Liebe Leser:innen,
die Graswurzelrevolution hat in den letzten acht Jahren viele Artikel über den Trumpismus veröffentlicht (1) und es ist erstaunlich wie aktuell diese Beiträge immer noch sind. Auch wenn wir das Gegenteil gehofft haben, die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten des mächtigsten Staates der Erde am 5. November 2024 war leider absehbar. Trotzdem ist es ein Schock. Wieso wählen so viele Menschen extrem rechte Hetzer, Sexisten und Rassisten wie Trump, Höcke und Co.?
Mit Trump droht eine Verschärfung der sich ohnehin schon zuspitzenden Klimakatastrophe und des Artensterbens. Anstatt gegenzusteuern, bekommen Leugner des Klimawandels Zuspruch und es droht ein Kippen der Kultur in die Barbarei, in einen neuen Faschismus. Die Wahlergebnisse in den USA, aber auch bei den letzten Landtagswahlen in Deutschland, zeigen, dass vielen Menschen die Bereitschaft verloren gegangen ist, die Gefühle, Gedanken und Motive geflüchteter Menschen nachzuempfinden. Stattdessen werden Geflüchtete als Sündenböcke und Feindbilder missbraucht, besonders von Trump und der AfD, aber eben auch von Politiker*innen der bürgerlichen Parteien, die eine rigide Politik gegen Migrant*innen organisieren, „dringend viel mehr abschieben“ wollen und darauf spekulieren, der extremen Rechten Stimmen abzujagen, indem man sie rechts überholt.
Aber es gibt Widerstand. Soziale Bewegungen kämpfen für eine solidarische Gesellschaft und für Klimagerechtigkeit. Viele stellen sich gegen die Menschenfeindlichkeit. Die antifaschistische Zivilgesellschaft lebt. Das haben die vielen Demos 2024 gegen den Rechtsruck und die „Remigrations“-Pläne der AfD gezeigt. Das zeigen auch die sozialen Bewegungen in den USA.
GWR 494
Ein Mut machendes Beispiel für kreative Solidaritätsarbeit mit Geflüchteten ist BRINCO, ein von der Künstlerin Judi Werthein entwickelter Sportschuh, der Menschen bei der „illegalen“ Einwanderung in die USA unterstützen soll. Siehe Viola Tölkes Artikel auf Seite 2.
Ermutigend ist auch Lara Islingers Beitrag „Abtreibung und US-Wahl“ auf Seite 13. Er zeigt, dass feministische Aktivist*innen in den USA auch nach der Trump-Wahl nicht aufgeben und den Kampf für Menschenrechte jetzt erst recht und umso intensiver führen werden.
Mut machen auch der Artikel „I woar da Willi“ (S. 15), die Arbeit des Filmkollektivs Chaos (S. 24), Gisela Notz’ Beitrag über die wenig bekannte Anarchistin Margarethe Hardegger (S. 12) und das Interview mit Mag Wompel (S. 14 f.), die seit 25 Jahren als Redakteurin von LabourNet Germany arbeitet und fordert: „Lohnabhängigkeit abschaffen!“
Peter Oehler liefert mit seinem Reisebericht über „Soziale Küchen, Geflüchtete und Squats in Athen“ (S. 5f.) Anregungen für konkrete, antirassistische Solidaritätsarbeit. Die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender fordert auf Seite 7: „Rassismus bekämpfen – Die offene Gesellschaft verteidigen!“
Ralf Dreis berichtet über ungeklärte Todesfälle auf Polizeiwachen in Athen. Mit seinem Text „Polizeigewalt, Vertuschung, Straffreiheit“ (S. 3) knüpft er an seinen Leitartikel aus der GWR 493 an.
Die Erdoğan-Autokratie hat im November 2024 die frei gewählten Bürgermeister*innen in den kurdischen Gebieten der Türkei abgesetzt und durch Zwangsverwalter ersetzt. Das AKP/MHP-Regime versucht, das Land am Bosporus unter seine Knute zu zwingen und die erkämpften demokratischen Errungenschaften abzuschaffen. Über die Verfolgung der Anarchafeministin Pınar Selek durch den türkischen Staat berichten wir auf Seite 7.
OG ist aktiv in der „Frau, Leben, Freiheit“-Solidaritätsbewegung und beleuchtet unter dem Titel „Dienstags-Bewegung“ (S. 1, 8) den Kampf vor allem vieler Frauen für die Menschenrechte und gegen die Todesstrafe im Iran.
In den letzten Monaten haben wir viel über die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine veröffentlicht. Zu wenig berichtet haben wir dagegen über den Krieg im Sudan, der bisher über 150.000 Menschenleben forderte und elf Millionen Menschen zur Flucht gezwungen hat. Mit dem Leitartikel „Die größte Massenvertreibung der Gegenwart“ (S. 1, 21) skandalisieren wir auch, dass die EU die brutale ägyptische Deportation von Geflüchteten in den Sudan unterstützt.
Viele weitere Beiträge gegen Krieg und Militarisierung und eine neue #ObjectWarCampaign-Aktionszeitung findet Ihr auf den Seiten 16 bis 23. Bitte solidarisiert Euch mit den Gefangenen für den Frieden (siehe Artikel auf Seite 2).
Wer Lust und Zeit hat, ist herzlich eingeladen zur Diskussion und zum Diavortrag „Anarchistischer Antimilitarismus. Gegen jeden Krieg“, den ich am 5. Dezember 2024 ab 18 Uhr im Black Pigeon, Scharnhorststraße 50, Dortmund, halten werde (2). Mit dem Vortrag möchte ich in die Geschichte und Gegenwart des Anarchismus und Antimilitarismus einführen. Der Fokus der Veranstaltung dreht sich u.a. um die Fragen: Was ist Anarchistischer Antimilitarismus? Wie lässt er sich auf aktuelle bewaffnete Konflikte z. B. in der Ukraine oder in Gaza beziehen? Was können anarchistische Strategien gegen Militarisierung und für die Verwirklichung einer freiheitlich-sozialistischen Gesellschaft sein? Wie kann eine solidarische Gesellschaft jenseits von Staat, Militär, Herrschaft und Gewalt Wirklichkeit werden?
Lauter Fragen also, um die es in der Monatszeitschrift für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft eigentlich immer geht. So auch in dieser Ausgabe.
Viel Spaß beim Lesen, Anarchie und Glück,
Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)
(1) Siehe z. B.: https://www.graswurzel.net/gwr/2016/12/die-us-wahl-als-zeitenwende/
(2) Weitere Infos: https://www.graswurzel.net/gwr/2024/11/anarchistischer-antimilitarismus/
Zurück ins Kriegsgebiet: EU finanziert ägyptische Deportationen in den Sudan
Das Filmkollektiv Chaos aus Kiel widmet sich in seinem aktuellen Programm der linken Geschichte
Redebeitrag auf der Demonstration „Rassismus bekämpfen – Die offene Gesellschaft verteidigen“
25 Jahre LabourNet Germany. Ein Interview mit der Redakteurin Mag Wompel
Margarethe Hardegger (20. Februar 1882 – 23. September 1963)
Die Unmöglichkeit, sich zwischen Machtblöcken zu positionieren