Buchgruppe Offene Arbeit (Hrsg.)

Alles verändert sich, wenn wir es verändern

Die Offene Arbeit Erfurt im Wandel der Zeiten (1979-2014)

16,90 

Beschreibung

Buchgruppe Offene Arbeit (Hrsg.)
Alles verändert sich, wenn wir es verändern 
Die Offene Arbeit Erfurt im Wandel der Zeiten (1979-2014)

242 Seiten, 16,90 Euro
ISBN 978-3-939045-24-3
75 Abbildungen

Die Offene Arbeit Erfurt ist eine der Gruppen, in denen sich in der DDR Menschen zusammengeschlossen haben, die mit viel persönlichem Einsatz gegen die Herrschaft der SED eingetreten sind. Allerdings mussten sie feststellen, dass viele der im Umbruch angestoßenen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse im Oktober 1990 ihr vorläufiges Ende fanden.

Vor diesem Hintergrund entstand das erste Buch der Offenen Arbeit: Offene Arbeit – Selbstauskünfte. Ich wollt‘ die Hoffnung stürbe nie. Im Vorwort hieß es: „Es ist unser Anliegen, mit diesem Buch Menschen zum aufrechten Gang zu ermutigen.“

Mehr als 20 Jahre später greift die vorliegende Veröffentlichung die offenen Fragen, die sich aus dieser Perspektive ergeben, auf: Was bedeutet Offene Arbeit im Wandel der Zeiten? Was ist von den Zielen und Ideen der Friedens- und Umweltgruppen in der DDR geblieben? Welche Wege sind unter den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu gehen, um diese Ziele und Ideen weiterzuverfolgen?

Das Buch nähert sich diesen Fragen mit vielfältigen Ansätzen und Perspektiven: analytisch, historisch und in Anekdoten, aus der Innen- und Außensicht, mit Fotos und Originaldokumenten, in Sachtexten, Interviews und biografischen Texten.

Inhalt

1 Einleitung

  • Vorwort
  • „… wir hatten ein besseres Land, eine bessere Welt im Kopf“
  • „Irgendwie rennen wir in eine Richtung, die nicht glücklich macht“
  • „Ich bin schon immer meinen Weg gegangen“
  • „Plötzlich waren oppositionelle Stimmen wieder in der Minderheit“
  • „Ist das Revolution, was wir hier machen?“

2 Was ist Offene Arbeit?

  • Brücke in die Gesellschaft
  • Mein Weg zur Offenen Arbeit
  • Rückblende 1991
  • Ein Ort der Offenheit für sich und andere

3 Von damals bis heute – Prozesse in der Offenen Arbeit

  • Bildung und Bewegung
  • Basisdemokratie – Anspruch und Wirklichkeit
  • „Selbstverständlich gegen Rassismus und Ausgrenzung“
  • Werkstatt – im Wandel der Zeiten
  • Aus Gewissensgründen gegen den Kriegsdienst
  • Ein kluger Kopf passt unter keinen Stahlhelm
  • Wer hört mit? Geheimdienste rund um die Offenen Arbeit
  • „Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch“
  • „Atomkraft ist nie friedlich“
  • „Ich habe heute Glück gehabt“
  • Punkrock!
  • Frauen in der Offenen Arbeit

4 Außensichten

  • AnarchistInnen in der Kirche?
  • Ein Freiraum gestern, heute und hoffentlich auch in Zukunft
  • Wider die Gleichförmigkeit des Denkens
  • Ein Schatz der Kirche
  • Eine fröhliche Partnerschaft
  • „Das ist ja alles abgewürgt worden“
  • Die Offene Arbeit – was ist das jetzt eigentlich genau?

5 Wie weiter unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen?

  • Die nächsten 35 Jahre – zukünftige Herausforderungen
  • Die politische Perspektive I: Vom Heute zum Morgen
  • Die politische Perspektive II: Achtsame und antiautoritäre Spontaneität
  • Die politische Perspektive III: Eigene Grundlagen achten und Neues aufnehmen
  • Mündige Kirche. Die Offene Arbeit im Horizont der Theologie Dietrich Bonhoeffers
  • Walter Schilling: Spiritus Rector und Knoten im Netz
  • Walter Schilling, der Vater der Offenen Arbeit
  • „Offene Arbeit“/Sozialdiakonische Jugendarbeit (1984)

Über die AutorInnen

Vorwort

Von Bernd Löffler, Renate Lützkendorf, Karl Meyerbeer, Wolfgang Musigmann und Matthias Weiß

I m Dezember 1991 veröffentlichte die Offene Arbeit des Evangelischen Kirchenkreises Erfurt ihr erstes Buch: „Offene Arbeit – Selbstauskünfte“, mit der Unterzeile „Ich wollt‘, die Hoffnung stürbe nie“.

Es war wie ein Durchatmen, ein Reflektieren über die eigene Geschichte, die nun im Jahre Zwei nach dem Aufbruch in der DDR eine neue Etappe erreichte. Im Vorwort hieß es: „Es ist unser Anliegen, mit diesem Buch Menschen zum aufrechten Gang zu ermutigen.“ Auf den folgenden Seiten äußerten über 30 AutorInnen1 ihre Gedanken zu diesem Ort, diesem Anliegen und dieser Gemeinde – der Offenen Arbeit Erfurt. Sie berichteten über ihre Erfahrungen in der untergegangenen DDR, ihren Kampf für saubere Luft in der Stadt, gegen den allmächtigen Sicherheitsapparat und für eine gerechtere Gesellschaft. Und sie erzählten von jenem Ort, der ihnen soziale und politische Heimat wurde, der einen wichtigen Teil ihres Lebens ausmachte. Das Buch erschien im Eigenverlag, in einer 500er-Auflage, und ist längst vergriffen, mit Ausnahme einiger streng gehüteter Einzelexemplare.

Viele Menschen, welche die Offene Arbeit begleiteten, sind nicht mehr da. Sie haben sich ins Privatleben zurückgezogen, haben ihre eigenen Projekte gegründet oder sind verzogen. Und es gibt leider die ersten Todesfälle – Menschen, die sehr vermisst werden.

Dass sich über 20 Jahre nach dem Dezember 1991 Menschen aus der Offenen Arbeit und ihrem Umfeld erneut daran machten, ein Buchprojekt zu starten, hatte vor allem drei Ursachen.

Erstens gilt es erneut Bilanz zu ziehen: Was hat sich verändert in diesen mehr als 20 Jahren? Was ist von den Zielen und Ideen, die uns zu Beginn der 1990er-Jahre des letzten Jahrhunderts bewegten, geblieben?

Zum Zweiten soll – daraus schlussfolgernd – darüber diskutiert werden, was nun zu tun bleibt. Welche Wege sind unter den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu gehen, um die Vorstellungen und Ideale, die sich mit der Offenen Arbeit verbinden, weiterzuverfolgen? Und zum Dritten soll Position bezogen werden – im Kontext von Debatten, die immer wieder aufbrechen, wenn es um die Geschichte der Friedens- und Umweltgruppen der DDR geht.

Dabei geht es auch um Deutungshoheit. Zu viele interessierte Menschen und Institutionen begrenzen die Rolle dieser Gruppen auf ihren Kampf gegen die Herrschaft der SED, auch ehemalige MitstreiterInnen stimmen längst in diesen Chor mit ein. Und tatsächlich scheint ja der Auflösungsprozess, der viele Initiativen nach 1990 ereilte, Bände zu sprechen. Waren also tatsächlich mit dem Anschluss der DDR an die BRD die Aufgaben der Friedens- und Umweltgruppen erledigt, hatten sie ihre Ziele erreicht?

Wer sich etwas genauer mit der Geschichte auseinandersetzt, wird feststellen: Da war doch mehr! Da ist doch noch einiges unerledigt! Wie steht es denn mit der Forderung nach Auflösung aller Geheimdienste? Illusionistische -Träumerei? In Zeiten von NSU-Terror und VS-Versagen sowie von massenhaftem -Ausspähen missliebiger Oppositionsgruppen gewinnt die Idee der Abschaffung von Geheimdiensten plötzlich eine völlig neue Relevanz.
Wie sieht es denn aus mit der alten Forderung nach Auflösung aller Militärpakte und nicht nur des Warschauer Vertrags? Spinnerei ewig sentimentaler Tagträumer? Oder muss auch diese Forderung angesichts der „Neuen Kriege“ wieder aufgegriffen werden?

Und warum verschwand der Entwurf des Runden Tisches für eine neue Verfassung der DDR – mit plebiszitären Elementen, sozialen Menschenrechten und einer antimilitaristischen Ausrichtung – in der Versenkung?

Wird gegenwärtig zu allen möglichen Festlichkeiten an die Jahre 1989 und 1990 erinnert, so meist aus der Sicht derjenigen, die zumindest zeitweilig zu Siegern der Geschichte wurden. Um jene, denen die Erinnerung an die umfassenderen Ziele von 1989 ein Anliegen ist, ist es still geworden. Aber es ist unsere Geschichte! Diese Auseinandersetzungen sind ein Kampf um Deutungshoheit. Nicht umsonst interessieren sich viele Medien heute, wenn sie die Offene -Arbeit überhaupt wahrnehmen, vor allem für ihre Geschichte vor 1989. Welche Positionen sie in aktuellen Auseinandersetzungen bezieht, bleibt von geringerem Interesse.

Wir werden uns jedoch nicht auf ein historisches Konzept reduzieren lassen – deshalb ist es wieder an der Zeit, Stellung zu beziehen.

In den folgenden Texten beschreiben und diskutieren die AutorInnen ihre verschiedenen Sichtweisen auf die Offene Arbeit Erfurt, und zwar betrachtet jeweils aus einem eigenen Blickwinkel: dem historischen Rückblick, der Sicht auf die alltäglichen Probleme und Auseinandersetzungen, den vielfältigen politischen Aktionen und dem perspektivischen Ausblick. Dabei werden unterschiedliche Haltungen deutlich – von begeisternd zustimmend über freundlich-kritisch bis grundsätzlich hinterfragend. Deutlich wird das am Beispiel der Nuancierungen beim Motiv Basisdemokratie. Dieses Grundsatzthema ist für alle selbstorganisierten Gruppen von Gewicht, bestimmt es doch weitgehend den Umgang untereinander. Gerade in jenen Zusammenhängen, die nicht schon nach einer kurzzeitigen Euphorie wieder verschwinden, entwickeln sich im Laufe der Jahre verschiedene konkrete Ausgestaltungen von Basisdemokratie. Das wird auch im Falle der Offenen Arbeit deutlich. Professionalisierung erfordert auf der einen Seite die Akzeptanz von Richtlinien, Maßgaben und Kontrollen. Dies wiederum verstärkt den Zwang zu eindeutigen, nachprüfbaren und zeitgemäßen Entscheidungen. Auf der anderen Seite widerspricht ein solches Vorgehen jedoch oft den Bedürfnissen eines aus den verschiedenen Personen, Lebensbildern und Gewohnheiten heraus agierenden Zusammenhangs. Dissonanzen zwischen hauptamtlichen MitarbeiterInnen und Teilen der Gesamtgruppe können ebenso eine Folge davon sein wie der Rückzug einzelner Menschen aus der Initiative oder das Ausbleiben engagierten Nachwuchses. Ein weiterer Aspekt ist der Umgang mit den sich verändernden gesellschaftlichen Voraussetzungen und Debatten. Das Interessante dabei ist der Umstand, dass die Offene Arbeit sich stets auf die neuen Situationen einstellen konnte, aus ihnen heraus eigene Positionen entwickelte und somit handlungsfähig blieb. Das unterscheidet sie wohltuend von anderen Gruppen. Dabei irritiert sie hin und wieder auch ihre FreundInnen. Doch sind die von ihr vertretenen Positionen stets das Resultat einer – manchmal auch schwierigen – internen Diskussion.

Das größte Verdienst der Offenen Arbeit besteht jedoch in ihrem Fortbestehen. Sie zeigt damit, dass eine widerspenstige Existenz auch in einer zunehmend politisch gleichförmiger werdenden Gesellschaft möglich ist, wenn die Aktiven einen langen Atem entwickeln. Sie bleibt trotz ihres Alters somit ein Beispiel für all jene Menschen, die das Ziel einer freundlicheren, friedlicheren und emanzipatorischeren Gesellschaft noch nicht aufgegeben haben.

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Rezensionen

Alles verändert sich, wenn wir es verändern

Die „Offene Arbeit“ der evangelischen Kirche in Erfurt – hat sich die mit der Friedlichen Revolution von 1989 nicht erledigt? Ist der Kampf für saubere Luft in der Stadt, gegen den allmächtigen Sicherheitsapparat und für eine gerechtere Gesellschaft nicht erfolgreich zu Ende gegangen? Viele basisdemokratische Gruppen der DDR haben nach 1990 ihre Arbeit eingestellt. Die Offene Arbeit verstand sich als Teil eines allgemeineren intellektuellen Aufbruchs der DDR-Opposition, der beide damaligen Gesellschaftssysteme grundsätzlich kritisierte wegen ihrer Technobürokratie, wegen ihres Leistungs- und Wachstumswahns. Die unerledigten Ziele weiterzuverfolgen: Darin sehen jene, die weiter offene Arbeit betreiben, ihre kontinuierliche Aufgabe. Sie treten für die Emanzipation von Menschen ein, wollen weg vom „Arbeitsfetisch“ und hin zu einer ausbeutungsfreien Gesellschaft. Dabei wollen sie sich nicht „auf ein historisches Konzept reduzieren“ lassen. Ein gründliches, nichts beschönigendes, anregendes und ermutigendes Buch.

Jürgen Israel
aus: Publik-Forum Nr. 15/2016, 5.8.2016