1, 10) von Andreas Kemper und „Erich Mühsam und der deutsche Kolonialismus“ (S. 1, 12 f.) von Andreas Bohne möchte ich Euch besonders ans Herz legen. Ebenso den vierten Teil von Anne S. Respondeks Artikelserie über Bordelle in Deutschen Konzentrationslagern (S. 11). Nie wieder Faschismus!

Antimilitarismus!

Der schöne Comic von Roya Soraya auf Seite 14 leitet den antimilitaristischen Schwerpunkt dieser GWR ein. Er ist den Palestinians and Jews for Peace gewidmet und schließt direkt an die GWR-Ausgaben Nr. 485 (Januar), 487 (März) und 489 (Mai) an, in denen wir vier Beiträge der Palestinians and Jews for Peace veröffentlichten. Das Interview mit Swetlana Nowoshenowa aus der GWR 489 könnt Ihr jetzt als Radio-Graswurzelrevolution-Sendung mit Musik (1) hören.
Mit ihrem #RefuseWar-Artikel auf Seite 15 f. fordert Marah Frech Solidarität mit allen Kriegsgegner*innen ein. Daran schließen auf Seite 17 der Redebeitrag von Andrii Konovalov, einem Kriegsdienstentzieher aus der Ukraine, und der Beitrag von Guido Grünewald über „Die Wolken des Krieges“ auf Seite 18 an.
Manuel Förderers Text „Freiwillige Ausbeutung?“ wirft auf Seite 19 einen Blick auf den Bundesfreiwilligendienst im Kontext der aktuellen Kampagne von Politiker*innen für Kriegsdienstzwang und Pflichtjahr. Er wird ergänzt durch einen Text von Nika und knüpft an den „Gegen Militarisierung und Zwangsdienste“-Schwerpunkt der GWR 488 an.
Peter Lilienthal ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Er war einer der bedeutendsten Filmemacher der Bundesrepublik. In den Nachrufen von Tagesschau, FR, SZ, FAZ, Spiegel und Co. wurde seine anarchistische und antimilitaristische Weltanschauung unter den Teppich gekehrt. Deshalb erinnere ich mit meinem Nachruf auf Seite 20 f. an Peters graswurzelrevolutionäre Seite.
Klimaaktivistin Finja Löwenzahn wehrt sich mit ihrem Artikel „War Lützerath ein Symbol?“ auf Seite 21 gegen eine Lützi-Verklärung.

Wunderkammer

In der „wunderkammer“ dieser GWR geht es um die Anarchistische Buchmesse in Mannheim und die Anarchistischen Tage in Leipzig (S. 22), die Umweltzeitung Rabe Ralf (S. 23), Bernadette La Hengst und die Diktatur der Angepissten (S. 24), „Mikrotopia“ und die „Reichen und Hässlichen“ (S. 25), 16 Millionen klassenbewusste Arbeiter*innen (S. 26) und Adaptionen von Mainstream-Comicfiguren (S. 27). Weitere Themen: Aufruf zum Wahlboykott als Verdachtsfall? (S. 2), Gedenkveranstaltungen für die Anarchisten Paul Wulf und Erich Mühsam (S. 13), Solidarität mit dem iranischen Rapper Toomaj Salehi (S. 2) und der Anarchafeministin Pınar Selek (S. 28).
Solidarität braucht auch die Graswurzelrevolution.
Aj Kula aus Wuppertal äußerte sich Anfang Juni auf Facebook über die GWR: „Ein Segen, dass es euch gibt – gerade FB ist so voll von NATO- und Putin-Trollen. Graswurzelrevolution ist eine richtige Erholung in diesen Zeiten.“
Das freut uns. Leider geht es der GWR nicht gut. Wir brauchen dringend 10.000 Euro und 200 neue Abos. Deshalb liegt dieser Ausgabe ein Spendenaufruf bei. Bittet spendet, abonniert, verbreitet die GWR! Wir brauchen Eure Solidarität!
Mit 28 Seiten ist die GWR-Sommerausgabe wieder besonders dick. Durch die alljährliche GWR-Sommerpause im Juli und August bleibt Euch zum Lesen ein bisschen Zeit. Die GWR 491 erscheint zum Antikriegstag am 1. September. Redaktionsschluss: 10. August.
Einen schönen Sommer, Anarchie und Glück,

Bernd Drücke (GWR-Red.)

(1) https://www.nrwision.de/mediathek/radio-graswurzelrevolution-swetlana-nowoshenowa-palestinians-and-jews-for-peace-240425/
(2) Die Petition findet Ihr hier: https://www.openpetition.de/petition/online/keine-werbepartnerschaft-von-borussia-dortmund-mit-dem-ruestungskonzern-rheinmetall

PS: Bitte unterschreibt die Petition ((2)), die ein ehemaliger GWR-Praktikant gegen den Werbedeal zwischen dem Rüstungskonzern „Rheinmetall“ und Borussia Dortmund ins Leben gerufen hat.